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Munafa ebook

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Read Ebook: Die Stufe Fragment einer Liebe by Mann Franziska

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Ebook has 156 lines and 20322 words, and 4 pages

Franziska Mann

Die Stufe Fragment einer Liebe

Im Mosaik Verlag zu Berlin 1922

Roland, sind Sie leichtsinnig! Laufen Sie lieber vor mir davon. Oder ist Leichtsinn immer eine Krankheit -- chronisch bei den einen, akuter Natur bei den anderen? Nicht nur einfach abzusch?tteln --, Heilbarkeit unsicher? Noch ist es Zeit! Ich warne Sie! Verpassen Sie nicht den rechten Augenblick zur Flucht. Sie sind f?nfundzwanzig Mal im Laufe der Jahre am zehnten Mai vor?bergeschritten, ich an diesem Fr?hlingstage, der auch mich die Reise ins Leben beginnen liess, zweiundvierzig Mal. Es bleibt eine gewagte Angelegenheit, sch?n und gef?hrlich, dieses ,,die Seelen sind von keinem Alter." Sehen Sie sich lieber die blonden und die braunen M?del an, deren gibt es so viele.

Allm?hlich bin ich so etwas wie eine Seelensucherin geworden. Weiss selbst nicht, wie es gekommen ist. Nie habe ich diese Eigenart -- oder darf ich sagen dieses Talent? -- absichtlich in mir gesteigert, habe nie aufgeh?rt, sie als Begnadung zu empfinden. Manchem wurde ich zur Lebenswende, zur Stufe in freiere, befreite Welten. F?r das Gl?ck der Vielen war ich nie geschaffen. Vielleicht vermochte ich Einigen die Kraft zur Einsamkeit zu st?rken; vielleicht lehrte ich Einige sich selbst kennen zu lernen, half ihnen, eine andere Lebensresonanz zu erlauschen. Ich vergass nie, dass ich nicht mehr werden konnte als ein M?rteltr?ger: sein Schloss kann sich jeder nur allein errichten, seinen Tempel oder sein Alltagshaus. --

Gel?nge es mir doch, Ihnen diese scheinbare Erkaltung, von der ich vorher schrieb, diese Zwiesp?ltigkeit meines F?hlens, dieses gefasst dem Wandel Entgegengehen verst?ndlich zu machen. Mich d?nkt, als wollte selbst die weite Natur nicht unver?nderliches Beharren. Sie bereichert, auch wenn sie scheinbar verarmt; ihre Gesetzm?ssigkeit ist's ja auch, die uns zuweilen wie Grausamkeit erscheinen kann; denn Wachstum wehrt sich gegen kraftlos Gewordenes; es st?sst Welkendes ab, m?gen wir es auch in leiser Wehmut fallen sehen. Nur die Gewissheit ersiegen wir uns schliesslich doch: nichts von allem fr?heren, das uns einst kostbar d?nkte, kann jemals wieder ganz verloren gehen. Ein Schimmer bleibt und begl?ckt und kann aufleuchten wie in den Augenblicken, da wir die lange schon Entfernten, die Weitergewanderten, die von uns Zur?ckgelassenen oder die ?ber uns Hinfortgestiegenen am st?rksten zu lieben glaubten. --

Roland, haben Sie immer noch Mut zu mir? W?ren Sie doch ein weibliches Wesen, dann beunruhigte mich nicht der Gedanke, Sie k?nnten sich tief in mich versenken. Gestern irrte sekundenlang ein Fremdes durch Ihren Blick; dieses Fremden halber erhalten Sie heute statt der gewohnten Zettel einen so langen Brief, lieber grosser Junge, von

Ihrer Mutter.

Immer kann ich noch bis drei Uhr der schweigsame Bankbuchhalter sein, genau bis drei Uhr. Aber dann? Sagen Sie, was bin ich dann?

Oberfl?chlich, nur ganz oberfl?chlich, m?chte ich Ihnen doch endlich schnell etwas von meinem Werdegang, der nie ein richtiger Werdegang wurde, sagen. Die Stunde neben Ihnen ist zu schade, Sie von der einzigen Kunst zu unterrichten, die ich bisher verstand, von der: klein zu bleiben. --

,,Zivilcourage" rufe ich mir also zu und berichte weiter: Verse, die ich heimlich, als ich noch zur Schule ging, mit Leidenschaft niederschrieb, hatten meinen Ruf nicht einwandfrei gemacht. Ich sollte ein Schw?rmer sein, ein Tr?umer, war vielleicht schon auf denselben Abwegen wie mein Grossvater, der -- Mutter vertraute es mir feierlich und warnend und weinend an -- hinterm Zaum auf der Landstrasse zugrunde gegangen ist. Immer wurde mir der Grossvater als warnendes Beispiel vorgef?hrt, nie aber erfuhr ich deutlich, worin seine Laster eigentlich bestanden haben. -- Zwei Tage hindurch wagte ich einmal einen geschlungenen K?nstlerschlips zu tragen. Das Halloh, mit dem mich Gross und Klein anbr?llte, liess mehr als nur den Schlips verschwinden; es duckte mich klaftertief. -- Bis zum Tode meines Vaters blieb ich in unserer Kleinstadt, in der M?hle, die langsam das zerrieb, aus dem ich, w?re man barmherziger damit verfahren, vielleicht ein wirkliches Leben h?tte formen k?nnen. -- Hier die wenigen Monate duldeten bisher kein Umschauen. Ich habe mich zu ern?hren, habe mich Aufgaben zu widmen, die, weiss der Himmel, nicht grossartige sind. --

Sie werden zu verstehen versuchen, wie es gekommen ist, dass ich mich so fr?h mit einem ungelebten Leben abfand. Vererbung, Erziehung, Lebensumst?nde m?gen die Sklavenhalter gewesen sein, die gelassen zu Tode peitschen wollten, was nicht stark genug in mir war, sich jubelnd aus der kl?glichen Gebundenheit zu befreien. Noch kann ich nicht erkennen, wohin mich die Befreiung f?hren soll, ob sie erheben oder vernichten will; jetzt aber, in diesen leuchtenden Tagen, erf?llt sie mich mit nie gekannter Freude.

Viele Briefe werde ich Ihnen noch schreiben d?rfen, viele noch von Ihnen empfangen, und die T?r zu Ihrem Zimmer wird sich mir lange noch t?glich f?r eine Abendstunde ?ffnen. --

Entdeckte ich doch eine sch?nere Ausdrucksform f?r das zitternde Empfinden, das mich, seitdem ich nur an Sie zu denken vermag, durchstr?mt! Diese eckigen, armseligen Worte missfallen mir gr?ndlich.

Viel tausend Gr?sse sendet Ihnen

Ihr t?richter Junge

Roland.

Maria.

Ich bettle nicht. Meine Seele ist still, weil es keine Grenzen f?r die St?rke ihrer Liebe gibt. Ich werde Sie gewinnen, ganz mir gewinnen, Maria, liebste aller Frauen.

Ihr, Ihr Roland.

Seit gestern nenne ich Sie im stillen nur noch: Meine Ueberraschung! Leicht zu deuten, nicht wahr? In jedem Ihrer letzten Briefe, in jeder unserer Stunden l?sen Sie mit ?berraschender Nat?rlichkeit, mit sprunghafter Schnelle das, was Sie neulich Ihre ,,Gebundenheit" nannten. Frei von gewollter Anempfindung wird Ihre Ausdrucksform der meinen seltsam ?hnlich, und doch gleiten Sie ?berraschend leicht und m?helos in geistige Selbst?ndigkeit hinein. Ohne heroisches K?mpfen stehen Sie pl?tzlich am anderen Ufer. Ich muss also anfangen, bei Ihnen schon jetzt mit unvorherzusehender Unerschrockenheit zu rechnen. ,,Meine Ueberraschung" nenne ich Sie aber auch deshalb, vielleicht mit noch viel gr?sserer Berechtigung, seitdem ich f?hle, dass eine h?chst unwahrscheinliche Ver?nderung in raschestem Tempo auch -- mich bedroht.

Maria.

Maria, aller Frauen liebste, ich verstehe, was Sie mir zu erkl?ren versuchten, verstehe es, wie wenn ich zu denen geh?rte, die den Menschen etwas zu geben haben. Hat die Schwungkraft, mit der Sie mich behexten, vielleicht meinen Kopf verwirrt? Ich begriffe es, wenn diese unerwarteten Merkw?rdigkeiten dem Bankbuchhalter Roland total die Besinnung raubten. Nie wieder wird er so ruhige Tage durchd?mmern wie einst.

Maria, welch ein Gl?ck ist meine -- Verirrung.

Rasch muss ich Ihnen aber von einem unerkl?rlichen Traumspiel -- oder Trancezustand? -- berichten, den ich erlebte, nicht etwa erfand: In dieser letzten meiner jetzt fast stets schlaflosen N?chte vernahm ich pl?tzlich deutlich eine Stimme, die mir Worte, viele Worte zuraunte. Nur wie ein Raunen wars, vielleicht kam es garnicht aus fremder Seele -- vielleicht aus der meinen. Ich schrieb unter einem seltsam unerkl?rlichen Zwange Worte nieder, in denen sich heute in hellem Tageslicht der Widerhall meines eigenen Gef?hls offenbart.

Erinnern Sie sich, dass ich j?ngst von den eckigen Worten sprach, von der unvollkommenen Form f?r ein so gewaltiges Empfinden, wie das meinige f?r Sie? W?re es m?glich, dass ich, ohne es zu wissen, im Besitz jener Form gewesen bin? Ich vermag dieses Gl?ck nicht durchzudenken; ich darf diese Vorstellung nicht n?hren, sie w?re Wahnsinn -- --

In Ihrem Zimmer, neben Ihnen, m?chte ich Ihnen das kleine Lied vorlesen, von dem ich nicht weiss, ob es ,,etwas" sein k?nnte, von dem nur eines gewiss ist: es entstr?mte der Wonne meines ?berseligen Herzens.

Ihr Roland.

Mein Junge, w?hrend mein Blick wieder und wieder auf das Blatt mit Deinen grossen, steilen Buchstaben f?llt, vernehme ich den Ton Deiner Stimme, die bebend und doch schicksalsergeben hier in meinem Zimmer noch jetzt zu verk?nden scheint:

,,Wie heisser Kuss ist oft das erste Du -- Zwei gl?hende, von Sehnsucht schwere Herzen, Die zitternd brennen wie geweihte Kerzen, Sie sinken taumelnd sich einander zu.

Und war doch nur ein altgewohntes Wort, Das oftmals achtlos floss von ihren Lippen, Und reisst sie nun -- hin ?ber Fels und Klippen -- Ins unermessne Meer der Liebe fort -- --"

Mit einem so gewaltigen Uebermass von Gl?ck ?berstr?mten mich Deine Verse, dass ich garnicht zu mir selbst zur?ckfinden m?chte -- nicht so rasch zur?ckfinden; denn, zur?ck muss ich ja doch, zur?ck.

Roland, ich, die ich bisher stets im Fluge mein Wollen und W?nschen, mein Empfinden auszudr?cken vermochte, habe eine Weile auf das leere Blatt gestarrt und nicht gewusst, was ich Dir schreiben k?nnte. Auch mich bedr?ckt die Armseligkeit meiner Worte, genau wie Dich die Deine. --

Nicht nur Deine Verse erweckten in mir den Wahn, ich h?tte noch nie einen Fr?hling erlebt wie diesen. Dein Glaube an mich stimmt mich jetzt immer feiert?glich. Du hast -- verzeihe den etwas pathetischen Ausdruck -- mein Weltbild ganz ver?ndert.

Oft ist unser Gespr?ch tief in die Tage Deiner fr?hen Jugend geglitten. Deine Kindheit, die von Verkennung und seelischer Erniedrigung ganz erf?llt war, musste in Deine Brust Aengste und Entsetzen schleudern, deren Spuren unverl?schbar sind. Meine Kindheit glich einer langsam aufsteigenden Morgenr?te. Wieviel ich dieser Sonne schulde, weiss ich erst, seitdem mir so viele, ganz verschieden geartete Menschen von Fangarmen sprachen, die sich ihr ganzes Leben hindurch nach ihnen ausstreckten, oder die sich an sie krallten, und die doch nichts anderes waren als Hemmungen und Ver?ngstigungen aus den Tagen ihrer fr?hen Jugend. Die schlimmsten Morde sind unsichtbar und bleiben straffrei. -- --

Mein lieber Junge, schon oft erfuhr ich es an mir: jedes tiefe Lieben verst?rkt unsere Eigenliebe. Oder weisst Du einen besseren Ausdruck f?r diese Ichsucht? Vertausendfacht ist die Bedeutung der eigenen Pers?nlichkeit vor uns selber. Was sind wir? Sind wir liebenswert? Anscheinend l?ngst verlassene Kalvarienwege liegen pl?tzlich wieder grell beleuchtet neben uns, Stationen, die wir f?r alle Zeit verlassen zu haben w?hnten, tauchen auf und fordern gebieterisch erneutes Erinnern.

Nie bin ich mir so fremd gewesen wie in den letzten Tagen. Wohin entschwand das Erschrecken ?ber ein Gef?hl, das so vieles fortschwemmen konnte von dem, was ich bisher k?hn ,,meine Ueberzeugung" nannte?

Bist Du je auf taufrischem Waldpfad dahingewandert, ganz hingenommen von morgendlicher Stille -- und dann pl?tzlich kam eine schroffe Wegbiegung, tosender Sturm brach an und schleuderte Dir Hagelschlossen in die Augen? Wir wissen oft nicht, welches Schauspiel pl?tzlich eine unbekannte Gegend vor uns aufrollen k?nnte. Wie sollten wir auch auf der weiten Erde so genau Bescheid wissen? Und dennoch m?gen wir in ihr besser auf Naturerscheinungen vorbereitet sein, als in der engbegrenzten Welt unseres eigenen Herzens. Wir wissen nicht, welche Summe an vorher ungeahntem Empfinden noch in uns schlummert, welcher Steigerung unsere Seele f?hig ist, welchem Brausen unser Blut unterworfen sein k?nnte, wieviel unerl?ste Seligkeiten unsere Brust birgt. Roland, wie selbstherrlich bin ich doch gewesen! Ich l?chle ?ber mich -- --

Du bem?htest Dich gestern, mir wieder klar zu machen, dass Du mich trotz allem nicht an Dich zu fesseln w?nschst. Dieses Gefesseltsein ist nicht mehr in Deine Macht gegeben. Ob Du es willst oder nicht: ich bin bei Dir. --

Zum Lied wird der Strom, der von Dir zu mir dringt. Verse t?nten auch heute Nacht in mir, aber ich weiss nicht, ob es der M?he lohnt, sie Dir zu senden.

Gestern sollte ich Dir erkl?ren, wie es m?glich gewesen, dass keine Lebensverwundung mir mein L?cheln nehmen konnte. Natur -- die eigene -- und Geschick waren meine Helfer. Mir ging es genau wie jener Greisin, von der ich Dir jetzt erz?hlen will. Sie sass tr?umend auf einem Stein an bl?hendem Feldwege, als ein Sonnenstrahl sie fragte:

,,Wann habe ich Dich doch zum ersten Male beobachtet? Ja, ja, ich erinnere mich, damals, als Dir kein Baum zu hoch war, hinaufzuklettern; Du warst eben in die Schule geschickt und konntest das Stillsitzen nicht leicht lernen." --

,,Ja, damals," l?chelte die Alte --

,,Und weisst Du, wann ich Dich wiedergesehen habe? Dir flogen lange Locken um den Nacken und Arm in Arm wandeltest Du mit ,,ihm" durch blumige Wiesen" --

,,Ja, damals," wiederholte die Alte --

,,Und sp?ter sah ich Dich, als Du beseligt ein Kindchen durch Deinen Garten trugst -- als Du w?hntest, Muttergl?ck mache unverwundbar" --

,,Ja, damals."

,,Und wieder strahlte ich Dich an, als Du Dich um eine Schar armer, verwahrloster Menschen bem?htest" --

,,Ja, damals," l?chelte g?tig die Greisin --

,,Und einige Jahre sp?ter sah ich Dich, da gingst Du schon nicht mehr ganz so aufrecht, und deutlich zeigten sich graue Haare" --

,,Ja, damals," l?chelte die Alte --

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