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Read Ebook: Stufen: Eine Entwickelung in Aphorismen und Tagebuch-Notizen by Morgenstern Christian
Font size: Background color: Text color: Add to tbrJar First Page Next PageEbook has 1210 lines and 88946 words, and 25 pagesCHRISTIAN MORGENSTERN STUFEN EINE ENTWICKELUNG IN APHORISMEN UND TAGEBUCH-NOTIZEN R PIPER & CO VERLAG M?NCHEN Zeichnung von Hans Wildermann frei nach einem Entwurf Christian Morgensterns zu Seite 42: Bild meines Lebens. Stil: Weltliche Periode beendet durch innere Krankheit. Schale: ?ffnung durch Johanneisches. Blut: Erf?llung. AUTOBIOGRAPHISCHE NOTIZ Ich wurde am 6. Mai 1871 als einziges Kind des Landschaftsmalers Carl Ernst Morgenstern und seiner Ehefrau Charlotte Schertel in M?nchen geboren und erlebte in unserm gegen Nymphenburg zu gelegenen -- aller Kunst und heiteren Geselligkeit ge?ffneten -- Hause mit parkartigem Garten gl?ckliche, eindrucksreiche Kindheitsjahre. Meine Eltern reisten viel, zuerst aus Lebenslust, dann aus R?cksicht auf ein beginnendes Lungenleiden meiner Mutter, und nahmen mich schon von meinem dritten oder vierten Jahre an ?berallhin mit. Besonders ist mir eine lange Reise durch Tirol, die Schweiz und das Elsass in Erinnerung, die im wesentlichen in einer von zwei unerm?dlichen Juckern gezogenen Kutsche zur?ckgelegt wurde. Dazwischen und sp?ter waren es dann die bayerischen Seed?rfer Kochel, Murnau, Seefeld, Herrsching, Wessling und noch sp?ter schlesische D?rfer am Zobten und im Vorland des Riesengebirges, die dem sehr viel einsamen und stillfrohen Knaben unvergeltbar Liebes erwiesen. Solch freundliches Los ward ihm zumal durch die Lebensf?hrung des Vaters, der als freier Landschafter sowohl, wie dann, als er an die Breslauer Kunstschule berufen worden war, Sommer um Sommer ins Land hinauszog; wozu noch kam, dass er ihn, als eifriger J?ger, bisweilen in seinen Jagdgebieten und Jagdquartieren mit sich hatte. Diese Jahre waren grundlegend f?r ein Verh?ltnis zur Natur, das ihm sp?ter die M?glichkeit gab, zeitweise v?llig in ihr aufzugehen. Sie waren aber auch n?tig, denn bald nach seinem zehnten Jahre, in dem er die Mutter verlor, begann der Ansturm feindlicher Gewalten von aussen wie von innen. Was sich bisher, gehegt und verw?hnt, daheim und im Freien so durchgespielt hatte -- mein Spielen bildet f?r mich ein eigenes sonniges Kapitel -- zeigte sich dem ?usseren Leben, wie es vor allem in der Schule herantrat, weniger gewachsen. Es war, als w?re das Leidenserbe der Mutter, das doch erst zw?lf Jahre darauf zu wirklichem Kranksein f?hrte, schon damals ?bernommen worden; denn wenn auch mancher frische Aufschwung immer wieder weiter trieb, so setzten doch mehr und mehr jene dumpfen Hemmungen ein, die ihn wohl nicht h?tten so zu Jahren kommen lassen, wenn nicht irgend etwas in ihm ebenso z?he f?r ihn gestritten und ihn ?ber das Schlimmste immer wieder von neuem hinweggebracht h?tte. Vielleicht war es dieselbe Kraft, die, nachdem sie ihn auf dem physischen Plan verlassen hatte, geistig fortan sein Leben begleitete und, was sie ihm leiblich gleichsam nicht hatte geben k?nnen, ihm nun aus geistigen Welten heraus mit einer Treue schenkte, die nicht ruhte, bis sie ihn nicht nur hoch ins Leben hinein, sondern zugleich auf H?hen des Lebens hinauf den Weg hatte finden sehen, auf denen der Tod seinen Stachel verloren und die Welt ihren g?ttlichen Sinn wiedergewonnen hat. In meinem 16. Jahre etwa wurde mir das erste Gl?ck philosophischer Gespr?che. Schopenhauer, vor allem, auch schon die Lehre von der Wiederverk?rperung traten in mein Leben ein. Es folgte, Anfang der Zwanziger, Nietzsche, dessen suchende Seele mein eigentlicher Bildner und die leidenschaftliche Liebe langer Jahre wurde. Die Aufgabe, Ibsens Verswerke zu ?bertragen, f?hrte mich 1898 nach Norwegen. Ich lernte Henrik Ibsens teure Person kennen und durfte in den ?bersetzungen von 'Brand' und 'Peer Gynt' mich innerlichst mit ihm verbinden. Das Jahr 1901 sah mich ?ber den 'Deutschen Schriften' Paul de Lagardes. Er erschien mir -- Wagner war mir damals durch Nietzsche entfremdet -- als der zweite massgebende Deutsche der letzten Jahrzehnte, wozu denn auch stimmen mochte, dass sein gesamtes Volk seinen Weg ohne ihn gegangen war. Noch sechs Jahre darauf schrieb ich in mein Taschenbuch: Zu Niblum will ich begraben sein, am Saum zwischen Marsch und Geest ... Zu Niblum will ich mich rasten aus von aller Gegenwart. Und schreibt mir dort auf mein steinern Haus nur den Namen und: 'Lest Lagarde!' Ja, nur die zwei Dinge klein und gross: Diese Bitte und dann meinen Namen bloss. Nur den Namen und: 'Lest Lagarde!' Das Inselchen Mutterland dorten, nein, das will ich nicht verschm?hn. Holt mich doch dort bald die Nordsee heim mit steilen, st?rzenden Seen -- das Muttermeer, die Mutterflut ... o wie sich gut dann da drunten ruht, tief fern von deutschem Geschehn! Die n?chsten Jahre -- des Austragens, Ausreifens, zu Ende Denkens -- ?berstand er so, wie er sie ?berstand, eigentlich nur, weil ihm Gesundheit und Mittel fehlten, sich irgendwohin zur?ckzuziehen, wo er in v?lliger Unbekanntheit seine Tage h?tte vollenden d?rfen. Er war doppelt geworden und in der wunderlichen Verfassung, sich, sozusagen, gross oder klein schreiben zu k?nnen. Er konnte in einem Kaffeehause sitzen und f?hlen: 'So von seinem Marmortischchen aus, seine Tasse vor sich, zu betrachten, die da kommen und gehen, sich setzen und sich unterhalten, und durch das m?chtige Fenster die draussen hin und her treiben zu sehen, wie Fischgewimmel hinter der Glaswand eines grossen Beh?lters, -- und dann und wann der Vorstellung sich hinzugeben: Das bist Du! -- Und sie alle zu sehen, wie sie nicht wissen, wer sie sind, wer da, als sie, mit SICH selber redet und wer sie aus meinen Augen als SICH erkennt und aus ihren nur als sie!' ... Und doch war solches Erkennen nur erst ein Oberfl?chen-Erkennen und darum letzten Endes noch zur Unfruchtbarkeit verurteilt. So kam das Jahr 1908 -- 'Da traf ich Dich, in ?rgster Not: den Andern! Mit Dir vereint, gewann ich frischen Mut. Von neuem hob ich an, mit Dir, zu wandern, und siehe da: Das Schicksal war uns gut. Wir fanden einen Pfad, der klar und einsam empor sich zog, bis, wo ein Tempel stand. Der Steig war steil, doch wagten wir's gemeinsam. Und heut noch helfen wir uns, Hand in Hand.' In dieser Pers?nlichkeit lebt ein grosser spiritueller Forscher 'ein ganz dem Dienste der Wahrheit gewidmetes Leben' vor uns und f?r uns dar. Vor ihm darf auch der Unabh?ngigste sich von neuem besinnen und revidieren, vor ihm hat dies jedenfalls der getan, der immer am liebsten dem Worte nachleben wollte: -- Vitam impendere vero. IN ME IPSUM Nicht im l?rmenden Kampf der Tage, auch nicht im Sturm einer grossen Zeit, aber nach Jahrtausenden stiller Arbeit, nach ?onen ewig fortwirkenden Webens -- dann werden die Menschen gut werden. O, wer diesen Glauben, der mir Gewissheit ist, in allen Augenblicken seines Strebens im Herzen lebendig f?hlte, er w?rde gl?cklich sein. Mein einziges Gebet ist das um Vertiefung. Durch sie allein kann ich wieder zu Gott gelangen. Vertiefung! Vertiefung! Ich bin ein Studienkopf, den der Sch?pfer einst fl?chtig skizzierte, als ihm ein K?nstlerportr?t im Sinne lag. Ich m?chte nicht leben, wenn Ich nicht lebte. Vor einer Menschenmenge: Ich sehe pl?tzlich die Gedanken dieses Volks wie eine dicke schwarze Wolke ?ber ihm. Eine Wolke voll Tr?nen und Blitzen. ?ber all meinen Werken soll es wie ein grosses Verstehen liegen -- und davon werden viele gl?cklich werden. Mir ist mein ganzes Leben zu Mut, als ginge mein Weg oft an der Hecke des Paradieses vorbei. Dann streift mich warmer Hauch, dann mein' ich, Rosen zu sehn und zu atmen, ein s?sser Ton r?hrt mich zu Tr?nen, auf der Stirn liegt es mir wie eine liebe, friedegebende Hand -- sekundenlang. So streife ich oft vorbei an der Hecke des Paradieses ... O tiefe Liebe, die mich zu allem beseelt. M?chte gern noch oft erwachen, stets als grosser K?nstler. In Arco: Ich d?nkte mich einer jener alten blonden Germanen, die hier einst mit Herrscherschritt durch die Strassen wanderten. Ich sehe auf mich selbst zur?ck. Unz?hlige Gestalten huschen schemenhaft an mir vor?ber. Ausgraben will ich meiner Seele Schacht. Dass ich nie in meinem Leben eine Schwester gehabt habe! Kein fremdes Weib kann dem Bruder ein solches Verh?ltnis ersetzen. Man lasse sich durch meine Ironie nicht irref?hren. Meine Ironie ist naiv wie mein Pathos. Ich vermag Unglaubliches ironisch zu sagen, ohne eine Spur von frivoler Empfindung ..., ja vielleicht schrieb ich es mit ernsthaftester Miene, ohne ein andres Lachen als das eines in sich heiteren unbewegten Geistes. Traum Ich fange das Raubvogelgesindel meiner h?sslichen Gedanken und brate sie am Spiess, der ?ber einem Feuer sich dreht. Ach, vergebens. Nach einer Zoten-Posse Je ?lter ich werde, einen desto tieferen, bittreren, inbr?nstigeren Widerwillen empfinde ich gegen die Zote. Weniger gegen die, welche etwa von Mann zu Mann kursiert, obschon ich auch sie vollst?ndig entbehren k?nnte, als gegen die ?ffentliche Zote von der B?hne herab. Wenn pl?tzlich Hunderte versammelter Menschen jede Scham voreinander verlieren und in wiehernder Freude ?ber eine nicht misszuverstehende Andeutung ?bereinstimmen, dann sinkt mir der Mensch unter das Tier und ein schmerzlicher Unwille zieht mir das Herz zusammen. Ich habe doch f?r vieles Leichtsinn und nicht zum mindesten f?r die Liebe jeglicher Art, aber vor der berechneten Zote vergeht mir aller ?bermut. Da schaue ich nur in einen Abgrund von Gemeinheit und H?sslichkeit. Wir jungen M?nner, die wir etwas auf uns halten, sollten jenen Auff?hrungen beizuwohnen nicht als uns angemessen erachten und am wenigsten Weiber, die wir ehren, mit uns in jene niedrige und widerw?rtige Sph?re hinabziehen. Mein Skeptizismus ist vielleicht gerade das Charakteristische des philosophischen Dilettanten. Der philosophische Dilettant ist immer schnell am Ende aller Dinge, weil er nur die Ergebnisse der bereits gewonnenen Erkenntnis im Auge hat, ohne die Wege zu gehen, ja oft auch nur zu kennen, auf denen jene erreicht worden sind. Jedes Jahr habe ich mindestens Eine Periode f?rchterlichsten Zweifels an mir selbst. Dann lebe ich mit best?ndigen Todesgedanken. Die Sehnsucht meines Lebens ist eine oft ?berm?chtige Sehnsucht nach praktischem Schaffen im Grossen. Plastik w?re mein h?chster Fall. Meine h?chste Liebe galt immer dem Gegenst?ndlichen, der Linie, der Farbe, dem Ton an sich. Schon er allein vermochte mich zu entz?cken, wievielmehr erst seine organischen Verbindungen. Mein Hang zu philosophischem Nachdenken beruht auf der einfachen Grundlage, dass ich in jedem Augenblick ?ber das kleinste St?ck Natur irgendwelcher Art in h?chste Verwunderung geraten kann. Dieser Norden! Da wacht man in der verheissendsten Stimmung auf. Griesgr?mig, grau, teilnahmslos ruhen die grossen Augen der Fenster auf dir, als wollten sie sagen: wozu regst du dich so auf? was willst du mit deinen t?richten Idealen? Alles ist eitel. Add to tbrJar First Page Next Page |
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