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Munafa ebook

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Read Ebook: Das kleine Dummerle und andere Erzählungen zum Vorlesen im Familienkreise by Sapper Agnes

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Ebook has 1519 lines and 89251 words, and 31 pages

Frau Pf?ffling hatte aber doch eine Wohnung ausfindig gemacht. Freilich war sie auch teurer als die seitherige, gerade etwa um soviel teurer als Herrn Pf?fflings Reise gekostet h?tte, aber es waren doch so viele Zimmer darin, dass die grosse Familie gut Platz hatte. Frau Pf?ffling berichtete genau ?ber die innere Einteilung. >>Du hast ja noch gar nicht gesagt, in welcher Strasse sie liegt, das m?chte ich doch vor allem wissen,<< sagte Herr Pf?ffling. Da kam es etwas z?gernd heraus: >>Sie liegt in der Hintern Katzengasse Nr. 13.<<

>>In der Hintern Katzengasse? Die kennt man ja nicht einmal dem Namen nach. Wollen wir doch sehen, wo die liegt.<< Auf demselben Tisch, wo k?rzlich die Karte vom Fichtelgebirge aufgelegen war, wurde nun der Stadtplan ausgebreitet, und wieder steckten sich alle K?pfe zusammen, bis die Hintere Katzengasse gefunden wurde. Sie f?hrte von der Vorderen Katzengasse nach der alten Tr?dlergasse. >>Eine feine Lage ist's nicht,<< sagte Pf?ffling.

>>Nein, aber dort nimmt man uns doch auf. Die Kaiserstrasse w?re feiner gewesen, wo unser Dummerle gesucht hat.<<

>>Wem geh?rt denn das Haus?<<

>>Einem Seifensieder.<<

>>Riecht's da nicht den ganzen Tag nach dem Seifenbrei?<<

>>Es riecht wohl ein wenig, das kann nicht anders sein.<<

>>Da ist wohl auch kein G?rtchen oder Hof dabei, und das Haus ist n?rdlich gelegen, ein Sonnenstrahl dringt kaum in diese engen Gassen,<< sagte Pf?ffling seufzend. >>Es k?nnen nicht alle auf der Sonnenseite wohnen,<< erwiderte Frau Pf?ffling, >>wie viele m?ssen im Schatten vorlieb nehmen!<<

>>Wollen wir morgen noch einmal suchen, und dann, wenn wir gar nichts Besseres finden, nun, dann m?ssen wir uns eben begn?gen.<<

Am n?chsten Tag fand sich nichts Besseres und mit schwerem Herzen wurde der Beschluss gefasst, in der Hintern Katzengasse Nr. 13 einzumieten.

Inzwischen war in der sch?nen Wohnung, die Frieder in der Kaiserstrasse angesehen hatte, eine kleine Teegesellschaft versammelt. Die Dame des Hauses erz?hlte von dem kleinen Pf?ffling, der mit dem R?nzchen auf dem R?cken nach einer Wohnung bei ihr gesucht habe. Wie gross musste die Verlegenheit der Familie sein, wenn sie alle Kinder bis herunter zum sechsj?hrigen ausschickte auf Suche nach Wohnung! Ein ?lteres Fr?ulein aus der Gesellschaft, das ein warmes Herz f?r die Not anderer Leute hatte, erkl?rte, da m?sse geholfen werden. Gleich am n?chsten Morgen wolle sie zu Herrn B. gehen, der kenne alle Wohnungen der Stadt, der m?sse Rat schaffen. So ging Fr?ulein A. zu Herrn B. und dieser wieder zu Frau C., und als die Sache noch ein St?ck weiter durchs Alphabet gelaufen war, kam eines Morgens der Schreinermeister Hartwig, fragte nach dem Musiklehrer Pf?ffling und sagte dem Dienstm?dchen, er habe eine Wohnung anzubieten. Herr Pf?ffling gab eben in seinem Zimmer Geigstunde, w?hrend am andern Ende der Wohnung einer seiner Jungen Klavier ?bte, und zwischen darin sassen die Zwillinge und sangen so laut sie konnten darauf los, weil sie die zweierlei Musik ?bert?nen wollten.

Frau Pf?ffling hatte in der K?che die Frage wegen der Wohnung vernommen und h?tte sie nur gekonnt, sie h?tte heimlich alle Musik zum Schweigen gebracht; aber da f?hrte ihr das M?dchen schon den Herrn her und weil auch gerade die andern Kinder ?ber den Gang sprangen, so konnte man kaum das eigene Wort verstehen. Die Mutter f?hrte Herrn Hartwig ins Zimmer und im Vorbeigehen fasste sie einen ihrer Jungen und fl?sterte ihm zu: >>Es ist ein Hausherr da, rufe den Vater, und mache, dass man euch nicht so h?rt.<<

Das wirkte; die Kinder wussten ja, um was es sich handelte. >>Ein Hausherr,<< so ging's von Mund zu Mund; alle Musik, aller L?rm verstummte, auf den Zehen schlichen sich die Kinder hinaus, lautlos wurden die T?ren geschlossen, eine ungewohnte Stille herrschte im Haus. Herr und Frau Pf?ffling waren allein mit dem Schreinermeister Hartwig. >>Wenn Sie noch keine Wohnung gefunden haben,<< sagte dieser, >>so m?chte ich Ihnen eine in meinem Hause anbieten, draussen in der Fr?hlingsstrasse. Platz genug g?be es da, und es schadet auch nichts, dass Sie zehn Kinder haben.<<

>>Sieben, sieben, bloss sieben,<< riefen die beiden Eltern wie aus einem Mund.

Der >>schlechten Mietpartei<< klangen diese Worte wie Musik, und nach f?nf Minuten schon war Pf?ffling mit dem freundlichen Hausherrn unterwegs in die Fr?hlingsstrasse und liess sich von der Hausfrau mit der christlichen Liebhaberei, Gutes zu tun, die sonnige Wohnung zeigen und ohne Schriftst?ck, mit freundlichem Handschlag wurde der Mietvertrag zu billigem Preis abgeschlossen. Fr?hlichen Herzens ging unser Musiklehrer von der Fr?hlingsstrasse in die Hintere Katzengasse, freute sich, als er schon von ferne den Seifengeruch in die Nase bekam, und teilte dem Seifensieder mit, dass er sich zu einer andern Wohnung entschlossen habe. Dann vorbei an der Buchhandlung, wo er zum zweitenmal die Karte vom Fichtelgebirge verlangte, und nun heim zur begeisterten Schilderung der k?nftigen Wohnung in der Fr?hlingsstrasse.

Die ganze Familie teilte seine Freude; nur der Frieder h?rte zuf?llig nichts davon, weil er eben mit seiner Harmonika im Hof war, und niemand dachte daran, dass er die Neuigkeit nicht erfahren hatte. Er wunderte sich im stillen, als beim Mittagstisch alle so vergn?gt vom nahen Umzug sprachen und sogar sagten, sie bek?men es viel sch?ner als jetzt; denn er dachte, es handle sich noch um die Hintere Katzengasse. >>Mir gef?llt's besser da,<< sagte er, >>weil wir doch einen Hof haben.<< >>Der elende Hof voll W?schepfosten,<< sagte einer der Br?der, >>da will ich doch lieber einen Holzplatz.<<

So kam es, dass Frieder bei der Meinung blieb, man habe in der Hintern Katzengasse eingemietet.

>>Wenn der Umzug doch sein muss, dann so bald wie m?glich,<< sagte Pf?ffling, >>noch vor meiner Reise<<, und mit grossem Eifer wurden alle Vorbereitungen getroffen. Manche Bekannte boten ihre Hilfe an, und viele luden die Kinder f?r den Umzugstag zu Tisch, so dass es eine ganz schwierige Beratung gab, was man annehmen konnte und ablehnen musste. Die Eltern hatten viel zu tun; sie ?berliessen es den Kindern, wo und wie jedes zu seinem Mittagstisch gelangen w?rde. So fanden die grossen Jungen gl?cklich heraus, dass Brauns auf zw?lf Uhr und Schwarzens auf ein Uhr geladen hatten, das konnten sie beides vereinigen, und sie freuten sich k?niglich auf das doppelte Mittagessen.

Der Tag des Umzugs kam. Gegen Mittag fuhr der vollbeladene Wagen ab, die Eltern folgten ihm in die neue Wohnung, w?hrend die Kinder gleich von ihren Schulen aus zu den Familien, die sie geladen hatten, gegangen waren und sich's da schmecken liessen. Nur unser Frieder hatte nicht recht erfasst, wie das alles eingerichtet war und wo er zu Mittag essen sollte. Er wollte die Mutter noch einmal fragen und ging wie gew?hnlich von der Schule aus heim, in die alte Wohnung. Alle T?ren standen weit offen. Betroffen blieb Frieder unter der T?re der verlassenen Wohnung stehen. Wo war denn alles? Er ging von einem Zimmer ins andere, Papier und Stroh lagen auf dem Fussboden zerstreut. Da, im Winkel, mitten unter dem Staub, sah er eine von Elschens Kugeln, die sch?ne rote, die hob er auf und schob sie in seine Tasche. Dann ging er durch all die leeren R?ume, seine Schritte hallten, aber sonst war alles stille. Ihm wurde ganz unheimlich zumute, Tr?nen kamen ihm in die Augen, als er sich so verlassen f?hlte. Ja, sie waren alle ausgezogen und ihn hatten sie vergessen. Jetzt kamen Schritte die Treppe herauf, der Hausherr war's und eine Scheuerfrau mit Besen und Wassereimer.

>>Bist du noch da, Frieder?<< fragte er. >>Deine Leute sind schon in der neuen Wohnung, mache nur, dass du auch hinkommst, sonst wirst du hinausgekehrt.<< Da ging Frieder die Treppe hinunter; er wusste jetzt, was er zu tun hatte, er musste in die neue Wohnung gehen. Also in die Hintere Katzengasse Nr. 13. Wo diese lag, wusste er ungef?hr; hinter dem Markt hatte er sagen h?ren, und auf dem Markt war er schon oft gewesen. Er machte sich auf den Weg. Der war weit und heiss; der kleine Fussg?nger mit dem Schulranzen kam langsam vorw?rts und dachte dabei, dass er zum Mittagessen bei Bekannten eingeladen sei, wenn er nur gewusst h?tte, wo? Endlich gelangte er doch auf den Markt und sah sich um. Rechts, links, ?berall gingen Strassen und Gassen ab, welche aber war die richtige? Zweifelnd kam er bis mitten auf den Platz, da trieben sich ein paar Kinder herum. An die wandte er sich. Ein M?dchen wies ihm den Weg. >>Dort,<< sagte sie, >>wo der Seifenladen ist, da ist Nr. 13.<<

Der Seifensieder stand unter der Ladent?re und als er sah, dass der kleine ABC-Sch?tz mit dem R?nzchen auf dem R?cken unschl?ssig vor dem Hause stehen blieb, fragte er: >>Wen suchst denn du, Kleiner?<<

>>Ich m?chte in unsere neue Wohnung,<< sagte Frieder. >>Wie heisst du denn?<< >>Frieder Pf?ffling.<< >>Pf?ffling? Pf?ffling? Geh?rst du dem Musiklehrer? Ja? Der hat ja hereinziehen wollen, hat sich aber dann anders besonnen. Bist du sein Bub und weisst das nicht?<<

>>Ich weiss gar nichts,<< sagte Frieder und sah recht j?mmerlich darein.

>>Geh nur wieder in deine alte Wohnung,<< sagte der Mann, >>und frage dort, wo du hin sollst, dort sagt man dir's schon. So etwas ist mir aber noch nicht vorgekommen, dass man auszieht und sagt den Kindern nicht einmal wohin!<<

Dem Frieder kamen tr?be Gedanken, w?hrend er die Hintere Katzengasse wieder hinaufging nach dem Markt. Seine Eltern waren also in eine andere Wohnung gezogen und ihm hatte man nichts davon gesagt, weil man ihn nicht brauchen konnte. Der neue Hausherr hatte gewiss nur sechs Kinder aufnehmen wollen; er war der siebente, er war zuviel. Das kam ihm alles ganz nat?rlich vor, aber traurig war es. Und jetzt war er so hungrig. F?r heute war er wenigstens noch zum Mittagessen eingeladen. Vielleicht bei Brauns? Dort wollte er es einmal versuchen. Den Weg dahin konnte er freilich nur von zu Hause oder von der Schule aus finden. So ging er bis zu seinem Schulhaus. Dort traf er einen seiner Schulkameraden, der schon wieder in die Nachmittagsschule ging und h?chlich erstaunt war, dass Frieder erst zum Essen gehen wollte. Auch ein anderer Kamerad, der kleine Meinert, kam schon des Wegs. >>Du, Meinert,<< rief ihm der erste Kamerad zu, >>der Pf?ffling will erst zum Essen gehen.<<

>>O, der kommt viel zu sp?t!<<

>>Gelt, ich sag's auch, der kommt zu sp?t.<< So eingesch?chtert wagte sich >>der Pf?ffling<< auch nicht mehr weg, sondern ging hinauf in das Schulzimmer, setzte sich todm?de auf seinen Platz in der Bank, liess das heisse K?pflein h?ngen und schlief ein. Aus diesem Mittagsschlaf erwachte er erst, als gegen zwei Uhr die andern Kinder alle heraufst?rmten und der Lehrer kam. Sehr gut bestand Frieder heute nicht in der Schule und die zwei Stunden schienen ihm eine Ewigkeit.

Als sie endlich ?berstanden waren und er die Treppe herunterkam, ohne zu wissen, wohin er sich dann wenden solle, da rief pl?tzlich eine Stimme: >>Frieder!<< Er sah auf und da stand sein Vater vor ihm und sagte freundlich zu ihm: >>So Frieder, ich habe auf dich gewartet, ich will dich abholen in die neue Wohnung, die Mutter hat Angst gehabt, dass du sie nicht findest.<<

Ei, wie da der kleine Frieder verkl?rt zu seinem Vater aufsah, wie er sich dicht an ihn dr?ngte und mit ihm ging! Und wie ihm dann auf einmal die Tr?nen aus den Augen schossen und all der Jammer im Durcheinander herauskam: Kein Mittagessen - die alte leere Wohnung - die Hintere Katzengasse und die Angst, dass man nur noch sechs Kinder haben wolle! Vater Pf?ffling dr?ckte fest die kleine Hand, die in der seinigen ruhte, und sagte: >>Frieder, wo wir sind, da geh?rst du auch hin und in der Fr?hlingsstrasse Nr. 20 da wird auch f?r unser Dummerle der Tisch gedeckt.<<

In der neuen Wohnung war noch ein buntes Durcheinander und Frieder h?tte wohl nicht so schnell etwas zu essen gefunden, wenn nicht die neue Hausfrau mit der Liebhaberei, Gutes zu tun, dagewesen w?re. Sie brachte eine riesige Kanne mit Kaffee und Milch zum Einstand, um die sich bald die ganze Familie scharte; viele Freunde und dankbare Musiksch?ler schickten Vorr?te f?r die Speisekammer, so dass alles in H?lle und F?lle da war, wie sonst nie im Jahr, und alle Pf?fflinge, jung und alt, voll Vergn?gen waren. Frieder wurde freilich von den Geschwistern viel geneckt und musste sich oft Dummerle nennen lassen, aber er liess sich's gar nicht anfechten, er war jetzt gl?cklich! Und als das Elschen am Abend zu ihm kam mit vier Kugeln in den H?nden und klagte: >>Die rote Kugel ist nicht mit eingezogen,<< da freute er sich dar?ber, dass er noch einmal in die verlassene Wohnung gekommen war und dort die Kugel gefunden hatte, ging mit der kleinen Schwester auf den Holzplatz, wo die grossen Geschwister auf den Balken schaukelten und kletterten, und spielte mit ihren Kugeln, wie sie es in der alten Wohnung getan hatten.

Bald war die neue Wohnung eingerichtet und Herr Pf?ffling r?stete sich zur Reise. Seine Tasche war gepackt, alles lag bereit, am n?chsten Morgen wollte er abreisen. Das Wetter war herrlich und lockte hinaus, er sang und pfiff den ganzen Tag vor Freude und unterbrach sich nur manchmal, um zu seiner Frau zu sagen: >>N?chstes Jahr bist du an der Reihe,<< oder zu den Kindern: >>Wenn ihr gross seid, d?rft ihr auch reisen.<< Sie freuten sich alle mit ihm.

Aber - in der Nacht wurde Elschen krank. Sie konnte nicht sagen, was ihr fehlte, aber sie weinte und wimmerte und w?lzte sich in ihrem Bett herum. Am fr?hen Morgen wurde der Arzt geholt. Er untersuchte, fragte und wurde nicht klug daraus, was dem Kind fehle. Als Frau Pf?ffling sagte: >>Mein Mann kann doch unbesorgt abreisen?<< da zuckte er die Achseln und meinte: >>Ich w?rde doch noch einen Tag zusehen.<< Den ganzen Tag konnte die Kleine nichts essen und lag st?hnend im Bettchen, und am n?chsten Tag fand der Arzt sie kr?nker als am vorhergehenden. Traurig schlichen die Kinder umher, jedes teilte die Angst der Eltern um die Kleine, alle Musik verstummte. In diesen Tagen waren Pf?fflings eine gute Mietpartei f?r die Hausleute.

Elschen aber konnte doch nicht schlafen, so sehr man ihr Ruhe verschaffte. Der kleine Frieder stand an ihrem Bett; ihn l?chelte sie manchmal an und sprach auch ein paar Worte mit ihm, aber von den andern Geschwistern wollte sie nichts wissen. So liess ihn die Mutter manchmal allein am Bett, wenn sie selbst nach der Haushaltung sehen musste, die zwei hatten sich ja so lieb. Vater Pf?ffling ging unruhig im Haus herum, an seine Reise dachte er schon fast nicht mehr, so gross war die Sorge um das Kind.

Eben war der Arzt wieder dagewesen. >>Wenn ich nur erst herausf?nde, was dem Kinde fehlte,<< sagte er, >>aber so kann ich ihm gar nicht helfen.<< Die Eltern begleiteten ihn hinaus und Frieder stand am Bett. Die kleine Schwester sah ihn an und streckte ihm die H?ndchen hin. >>Elschen,<< sagte er schmeichelnd, >>willst du unsre sch?nen Glaskugeln?<< und er sch?ttelte ein wenig das B?chschen, in dem dieses ihr gemeinsames Lieblingsspiel verwahrt war.

>>Nein, nein, nein!<< rief die Kleine mit ungewohnter Heftigkeit und streckte ihre H?nde wie abwehrend gegen das B?chschen, und als Frieder es schnell beiseite legte, fl?sterte sie ihm ganz leise zu: >>Die rote Kugel schmeckt so hart.<< Dann legte sie sich auf die Seite und schloss die Augen. Frieder blieb ganz still bei ihr stehen. Zuerst kam es ihm komisch vor, dass Elschen so etwas Dummes sagen konnte. Wer weiss denn, wie Kugeln schmecken! Frieder war kein grosser Denker, aber nach einer Stunde war er doch mit seinen Gedanken so weit gekommen, dass er sich sagte: >>Die rote Kugel ist nicht im B?chschen, vielleicht hat das Elschen sie gegessen.<< Und nun fing er an, im Zimmer nach der Kugel zu suchen, ob sie nicht doch irgendwo lag. So trafen ihn die Eltern, gerade als er mit einem Stecken unter der Kommode herumfuhr und damit einigen L?rm machte.

>>Ruhig, ruhig,<< wehrte die Mutter, und der Vater, der immer neben der Sorge auch ein wenig ?rger empfand wegen seiner misslungenen Reise, fuhr ihn ungeduldig an: >>Geh doch hinaus zu den andern, was treibst du denn da?<< >>Ich muss die rote Kugel suchen, denn - -.<< >>Geh hinaus mit deinen Kugeln! Wenn du nicht still bei Elschen bleiben kannst, dann darfst du auch nicht mehr zu ihr,<< und unsanft wurde der Kleine zur T?re hinausgeschoben.

Da ging er hinunter auf den Holzplatz, setzte sich auf einen Balken und dachte an sein Schwesterchen. Nach und nach wurde ihm alles klar: die rote Kugel war am Sonntag noch in der B?chse gewesen, dann war das Elschen krank geworden und seitdem war die Kugel weg. Und wenn das Elschen sie nicht gegessen h?tte, dann w?sste es doch nicht, dass sie hart schmeckt. Und das hatte sie ihm deshalb ganz leise gesagt, damit es die Eltern nicht h?rten, denn so eine sch?ne Glaskugel essen ist schade, da wird man gezankt. Der Bruder wollte auch seine Schwester nicht verraten, damit sie nicht gezankt w?rde, er sagte zu niemand ein Wort.

Am n?chsten Morgen hatte er sich doch wieder an Elschens Bett gemacht. Die Eltern beachteten ihn nicht und sprachen miteinander. Sie erwarteten den Arzt. >>Wenn er nun gar nicht herausbringt, was dem Kind fehlt,<< sagte Vater Pf?ffling, >>dann m?ssen wir doch einen andern Arzt dazu holen.<< >>O ja, bitte,<< sagte die Mutter, >>lass ihn holen, ehe es zu sp?t ist, heute nacht habe ich schon gemeint, sie stirbt mir<< - und die Mutter weinte. Dass seine Schwester sterben k?nnte, daran hatte Frieder noch gar nicht gedacht, und mit einemmal wurde es ihm ganz klar, dass er nicht verschweigen d?rfe, was er wusste, lieber Elschen verraten als sie sterben lassen. Da klingelte schon der Arzt. >>Mutter,<< fing Frieder an, >>du weisst doch, dass wir so eine rote Kugel haben -.<< Aber die Mutter fiel ihm ins Wort: >>Aber Frieder, meinst du denn, wenn das Schwesterchen so krank ist, will man etwas von deinen Kugeln wissen?<<

Der Arzt kam und untersuchte die kleine Kranke. Unterdessen n?herte sich Frieder dem Vater. >>Vater,<< begann er leise, >>Vater, wir haben doch eine rote Kugel gehabt und - -<< >>O du mit deinen verw?nschten Kugeln!<< rief Herr Pf?ffling so laut und ?rgerlich, dass das kranke Kind erschreckt und der Arzt erstaunt her?ber blickte und sagte: >>Es wird immerhin besser sein, wenn die Kinder nicht im Krankenzimmer sind,<< und Vater Pf?ffling machte die T?re auf und wies mit strenger Miene dem Frieder den Weg. Der aber, der sonst nie wagte, ungehorsam zu sein, schl?pfte an der T?re vorbei zum Arzt, der ?ber das Bett der Kleinen gebeugt stand und sie behorchte. Er schlang beide Arme um den Hals des Arztes und fl?sterte ihm ganz leise zu: >>Die rote Kugel hat das Elschen gegessen, ja, und darum ist sie krank.<<

Die Eltern hatten nicht verstanden, was Frieder leise gesagt hatte, und so sahen sie mit Staunen, dass der Doktor sich von der kleinen Kranken weg eifrig dem Frieder zuwandte und nun, wahrhaftig - sie h?rten es ganz deutlich - fing auch der Doktor an, von den Kugeln zu sprechen, die Herr Pf?ffling eben verw?nscht hatte. Der Arzt nahm den Frieder, der ein wenig ?ngstlich nach dem Vater hin?bersah, auf die Kniee und redete sehr freundlich mit ihm, w?hrend die Eltern auf seine Worte lauschten. >>Wie war denn das mit der Kugel, Frieder? Sage mir's nur noch einmal ganz genau; weisst du, das muss ich alles erfahren, wenn ich deine Schwester gesund machen soll. Hast du es denn gesehen, dass sie die Kugel geschluckt hat? Nein? Aber erz?hlt hat sie dir's? Was hat sie denn erz?hlt?<<

>>Nur dass die rote Kugel hart schmeckt. Und das weiss man doch nicht, wie die rote Kugel schmeckt, wenn man sie nicht gegessen hat. Und die Kugel ist auch nicht mehr da, sieh nur her.<< Und Frieder ?ffnete das K?stchen. >>F?nf m?ssen es sein, und es sind doch nur vier.<< Elschen fing ?ngstlich an zu weinen. >>Jetzt weint sie,<< sagte Frieder und schien selbst den Tr?nen nahe, >>ich habe sie doch auch nicht verraten wollen.<<

>>Der scheint mir gar kein Dummerle zu sein,<< sagte im Fortgehen der Arzt, >>wer weiss, ob Sie ihm nicht das Leben Ihres Kindes verdanken.<< Die Mutter aber traute der Sache noch nicht und sie fing an, nach der Kugel zu suchen und rief alle Kinder zu Hilfe. In der ganzen Wohnung wurde aus allen Ecken vorgekehrt, der Vater setzte einen Finderlohn aus und in jedem Zimmer traf man eines der Kinder der L?nge nach auf dem Boden liegend und unter die M?bel schlupfend, um zu suchen. Nur Frieder suchte nicht mit, er sah dem Treiben verwundert zu und sagte nur: >>Ich habe schon lange gesucht, da ist unsere rote Kugel nie.<<

Am Nachmittag wurde die Kleine so krank und schwach, dass es aussah, als ob sie den Abend nicht mehr erleben k?nnte, und so eilte Herr Pf?ffling fort und holte die beiden ?rzte zur Hilfe. Sie kamen, brachten eine Krankenschwester mit, gingen ins Krankenzimmer und schlossen die T?re ab - niemand, nicht einmal die Eltern durften mit ihnen hinein. Das war nun eine bange Stunde. Die ganze Familie war im Wohnzimmer beisammen, lauschte auf die Ger?usche, die hie und da aus dem Krankenzimmer ?ber den Vorplatz her?bert?nten, und wartete. Der Mutter Auge ruhte auf Frieder. Sollte wirklich gerade dieses Kind, das kleine, unbeachtete Dummerle, den wahren Grund der Krankheit gefunden haben? Er sass ganz ruhig mit seinem B?chschen in der Hand da, w?hrend Herr Pf?ffling aufgeregt im Zimmer hin und her lief und das lange Warten kaum ertragen konnte.

Endlich, endlich h?rte man, dass die T?re des Schlafzimmers aufgeschlossen wurde, Herr Pf?ffling eilte hinaus in den Vorplatz, die Mutter ihm nach. Da kamen schon die beiden ?rzte auf sie zu und der Hausarzt rief ihnen entgegen: >>Nun, da h?tten wir ja die verlorene Kugel wieder,<< und er hielt hoch in der Hand, dass es alle sehen konnten, die rote Kugel! Der Mutter st?rzten die Tr?nen aus den Augen. >>Darf ich hinein?<< fragte sie und war schon durch die T?re und bei dem kleinen Liebling, ehe sie Antwort bekommen hatte. Das Kind lag bleich in seinem Bettchen und erkannte die Mutter nicht, aber die Krankenschwester sagte zu der besorgten Mutter: >>Seien Sie nur ganz getrost, es ist so gut gegangen, die ?rzte sind ganz zufrieden.<<

Leise, leise schlichen sich allm?hlich alle Kinder herein, w?hrend draussen die ?rzte mit dem Vater sprachen. Die grossen Br?der, die Zwillingsschwestern, jedes wollte das Elschen sehen. Da konnte der kleine Frieder nicht beikommen und das Schwesterchen nicht sehen. Er wollte hinausschl?pfen, aber die Herren standen unter der T?re. Der Arzt bemerkte ihn. >>Das ist der Kleine,<< sagte er zu dem Chirurgen, >>ein kluges, aufmerksames Kind, dem verdankt die kleine Schwester gewissermassen das Leben.<< >>Ja,<< sagte Herr Pf?ffling, >>das kommt daher, dass er sein Schwesterchen so lieb hat, er ist sonst nicht der Kl?gste, da muss die Liebe den schlummernden Verstand geweckt haben.<< Die Geschwister alle h?rten das, sie wandten sich Frieder zu und sahen ihn staunend an. Dieser selbst beachtete das nicht, er hatte ein anderes Anliegen, und da er sah, dass die ?rzte ihn freundlich anblickten, wagte er es vorzubringen. Er streckte das B?chslein hin, in dem die vier Kugeln waren und sagte: >>Da herein geh?rt die rote Kugel!<<

Das Elschen erholte sich so schnell, dass es schon nach einigen Tagen wieder ganz lustig und munter war, und Herr Pf?ffling r?stete sich abermals zur Reise. Ohne Sorge konnte er sein T?chterchen verlassen, das noch im Bett lag, aber fr?hlich mit Frieder plauderte. Die Mutter folgte dem Reisenden noch die Treppe hinunter, die Zwillingsschwestern begleiteten den Vater an die Bahn, die Br?der sollten ihn daf?r bei der Heimkehr abholen. Als Frau Pf?ffling allein die Treppe wieder herauf und ins Zimmer kam, sagte sie zu ihren drei Grossen: >>Gottlob, dass des Vaters Reise doch noch zustande gekommen ist,<< und sie fing an, den Tisch abzur?umen, an dem der Vater noch eine kleine Mahlzeit eingenommen hatte.

Nun kam auch Frieder, der bei dem Schwesterchen geblieben war, herein, nahm seine Ziehharmonika und spielte ein Lied. Aber mitten in der Melodie unterbrach er sich und fragte: >>Wann reist denn der Vater fort?<< Da sahen ihn alle an, lachten und fragten: >>Hast du's nicht gemerkt, dass der Vater abgereist ist? Er hat sich doch von dir und Elschen auch verabschiedet. Bist du denn doch wieder unser Dummerle? Und der Vater hat erst gesagt, niemand darf dich mehr so heissen.<<

Da besann sich der Frieder eine Weile, nahm seine Melodie wieder auf, wo er sie unterbrochen hatte, und spielte sie zu Ende. Dann deutete er auf das Klavier und sagte langsam: >>Weil doch da oben noch die Karte vom Fichtelgebirge liegt, kann doch der Vater nicht fort sein.<< Was gab es f?r einen Aufruhr bei diesen ruhig gesprochenen Worten! Die Mutter, die Geschwister, alle waren in einem Augenblick am Klavier: richtig, da lag die Karte; wie war es m?glich, dass der Vater die vergessen hatte! Dann ein Blick auf die grosse Wanduhr - reicht es noch, kann man noch vor Abgang des Zuges an die Bahn kommen, dem Vater die Karte bringen? >>Es geht nicht mehr,<< meint die Mutter. >>Es geht, es geht,<< meint einer der Jungen und nimmt schon die Karte, reisst die M?tze vom Nagel und hinaus zur T?re: >>Ich kann schneller laufen,<< >>und ich l?nger,<< ruft der Zweite und Dritte, und einer hinter dem andern hinaus, die Treppe hinunter, mit einem Gepolter, dass sogar die freundliche Hausfrau zu ihrem Mann sagte: >>So ein Gepolter d?rfen die Kinder nicht anfangen, es ist besser, wenn man es ihnen gleich das erstemal verwehrt.<< Der Hausherr meinte das auch und ging an die T?re, aber die drei waren zum Haus hinaus, schossen davon und man h?rte nur noch, wie droben das Fenster aufgemacht wurde und Frau Pf?ffling ihren Jungen nachrief: >>Rennt nur, was ihr k?nnt, es kann noch reichen!<< Aber die drei h?rten schon nichts mehr und waren im Nu um die Ecke. >>Es muss etwas Besonderes los sein,<< sagte die Hausfrau zu ihrem Mann, >>da kann man nicht zanken.<<

Der Musiklehrer Pf?ffling war zeitig an die Bahn gegangen, er konnte sich in Ruhe einen guten Platz im Zug w?hlen, stieg ein und plauderte durchs offene Fenster mit seinen zwei T?chtern. Nun reichte er ihnen noch die Hand heraus zum Abschied: >>Gr?sst mir die Mutter noch einmal und das Elschen, und nun geht nicht so nahe an den Zug, er wird gleich abfahren, dass nicht noch ein Ungl?ck geschieht -<< >>Und du wieder nicht reisen kannst,<< sagte eine der Schwestern. >>Ja, diesmal hat's schwer gelingen wollen, gottlob, dass ich soweit bin.<< >>Fertig!<< rief der Zugf?hrer, und der Bahnbeamte setzte eben das Pfeifchen an den Mund, um das Zeichen zur Abfahrt zu geben, da st?rzte auf den Bahnsteig heraus ein Bub, atemlos, schweisstriefend, und ein zweiter hinter ihm drein, und riefen schon von der Ferne: >>Vater, Vater!<< Der dritte war nicht nachgekommen, der hatte unterwegs einen Schuh verloren. Der Zugf?hrer empfand ein menschliches R?hren, er war doch auch Vater; wenn zwei Kinder so nach dem Vater riefen, durfte er wohl einige Sekunden z?gern. Er nahm das Pfeifchen von den Lippen, alle Umstehenden sahen auf die heranst?rmenden Jungen, auch Pf?ffling erblickte sie, und wie der Blitz durchfuhr ihn der Gedanke: >>Es ist etwas geschehen - du kannst nicht reisen - das Elschen ist wieder krank!<< Da hatte sein ?ltester den Wagen erreicht, streckte ihm etwas entgegen: >>Die Karte!<< Der Pfiff ert?nte, der Zug fuhr ab und noch aus weiter Ferne sahen die Kinder, wie der Vater sie gr?sste und ihnen fr?hlich zuwinkte mit der Karte vom Fichtelgebirge!

Hoch droben.

In Berlin war an einem heissen Juninachmittag ein Dachdecker auf dem Dache eines vierst?ckigen Hauses besch?ftigt. Am Rand des Daches sass er und setzte neue Schieferplatten ein, wo die alten schadhaft geworden waren. Manchmal sah einer der Vor?bergehenden von der Strasse herauf nach dem jungen Mann in der schwindelnden H?he. Der Dachdecker aber blickte nicht hinunter, er sah nur auf das Dach mit seinen vielen Pl?ttchen, die gl?hend heiss wurden in der Sonne, und langsam ging ihm heute die Arbeit von der Hand. Die Hitze wurde immer dr?ckender, die Sonne stach durch die Wolken; jetzt hielt er mit seiner Arbeit inne. Eine lange Reihe Pl?ttchen hatte er eingesetzt, nun kam die n?chste Reihe. Er legte sein Werkzeug aus der Hand, wischte sich den Schweiss von der Stirne und ruhte einen Augenblick. Da fiel sein Blick auf die Strasse, wo die Wagen fuhren und die Menschen wandelten. Er war heute nicht schwindelfrei wie sonst, wo er ruhig in die Tiefe blicken konnte, er schloss die Augen und ruhte. Die Sonne verbarg sich hinter schweren Wolken, ein tiefer Schatten fiel aufs Dach und der junge Arbeiter schlief ein.

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