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Read Ebook: Der Tod in Venedig by Mann Thomas
Font size: Background color: Text color: Add to tbrJar First Page Next PageEbook has 172 lines and 28131 words, and 4 pagesThomas Mann Der Tod in Venedig Die Texte folgen den Ausgaben: >Der Tod in Venedig< aus M?nchen, Hyperionverlag Hans von Weber 1912 Erstes Kapitel Gustav Aschenbach oder von Aschenbach, wie seit seinem f?nfzigsten Geburtstag amtlich sein Name lautete, hatte an einem Fr?hlingsnachmittag des Jahres 19.., das unserem Kontinent monatelang eine so gefahrdrohende Miene zeigte, von seiner Wohnung in der Prinz-Regentenstrasse zu M?nchen aus, allein einen weiteren Spaziergang unternommen. ?berreizt von der schwierigen und gef?hrlichen, eben jetzt eine h?chste Behutsamkeit, Umsicht, Eindringlichkeit und Genauigkeit des Willens erfordernden Arbeit der Vormittagsstunden, hatte der Schriftsteller dem Fortschwingen des produzierenden Triebwerks in seinem Innern, jenem >>motus animi continuus<<, worin nach Cicero das Wesen der Beredsamkeit besteht, auch nach der Mittagsmahlzeit nicht Einhalt zu tun vermocht und den entlastenden Schlummer nicht gefunden, der ihm, bei zunehmender Abnutzbarkeit seiner Kr?fte, einmal untertags so n?tig war. So hatte er bald nach dem Tee das Freie gesucht, in der Hoffnung, dass Luft und Bewegung ihn wieder herstellen und ihm zu einem erspriesslichen Abend verhelfen w?rden. Es war Anfang Mai und, nach nasskalten Wochen, ein falscher Hochsommer eingefallen. Der Englische Garten, obgleich nur erst zart belaubt, war dumpfig wie im August und in der N?he der Stadt voller Wagen und Spazierg?nger gewesen. Beim Aumeister, wohin stillere und stillere Wege ihn gef?hrt, hatte Aschenbach eine kleine Weile den volkst?mlich belebten Wirtsgarten ?berblickt, an dessen Rande einige Droschken und Equipagen hielten, hatte von dort bei sinkender Sonne seinen Heimweg ausserhalb des Parks ?ber die offene Flur genommen und erwartete, da er sich m?de f?hlte und ?ber F?hring Gewitter drohte, am N?rdlichen Friedhof die Tram, die ihn in gerader Linie zur Stadt zur?ckbringen sollte. Zuf?llig fand er den Halteplatz und seine Umgebung von Menschen leer. Weder auf der gepflasterten Ungererstrasse, deren Schienengeleise sich einsam gleissend gegen Schwabing erstreckten, noch auf der F?hringer Chaussee war ein Fuhrwerk zu sehen; hinter den Z?unen der Steinmetzereien, wo zu Kauf stehende Kreuze, Ged?chtnistafeln und Monumente ein zweites, unbehaustes Gr?berfeld bilden, regte sich nichts, und das byzantinische Bauwerk der Aussegnungshalle gegen?ber lag schweigend im Abglanz des scheidenden Tages. Ihre Stirnseite, mit griechischen Kreuzen und hieratischen Schildereien in lichten Farben geschm?ckt, weist ?berdies symmetrisch angeordnete Inschriften in Goldlettern auf, ausgew?hlte, das jenseitige Leben betreffende Schriftworte wie etwa: >>Sie gehen ein in die Wohnung Gottes<< oder: >>Das ewige Licht leuchte ihnen<<; und der Wartende hatte w?hrend einiger Minuten eine ernste Zerstreuung darin gefunden, die Formeln abzulesen und sein geistiges Auge in ihrer durchscheinenden Mystik sich verlieren zu lassen, als er, aus seinen Tr?umereien zur?ckkehrend, im Portikus, oberhalb der beiden apokalyptischen Tiere, welche die Freitreppe bewachen, einen Mann bemerkte, dessen nicht ganz gew?hnliche Erscheinung seinen Gedanken eine v?llig andere Richtung gab. Ob er nun aus dem Innern der Halle durch das bronzene Tor hervorgetreten oder von aussen unversehens heran und hinauf gelangt war, blieb ungewiss. Aschenbach, ohne sich sonderlich in die Frage zu vertiefen, neigte zur ersteren Annahme. M?ssig hochgewachsen, mager, bartlos und auffallend stumpfn?sig, geh?rte der Mann zum rothaarigen Typ und besass dessen milchige und sommersprossige Haut. Offenbar war er durchaus nicht bajuwarischen Schlages: wie denn wenigstens der breit und gerade gerandete Basthut, der ihm den Kopf bedeckte, seinem Aussehen ein Gepr?ge des Fremdl?ndischen und Weitherkommenden verlieh. Freilich trug er dazu den landes?blichen Rucksack um die Schultern geschnallt, einen gelblichen Gurtanzug aus Lodenstoff, wie es schien, einen grauen Wetterkragen ?ber dem linken Unterarm, den er in die Weiche gest?tzt hielt, und in der Rechten einen mit eiserner Spitze versehenen Stock, welchen er schr?g gegen den Boden stemmte und auf dessen Kr?cke er, bei gekreuzten F?ssen, die H?fte lehnte. Erhobenen Hauptes, so dass an seinem hager dem losen Sporthemd entwachsenden Halse der Adamsapfel stark und nackt hervortrat, blickte er mit farblosen, rot bewimperten Augen, zwischen denen, sonderbar genug zu seiner kurz aufgeworfenen Nase passend, zwei senkrechte, energische Furchen standen, scharf sp?hend ins Weite. So--und vielleicht trug sein erh?hter und erh?hender Standort zu diesem Eindruck bei--hatte seine Haltung etwas herrisch ?berschauendes, K?hnes oder selbst Wildes; denn sei es, dass er, geblendet, gegen die untergehende Sonne grimassierte oder dass es sich um eine dauernde physiognomische Entstellung handelte: seine Lippen schienen zu kurz, sie waren v?llig von den Z?hnen zur?ckgezogen, dergestalt, dass diese, bis zum Zahnfleisch blossgelegt, weiss und lang dazwischen hervorbleckten. Wohl m?glich, dass Aschenbach es bei seiner halb zerstreuten, halb inquisitiven Musterung des Fremden an R?cksicht hatte fehlen lassen; denn pl?tzlich ward er gewahr, dass jener seinen Blick erwiderte und zwar so kriegerisch, so gerade ins Auge hinein, so offenkundig gesonnen, die Sache aufs ?usserste zu treiben und den Blick des andern zum Abzug zu zwingen, dass Aschenbach, peinlich ber?hrt, sich abwandte und einen Gang die Z?une entlang begann, mit dem beil?ufigen Entschluss, des Menschen nicht weiter achtzuhaben. Er hatte ihn in der n?chsten Minute vergessen. Mochte nun aber das Wandererhafte in der Erscheinung des Fremden auf seine Einbildungskraft gewirkt haben oder sonst irgendein physischer oder seelischer Einfluss im Spiele sein: eine seltsame Ausweitung seines Innern ward ihm ganz ?berraschend bewusst, eine Art schweifender Unruhe, ein jugendlich durstiges Verlangen in die Ferne, ein Gef?hl, so lebhaft, so neu oder doch so l?ngst entw?hnt und verlernt, dass er, die H?nde auf dem R?cken und den Blick am Boden, gefesselt stehen blieb, um die Empfindung auf Wesen und Ziel zu pr?fen. Es war Reiselust, nichts weiter; aber wahrhaft als Anfall auftretend und ins Leidenschaftliche, ja bis zur Sinnest?uschung gesteigert. Er sah n?mlich, als Beispiel gleichsam f?r alle Wunder und Schrecken der mannigfaltigen Erde, die seine Begierde sich auf einmal vorzustellen trachtete,--sah wie mit leiblichem Auge eine ungeheuere Landschaft, ein tropisches Sumpfgebiet unter dickdunstigem Himmel, feucht, ?ppig und ungesund, eine von Menschen gemiedene Urweltwildnis aus Inseln, Mor?sten und Schlamm f?hrenden Wasserarmen. Die flachen Eilande, deren Boden mit Bl?ttern, so dick wie H?nde, mit riesigen Farnen, mit fettem, gequollenem und abenteuerlich bl?hendem Pflanzenwerk ?berwuchert war, sandten haarige Palmensch?fte empor, und wunderlich ungestalte B?ume, deren Wurzeln dem Stamm entwuchsen und sich durch die Luft in den Boden, ins Wasser senkten, bildeten verworrene Waldungen. Auf der stockenden, gr?nschattig spiegelnden Flut schwammen, wie Sch?sseln gross, milchweisse Blumen; V?gel von fremder Art, hochschultrig, mit unf?rmigen Schn?beln, standen auf hohen Beinen im Seichten und blickten unbeweglich zur Seite, w?hrend durch ausgedehnte Schilffelder ein klapperndes Wetzen und Rauschen ging, wie durch Heere von Geharnischten; dem Schauenden war es, als hauchte der laue, mephitische Odem dieser geilen und untauglichen ?de ihn an, die in einem ungeheuerlichen Zustande von Werden oder Vergehen zu schweben schien, zwischen den knotigen Rohrst?mmen eines Bambusdickichts glaubte er einen Augenblick die phosphoreszierenden Lichter des Tigers funkeln zu sehen--und f?hlte sein Herz pochen vor Entsetzen und r?tselhaftem Verlangen. Dann wich das Gesicht; und mit einem Kopfsch?tteln nahm Aschenbach seine Promenade an den Z?unen der Grabsteinmetzereien wieder auf. Er hatte, zum mindesten seit ihm die Mittel zu Gebote gewesen w?ren, die Vorteile des Weltverkehrs beliebig zu geniessen, das Reisen nicht anders denn als eine hygienische Massregel betrachtet, die gegen Sinn und Neigung dann und wann hatte getroffen werden m?ssen. Zu besch?ftigt mit den Aufgaben, welche sein Ich und die europ?ische Seele ihm stellten, zu belastet von der Verpflichtung zur Produktion, der Zerstreuung zu abgeneigt, um zum Liebhaber der bunten Aussenwelt zu taugen, hatte er sich durchaus mit der Anschauung begn?gt, die heute jedermann, ohne sich weit aus seinem Kreise zu r?hren, von der Oberfl?che der Erde gewinnen kann, und war niemals auch nur versucht gewesen, Europa zu verlassen. Zumal seit sein Leben sich langsam neigte, seit seine K?nstlerfurcht, nicht fertig zu werden,--diese Besorgnis, die Uhr m?chte abgelaufen sein, bevor er das Seine getan und v?llig sich selbst gegeben, nicht mehr als blosse Grille von der Hand zu weisen war, hatte sein ?usseres Dasein sich fast ausschliesslich auf die sch?ne Stadt, die ihm zur Heimat geworden, und auf den rauhen Landsitz beschr?nkt, den er sich im Gebirge errichtet und wo er die regnerischen Sommer verbrachte. Auch wurde denn, was ihn da eben so sp?t und pl?tzlich angewandelt, sehr bald durch Vernunft und von jung auf ge?bte Selbstzucht gem?ssigt und richtig gestellt. Er hatte beabsichtigt, das Werk, f?r welches er lebte, bis zu einem gewissen Punkte zu f?rdern, bevor er aufs Land ?bersiedelte, und der Gedanke einer Weltbummelei, die ihn auf Monate seiner Arbeit entf?hren w?rde, schien allzu locker und planwidrig, er durfte nicht ernstlich in Frage kommen. Und doch wusste er nur zu wohl, aus welchem Grunde die Anfechtung so unversehens hervorgegangen war. Fluchtdrang war sie, dass er es sich eingestand, diese Sehnsucht ins Ferne und Neue, diese Begierde nach Befreiung, Entb?rdung und Vergessen,--der Drang hinweg vom Werke, von der Alltagsst?tte eines starren, kalten und leidenschaftlichen Dienstes. Zwar liebte er ihn und liebte auch fast schon den entnervenden, sich t?glich erneuernden Kampf zwischen seinem z?hen und stolzen, so oft erprobten Willen und dieser wachsenden M?digkeit, von der niemand wissen und die das Produkt auf keine Weise, durch kein Anzeichen des Versagens und der Lassheit verraten durfte. Aber verst?ndig schien es, den Bogen nicht zu ?berspannen und ein so lebhaft ausbrechendes Bed?rfnis nicht eigensinnig zu ersticken. Er dachte an seine Arbeit, dachte an die Stelle, an der er sie auch heute wieder, wie gestern schon, hatte verlassen m?ssen und die weder geduldiger Pflege noch einem raschen Handstreich sich f?gen zu wollen schien. Er pr?fte sie aufs neue, versuchte die Hemmung zu durchbrechen oder aufzul?sen und liess mit einem Schauder des Widerwillens vom Angriff ab. Hier bot sich keine ausserordentliche Schwierigkeit, sondern was ihn l?hmte, waren die Skrupeln der Unlust, die sich als eine durch nichts mehr zu befriedigende Ungen?gsamkeit darstellte. Ungen?gsamkeit freilich hatte schon dem J?ngling als Wesen und innerste Natur des Talentes gegolten, und um ihretwillen hatte er das Gef?hl gez?gelt und erk?ltet, weil er wusste, dass es geneigt ist, sich mit einem fr?hlichen Ungef?hr und mit einer halben Vollkommenheit zu begn?gen. R?chte sich nun also die geknechtete Empfindung, indem sie ihn verliess, indem sie seine Kunst f?rder zu tragen und zu befl?geln sich weigerte und alle Lust, alles Entz?cken an der Form und am Ausdruck mit sich hinwegnahm? Nicht, dass er Schlechtes herstellte: Dies wenigstens war der Vorteil seiner Jahre, dass er sich seiner Meisterschaft jeden Augenblick in Gelassenheit sicher f?hlte. Aber er selbst, w?hrend die Nation sie ehrte, er ward ihrer nicht froh, und es schien ihm, als ermangle sein Werk jener Merkmale feurig spielender Laune, die, ein Erzeugnis der Freude, mehr als irgend ein innerer Gehalt, ein gewichtigerer Vorzug, die Freude der geniessenden Welt bildeten. Er f?rchtete sich vor dem Sommer auf dem Lande, allein in dem kleinen Hause mit der Magd, die ihm das Essen bereitete, und dem Diener, der es ihm auftrug; f?rchtete sich vor den vertrauten Angesichten der Berggipfel und-w?nde, die wiederum seine unzufriedene Langsamkeit umstehen w?rden. Und so tat denn eine Einschaltung not, etwas Stegreifdasein, Tagdieberei, Fernluft und Zufuhr neuen Blutes, damit der Sommer ertr?glich und ergiebig werde. Reisen also,--er war es zufrieden. Nicht gar weit, nicht gerade bis zu den Tigern. Eine Nacht im Schlafwagen und eine Siesta von drei, vier Wochen an irgend einem Allerweltsferienplatze im liebensw?rdigen S?den... So dachte er, w?hrend der L?rm der elektrischen Tram die Ungererstrasse daher sich n?herte, und einsteigend beschloss er, diesen Abend dem Studium von Karte und Kursbuch zu widmen. Auf der Plattform fiel ihm ein, nach dem Manne im Basthut, dem Genossen dieses immerhin folgereichen Aufenthaltes, Umschau zu halten. Doch wurde ihm dessen Verbleib nicht deutlich, da er weder an seinem vorherigen Standort, noch auf dem weiteren Halteplatz, noch auch im Wagen ausfindig zu machen war. Zweites Kapitel Der Autor der klaren und m?chtigen Prosa-Epop?e vom Leben Friedrichs von Preussen; der geduldige K?nstler, der in langem Fleiss den figurenreichen, so vielerlei Menschenschicksal im Schatten einer Idee versammelnden Romanteppich, >>Maja<< mit Namen, wob; der Sch?pfer jener starken Erz?hlung, die >>Ein Elender<< ?berschrieben ist und einer ganzen dankbaren Jugend die M?glichkeit sittlicher Entschlossenheit jenseits der tiefsten Erkenntnis zeigte; der Verfasser endlich der leidenschaftlichen Abhandlung ?ber >>Geist und Kunst<<, deren ordnende Kraft und antithetische Beredsamkeit ernste Beurteiler vermochte, sie unmittelbar neben Schillers Raisonnement ?ber naive und sentimentalische Dichtung zu stellen: Gustav Aschenbach also war zu L., einer Kreisstadt der Provinz Schlesien, als Sohn eines h?heren Justizbeamten geboren. Seine Vorfahren waren Offiziere, Richter, Verwaltungsfunktion?re gewesen, M?nner, die im Dienste des K?nigs, des Staates, ihr straffes, anst?ndig karges Leben gef?hrt hatten. Innigere Geistigkeit hatte sich einmal, in der Person eines Predigers, unter ihnen verk?rpert; rascheres, sinnlicheres Blut war der Familie in der vorigen Generation durch die Mutter des Dichters, Tochter eines b?hmischen Kapellmeisters, zugekommen. Von ihr stammten die Merkmale fremder Rasse in seinem ?ussern. Die Verm?hlung dienstlich n?chterner Gewissenhaftigkeit mit dunkleren, feurigeren Impulsen liess einen K?nstler und diesen besonderen K?nstler erstehen. Da sein ganzes Wesen auf Ruhm gestellt war, zeigte er sich, wenn nicht eigentlich fr?h reif, so doch, dank der Entschiedenheit und pers?nlichen Pr?gnanz seines Tonfalls fr?h f?r die ?ffentlichkeit reif und geschickt. Beinahe noch Gymnasiast, besass er einen Namen. Zehn Jahre sp?ter hatte er gelernt, von seinem Schreibtische aus zu repr?sentieren, seinen Ruhm zu verwalten in einem Briefsatz, der kurz sein musste , g?tig und bedeutend zu sein. Der Vierziger hatte, ermattet von den Strapazen und Wechself?llen der eigentlichen Arbeit, allt?glich eine Post zu bew?ltigen, die Wertzeichen aus aller Herren L?ndern trug. Ebensoweit entfernt vom Banalen wie vom Exzentrischen, war sein Talent geschaffen, den Glauben des breiten Publikums und die bewundernde, fordernde Teilnahme der W?hlerischen zugleich zu gewinnen. So, schon als J?ngling von allen Seiten auf die Leistung--und zwar die ausserordentliche--verpflichtet, hatte er niemals den M?ssiggang, niemals die Fahrl?ssigkeit der Jugend gekannt. Als er um sein f?nfunddreissigstes Jahr in Wien erkrankte, ?usserte ein feiner Beobachter ?ber ihn in Gesellschaft: >>Sehen Sie, Aschenbach hat von jeher nur so gelebt<<--und der Sprecher schloss die Finger seiner Linken fest zur Faust--; >>niemals so<<--und er liess die ge?ffnete Hand bequem von der Lehne des Sessels h?ngen. Das traf zu; und das Tapfer-Sittliche daran war, dass seine Natur von nichts weniger als robuster Verfassung und zur st?ndigen Anspannung nur berufen, nicht eigentlich geboren war. ?rztliche F?rsorge hatte den Knaben vom Schulbesuch ausgeschlossen und auf h?uslichen Unterricht gedrungen. Einzeln, ohne Kameradschaft war er aufgewachsen und hatte doch zeitig erkennen m?ssen, dass er einem Geschlecht angeh?rte, in dem nicht das Talent, wohl aber die physische Basis eine Seltenheit war, deren das Talent zu seiner Erf?llung bedarf,--einem Geschlechte, das fr?h sein Bestes zu geben pflegt und in dem das K?nnen es selten zu Jahren bringt. Aber sein Lieblingswort war >>Durchhalten<<,--er sah in seinem Friedrich-Roman nichts anderes als die Apotheose dieses Befehlswortes, das ihm als der Inbegriff-leitend-t?tiger Tugend erschien. Auch w?nschte er sehnlichst, alt zu werden, denn er hatte von jeher daf?r gehalten, dass wahrhaft gross, umfassend, ja wahrhaft ehrenwert nur das K?nstlertum zu nennen sei, dem es beschieden war, auf allen Stufen des Menschlichen charakteristisch fruchtbar zu sein. Da er also die Aufgaben, mit denen sein Talent ihn belud, auf zarten Schultern tragen und weit gehen wollte, so bedurfte er h?chlich der Zucht,--und Zucht war ja zum Gl?cke sein eingeborenes Erbteil von v?terlicher Seite. Mit vierzig, mit f?nfzig Jahren wie schon in einem Alter, wo andere verschwenden, schw?rmen, die Ausf?hrung grosser Pl?ne getrost verschieben, begann er seinen Tag beizeiten mit St?rzen kalten Wassers ?ber Brust und R?cken und brachte dann, ein Paar hoher Wachskerzen in silbernen Leuchtern zu H?upten des Manuskripts, die Kr?fte, die er im Schlaf gesammelt, in zwei oder drei inbr?nstig gewissenhaften Morgenstunden der Kunst zum Opfer dar. Es war verzeihlich, ja, es bedeutete recht eigentlich den Sieg seiner Moralit?t, wenn Unkundige die Maja-Welt oder die epischen Massen, in denen sich Friedrichs Heldenleben entrollte, f?r das Erzeugnis gedrungener Kraft und eines langen Atems hielten, w?hrend sie vielmehr in kleinen Tagewerken aus hundert Einzelinspirationen zur Gr?sse emporgeschichtet und nur darum so durchaus und an jedem Punkte vortrefflich waren, weil ihr Sch?pfer mit einer Willensdauer und Z?higkeit, derjenigen ?hnlich, die seine Heimatprovinz eroberte, jahrelang unter der Spannung eines und desselben Werkes ausgehalten und an die eigentliche Herstellung ausschliesslich seine st?rksten und w?rdigsten Stunden gewandt hatte. Damit ein bedeutendes Geistesprodukt auf der Stelle eine breite und tiefe Wirkung zu ?ben verm?ge, muss eine tiefe Verwandtschaft, ja ?bereinstimmung zwischen dem pers?nlichen Schicksal seines Urhebers und dem allgemeinen des mitlebenden Geschlechtes bestehen. Die Menschen wissen nicht, warum sie einem Kunstwerk Ruhm bereiten. Weit entfernt von Kennerschaft, glauben sie hundert Vorz?ge daran zu entdecken, um so viel Teilnahme zu rechtfertigen; aber der eigentliche Grund ihres Beifalls ist ein Unw?gbares, ist Sympathie. Aschenbach hatte es einmal an wenig sichtbarer Stelle unmittelbar ausgesprochen, dass beinahe alles Grosse, was dastehe, als ein Trotzdem dastehe, trotz Kummer und Qual, Armut, Verlassenheit, K?rperschw?che, Laster, Leidenschaft und tausend Hemmnissen zustande gekommen sei. Aber das war mehr als eine Bemerkung, es war eine Erfahrung, war geradezu die Formel seines Lebens und Ruhmes, der Schl?ssel zu seinem Werk; und was Wunder also, wenn es auch der sittliche Charakter, die ?ussere Geb?rde seiner eigent?mlichsten Figuren war? Er war jung und roh gewesen mit der Zeit und, schlecht beraten von ihr, war er ?ffentlich gestrauchelt, hatte Missgriffe getan, sich blossgestellt, Verst?sse gegen Takt und Besonnenheit begangen in Wort und Werk. Aber er hatte die W?rde gewonnen, nach welcher, wie er behauptete, jedem grossen Talente ein nat?rlicher Drang und Stachel eingeboren ist, ja, man kann sagen, dass seine ganze Entwicklung ein bewusster und trotziger, alle Hemmungen des Zweifels und der Ironie zur?cklassender Aufstieg zur W?rde gewesen war. Lebendige, geistig unverbindliche Greifbarkeit der Gestaltung bildet das Erg?tzen der b?rgerlichen Massen, aber leidenschaftlich unbedingte Jugend wird nur durch das Problematische gefesselt: und Aschenbach war problematisch, war unbedingt gewesen wie nur irgendein J?ngling. Er hatte dem Geiste gefr?nt, mit der Erkenntnis Raubbau getrieben, Saatfrucht vermahlen, Geheimnisse preisgegeben, das Talent verd?chtigt, die Kunst verraten,--ja, w?hrend seine Bildwerke die gl?ubig Geniessenden unterhielten, erhoben, belebten, hatte er, der jugendliche K?nstler, die Zwanzigj?hrigen durch seine Zynismen ?ber das fragw?rdige Wesen der Kunst, des K?nstlertums selbst in Atem gehalten. Aber es scheint, dass gegen nichts ein edler und t?chtiger Geist sich rascher, sich gr?ndlicher abstumpft als gegen den scharfen und bitteren Reiz der Erkenntnis; und gewiss ist, dass die schwerm?tig gewissenhafteste Gr?ndlichkeit des J?nglings Seichtheit bedeutet im Vergleich mit dem tiefen Entschlusse des Meister gewordenen Mannes, das Wissen zu leugnen, es abzulehnen, erhobenen Hauptes dar?ber hinwegzusehen, sofern es den Willen, die Tat, das Gef?hl und selbst die Leidenschaft im Geringsten zu l?hmen, zu entmutigen, zu entw?rdigen geeignet ist. Wie w?re die ber?hmte Erz?hlung vom >>Elenden<< wohl anders zu deuten denn als Ausbruch des Ekels gegen den unanst?ndigen Psychologismus der Zeit, verk?rpert in der Figur jenes weichen und albernen Halbschurken, der sich ein Schicksal erschleicht, indem er sein Weib, aus Ohnmacht, aus Lasterhaftigkeit, aus ethischer Velleit?t, in die Arme eines Unb?rtigen treibt und aus Tiefe Nichtsw?rdigkeiten begehen zu d?rfen glaubt? Die Wucht des Wortes, mit welchem hier das Verworfene verworfen wurde, verk?ndete die Abkehr von allem moralischen Zweifelsinn, von jeder Sympathie mit dem Abgrund, die Absage an die Laxheit des Mitleidssatzes, dass alles verstehen alles verzeihen heisse, und was sich hier vorbereitete, ja schon vollzog, war jenes >>Wunder der wiedergeborenen Unbefangenheit<<, auf welches ein wenig sp?ter in einem der Dialoge des Autors ausdr?cklich und nicht ohne geheimnisvolle Betonung die Rede kam. Seltsame Zusammenh?nge! War es eine geistige Folge dieser >>Wiedergeburt<<, dieser neuen W?rde und Strenge, dass man um dieselbe Zeit ein fast ?berm?ssiges Erstarken seines Sch?nheitssinnes beobachtete, jene adelige Reinheit, Einfachheit und Ebenm?ssigkeit der Formgebung, welche seinen Produkten fortan ein so sinnf?lliges, ja gewolltes Gepr?ge der Meisterlichkeit und Klassizit?t verlieh? Aber moralische Entschlossenheit jenseits des Wissens, der aufl?senden und hemmenden Erkenntnis,--bedeutet sie nicht wiederum eine Vereinfachung, eine sittliche Vereinf?ltigung der Welt und der Seele und also auch ein Erstarken zum B?sen, Verbotenen, zum sittlich Unm?glichen? Und hat Form nicht zweierlei Gesicht? Ist sie nicht sittlich und unsittlich zugleich,--sittlich als Ergebnis und Ausdruck der Zucht, unsittlich aber und selbst widersittlich, sofern sie von Natur eine moralische Gleichg?ltigkeit in sich schliesst, ja, wesentlich bestrebt ist, das Moralische unter ihr stolzes und unumschr?nktes Szepter zu beugen? Wie dem auch sei! Eine Entwicklung ist ein Schicksal; und wie sollte nicht diejenige anders verlaufen, die von der Teilnahme, dem Massenzutrauen einer weiten ?ffentlichkeit begleitet wird, als jene, die sich ohne den Glanz und die Verbindlichkeiten des Ruhmes vollzieht? Nur ewiges Zigeunertum findet es langweilig und ist zu spotten geneigt, wenn ein grosses Talent dem libertinischen Puppenstande entw?chst, die W?rde des Geistes ausdrucksvoll wahrzunehmen sich gew?hnt und die Hofsitten einer Einsamkeit annimmt, die voll unberatener, hart selbst?ndiger Leiden und K?mpfe war und es zu Macht und Ehren unter den Menschen brachte. Wieviel Spiel, Trotz, Genuss ist ?brigens in der Selbstgestaltung des Talentes! Etwas Amtlich-Erzieherisches trat mit der Zeit in Gustav Aschenbachs Vorf?hrungen ein, sein Stil entriet in sp?teren Jahren der unmittelbaren K?hnheiten, der subtilen und neuen Abschattungen, er wandelte sich ins Musterg?ltig-Feststehende, Geschliffen-Herk?mmliche, Erhaltende, Formelle, selbst Formelhafte, und wie die ?berlieferung es von Ludwig dem Vierzehnten wissen will, so verbannte der Alternde aus seiner Sprachweise jedes gemeine Wort: Damals geschah es, dass die Unterrichtsbeh?rde ausgew?hlte Seiten von ihm in die vorgeschriebenen Schulleseb?cher ?bernahm. Es war ihm innerlich gem?ss, und er lehnte nicht ab, als ein deutscher F?rst, soeben zum Throne gelangt, dem Dichter des >>Friedrich<< zu seinem f?nfzigsten Geburtstag den pers?nlichen Adel verlieh. Nach einigen Jahren der Unruhe, einigen Versuchsaufenthalten da und dort w?hlte er fr?hzeitig M?nchen zum dauernden Wohnsitz und lebte dort in b?rgerlichem Ehrenstande, wie er dem Geiste in besonderen Einzelf?llen zuteil wird. Die Ehe, die er in noch jugendlichem Alter mit einem M?dchen aus gelehrter Familie eingegangen, wurde nach kurzer Gl?cksfrist durch den Tod getrennt. Eine Tochter, schon Gattin, war ihm geblieben. Einen Sohn hatte er nie besessen. Gustav von Aschenbach war ein wenig unter Mittelgr?sse, br?nett, rasiert. Sein Kopf erschien ein wenig zu gross im Verh?ltnis zu der fast zierlichen Gestalt. Sein r?ckw?rts geb?rstetes Haar, am Scheitel gelichtet, an den Schl?fen sehr voll und stark ergraut, umrahmte eine hohe, zerkl?ftete und gleichsam narbige Stirn. Der B?gel einer Goldbrille mit randlosen Gl?sern schnitt in die Wurzel der gedrungenen, edel gebogenen Nase ein. Der Mund war gross, oft schlaff, oft pl?tzlich schmal und gespannt; die Wangenpartie mager und gefurcht, das wohlausgebildete Kinn weich gespalten. Bedeutende Schicksale schienen ?ber dies meist leidend seitw?rts geneigte Haupt hinweggegangen zu sein, und doch war die Kunst es gewesen, die hier jene physiognomische Durchbildung ?bernommen hatte, welche sonst das Werk eines schweren, bewegten Lebens ist. Hinter dieser Stirn waren die blitzenden Repliken des Gespr?chs zwischen Voltaire und dem K?nige ?ber den Krieg geboren; diese Augen, m?de und tief durch die Gl?ser blickend, hatten das blutige Inferno der Lazarette des Siebenj?hrigen Krieges gesehen. Auch pers?nlich genommen ist ja die Kunst ein erh?htes Leben. Sie begl?ckt tiefer, sie verzehrt rascher. Sie gr?bt in das Antlitz ihres Dieners die Spuren imagin?rer und geistiger Abenteuer, und sie erzeugt, selbst bei kl?sterlicher Stille des ?usseren Daseins, auf die Dauer eine Verw?hntheit, ?berfeinerung, M?digkeit und Neugier der Nerven, wie ein Leben voll ausschweifendster Leidenschaften und Gen?sse sie kaum hervorzubringen vermag. Drittes Kapitel Mehrere Gesch?fte weltlicher und literarischer Natur hielten den Reiselustigen noch etwa zwei Wochen nach jenem Spaziergang in M?nchen zur?ck. Er gab endlich Auftrag, sein Landhaus binnen vier Wochen zum Einzuge instandzusetzen und reiste an einem Tage zwischen Mitte und Ende des Mai mit dem Nachtzuge nach Triest, wo er nur vierundzwanzig Stunden verweilte und sich am n?chstfolgenden Morgen nach Pola einschiffte. Was er suchte, war das Fremdartige und Bezuglose, welches jedoch rasch zu erreichen w?re, und so nahm er Aufenthalt auf einer seit einigen Jahren ger?hmten Insel der Adria, unfern der istrischen K?ste gelegen, mit farbig zerlumptem, in wildfremden Lauten redendem Landvolk und sch?n zerrissenen Klippenpartien dort, wo das Meer offen war. Allein Regen und schwere Luft, eine kleinweltliche, geschlossen ?sterreichische Hotelgesellschaft und der Mangel jenes ruhevoll innigen Verh?ltnisses zum Meere, das nur ein sanfter, sandiger Strand gew?hrt, verdrossen ihn, liessen ihn nicht das Bewusstsein gewinnen, den Ort seiner Bestimmung getroffen zu haben; ein Zug seines Innern, ihm war noch nicht deutlich, wohin, beunruhigte ihn, er studierte Schiffsverbindungen, er blickte suchend umher, und auf einmal, zugleich ?berraschend und selbstverst?ndlich, stand ihm sein Ziel vor Augen. Wenn man ?ber Nacht das Unvergleichliche, das m?rchenhaft Abweichende zu erreichen w?nschte, wohin ging man? Aber das war klar. Was sollte er hier? Er war fehlgegangen. Dorthin hatte er reisen wollen. Er s?umte nicht, den irrigen Aufenthalt zu k?ndigen. Anderthalb Wochen nach seiner Ankunft auf der Insel trug ein geschwindes Motorboot ihn und sein Gep?ck in dunstiger Fr?he ?ber die Wasser in den Kriegshafen zur?ck, und er ging dort nur an Land, um sogleich ?ber einen Brettersteg das feuchte Verdeck eines Schiffes zu beschreiten, das unter Dampf zur Fahrt nach Venedig lag. Es war ein betagtes Fahrzeug italienischer Nationalit?t, veraltet, russig und d?ster. In einer h?hlenartigen, k?nstlich erleuchteten Koje des inneren Raumes, wohin Aschenbach sofort nach Betreten des Schiffes von einem buckligen und unreinlichen Matrosen mit grinsender H?flichkeit gen?tigt wurde, sass hinter einem Tische, den Hut schief in der Stirn und einen Zigarettenstummel im Mundwinkel, ein ziegenb?rtiger Mann von der Physiognomie eines altmodischen Zirkusdirektors, der mit grimassenhaft leichtem Gesch?ftsgebaren die Personalien der Reisenden aufnahm und ihnen die Fahrscheine ausstellte. >>Nach Venedig!<< wiederholte er Aschenbachs Ansuchen, indem er den Arm reckte und die Feder in den breiigen Restinhalt eines schr?g geneigten Tintenfasses stiess. >>Nach Venedig erster Klasse! Sie sind bedient, mein Herr!<< Und er schrieb grosse Kr?henf?sse, streute aus einer B?chse blauen Sand auf die Schrift, liess ihn in eine t?nerne Schale ablaufen, faltete das Papier mit gelben und knochigen Fingern und schrieb aufs neue. >>Ein gl?cklich gew?hltes Reiseziel!<< schwatzte er unterdessen. >>Ah, Venedig! Eine herrliche Stadt! Eine Stadt von unwiderstehlicher Anziehungskraft f?r den Gebildeten, ihrer Geschichte sowohl wie ihrer gegenw?rtigen Reize wegen!<< Die glatte Raschheit seiner Bewegungen und das leere Gerede, womit er sie begleitete, hatten etwas Bet?ubendes und Ablenkendes, etwa als besorgte er, der Reisende m?chte in seinem Entschluss, nach Venedig zu fahren, noch wankend werden. Er kassierte eilig und liess mit Croupiergewandtheit den Differenzbetrag auf den fleckigen Tuchbezug des Tisches fallen. >>Gute Unterhaltung, mein Herr!<< sagte er mit schauspielerischer Verbeugung. >>Es ist mir eine Ehre, Sie zu bef?rdern... Meine Herren!<< rief er sogleich mit erhobenem Arm und tat, als sei das Gesch?ft im flottesten Gange, obgleich niemand mehr da war, der nach Abfertigung verlangt h?tte. Aschenbach kehrte auf das Verdeck zur?ck. Einen Arm auf die Br?stung gelehnt, betrachtete er das m?ssige Volk, das, der Abfahrt des Schiffes beizuwohnen, am Quai lungerte, und die Passagiere an Bord. Diejenigen der zweiten Klasse kauerten, M?nner und Weiber, auf dem Vorderdeck, indem sie Kisten und B?ndel als Sitze benutzten. Eine Gruppe junger Leute bildete die Reisegesellschaft des ersten Verdecks, Polenser Handelsgeh?lfen, wie es schien, die sich in angeregter Laune zu einem Ausflug nach Italien vereinigt hatten. Sie machten nicht wenig Aufhebens von sich und ihrem Unternehmen, schwatzten, lachten, genossen selbstgef?llig das eigene Geb?rdenspiel und riefen den Kameraden, die, Portefeuilles unterm Arm, in Gesch?ften die Hafenstrasse entlang gingen und den Feiernden mit dem St?ckchen drohten, ?ber das Gel?nder gebeugt, zungengel?ufige Spottreden nach. Einer, in hellgelbem, ?bermodisch geschnittenem Sommeranzug, roter Krawatte und k?hn aufgebogenem Panama, tat sich mit kr?hender Stimme an Aufger?umtheit vor allen andern hervor. Kaum aber hatte Aschenbach ihn genauer ins Auge gefasst, als er mit einer Art von Entsetzen erkannte, dass der J?ngling falsch war. Er war alt, man konnte nicht zweifeln. Runzeln umgaben ihm Augen und Mund. Das matte Karmesin der Wangen war Schminke, das braune Haar unter dem farbig umwundenen Strohhut Per?cke, sein Hals verfallen und sehnig, sein aufgesetztes Schnurrb?rtchen und die Fliege am Kinn gef?rbt, sein gelbes und vollz?hliges Gebiss, das er lachend zeigte, ein billiger Ersatz, und seine H?nde, mit Siegelringen an beiden Zeigefingern, waren die eines Greises. Schauerlich angemutet sah Aschenbach ihm und seiner Gemeinschaft mit den Freunden zu. Wussten, bemerkten sie nicht, dass er alt war, dass er zu Unrecht ihre stutzerhafte und bunte Kleidung trug, zu Unrecht einen der Ihren spielte? Selbstverst?ndlich und gewohnheitsm?ssig, wie es schien, duldeten sie ihn in ihrer Mitte, behandelten ihn als ihresgleichen, erwiderten ohne Abscheu seine neckischen Rippenst?sse. Wie ging das zu? Aschenbach bedeckte seine Stirn mit der Hand und schloss die Augen, die heiss waren, da er zu wenig geschlafen hatte. Ihm war, als lasse nicht alles sich ganz gew?hnlich an, als beginne eine tr?umerische Entfremdung, eine Entstellung der Welt ins Sonderbare um sich zu greifen, der vielleicht Einhalt zu tun w?re, wenn er sein Gesicht ein wenig verdunkelte und aufs neue um sich schaute. In diesem Augenblick jedoch ber?hrte ihn das Gef?hl des Schwimmens, und mit unvern?nftigem Erschrecken aufsehend, gewahrte er, dass der schwere und d?stere K?rper des Schiffes sich langsam vom gemauerten Ufer l?ste. Zollweise, unter dem Vorw?rts-und R?ckw?rtsarbeiten der Maschine, verbreitete sich der Streifen schmutzig schillernden Wassers zwischen Quai und Schiffswand, und nach schwerf?lligen Man?vern kehrte der Dampfer seinen Bugspriet dem offenen Meere zu. Aschenbach ging nach der Steuerbordseite hin?ber, wo der Bucklige ihm einen Liegestuhl aufgeschlagen hatte und ein Steward in fleckigem Frack nach seinen Befehlen fragte. Der Himmel war grau, der Wind feucht; Hafen und Inseln waren zur?ckgeblieben, und rasch verlor sich aus dem dunstigen Gesichtskreise alles Land. Flocken von Kohlenstaub gingen, gedunsen von N?sse, auf das gewaschene Deck nieder, das nicht trocknen wollte. Schon nach einer Stunde spannte man ein Segeldach aus, da es zu regnen begann. In seinen Mantel geschlossen, ein Buch im Schosse, ruhte der Reisende, und die Stunden verrannen ihm unversehens. Es hatte zu regnen aufgeh?rt; man entfernte das leinene Dach. Der Horizont war vollkommen. Unter der breiten Kuppel des Himmels dehnte sich rings die ungeheure Scheibe des ?den Meeres; aber im leeren, ungegliederten Raume fehlt unserem Sinn auch das Mass der Zeit, und wir d?mmern im Ungemessenen. Schattenhaft sonderbare Gestalten, der greise Geck, der Ziegenbart aus dem Schiffsinnern, gingen mit unbestimmten Geb?rden, mit verwirrten Traumworten durch den Geist des Ruhenden, und er schlief ein. Um Mittag n?tigte man ihn hinab, damit er in dem korridorartigen Speisesaal, auf den die T?ren der Schlafkojen m?ndeten, zu H?upten eines langen Tisches, an dessen unterem Ende die Handelsgeh?lfen, einschliesslich des Alten, seit zehn Uhr mit dem munteren Kapit?n pokulierten, die bestellte Mahlzeit n?hme. Sie war armselig, und er beendete sie rasch. Es trieb ihn ins Freie, nach dem Himmel zu sehen: ob er denn nicht ?ber Venedig sich erhellen wollte. Er hatte nicht anders gedacht, als dass dies geschehen m?sse, denn stets hatte die Stadt ihn im Glanze empfangen. Aber Himmel und Meer blieben tr?b und bleiern, zeitweilig ging neblichter Regen nieder, und er fand sich darein, auf dem Wasserwege ein anderes Venedig zu erreichen, als er, zu Lande sich n?hernd, je angetroffen hatte. Er stand am Fockmast, den Blick im Weiten, das Land erwartend. Er gedachte des schwerm?tig-enthusiastischen Dichters, dem vormals die Kuppeln und Glockent?rme seines Traumes aus diesen Fluten gestiegen waren, er wiederholte im Stillen einiges von dem, was damals an Ehrfurcht, Gl?ck und Trauer zu massvollem Gesange geworden, und von schon gestalteter Empfindung m?helos bewegt, pr?fte er sein ernstes und m?des Herz, ob eine erneuernde Begeisterung und Verwirrung, ein sp?tes Abenteuer des Gef?hles dem fahrenden M?ssigg?nger vielleicht noch vorbehalten sein k?nne. Da tauchte zur Rechten die flache K?ste auf, Fischerboote belebten das Meer, die B?derinsel erschien, der Dampfer liess sie zur Linken, glitt verlangsamten Ganges durch den schmalen Port, der nach ihr benannt ist, und auf der Lagune, angesichts bunt armseliger Behausungen hielt er ganz, da die Barke des Sanit?tsdienstes erwartet werden musste. Eine Stunde verging, bis sie erschien. Man war angekommen und war es nicht; man hatte keine Eile und f?hlte sich doch von Ungeduld getrieben. Die jungen Polenser, patriotisch angezogen auch wohl von den milit?rischen Hornsignalen, die aus der Gegend der ?ffentlichen G?rten her ?ber das Wasser klangen, waren auf Deck gekommen, und, vom Asti begeistert, brachten sie Lebehochs auf die dr?ben exerzierenden Bersaglieri aus. Aber widerlich war es zu sehen, in welchen Zustand den aufgestutzten Greisen seine falsche Gemeinschaft mit der Jugend gebracht hatte. Sein altes Hirn hatte dem Weine nicht wie die jugendlich r?stigen Stand zu halten vermocht, er war kl?glich betrunken. Verbl?deten Blicks, eine Zigarette zwischen den zitternden Fingern, schwankte er, m?hsam das Gleichgewicht haltend, auf der Stelle, vom Rausche vorw?rts und r?ckw?rts gezogen. Da er beim ersten Schritte gefallen w?re, getraute er sich nicht vom Fleck, doch zeigte er einen jammervollen ?bermut, hielt jeden, der sich ihm n?herte, am Knopfe fest, lallte, zwinkerte, kicherte, hob seinen beringten, runzeligen Zeigefinger zu alberner Neckerei und leckte auf abscheulich zweideutige Art mit der Zungenspitze die Mundwinkel. Aschenbach sah ihm mit finsteren Brauen zu, und wiederum kam ein Gef?hl von Benommenheit ihn an, so, als zeige die Welt eine leichte, doch nicht zu hemmende Neigung, sich ins Sonderbare und Fratzenhafte zu entstellen; ein Gef?hl, dem nachzuh?ngen freilich die Umst?nde ihn abhielten, da eben die stampfende T?tigkeit der Maschine aufs neue begann und das Schiff seine so nah dem Ziel unterbrochene Fahrt durch den Kanal von San Marco wieder aufnahm. So sah er ihn denn wieder, den erstaunlichsten Landungsplatz, jene blendende Komposition phantastischen Bauwerks, welche die Republik den ehrf?rchtigen Blicken nahender Seefahrer entgegenstellte: die leichte Herrlichkeit des Palastes und die Seufzerbr?cke, die S?ulen mit L?w' und Heiligem am Ufer, die prunkend vortretende Flanke des M?rchentempels, den Durchblick auf Torweg und Riesenuhr, und anschauend bedachte er, dass zu Lande, auf dem Bahnhof in Venedig anlangen, einen Palast durch eine Hintert?r betreten heisse, und dass man nicht anders als wie nun er, als zu Schiffe, als ?ber das hohe Meer die unwahrscheinlichste der St?dte erreichen sollte. Die Maschine stoppte, Gondeln dr?ngten herzu, die Fallreepstreppe ward herabgelassen, Zollbeamte stiegen an Bord und walteten obenhin ihres Amtes; die Ausschiffung konnte beginnen. Aschenbach gab zu verstehen, dass er eine Gondel w?nsche, die ihn und sein Gep?ck zur Station jener kleinen Dampfer bringen solle, welche zwischen der Stadt und dem Lido verkehren; denn er gedachte am Meere Wohnung zu nehmen. Man billigt sein Vorhaben, man schreit seinen Wunsch zur Wasserfl?che hinab, wo die Gondelf?hrer im Dialekt mit einander zanken. Er ist noch gehindert, hinabzusteigen, sein Koffer hindert ihn, der eben mit M?hsal die leiterartige Treppe hinunter gezerrt und geschleppt wird. So sieht er sich minutenlang ausserstande, den Zudringlichkeiten des schauderhaften Alten zu entkommen, den die Trunkenheit dunkel antreibt, dem Fremden Abschiedshonneurs zu machen. >>Wir w?nschen den gl?cklichsten Aufenthalt<<, meckert er unter Kratzf?ssen. >>Man empfiehlt sich geneigter Erinnerung! Au revoir, excusez und bon jour, Euer Exzellenz!<< Sein Mund w?ssert, er dr?ckt die Augen ein, er leckt die Mundwinkel, und die gef?rbte Bartfliege an seiner Greisenlippe str?ubt sich empor. >>Unsere Komplimente<<, lallt er, zwei Fingerspitzen am Munde, >>unsere Komplimente dem Liebchen, dem allerliebsten, dem sch?nsten Liebchen...<< Und pl?tzlich f?llt ihm das falsche Obergebiss vom Kiefer auf die Unterlippe. Aschenbach konnte entweichen. >>Dem Liebchen, dem feinen Liebchen<<, h?rte er in girrenden, hohlen und behinderten Lauten in seinem R?cken, w?hrend er, am Strickgel?nder sich haltend, die Fallreepstreppe hinabklomm. Wer h?tte nicht einen fl?chtigen Schauder, eine geheime Scheu und Beklommenheit zu bek?mpfen gehabt, wenn es zum ersten Male oder nach langer Entw?hnung galt, eine venezianische Gondel zu besteigen? Das seltsame Fahrzeug, aus balladesken Zeiten ganz unver?ndert ?berkommen und so eigent?mlich schwarz, wie sonst unter allen Dingen nur S?rge sind, es erinnert an lautlose und verbrecherische Abenteuer in pl?tschernder Nacht, es erinnert noch mehr an den Tod selbst, an Bahre und d?steres Beg?ngnis und letzte, schweigsame Fahrt. Und hat man bemerkt, dass der Sitz einer solchen Barke, dieser sargschwarz lackierte, mattschwarz gepolsterte Armstuhl, der weichste, ?ppigste, der erschlaffendste Sitz von der Welt ist? Aschenbach ward es gewahr, als er zu F?ssen des Gondoliers, seinem Gep?ck gegen?ber, das am Schnabel reinlich beisammen lag, sich niedergelassen hatte. Die Ruderer zankten immer noch, rauh, unverst?ndlich, mit drohenden Geb?rden. Aber die besondere Stille der Wasserstadt schien ihre Stimmen sanft aufzunehmen, zu entk?rpern, ?ber der Flut zu zerstreuen. Es war warm hier im Hafen. Lau anger?hrt vom Hauch des Scirocco, auf dem nachgiebigen Element in Kissen gelehnt, schloss der Reisende die Augen im Genuss einer so ungewohnten als s?ssen L?ssigkeit. Die Fahrt wird kurz sein, dachte er; m?chte sie immer w?hren! In leisem Schwanken f?hlte er sich dem Gedr?nge, dem Stimmengewirr entgleiten. Wie still und stiller es um ihn wurde! Nichts war zu vernehmen als das Pl?tschern des Ruders, das hohle Aufschlagen der Wellen gegen den Schnabel der Barke, der steil, schwarz und an der Spitze hellebardenartig bewehrt ?ber dem Wasser stand und noch ein Drittes, ein Reden, ein Raunen,--das Fl?stern des Gondoliers, der zwischen den Z?hnen, stossweise, in Lauten, die von der Arbeit seiner Arme gepresst waren, zu sich selber sprach. Aschenbach blickte auf, und mit leichter Befremdung gewahrte er, dass um ihn her die Lagune sich weitete und seine Fahrt dem offenen Meere zugekehrt war. Es schien folglich, dass er nicht allzu sehr ruhen d?rfe, sondern auf den Vollzug seines Willens ein wenig bedacht sein m?sse. --Zur Dampferstation also! sagte er mit einer halben Wendung r?ckw?rts. Das Raunen verstummte. Er erhielt keine Antwort. --Zur Dampferstation also! wiederholte er, indem er sich vollends umwandte und in das Gesicht des Gondoliers emporblickte, der hinter ihm, auf erh?htem Borde stehend, vor dem fahlen Himmel aufragte. Es war ein Mann von ungef?lliger, ja brutaler Physiognomie, seem?nnisch blau gekleidet, mit einer gelben Sch?rpe geg?rtet und einen formlosen Strohhut, dessen Geflecht sich aufzul?sen begann, verwegen schief auf dem Kopfe. Seine Gesichtsbildung, sein blonder, lockiger Schnurrbart unter der kurz aufgeworfenen Nase liessen ihn durchaus nicht italienischen Schlages erscheinen. Obgleich eher schm?chtig von Leibesbeschaffenheit, so dass man ihn f?r seinen Beruf nicht sonderlich geschickt geglaubt h?tte, f?hrte er das Ruder, bei jedem Schlage den ganzen K?rper einsetzend, mit grosser Energie. Ein paarmal zog er vor Anstrengung die Lippen zur?ck und entbl?sste seine weissen Z?hne. Die r?tlichen Brauen gerunzelt, blickte er ?ber den Gast hinweg, indem er bestimmten, fast groben Tones erwiderte: --Sie fahren zum Lido. Aschenbach entgegnete: --Allerdings. Aber ich habe die Gondel nur genommen, um mich nach San Marco ?bersetzen zu lassen. Ich w?nsche den Vaporetto zu benutzen. --Sie k?nnen den Vaporetto nicht benutzen, mein Herr. --Und warum nicht? --Weil der Vaporetto kein Gep?ck bef?rdert. Das war richtig; Aschenbach erinnerte sich. Er schwieg. Aber die schroffe, ?berhebliche, einem Fremden gegen?ber so wenig landes?bliche Art des Menschen schien unleidlich. Er sagte: --Das ist meine Sache. Vielleicht will ich mein Gep?ck in Verwahrung geben. Sie werden umkehren. Er blieb still. Das Ruder pl?tscherte, das Wasser schlug dumpf an den Bug. Und das Reden und Raunen begann wieder: der Gondolier sprach zwischen den Z?hnen mit sich selbst. Was war zu tun? Allein auf der Flut mit dem sonderbar unbotm?ssigen, unheimlich entschlossenen Menschen, sah der Reisende kein Mittel, seinen Willen durchzusetzen. Wie weich er ?brigens ruhen durfte, wenn er sich nicht emp?rte. Hatte er nicht gew?nscht, dass die Fahrt lange, dass sie immer dauern m?ge? Es war das Kl?gste, den Dingen ihren Lauf zu lassen, und es war haupts?chlich h?chst angenehm. Ein Bann der Tr?gheit schien auszugehen von seinem Sitz, von diesem niedrigen, schwarzgepolsterten Armstuhl, so sanft gewiegt von den Ruderschl?gen des eigenm?chtigen Gondoliers in seinem R?cken. Die Vorstellung, einem Verbrecher in die H?nde gefallen zu sein, streifte tr?umerisch Aschenbachs Sinn,--unverm?gend, seine Gedanken zu t?tiger Abwehr aufzurufen. Verdriesslicher schien die M?glichkeit, dass alles auf simple Geldschneiderei angelegt sei. Eine Art Pflichtgef?hl oder Stolz, die Erinnerung gleichsam, dass man dem vorbeugen m?sse, vermochte ihn, sich noch einmal aufzuraffen. Er fragte: --Was fordern Sie f?r die Fahrt? Und ?ber ihn hinsehend antwortete der Gondolier: Add to tbrJar First Page Next Page |
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