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Munafa ebook

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Read Ebook: Der Tod in Venedig by Mann Thomas

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Ebook has 172 lines and 28131 words, and 4 pages

Und ?ber ihn hinsehend antwortete der Gondolier:

--Sie werden bezahlen.

Es stand fest, was hierauf zur?ckzugeben war. Aschenbach sagte mechanisch:

--Ich werde nichts bezahlen, durchaus nichts, wenn Sie mich fahren, wohin ich nicht will.

--Sie wollen zum Lido.

--Aber nicht mit Ihnen.

--Ich fahre Sie gut.

Das ist wahr, dachte Aschenbach und spannte sich ab. Das ist wahr, du f?hrst mich gut. Selbst, wenn du es auf meine Barschaft abgesehen hast und mich hinterr?cks mit einem Ruderschlage ins Haus des Aides schickst, wirst du mich gut gefahren haben. Allein nichts dergleichen geschah. Sogar Gesellschaft stellte sich ein, ein Boot mit musikalischen Wegelagerern, M?nnern und Weibern, die zur Guitarre, zur Mandoline sangen, aufdringlich Bord an Bord mit der Gondel fuhren und die Stille ?ber den Wassern mit ihrer gewinns?chtigen Fremdenpoesie erf?llten. Aschenbach warf Geld in den hingehaltenen Hut. Sie schwiegen dann und fuhren davon. Und das Fl?stern des Gondoliers war wieder wahrnehmbar, der stossweise und abgerissen mit sich selber sprach.

So kam man denn an, geschaukelt vom Kielwasser eines zur Stadt fahrenden Dampfers. Zwei Munizipalbeamte, die H?nde auf dem R?cken, die Gesichter der Lagune zugewandt, gingen am Ufer auf und ab. Aschenbach verliess am Stege die Gondel, unterst?tzt von jenem Alten, der an jedem Landungsplatze Venedigs mit seinem Enterhaken zur Stelle ist; und da es ihm an kleinerem Gelde fehlte, ging er hin?ber in das der Dampferbr?cke benachbarte Hotel, um dort zu wechseln und den Ruderer nach Gutd?nken abzulohnen. Er wird in der Halle bedient, er kehrt zur?ck, er findet sein Reisegut auf einem Karren am Quai, und Gondel und Gondolier sind verschwunden.

--Er hat sich fortgemacht, sagte der Alte mit dem Enterhaken. Ein schlechter Mann, ein Mann ohne Konzession, gn?diger Herr. Er ist der einzige Gondolier, der keine Konzession besitzt. Die andern haben hierher telephoniert. Er sah, dass er erwartet wurde. Da hat er sich fortgemacht.

Aschenbach zuckte die Achseln.

--Der Herr ist umsonst gefahren, sagte der Alte und hielt den Hut hin. Aschenbach warf M?nzen hinein. Er gab Weisung, sein Gep?ck ins B?der-Hotel zu bringen, und folgte dem Karren durch die Allee, die weissbl?hende Allee, welche, Tavernen, Bazare, Pensionen zu beiden Seiten, quer ?ber die Insel zum Strande l?uft.

Er betrat das weitl?ufige Hotel von hinten, von der Gartenterrasse aus und begab sich durch die grosse Halle und die Vorhalle ins Office. Da er angemeldet war, wurde er mit dienstfertigem Einverst?ndnis empfangen. Ein Manager, ein kleiner, leiser, schmeichelnd h?flicher Mann mit schwarzem Schnurrbart und in franz?sisch geschnittenem Gehrock, begleitete ihn im Lift zum zweiten Stockwerk hinauf und wies ihm sein Zimmer an, einen angenehmen, in Kirschholz m?blierten Raum, den man mit starkduftenden Blumen geschm?ckt hatte und dessen hohe Fenster die Aussicht aufs offene Meer gew?hrten. Er trat an eines davon, nachdem der Angestellte sich zur?ckgezogen, und w?hrend man hinter ihm sein Gep?ck hereinschaffte und im Zimmer unterbrachte, blickte er hinaus auf den nachmitt?glich menschenarmen Strand und die unbesonnte See, die Flutzeit hatte und niedrige, gestreckte Wellen in ruhigem Gleichtakt gegen das Ufer sandte.

Die Beobachtungen und Begegnisse des Einsam-Stummen sind zugleich verschwommener und eindringlicher als die des Geselligen, seine Gedanken schwerer, wunderlicher und nie ohne einen Anflug von Traurigkeit. Bilder und Wahrnehmungen, die mit einem Blick, einem Lachen, einem Urteilsaustausch leichthin abzutun w?ren, besch?ftigen ihn ?ber Geb?hr, vertiefen sich im Schweigen, werden bedeutsam, Erlebnis, Abenteuer, Gef?hl. Einsamkeit zeitigt das Originale, das gewagt und befremdend Sch?ne, das Gedicht. Einsamkeit zeitigt aber auch das Verkehrte, das Unverh?ltnism?ssige, das Absurde und Unerlaubte.--So beunruhigten die Erscheinungen der Herreise, der gr?ssliche alte Stutzer mit seinem Gefasel vom Liebchen, der verp?nte, um seinen Lohn geprellte Gondolier, noch jetzt das Gem?t des Reisenden. Ohne der Vernunft Schwierigkeiten zu bieten, ohne eigentlich Stoff zum Nachdenken zu geben, waren sie dennoch grundsonderbar von Natur, wie es ihm schien, und beunruhigend wohl eben durch diesen Widerspruch. Dazwischen gr?sste er das Meer mit den Augen und empfand Freude, Venedig in so leicht erreichbarer Nahe zu wissen. Er wandte sich endlich, badete sein Gesicht, traf gegen das Zimmerm?dchen einige Anordnungen zur Vervollst?ndigung seiner Bequemlichkeit und liess sich von dem gr?n gekleideten Schweizer, der den Lift bediente, ins Erdgeschoss hinunterfahren.

Er nahm seinen Tee auf der Terrasse der Seeseite, stieg dann hinab und verfolgte den Promenaden-Quai eine gute Strecke in der Richtung auf das Hotel Excelsior. Als er zur?ckkehrte, schien es schon an der Zeit, sich zur Abendmahlzeit umzukleiden. Er tat es langsam und genau, nach seiner Art, da er bei der Toilette zu arbeiten gew?hnt war, und fand sich trotzdem ein wenig verfr?ht in der Halle ein, wo er einen grossen Teil der Hotelg?ste, fremd untereinander und in gespielter gegenseitiger Teilnahmslosigkeit, aber in der gemeinsamen Erwartung des Essens, versammelt fand. Er nahm eine Zeitung vom Tische, liess sich in einen Ledersessel nieder und betrachtete die Gesellschaft, die sich von derjenigen seines ersten Aufenthaltes in einer ihm angenehmen Weise unterschied.

Ein weiter, duldsam vieles umfassender Horizont tat sich auf. Ged?mpft, vermischten sich die Laute der grossen Sprachen. Der weltg?ltige Abendanzug, eine Uniform der Gesittung, fasste ?usserlich die Spielarten des Menschlichen zu anst?ndiger Einheit zusammen. Man sah die trockene und lange Miene des Amerikaners, die vielgliedrige russische Familie, englische Damen, deutsche Kinder mit franz?sischen Bonnen. Der slavische Bestandteil schien vorzuherrschen. Gleich in der N?he ward polnisch gesprochen.

Es war eine Gruppe halb und kaum Erwachsener, unter der Obhut einer Erzieherin oder Gesellschafterin um ein Rohrtischchen versammelt: drei junge M?dchen, f?nfzehn-bis siebzehnj?hrig, wie es schien, und ein langhaariger Knabe von vielleicht vierzehn Jahren. Mit Erstaunen bemerkte Aschenbach, dass der Knabe vollkommen sch?n war. Sein Antlitz,--bleich und anmutig verschlossen, von honigfarbenem Haar umringelt, mit der gerade abfallenden Nase, dem lieblichen Munde, dem Ausdruck von holdem und g?ttlichem Ernst, erinnerte an griechische Bildwerke aus edelster Zeit, und bei reinster Vollendung der Form war es von so einmalig-pers?nlichem Reiz, dass der Schauende weder in Natur noch bildender Kunst etwas ?hnlich Gegl?cktes angetroffen zu haben glaubte. Was ferner auffiel, war ein offenbar grunds?tzlicher Kontrast zwischen den erzieherischen Gesichtspunkten, nach denen die Geschwister gekleidet und allgemein gehalten schienen. Die Herrichtung der drei M?dchen, von denen die ?lteste f?r erwachsen gelten konnte, war bis zum Entstellenden herb und keusch. Eine gleichm?ssig kl?sterliche Tracht, schieferfarben, halblang, n?chtern und gewollt unkleidsam von Schnitt, mit weissen Fallkr?gen als einziger Aufhellung, unterdr?ckte und verhinderte jede Gef?lligkeit der Gestalt. Das glatt und fest an den Kopf geklebte Haar liess die Gesichter nonnenhaft leer und nichtssagend erscheinen. Gewiss, es war eine Mutter, die hier waltete, und sie dachte nicht einmal daran, auch auf den Knaben die p?dagogische Strenge anzuwenden, die ihr den M?dchen gegen?ber geboten schien. Weichheit und Z?rtlichkeit bestimmten ersichtlich seine Existenz. Man hatte sich geh?tet, die Schere an sein sch?nes Haar zu legen; wie beim Dornauszieher lockte es sich in die Stirn, ?ber die Ohren und tiefer noch in den Nacken. Ein englisches Matrosenkost?m, dessen bauschige ?rmel sich nach unten verengerten und die feinen Gelenke seiner noch kindlichen, aber schmalen H?nde knapp umspannten, verlieh mit seinen Schn?ren, Maschen und Stickereien der zarten Gestalt etwas Reiches und Verw?hntes. Er sass, im Halbprofil gegen den Betrachtenden, einen Fuss im schwarzen Lackschuh vor den andern gestellt, einen Ellenbogen auf die Armlehne seines Korbsessels gest?tzt, die Wange an die geschlossene Hand geschmiegt, in einer Haltung von l?ssigem Anstand und ganz ohne die fast untergeordnete Steifheit, an die seine weiblichen Geschwister gew?hnt schienen. War er leidend? Denn die Haut seines Gesichtes stach weiss wie Elfenbein gegen das goldige Dunkel der umrahmenden Locken ab. Oder war er einfach ein verz?rteltes Vorzugskind, von parteilicher und launischer Liebe getragen? Aschenbach war geneigt, dies zu glauben. Fast jedem K?nstlernaturell ist ein ?ppiger und verr?terischer Hang eingeboren, Sch?nheit schaffende Ungerechtigkeit anzuerkennen und aristokratischer Bevorzugung Teilnahme und Huldigung entgegenzubringen.

Ein Kellner ging umher und meldete auf englisch, dass die Mahlzeit bereit sei. Allm?hlich verlor sich die Gesellschaft durch die Glast?r in den Speisesaal. Nachz?gler, vom Vestib?l, von den Lifts kommend, gingen vor?ber. Man hatte drinnen zu servieren begonnen, aber die jungen Polen verharrten noch um ihr Rohrtischchen, und Aschenbach, in tiefem Sessel behaglich aufgehoben und ?brigens das Sch?ne vor Augen, wartete mit ihnen.

Die Gouvernante, eine kleine und korpulente Halbdame mit rotem Gesicht, gab endlich das Zeichen, sich zu erheben. Mit hochgezogenen Brauen schob sie ihren Stuhl zur?ck und verneigte sich, als eine grosse Frau, grau-weiss gekleidet und sehr reich mit Perlen geschm?ckt, die Halle betrat. Die Haltung dieser Frau war k?hl und gemessen, die Anordnung ihres leicht gepuderten Haares sowohl wie die Machart ihres Kleides von jener Einfachheit, die ?berall da den Geschmack bestimmt, wo Fr?mmigkeit als Bestandteil der Vornehmheit gilt. Sie h?tte die Frau eines hohen deutschen Beamten sein k?nnen. Etwas von phantastischem Aufwand kam in ihre Erscheinung einzig durch ihren Schmuck, der in der Tat kaum sch?tzbar war und aus Ohrgeh?ngen, sowie einer dreifachen, sehr langen Kette kirschengrosser, mild schimmernder Perlen bestand.

Die Geschwister waren rasch aufgestanden. Sie beugten sich zum Kuss ?ber die Hand ihrer Mutter, die mit einem zur?ckhaltenden L?cheln ihres gepflegten, doch etwas m?den und spitzn?sigen Gesichtes ?ber ihre K?pfe hinwegblickte und einige Worte in franz?sischer Sprache an die Erzieherin richtete. Dann schritt sie zur Glast?r. Die Geschwister folgten ihr: die M?dchen in der Reihenfolge ihres Alters, nach ihnen die Gouvernante, zuletzt der Knabe. Aus irgend einem Grunde wandte er sich um, bevor er die Schwelle ?berschritt, und da niemand sonst mehr in der Halle sich aufhielt, begegneten seine eigent?mlich d?mmergrauen Augen denen Aschenbachs, der, seine Zeitung auf den Knien, in Anschauung versunken, der Gruppe nachblickte.

Was er gesehen, war gewiss in keiner Einzelheit auffallend gewesen. Man war nicht vor der Mutter zu Tische gegangen, man hatte sie erwartet, sie ehrerbietig begr?sst und beim Eintritt in den Saal gebr?uchliche Formen beobachtet. Allein das alles hatte sich so ausdr?cklich, mit einem solchen Akzent von Zucht, Verpflichtung und Selbstachtung dargestellt, dass Aschenbach sich sonderbar ergriffen f?hlte. Er z?gerte noch einige Augenblicke, ging dann auch seinerseits in den Speisesaal hin?ber und liess sich sein Tischchen anweisen, das, wie er mit einer kurzen Regung des Bedauerns feststellte, sehr weit von dem der polnischen Familie entfernt war.

M?de und dennoch geistig bewegt, unterhielt er sich w?hrend der langwierigen Mahlzeit mit abstrakten, ja transzendenten Dingen, sann nach ?ber die geheimnisvolle Verbindung, welche das Gesetzm?ssige mit dem Individuellen eingehen m?sse, damit menschliche Sch?nheit entstehe, kam von da aus auf allgemeine Probleme der Form und der Kunst und fand am Ende, dass seine Gedanken und Funde gewissen scheinbar gl?cklichen Einfl?sterungen des Traumes glichen, die sich bei ern?chtertem Sinn als vollst?ndig schal und untauglich erweisen. Er hielt sich nach Tische rauchend, sitzend, umherwandelnd, in dem abendlich duftenden Parke auf, ging zeitig zur Ruhe und verbrachte die Nacht in anhaltend tiefem, aber von Traumbildern verschiedentlich belebtem Schlaf.

Das Wetter liess sich am folgenden Tage nicht g?nstiger an. Landwind ging. Unter fahlem, bedecktem Himmel lag das Meer in stumpfer Ruhe, verschrumpft gleichsam, mit n?chtern nahem Horizont und so weit vom Strande zur?ckgetreten, dass es mehrere Reihen langer Sandb?nke freiliess. Als Aschenbach sein Fenster ?ffnete, glaubte er den fauligen Geruch der Lagune zu sp?ren.

Verstimmung befiel ihn. Schon in diesem Augenblick dachte er an Abreise. Einmal, vor Jahren, hatte nach zwei heiteren Fr?hlingswochen hier dies Wetter ihn heimgesucht und sein Befinden so schwer gesch?digt, dass er Venedig wie ein Fliehender hatte verlassen m?ssen. Stellte nicht schon wieder die fiebrige Unlust von damals, der Druck in den Schl?fen, die Schwere der Augenlider sich ein? Noch einmal den Aufenthalt zu wechseln w?rde l?stig sein; wenn aber der Wind nicht umschlug, so war seines Bleibens hier nicht. Er packte zur Sicherheit nicht v?llig aus. Um neun Uhr fr?hst?ckte er in dem hierf?r vorbehaltenen B?fettzimmer zwischen Halle und Speisesaal.

In dem Raum herrschte die feierliche Stille, die zum Ehrgeiz der grossen Hotels geh?rt. Die bedienenden Kellner gingen auf leisen Sohlen umher. Ein Klappern des Teeger?tes, ein halbgefl?stertes Wort war alles, was man vernahm. In einem Winkel, schr?g gegen?ber der T?r und zwei Tische von seinem entfernt, bemerkte Aschenbach die polnischen M?dchen mit ihrer Erzieherin. Sehr aufrecht, das aschblonde Haar neu gegl?ttet und mit ger?teten Augen, in steifen blauleinenen Kleidern mit kleinen weissen Fallkr?gen und Manschetten sassen sie da und reichten einander ein Glas mit Eingemachtem. Sie waren mit ihrem Fr?hst?ck fast fertig. Der Knabe fehlte.

Aschenbach l?chelte. Nun kleiner Ph?ake! dachte er. Du scheinst vor diesen das Vorrecht beliebigen Ausschlafens zu geniessen. Und pl?tzlich aufgeheitert rezitierte er bei sich selbst den Vers:

>>Oft ver?nderten Schmuck und warme B?der und Ruhe.<<

Er fr?hst?ckte ohne Eile, empfing aus der Hand des Portiers, der mit gezogener Tressenm?tze in den Saal kam, einige nachgesandte Post und ?ffnete, eine Zigarette rauchend, ein paar Briefe. So geschah es, dass er dem Eintritt des Langschl?fers noch beiwohnte, den man dort dr?ben erwartete.

Er kam durch die Glast?r und ging in der Stille schr?g durch den Raum zum Tisch seiner Schwestern. Sein Gehen war sowohl in der Haltung des Oberk?rpers wie in der Bewegung der Kniee, dem Aufsetzen des weissbeschuhten Fusses von ausserordentlicher Anmut, sehr leicht, zugleich zart und stolz und versch?nt noch durch die kindliche Versch?mtheit, in welcher er zweimal unterwegs, mit einer Kopfwendung in den Saal, die Augen aufschlug und senkte. L?chelnd, mit einem halblauten Wort in seiner weich verschwommenen Sprache nahm er seinen Platz ein, und jetzt zumal, da er dem Schauenden sein genaues Profil zuwandte, erstaunte dieser aufs neue, ja erschrak ?ber die wahrhaft gott?hnliche Sch?nheit des Menschenkindes. Der Knabe trug heute einen leichten Blusenanzug aus blau und weiss gestreiftem Waschstoff mit rotseidener Masche auf der Brust und am Halse von einem einfachen weissen Stehkragen abgeschlossen. Auf diesem Kragen aber, der nicht einmal sonderlich elegant zum Charakter des Anzugs passen wollte, ruhte die Bl?te des Hauptes in unvergleichlichem Liebreiz,--das Haupt des Eros, vom gelblichen Schmelze parischen Marmors, mit feinen und ernsten Brauen, Schl?fen und Ohr vom rechtwinklig einspringenden Geringel des Haares dunkel und weich bedeckt.

Gut, gut, dachte Aschenbach mit jener fachm?nnisch k?hlen Billigung, in welche K?nstler zuweilen einem Meisterwerk gegen?ber ihr Entz?cken, ihre Hingerissenheit kleiden. Und weiter dachte er: Wahrhaftig, erwarteten mich nicht Meer und Strand, ich bliebe hier, so lange du bleibst! So aber ging er denn, ging unter den Aufmerksamkeiten des Personals durch die Halle, die grosse Terrasse hinab und gerade aus ?ber den Brettersteg zum abgesperrten Strand der Hotelg?ste. Er liess sich von dem barf?ssigen Alten, der sich in Leinwandhose, Matrosenbluse und Strohhut dort unten als Bademeister t?tig zeigte, die gemietete Strandh?tte zuweisen, liess Tisch und Sessel hinaus auf die sandig bretterne Plattform stellen und machte sich's bequem in dem Liegestuhl, den er weiter zum Meere hin in den wachsgelben Sand gezogen hatte.

Das Strandbild, dieser Anblick sorglos sinnlich geniessender Kultur am Rande des Elementes, unterhielt und erfreute ihn wie nur je. Schon war die graue und flache See belebt von watenden Kindern, Schwimmern, bunten Gestalten, welche, die Arme unter dem Kopf verschr?nkt, auf den Sandb?nken lagen. Andere ruderten in kleinen rot und blau gestrichenen Booten ohne Kiel und kenterten lachend. Vor der gedehnten Zeile der Capannen, auf deren Plattformen man wie auf kleinen Veranden sass, gab es spielende Bewegung und tr?g hingestreckte Ruhe, Besuche und Geplauder, sorgf?ltige Morgeneleganz neben der Nacktheit, die keck-behaglich die Freiheiten des Ortes genoss. Vorn auf dem feuchten und festen Sande lustwandelten Einzelne in weissen Badem?nteln, in weiten, starkfarbigen Hemdgew?ndern. Eine vielf?ltige Sandburg zur Rechten, von Kindern hergestellt, war rings mit kleinen Flaggen in den Farben aller L?nder besteckt. Verk?ufer von Muscheln, Kuchen und Fr?chten breiteten kniend ihre Waren aus. Links, vor einer der H?tten, die quer zur Reihe der ?brigen und zum Meere standen und auf dieser Seite einen Abschluss des Strandes bildeten, kampierte eine russische Familie: M?nner mit B?rten und grossen Z?hnen, m?rbe und tr?ge Frauen, ein baltisches Fr?ulein, das an einer Staffelei sitzend unter Ausrufen der Verzweiflung das Meer malte, zwei gutm?tig-h?ssliche Kinder, eine alte Magd im Kopftuch und mit z?rtlich unterw?rfigen Sklavenmanieren. Dankbar geniessend lebten sie dort, riefen unerm?dlich die Namen der unfolgsam sich tummelnden Kinder, scherzten vermittelst weniger italienischer Worte lange mit dem humoristischen Alten, von dem sie Zuckerwerk kauften, k?ssten einander auf die Wangen und k?mmerten sich um keinen Beobachter ihrer menschlichen Gemeinschaft.

Ich will also bleiben, dachte Aschenbach. Wo w?re es besser? Und die H?nde im Schoss gefaltet, liess er seine Augen sich in den Weiten des Meeres verlieren, seinen Blick entgleiten, verschwimmen, sich brechen im eint?nigen Dunst der Raumesw?ste. Er liebte das Meer aus tiefen Gr?nden: aus dem Ruheverlangen des schwer arbeitenden K?nstlers, der von der anspruchsvollen Vielgestalt der Erscheinungen an der Brust des Einfachen, Ungeheueren sich zu bergen begehrt; aus einem verbotenen, seiner Aufgabe gerade entgegengesetzten und eben darum verf?hrerischen Hange zum Ungegliederten, Masslosen, Ewigen, zum Nichts. Am Vollkommenen zu ruhen, ist die Sehnsucht dessen, der sich um das Vortreffliche m?ht; und ist nicht das Nichts eine Form des Vollkommenen? Wie er nun aber so tief ins Leere tr?umte, ward pl?tzlich die Horizontale des Ufersaumes von einer menschlichen Gestalt ?berschnitten, und als er seinen Blick aus dem Unbegrenzten einholte und sammelte, da war es der sch?ne Knabe, der von links kommend vor ihm im Sande vor?berging. Er ging barfuss, zum Waten bereit, die schlanken Beine bis ?ber die Knie entbl?sst, langsam, aber so leicht und stolz, als sei er ohne Schuhwerk sich zu bewegen ganz gew?hnt, und schaute sich nach den querstehenden H?tten um. Kaum aber hatte er die russische Familie bemerkt, die dort in dankbarer Eintracht ihr Wesen trieb, als ein Unwetter zorniger Verachtung sein Gesicht ?berzog. Seine Stirn verfinsterte sich, sein Mund ward emporgehoben, von den Lippen nach einer Seite ging ein erbittertes Zerren, dass die Wange zerriss, und seine Brauen waren so schwer gerunzelt, dass unter ihrem Druck die Augen eingesunken schienen und b?se und dunkel darunter hervor die Sprache des Hasses f?hrten. Er blickte zu Boden, blickte noch einmal drohend zur?ck, tat dann mit der Schulter eine heftig wegwerfende Bewegung und liess die Feinde im R?cken.

Eine Art Zartgef?hl oder Erschrockenheit, etwas wie Achtung und Scham, veranlasste Aschenbach, sich abzuwenden, als ob er nichts gesehen h?tte; denn dem ernsten Zufallsbeobachter der Leidenschaft widerstrebt es, von seinen Wahrnehmungen auch nur vor sich selber Gebrauch zu machen. Er war aber erheitert und ersch?ttert zugleich, das heisst: begl?ckt. Dieser kindische Fanatismus, gerichtet gegen das gutm?tigste St?ck Leben,--er stellte das G?ttlich-Nichtssagende in menschliche Beziehungen; er liess ein kostbares Bildwerk der Natur, das nur zur Augenweide getaugt hatte, einer tieferen Teilnahme wert erscheinen; und er verlieh der ohnehin durch Sch?nheit bedeutenden Gestalt des Halbw?chsigen eine politisch-geschichtliche Folie, die gestattete, ihn ?ber seine Jahre ernst zu nehmen.

Noch abgewandt, lauschte Aschenbach auf die Stimme des Knaben, seine helle, ein wenig schwache Stimme, mit der er sich von weitem schon den um die Sandburg besch?ftigten Gespielen gr?ssend anzuk?ndigen suchte. Man antwortete ihm, indem man ihm seinen Namen oder eine Koseform seines Namens mehrfach entgegenrief, und Aschenbach horchte mit einer gewissen Neugier darauf, ohne Genaueres erfassen zu k?nnen, als zwei melodische Silben wie >>Adgio<< oder ?fter noch >>Adgiu<< mit rufend gedehntem u-Laut am Ende. Er freute sich des Klanges, er fand ihn in seinem Wohllaut dem Gegenstande angemessen, wiederholte ihn im Stillen und wandte sich befriedigt seinen Briefen und Papieren zu.

Seine kleine Reiseschreibmappe auf den Knien, begann er, mit dem F?llfederhalter diese und jene Korrespondenz zu erledigen. Aber nach einer Viertelstunde schon fand er es schade, die Situation, die geniessenswerteste, die er kannte, so im Geist zu verlassen und durch gleichg?ltige T?tigkeit zu vers?umen. Er warf das Schreibzeug beiseite, er kehrte zum Meere zur?ck, und nicht lange, so wandte er, abgelenkt von den Stimmen der Jugend am Sandbau, den Kopf bequem an der Lehne des Stuhles nach rechts, um sich nach dem Treiben und Bleiben des trefflichen Adgio wieder umzutun.

Der erste Blick fand ihn; die rote Masche auf seiner Brust war nicht zu verfehlen. Mit anderen besch?ftigt, eine alte Planke als Br?cke ?ber den feuchten Graben der Sandburg zu legen, gab er rufend und mit dem Kopfe winkend seine Anweisungen zu diesem Werk. Es waren da mit ihm ungef?hr zehn Genossen, Knaben und M?dchen, von seinem Alter und einige j?nger, die in Zungen, polnisch, franz?sisch und auch in Balkan-Idiomen durcheinander schwatzten. Aber sein Name war es, der am ?ftesten erklang. Offenbar war er begehrt, umworben, bewundert. Einer namentlich, Pole gleich ihm, ein st?mmiger Bursche, der ?hnlich wie >>Jaschu<< gerufen wurde, mit schwarzem, pomadisiertem Haar und leinenem G?rtelanzug, schien sein n?chster Vasall und Freund. Sie gingen, als f?r diesmal die Arbeit am Sandbau beendigt war, umschlungen den Strand entlang, und der, welcher >>Jaschu<< gerufen wurde, k?sste den Sch?nen.

Aschenbach war versucht, ihm mit dem Finger zu drohen. >>Dir aber rat ich Kritobulos<<, dachte er l?chelnd, >>geh ein Jahr auf Reisen! Denn soviel brauchst du mindestens Zeit zur Genesung.<< Und dann fr?hst?ckte er grosse, vollreife Erdbeeren, die er von einem H?ndler erstand. Es war sehr warm geworden, obgleich die Sonne die Dunstschicht des Himmels nicht zu durchdringen vermochte. Tr?gheit fesselte den Geist, indes die Sinne die ungeheure und bet?ubende Unterhaltung der Meeresstille genossen. Zu erraten, zu erforschen, welcher Name es sei, der ungef?hr >>Adgio<< lautete, schien dem ernsten Mann eine angemessene, vollkommen ausf?llende Aufgabe und Besch?ftigung. Und mit Hilfe einiger polnischer Erinnerungen stellte er fest, dass >>Tadzio<< gemeint sein m?sse, die Abk?rzung von >>Tadeusz<< und im Anrufe >>Tadziu<< lautend. Tadzio badete. Aschenbach, der ihn aus den Augen verloren hatte, entdeckte seinen Kopf, seinen Arm, mit dem er rudernd ausholte, weit draussen im Meer; denn das Meer mochte flach sein bis weit hinaus. Aber schon schien man besorgt um ihn, schon riefen Frauenstimmen nach ihm von den H?tten, stiessen wiederum diesen Namen aus, der den Strand beinahe wie eine Losung beherrschte und mit seinen weichen Mitlauten, seinem gezogenen u-Ruf am Ende, etwas zugleich S?sses und Wildes hatte: >>Tadziu, Tadziu!<< Er gehorchte, er lief, das widerstrebende Wasser mit den Beinen zu Schaum schlagend, zur?ckgeworfenen Kopfes durch die Flut; und zu sehen, wie die lebendige Gestalt, vorm?nnlich hold und herb, mit triefenden Locken und sch?n wie ein zarter Gott, herkommend aus den Tiefen von Himmel und Meer, dem Elemente entstieg und entrann: Dieser Anblick gab mythische Vorstellungen ein, er war wie Dichterkunde von anf?nglichen Zeiten, vom Ursprung der Form und von der Geburt der G?tter. Aschenbach lauschte mit geschlossenen Augen auf diesen in seinem Innern ant?nenden Gesang; und abermals dachte er, dass es hier gut sei und dass er bleiben wolle.

Sp?ter lag Tadzio, vom Bade ausruhend, im Sande, geh?llt in sein weisses Laken, das unter der rechten Schulter durchgezogen war, den Kopf auf den blossen Arm gebettet; und auch wenn Aschenbach ihn nicht betrachtete, sondern einige Seiten in seinem Buche las, vergass er fast niemals, dass jener dort lag und dass es ihn nur eine leichte Wendung des Kopfes nach rechts kostete, um das Bewunderungsw?rdige zu erblicken. Beinahe schien es ihm, als s?sse er hier, um den Ruhenden zu beh?ten,--mit eigenen Angelegenheiten besch?ftigt und dabei doch in best?ndiger Wachsamkeit f?r das edle Menschenbild dort zur Rechten, nicht weit von ihm. Und eine v?terliche Huld, die ger?hrte Hinneigung dessen, der sich opfernd im Geiste das Sch?ne zeugt, zu dem, der die Sch?nheit hat, erf?llte und bewegte sein Herz.

Nach Mittag verliess er den Strand, kehrte ins Hotel zur?ck und liess sich hinauf vor sein Zimmer fahren. Er verweilte dort drinnen l?ngere Zeit vor dem Spiegel und betrachtete sein graues Haar, sein m?des und scharfes Gesicht. In diesem Augenblick dachte er an seinen Ruhm und daran, dass Viele ihn auf den Strassen kannten und ehrerbietig betrachteten, um seines sicher treffenden und mit Anmut gekr?nten Wortes willen,--rief alle, ?usseren Erfolge seines Talentes auf, die ihm irgend einfallen wollten und gedachte sogar seiner Nobilitierung. Er begab sich dann zum Lunch hinab in den Saal und speiste an seinem Tischchen. Als er nach beendeter Mahlzeit den Lift bestieg, dr?ngte junges Volk, das gleichfalls vom Fr?hst?ck kam, ihm nach in das schwebende K?mmerchen, und auch Tadzio trat ein. Er stand ganz nahe bei Aschenbach, zum ersten Male so nah, dass dieser ihn nicht in bildm?ssigem Abstand, sondern genau, mit den Einzelheiten seiner Menschlichkeit wahrnahm und erkannte. Der Knabe ward angeredet von irgend jemandem, und w?hrend er mit unbeschreiblich lieblichem L?cheln antwortete, trat er schon wieder aus, im ersten Stockwerk, r?ckw?rts, mit niedergeschlagenen Augen. Sch?nheit macht schamhaft, dachte Aschenbach und bedachte sehr eindringlich, warum. Er hatte jedoch bemerkt, dass Tadzios Z?hne nicht recht erfreulich waren: etwas zackig und blass, ohne den Schmelz der Gesundheit und von eigent?mlich spr?der Durchsichtigkeit wie zuweilen bei Bleichs?chtigen. Er ist sehr zart, er ist kr?nklich, dachte Aschenbach. Er wird wahrscheinlich nicht alt werden. Und er verzichtete darauf, sich Rechenschaft ?ber ein Gef?hl der Genugtuung oder Beruhigung zu geben, das diesen Gedanken begleitete.

Er verbrachte zwei Stunden auf seinem Zimmer und fuhr am Nachmittag mit dem Vaporetto ?ber die faulriechende Lagune nach Venedig. Er stieg aus bei San Marco, nahm den Tee auf dem Platze und trat dann, seiner hiesigen Tagesordnung gem?ss, einen Spaziergang durch die Strassen an. Es war jedoch dieser Gang, der einen v?lligen Umschwung seiner Stimmung, seiner Entschl?sse herbeif?hrte.

Eine widerliche Schw?le lag in den Gassen, die Luft war so dick, dass die Ger?che, die aus Wohnungen, L?den, Gark?chen quollen, ?ldunst, Wolken von Parf?m und viele andere in Schwaden standen, ohne sich zu zerstreuen. Zigarettenrauch hing an seinem Orte und entwich nur langsam. Das Menschengeschiebe in der Enge bel?stigte den Spazierg?nger, statt ihn zu unterhalten. Je l?nger er ging, desto qu?lender bem?chtigte sich seiner der abscheuliche Zustand, den die Seeluft zusammen mit dem Scirocco hervorbringen kann, und der zugleich Erregung und Erschlaffung ist. Peinlicher Schweiss brach ihm aus. Die Augen versagten den Dienst, die Brust war beklommen, er fieberte, das Blut pochte im Kopf. Er floh aus den drangvollen Gesch?ftsgassen ?ber Br?cken in die G?nge der Armen: dort behelligten ihn Bettler, und die ?blen Ausd?nstungen der Kan?le verleideten das Atmen. Auf stillem Platz, einer jener vergessen und verwunschen anmutenden ?rtlichkeiten, die sich im Innern Venedigs finden, am Rande eines Brunnens rastend, trocknete er die Stirn und sah ein, dass er reisen m?sse.

Zum zweitenmal und nun endg?ltig war es erwiesen, dass diese Stadt bei dieser Witterung ihm h?chst sch?dlich war. Eigensinniges Ausharren erschien vernunftwidrig, die Aussicht auf ein Umschlagen des Windes ganz ungewiss. Es galt rasche Entscheidung. Schon jetzt nach Hause zur?ckzukehren, verbot sich. Weder Sommer-noch Winterquartier war bereit, ihn aufzunehmen. Aber nicht nur hier gab es Meer und Strand, und anderw?rts fanden sie sich ohne die b?se Zutat der Lagune und ihres Fieberdunstes. Er erinnerte sich eines kleinen Seebades nicht weit von Triest, das man ihm r?hmlich genannt hatte. Warum nicht dorthin? Und zwar ohne Verzug, damit der abermalige Aufenthaltswechsel sich noch lohne. Er erkl?rte sich f?r entschlossen und stand auf. Am n?chsten Gondelhalteplatz nahm er ein Fahrzeug und liess sich durch das tr?be Labyrinth der Kan?le, unter zierlichen Marmorbalkonen hin, die von L?wenbildern flankiert waren, um glitschige Mauerecken, vorbei an trauernden Palastfassaden, die grosse Firmenschilder im Abfall schaukelnden Wasser spiegelten, nach San Marco leiten. Er hatte M?he, dorthin zu gelangen, denn der Gondolier, der mit Spitzenfabriken und Glasbl?sereien im Bunde stand, versuchte ?berall, ihn zu Besichtigung und Einkauf abzusetzen, und wenn die bizarre Fahrt durch Venedig ihren Zauber zu ?ben begann, so tat der beutelschneiderische Gesch?ftsgeist der gesunkenen K?nigin das seine, den Sinn wieder verdriesslich zu ern?chtern.

Ins Hotel zur?ckgekehrt, gab er noch vor dem Diner im Bureau die Erkl?rung ab, dass unvorhergesehene Umst?nde ihn n?tigten, morgen fr?h abzureisen. Man bedauerte, man quittierte seine Rechnung. Er speiste und verbrachte den lauen Abend, Journale lesend, in einem Schaukelstuhl auf der r?ckw?rtigen Terrasse. Bevor er zur Ruhe ging, machte er sein Gep?ck vollkommen zur Abreise fertig.

Er schlief nicht zum besten, da der bevorstehende Wiederaufbruch ihn beunruhigte. Als er am Morgen die Fenster ?ffnete, war der Himmel bezogen nach wie vor, aber die Luft schien frischer, und--es begann auch schon seine Reue. War diese K?ndigung nicht ?berst?rzt und irrt?mlich, die Handlung eines kranken und unmassgeblichen Zustandes gewesen? H?tte er sie ein wenig zur?ckbehalten, h?tte er es, ohne so rasch zu verzagen, auf den Versuch einer Anpassung an die venezianische Luft oder auf Besserung des Wetters ankommen lassen, so stand ihm jetzt, statt Hast und Last, ein Vormittag am Strande gleich dem gestrigen bevor. Zu sp?t. Nun musste er fortfahren, zu wollen, was er gestern gewollt hatte. Er kleidete sich an und fuhr um acht Uhr zum Fr?hst?ck ins Erdgeschoss hinab.

Der B?fettraum war, als er eintrat, noch leer von G?sten. Einzelne kamen, w?hrend er sass und das Bestellte erwartete. Die Teetasse am Munde, sah er die polnischen M?dchen nebst ihrer Begleiterin sich einfinden; streng und morgenfrisch, mit ger?teten Augen schritten sie zu ihrem Tisch in der Fensterecke. Gleich darauf n?herte sich ihm der Portier mit gezogener M?tze und mahnte zum Aufbruch. Das Automobil stehe bereit, ihn und andere Reisende nach dem Hotel "Excelsior" zu bringen, von wo das Motorboot die Herrschaften durch den Privatkanal der Gesellschaft zum Bahnhof bef?rdern werde. Die Zeit dr?nge. --Aschenbach fand, dass sie das nicht im mindesten tue. Mehr als eine Stunde blieb bis zur Abfahrt seines Zuges. Er ?rgerte sich an der Gasthofsitte, den Abreisenden vorzeitig aus dem Hause zu schaffen und bedeutete dem Portier, dass er in Ruhe zu fr?hst?cken w?nsche. Der Mann zog sich z?gernd zur?ck, um nach f?nf Minuten wieder aufzutreten. Unm?glich, dass der Wagen l?nger warte. Dann m?ge er fahren und seinen Koffer mitnehmen, entgegnete Aschenbach gereizt. Er selbst wolle zur gegebenen Zeit das ?ffentliche Dampfboot benutzen und bitte, die Sorge um sein Fortkommen ihm selber zu ?berlassen. Der Angestellte verbeugte sich. Aschenbach, froh, die l?stigen Mahnungen abgewehrt zu haben, beendete seinen Imbiss ohne Eile, ja liess sich sogar noch vom Kellner Tagesbl?tter reichen. Die Zeit war recht knapp geworden, als er aufstand. Es f?gte sich, dass im selben Augenblick Tadzio durch die Glast?r hereinkam.

Er kreuzte, zum Tische der Seinen gehend, den Weg des Aufbrechenden, schlug vor dem grauhaarigen, hochgestirnten Mann bescheiden die Augen nieder, um sie nach seiner lieblichen Art sogleich wieder weich und voll zu ihm aufzuschlagen und war vor?ber. Adieu, Tadzio! dachte Aschenbach. Ich sah dich kurz. Und indem er gegen seine Gewohnheit das Gedachte wirklich mit den Lippen ausbildete und vor sich hinsprach, f?gte er hinzu: Sei gesegnet!--Er hielt dann Abreise, verteilte Trinkgelder, ward von dem kleinen leisen Manager im franz?sischen Gehrock verabschiedet und verliess das Hotel zu Fuss, wie er gekommen, um sich, gefolgt von dem Handgep?ck tragenden Hausdiener, durch die weiss bl?hende Allee quer ?ber die Insel zur Dampferbr?cke zu begeben. Er erreicht sie, er nimmt Platz,--und was folgte, war eine Leidensfahrt, kummervoll, durch alle Tiefen der Reue.

Es war die vertraute Fahrt ?ber die Lagune, an San Marco vorbei, den grossen Kanal hinauf. Aschenbach sass auf der Rundbank am Buge, den Arm aufs Gel?nder gest?tzt, mit der Hand die Augen beschattend. Die ?ffentlichen G?rten blieben zur?ck, die Piazzetta er?ffnete sich noch einmal in f?rstlicher Anmut und ward verlassen, es kam die grosse Flucht der Pal?ste, und als die Wasserstrasse sich wendete, erschien des Rialto pr?chtig gespannter Marmorbogen. Der Abschiednehmende schaute, und seine Brust war zerrissen. Die Atmosph?re der Stadt, diesen leis fauligen Geruch von Meer und Sumpf, den zu fliehen es ihn so sehr gedr?ngt hatte,--er atmete ihn jetzt in tiefen, z?rtlich schmerzlichen Z?gen. War es m?glich, dass er nicht gewusst, nicht bedacht hatte, wie sehr sein Herz an dem allen hing? Was heute morgen ein halbes Bedauern, ein leiser Zweifel an der Richtigkeit seines Tuns gewesen war, das wurde jetzt zum Harm, zum wirklichen Weh, zu einer Seelennot, so bitter, dass sie ihm mehrmals Tr?nen in die Augen trieb, und von der er sich sagte, dass er sie unm?glich habe vorhersehen k?nnen. Was er als so schwer ertr?glich, ja, zuweilen als v?llig unleidlich empfand, war offenbar der Gedanke, dass er Venedig nie wieder sehen solle, dass dies ein Abschied f?r immer sei. Denn da sich zum zweiten Male gezeigt hatte, dass die Stadt ihn krank mache, da er sie zum zweiten Male j?h zu verlassen gezwungen war, so hatte er sie ja fortan als einen ihm unm?glichen und verbotenen Aufenthalt zu betrachten, dem er nicht gewachsen war und den wieder aufzusuchen sinnlos gewesen w?re. Ja, er empfand, dass, wenn er jetzt abreise, Scham und Trotz ihn hindern m?ssten, die geliebte Stadt je wieder zu sehen, der gegen?ber er zweimal k?rperlich versagt hatte; und dieser Streitfall zwischen seelischer Neigung und k?rperlichem Verm?gen schien dem Alternden auf einmal so schwer und wichtig, die physische Niederlage so schm?hlich, so um jeden Preis hintanzuhalten, dass er die leichtfertige Ergebung nicht begriff, mit welcher er gestern, ohne ernstlichen Kampf, sie zu tragen und anzuerkennen beschlossen hatte.

Unterdessen n?hert sich das Dampfboot dem Bahnhof, und Schmerz und Ratlosigkeit steigen bis zur Verwirrung. Die Abreise d?nkt dem Gequ?lten unm?glich, die Umkehr nicht minder. So ganz zerrissen betritt er die Station. Es ist sehr sp?t, er hat keinen Augenblick zu verlieren, wenn er den Zug erreichen will. Er will es und will es nicht. Aber die Zeit dr?ngt, sie geisselt ihn vorw?rts; er eilt, sich sein Billett zu verschaffen und sieht sich im Tumult der Halle nach dem hier stationierten Beamten der Hotelgesellschaft um. Der Mensch zeigt sich und meldet, der grosse Koffer sei aufgegeben. Schon aufgegeben? Ja, bestens,--nach Como. Nach Como? Und aus einem hastigen Hin und Her, aus zornigen Fragen und betretenen Antworten kommt zu Tage, dass der Koffer, schon im Gep?ckbef?rderungs-Amt des Hotels >>Excelsior<< zusammen mit anderer, fremder Bagage, in v?llig falsche Richtung geleitet wurde.

Aschenbach hatte M?he, die Miene zu bewahren, die unter diesen Umst?nden einzig begreiflich war. Eine abenteuerliche Freude, eine unglaubliche Heiterkeit ersch?tterte von innen fast krampfhaft seine Brust. Der Angestellte st?rzte davon, um m?glicherweise den Koffer noch anzuhalten und kehrte, wie zu erwarten gewesen, unverrichteter Dinge zur?ck. Da erkl?rte denn Aschenbach, dass er ohne sein Gep?ck nicht zu reisen w?nsche, sondern umzukehren und das Wiedereintreffen des St?ckes im B?derhotel zu erwarten entschlossen sei. Ob das Motorboot der Gesellschaft am Bahnhof liege. Der Mann beteuerte, es liege vor der T?r. Er bestimmte in italienischer Suade den Schalterbeamten, den gel?sten Fahrschein zur?ckzunehmen, er schwor, dass depeschiert werden, dass nichts gespart und vers?umt werden solle, um den Koffer in B?lde zur?ckzugewinnen, und--so fand das Seltsame statt, dass der Reisende, zwanzig Minuten nach seiner Ankunft am Bahnhof, sich wieder im Grossen Kanal auf dem R?ckweg zum Lido sah.

Wunderlich unglaubhaftes, besch?mendes, komisch traumartiges Abenteuer: St?tten, von denen man eben in tiefster Wehmut Abschied auf immer genommen, vom Schicksal umgewandt und zur?ckverschlagen, in derselben Stunde noch wiederzusehen! Schaum vor dem Buge, drollig behend zwischen Gondeln und Dampfern lavierend, schoss das kleine, eilfertige Fahrzeug seinem Ziele zu, indes sein Passagier unter der Maske ?rgerlicher Resignation die ?ngstlich-?berm?tige Erregung eines entlaufenen Knaben verbarg. Noch immer, von Zeit zu Zeit, ward seine Brust bewegt von Lachen ?ber dies Missgeschick, das, wie er sich sagte, ein Sonntagskind nicht gef?lliger h?tte heimsuchen k?nnen. Es waren Erkl?rungen zu geben, erstaunte Gesichter zu bestehen,--dann war, so sagte er sich, alles wieder gut, dann war ein Ungl?ck verh?tet, ein schwerer Irrtum richtig gestellt, und alles, was er im R?cken zu lassen geglaubt hatte, er?ffnete sich ihm wieder, war auf beliebige Zeit wieder sein... T?uschte ihn ?brigens die rasche Fahrt oder kam wirklich zum ?berfluss der Wind nun dennoch vom Meere her?

Die Wellen schlugen gegen die betonierten W?nde des schmalen Kanals, der durch die Insel zum Hotel >>Excelsior<< gelegt ist. Ein automobiler Omnibus erwartete dort den Wiederkehrenden und f?hrte ihn oberhalb des gekr?uselten Meeres auf geradem Wege zum B?der-Hotel. Der kleine schnurrb?rtige Manager im geschweiften Gehrock kam zur Begr?ssung die Freitreppe herab.

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