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Read Ebook: Die Schwestern: Drei Novellen by Wassermann Jakob
Font size: Background color: Text color: Add to tbrJar First Page Next Page Prev PageEbook has 369 lines and 42161 words, and 8 pagesAber ihre Sehnsucht wurde so gross, dass es, als w?re die Erf?llung schon geschehen, wie ein Strom der Verz?cktheit durch ihre Brust floss. Sie sah den blauen Himmel bes?t mit smaragdenen Blumen und die myrten- und lorbeerbeladene silberne Erde hob sich schwellend dem Firmament entgegen. Oft eilte sie in der D?mmerung durch die Galerien in die G?rten, so schnell, dass Donna Gregoria kaum zu folgen vermochte. Begegnete ihr jemand auf diesem Weg, so blieb sie stehen und schaute ihn an, streng und wild. Wer ist der Mann? fragte sie ihre Begleiterin mit ihrer wunderlich fl?tenden oder gurrenden Stimme. Und Donna Gregoria erwiderte etwa: es ist einer von Don Philipps Freunden. Doch Johanna h?rte die Antwort nicht mehr; sie war schon weiter geschritten; die gelben d?nnen Lider, von zahllosen blauen ?derchen ?bersponnen, schienen die vollflammenden Augen zu begraben, der Kopf senkte sich nach vorn, von ihrer Schulter wehte der Abendwind den Schleier herab, und der entbl?sste Nacken leuchtete wie das Holz eines frischgesch?lten jungen Baumes... Da geschah es, dass Herr von Carancy und Herr von Aymeries ?bereinkamen, dem K?nig neuerdings von allem Bericht zu erstatten und dringend zu fordern, dass die Infantin in ernste Rechenschaft gezogen w?rde, deren Verhalten sie als eine Frucht und einen Beweis der teuflischen Schwarzkunst ansahen. Sie versicherten sich des Einverst?ndnisses der ?brigen Granden und R?te, und Herr von Carancy sollte den Wortf?hrer machen. An einem Freitag zu Anfang September ritten sie mit ihren Leuten gen Valladolid, in welcher Stadt der K?nig damals gerade Hof hielt. Am Hoflager angelangt, liessen sie sich melden, und Herr von Carancy trug mit zornverhaltener Beredsamkeit vor, was im Palast von Burgos die Gem?ter verfinsterte. Der K?nig wurde vor Ingrimm totenbleich. Schon lange hegte er der schm?hlichen Angelegenheit wegen gerechte Besorgnis. Es wurde ein Haftbefehl ausgefertigt, demzufolge Johanna auf das feste Schloss Portillo in Ketzergewahrsam zu bringen sei. Der Kommandant von Burgos habe zweihundert Mann unter den Befehl des Herrn von Carancy zu stellen; mit ihnen und in Begleitung des Ober-Alguazils, damit den Waffen auch das Gesetz zur Seite stehe, solle dieser in den Palast dringen und die Infantin fortf?hren. Die zwei Herren waren zufrieden; Ketzergewahrsam hiess so viel, als unter Foltern langsam sterben. Sie kehrten ehestens nach Burgos zur?ck und handelten ohne Verzug. Der Stadtkommandant, sehr betroffen ?ber den k?niglichen Befehl, wagte nicht zu widersprechen, trotzdem er eigentlich nur dem Herzog zu gehorchen hatte. Er sandte aber im geheimen Botschaft an den Haushofmeister im Schloss, um die Leute der Infantin vorzubereiten und zu warnen. Als das Abendl?uten von den T?rmen der Kathedrale klang, forderte Herr von Carancy mit seinen Bewaffneten im Namen des K?nigs Einlass in den Palast, liess s?mtliche Tore besetzen, postierte einen Teil der Leute in den G?ngen und auf den Treppen und schritt, von seinem Genossen und dem Oberrichter gefolgt, nach den Gem?chern der Infantin. Madame de Bevres, die ihm entgegentrat, antwortete auf seine rauhen und herrischen Worte mit Ruhe, dass sich Donna Johanna im Bade befinde. Herr von Carancy war misstrauisch, musste sich aber zu warten entschliessen. Da jedoch beinahe eine halbe Stunde verfloss, ohne dass weder die Herzogin noch eine ihrer Damen sich zeigte, ?bermannten ihn Argwohn und Ungeduld, er ?ffnete die n?chste T?re, die in ein leeres Zimmer f?hrte, durchschritt diesen Raum und gelangte zu einer zweiten T?re, die er gewaltt?tig aufwarf. Die Infantin sass vor einem Porphyrtisch, auf dem ein goldner Leuchter mit f?nf brennenden Kerzen stand. Sie sass in einem Stuhl mit hoher Lehne, doch nicht hingelehnt; ihr Oberk?rper war seltsam steif aufgerichtet und diese Steifheit wurde vermehrt durch die regungslos niederh?ngenden Arme. Sie trug ein kastanienbraunes Kleid, das man f?r ein M?nchsgewand h?tte halten k?nnen, w?re nicht die zartgelbe Stickerei am Saum und an den ?rmeln gewesen. Hinter ihr stand Donna Gregoria und k?mmte der Herrin das Haar. Donna Gregoria war klein, schlank, gelenkig, spitzgesichtig. Sie hatte etwas von einer ?ffin und etwas von einer Schwalbe. Liebkosend hielt sie das bl?uliche Haar in der Linken und lauschte dem knisternden Ger?usch, das ihr Kamm hervorbrachte. Auch der Alguazil und andere Herren waren inzwischen herbeigekommen und starrten nicht ohne Scheu ?ber die Schwelle. Von gegen?ber, aus offenen halberleuchteten R?umen eilten Kammerfrauen herzu und blieben mit gefalteten H?nden stehen. Donna Gregoria h?rte auf zu k?mmen und schaute ?ber die Schulter hinweg hochm?tig fragend auf Herrn von Carancy, dem die Sprache versagte und der r?ckw?rts griff nach dem Pergament in den H?nden des Richters. Donna Johanna erhob sich; sie war weder erstaunt noch erz?rnt. Es war, als lausche sie auf den verworrenen L?rm, der von draussen hereinschallte, und ihre gelben d?nnen Lider bewegten sich kaum, als sie fragte: >>Was hat seine Herrlichkeit der K?nig ?ber mich verf?gt? denn nur in seinem Namen kann vielleicht ein solcher ?berfall sich rechtfertigen.<< Herr von Carancy zuckte zusammen und ?ber seine Haut rann ein Schauder. Doch antwortete er, was er antworten musste. Bei dem Worte Ketzerhaft stiess Donna Gregoria einen gellenden Schrei aus. Die Infantin machte eine abwehrende Bewegung. Ihre Stirn schien beinahe unsichtbar zu werden unter der sinkenden Wolke des Kummers. Ihr Gesicht lag wie ein Stein im Bett des schwarzaufgel?sten Haares. >>Ich bin bereit,<< sagte sie mit einem verlorenen L?cheln, denn der Wille zu leiden umflutete sie wie Wollust. Donna Gregoria ergriff den Leuchter und wollte damit, planlos, sinnlos, der Herrin vorauseilen. Die f?nf brennenden Lichter, im Zugwind wehend und hoch emporgehalten, erschienen Johanna auf einmal als untr?gliche Verheissung, so dass was nun folgte, ihrem atemlosen Erwarten schon wie ein tiefes, sattes Ruhen war, und indem sie es lebte, sp?rte sie es schon als Erinnerung, dankbar und m?de. Besorgt ?ber die Wirkung, die Johannas Gefangennahme auf Philipp haben w?rde, hatte Don Diego Gotor dem Herzog in kurzer Frist von dem was im Werke war Mitteilung gemacht. Zwischen seinem letzten Wort und der Sekunde, die ihn nun Aug in Aug mit der Infantin sah, war nicht soviel Zeit verflossen, als man braucht, um bis f?nfzig zu z?hlen. Der Herzog strauchelte keuchend herein. Sein Auge, das den Eindruck von etwas Morschem, Faulendem machte, haftete auf nichts, auf keinem. Er sank vor Donna Johanna auf die Kniee, und als sie ein wenig zur?ckwich, sank er noch weiter hin, platt an die Erde. Wie er lag, fing er an zu weinen. Alle dachten, nun sei es zu Ende mit ihm, und starrten best?rzt einander an. Die Infantin hatte die Fingerspitzen beider H?nde zusammengepresst. Ihr Haupt fiel auf den gedehnten Hals nach r?ckw?rts. Sie lauschte beseligt dem Weinen, das wie Fl?gelrauschen zu ihr emporwirbelte. Jetzt sah sie Philipp, jetzt war er da, er lebte. Mit j?hem Ruck beugte sie sich herab und dr?ckte sanft die Hand auf sein Haar. Philipp schwieg, schaute auf, ihre Blicke verschmolzen, es hob ihn wie von selbst, er umfasste mit den Armen ihre Schenkel und trug sie kurz und heiser aufjubelnd durch einen purpurnen Nebel von Gl?ck hindurch. Johanna lachte lautlos in die Luft hinein, und es war ihr, als ginge es ?ber Mauern, die vor Philipps Schritt zerbarsten, ?ber W?lder, deren Finsternis wie Glas zersprang, und ?ber das Meer, das wie fl?ssiges Morgenrot sch?umte. Die ganze Nacht hindurch war das Schloss von heiterster Ausgelassenheit erf?llt, auch in der Stadt herrschte alsbald festliches Wesen. Die vornehme Familie der Stuniga liess auf offener Strasse eine Zechtafel f?r das Volk errichten. Fahrende S?nger und Liederdichter flochten nun in ihre oft rezitierten Strophen gern einen Vers ein zum Preis der innigen Liebe zwischen Philipp und Johanna von Castilien. Aber der Hof zu Burgos wurde allm?hlich eine St?tte des Schweigens. Den Pagen, Rittern und Edelfrauen ging der Stoff zu schwatzen aus. Ein vereinzeltes Lanzenstechen half auch nur ?ber ein paar Tage hinweg. Die Herren sassen oft betr?bter da als nach verlorenen Schlachten, und manche erbaten den Abschied, um nach Rom, Madrid oder Flandern zu ziehen. Kamen die sp?ttischen Granden zusammen, so hiess es: was macht Philipp? schl?ft er noch? Und es wurde erwidert: wenn der D?rstende trinkt, so spricht er nicht. Der Herzog zeigte sich selten ?ffentlich. Sobald die Ratsgesch?fte erledigt waren, bei denen er ein ernst-wohlwollendes Betragen an den Tag legte, zog er sich wieder in seine Gem?cher zur?ck. War eine Jagd angesagt, so liess er die Geladenen oftmals allein ziehen oder entfernte sich von der Gesellschaft, wenn es gerade am lustigsten war, und ritt davon. Dann berichteten Hirten, dass sie ihn in einem einsamen Tal angetroffen h?tten, wo das Pferd sich selbst ?berlassen an einem Abhang graste, indes Philipp ruhvoll auf der Erde lag und den Blick in die Wolken sandte. Einige liessen sch?chtern verlauten, er sei eben im Bann gewisser Zauberk?nste. Doch mit Bestimmtheit wusste man nur, dass Johanna ihm italienische Gedichte vorlas, auch die Berichte der Seefahrer ?ber die indischen L?nder und die neuen Traktate ?ber den Sternenhimmel, die in Deutschland gedruckt wurden. Das Gerede blieb haltlos; zudem war der Herzog nach wie vor ein eifriger Kircheng?nger und bei den geistlichen Umz?gen zeigte er solche Andacht, dass es ergreifend war, in sein helles J?nglingsgesicht zu schauen. Es kam aber die Zeit, wo in diesem Gesicht bisweilen eine rasche Angst aufzuckte. Da wurde dann die glattgespannte Stirn schlaff und warf eine erm?dete Falte. Doch musste Philipp allein sein, um den Mut zu finden, diesem Ziehen ausserhalb der Haut nachzugeben. Etwa wenn er in der D?mmerung am Fenster stand und ?ber die Baumwipfel hinwegsp?hte, in deren ?sten der Fr?hling prickelte. Auch geschah es vor dem Einschlafen in der Nacht, dass ein Seufzer ?ber seine Lippen eilte. Vor dem Traum flog sein Geist an die fernen Ufer der Donau. Dort war das Leben viel leichter; es schien, als k?nne man dort mit pl?tzlich unbelasteter Schulter wandeln. Philipp sehnte sich nach einem Spiel. Nicht nach ritterlichem Spiel, - er hatte h?ufig Lust, sich mit Landsknechten an einen schmutzigen Kneipentisch zu hocken und mit ihnen Karten zu spielen. Es reizte ihn, an ihren rohen Scherzen teilzunehmen, f?r sich allein trieb er Rede und Widerrede, vergn?gte sich innerlich an einer unfl?tigen Wendung und kicherte, wenn er den Beifall der eingebildeten H?rer erworben zu haben glaubte. Ja, er trug Begierde nach etwas Gemeinem, L?sternem, Schmutzigem und Verruchtem. Diese Begierde wuchs, da er sie vor der Welt und sich selbst mit Sorgfalt zu verbergen trachtete. Nach l?ngerem Beisammensein mit Johanna fielen ihm vor Ersch?pfung die Augen zu, und er sah aus, als schlafe er im Gehen und im Stehen. Denn sie spannte seine Seele, sie dehnte seine Seele ?ber alles Verm?gen. Wenn sie sprach oder schwieg, war es gleich schwer, immer gegenw?rtig zu sein. Ihr Schweigen war wie ein Marmorblock, den er auf seinen H?nden tragen sollte. H?nde, Arme und der ganze Leib gerieten durch das Gewicht des Blocks nach und nach ins Zittern, und die Kraft versagte. Sie ahnte nichts davon, die mit aufgereckter Inbrunst ihm zur Seite ging, best?ndig trunken von derselben d?nnen Luft. Hier war ein geheimnisvoller Kreis, in dem zu schreiten die Nerven bis zum Klingen auseinanderzerrte. Ihn zu verlassen, schien bedenklich, denn jenseits war vielleicht der Tod. Philipp f?rchtete sich vor seinem Weib. Einst gedachte er der n?chtlichen Streiche, die er verkleidet in Gesellschaft des Pfalzgrafen ver?bt. Er verkleidete sich ebenso, und als es Nacht war, trieb er sich in den Gassen herum, mischte sich in die H?ndel zwischen ein paar franz?sischen Buschkleppern, brach einem schwarzen Hund, der ihm bellend an die Schulter sprang, mit einem Griff das Genick, fand eine Schenke voll schw?bischer S?ldner, denen er soviel Wein auftischen liess, dass sie schliesslich allesamt wie tot auf der Erde lagen, und gelangte beim Morgengrauen unerkannt wieder ins Schloss. Es war ein Auf- und Ausatmen. Eine Woche vor Johannas Niederkunft kam der Connetable mit einer vertraulichen Botschaft des K?nigs. Er gab dem Herzog zu verstehen, wie grosse Bedenken es habe, das Kind in den H?nden einer Frau zu lassen, die nach dem Zeugnis aller Urteilsf?higen der gesunden Vernunft entbehre. Wenn auch neuerdings das Unwesen sich gemildert habe, so bestehe doch keine Sicherheit, schon der n?chste Tag k?nne den Geist der Infantin wieder verdunkeln. Der Herzog m?ge besserer Einsicht Geh?r schenken und das Kind aus dem d?monischen Bereich entfernen; der Hof von Madrid erkl?rte sich bereit, die Erziehung zu ?bernehmen. Philipp str?ubte sich zuerst, gab aber bald nach. Es kam ein M?dchen zur Welt, das am siebenten Tag seines Alters der m?tterlichen Hut entwendet wurde. Als die Infantin sich aus ihrem Bett erhob, konnte ihr der Sachverhalt nicht verheimlicht werden. Man stellte aber alles so dar, als ob ein Beweis der gn?digen Gesinnung des K?nigs vorliege. Johanna h?rte ruhig zu. Sie verlangte den Herzog zu sprechen. Es wurde ihr bedeutet, Don Philipp habe in dringenden Gesch?ften verreisen m?ssen. In Wirklichkeit hielt sich Philipp auf einem Schloss in Arragon versteckt, bis er annehmen durfte, Johanna habe sich dem Unvermeidlichen ergeben. Er hatte ein paar gesellige Kumpane mit sich genommen, darunter den Ritter Franz von Kastilalt, einen Abenteurer und Possenreisser. Dieser wurde sein unzertrennlicher Trabant; auf die Gunst des Herzogs bauend, ver?bte er mancherlei Untaten und wurde der Schrecken friedlicher B?rger. Er war ein so gewaltiger Fresser, dass ihn einst der Graf von Aranda um Gottes willen ersuchte, sein Gebiet zu verlassen, weil er und seine Leute eine Hungersnot herbeif?hren k?nnten. Dem Herzog wurde die Stadt zu eng und von Castilien sprach er als von einer Provinz des Teufels. Verhasst wurde ihm sein Haus, verhasst der Himmel, der es bedeckte. Schien die Sonne, so beklagte er sich ?ber ihre Glut, fiel Regen, so meinte er h?hnisch, ein Land, das Wasser geb?re statt Wein, m?sse man fliehen. Und er floh. Als die Unruhen in Flandern ausbrachen, begab er sich ?bers Meer nach Antwerpen, dort blieb er aber auch nicht lange, sondern zog den Rhein hinauf nach der fr?hlichen Stadt K?ln und zu seinem getreuen Pfalzgrafen. Dann hetzte es ihn weiter, er suchte die Heimat auf und verliess sie wieder, entt?uscht, beklommen und grundlos erbittert. Die Herren am kaiserlichen Hof wunderten sich ?ber die unvertr?gliche Natur des Prinzen und seine hitzige Art; denn Philipp war ehedem sanft gewesen. Im ersten Monat des neuen Jahrhunderts, als die Kometen Unheil ank?ndeten und die schwarze Pest aus Asiens W?sten hauchte, machte sich Don Philipp abermals auf und zog nach der niederl?ndischen Stadt Gent. Wie er nur noch eine Stunde von den Mauern entfernt war, kamen ihm der Audiencier und Meister Jakob von Goudebault entgegen und teilten ihm mit, dass Donna Johanna, hochschwangeren Leibes, seiner im Schloss harre. Sie war wenige Tage zuvor von Spanien eingetroffen, voll Sehnsucht nach dem Gemahl. Don Philipp klopfte das Herz. In den sieben Monaten seiner Abwesenheit hatte er Johanna gleichsam aus seinem Innern verloren. Er wusste nicht mehr, wie sie aussah, wie sie sprach; er erinnerte sich nicht mehr an die Farbe ihrer Augen und an die Form ihrer Schultern; ihre Stimme klang ihm nicht mehr im Ohr, seine Gedanken hatten sich ihrer entw?hnt. Geblieben war nur die zunehmende Bangigkeit, wenn er sich vorstellte, eines Tages wieder Angesicht in Angesicht mit ihr sein zu sollen. Er hatte ihren Namen durch die L?nder geschleppt; nichts weiter als ihren Namen. Sie mit Leib und Geist in der Stadt Gent zu wissen, ?berraschte und erschreckte ihn. Er verz?gerte den Einzug auf alle Weise, so dass seine Leute nicht wussten, was sie davon denken sollten. Dennoch durchflammte ihn gleichzeitig die ?usserste Ungeduld und suchte ihn zu bereden, dass die alte Leidenschaft wieder erstanden sei. Als er Johannas Lippen auf den seinen sp?rte, starrte er offenen Auges und stockenden Atems auf ihre bernsteingelben Lider, die sich tief herabgesenkt hatten wie in einem Schlaf der Liebe. Ihm war, als m?sse er mit einem Messer die beiden zitternden Hautkugeln durchritzen, um Sonnenlicht durch diese Beh?lter der Finsternis zu giessen. Das grosse Gent gab dem Herzog zu Ehren ein Fest. Um Mitternacht, als Tanz und Lustbarkeit im besten Zuge waren, f?hlte sich die Infantin sehr unwohl. Ehe man sie hinwegf?hren konnte, gebar sie im dichten Kreis ihrer Damen ein Kind. Es war ein Knabe und er wurde Carlos genannt. Die Herzogin Margarete nahm ihn in Obsorge. Diesmal kam der Entschluss, das Kind in der flandrischen Stadt zu lassen, von Philipp selbst. Als man das Schiff zur R?ckkehr nach Burgos betrat, war die Infantin noch des Glaubens, ihr Knabe sei mit an Bord. Erst auf hohem Meer erfuhr sie, dass dem nicht so war. Mit einem langen Schrei st?rzte sie aufs Verdeck, um sich in die Wellen zu werfen, um zur?ckzuschwimmen und das Kind zu holen. Ein Matrose packte sie noch am Arm. Bewusstlos fiel sie hin. Dieses Kind hatte sie mit dem Wissen einer Mutter im Schoss getragen. Die lange Trennung von Philipp hatte ihr Gef?hl zur Tiefe gedr?ngt. Der h?fisch gemessene Stil ihrer Briefe an ihn war die Schanze, hinter der sie die Zuckungen und Tr?nen ihrer einsamen Leidenschaft verbarg. Auf das unsichtbare, jedoch so nahe, ja mit ihr selbst verschmolzene Gesch?pf b?rdete sie die Sch?nheit und den Reichtum der Erde wie man das Bild der Muttergottes mit Rosen und Kostbarkeiten beh?ngt. Sie hatte den Strahl seines Auges aus der D?mmerung des Nochnichtseins aufgefangen, sie hatte es schon ganz im Besitz und es mit verz?ckten Armen ?ber sich und ?ber Philipp hinausgehoben, um es Gott n?her zu bringen. Mit entz?ndeter Phantasie hatte sie seine Seele erschaffen. Sie hatte seinen Geist aus Tr?umen gemeisselt und ihre Liebe, bisher k?rperlos verschwebend, hatte ein Gef?ss erhalten, atmende, zeugende Gegenwart. Durch den neuerlichen Raub sah sie sich ausgestossen aus der Welt und aus sich selbst. In frierender Bl?sse war sie schamloser Neugier preisgegeben. Sie erschien sich entkr?ftet und zweigeteilt. Sie verlor die seltsam umschleierte Sicherheit von Rede, Schritt und Haltung, bewahrte aber doch ihre Ruhe. Wie ehemals formte sich alles zur geduldigen Erwartung, doch war es nicht mehr die Erwartung vor dem Anbruch des Tages, sondern diejenige vor dem Kommen der Nacht. Es tr?umte ihr, dass sie zwei Teller sah, die wie zwei gefallene Monde anzuschauen waren. Auf jedem der beiden Teller lag ein Herz, auf dem einen das ihre, auf dem andern Philipps Herz. Ihr Herz war scharlachfarben, von den Seiten rann Blut und quoll ?ber die bl?ulich leuchtende Schale. Philipps Herz war blass und schleimig; es erinnerte an jene Quallen, die das Meer bisweilen an den Strand sp?lt. Da trat eine Gestalt heran, packte Johannas Herz und warf es empor. Es stieg aber kaum ?ber Baumesh?he und fiel schwer zur?ck. Dann schleuderte dieselbe Hand Philipps Herz empor, und dies flog leicht wie eine Rakete bis in die Wolken und kam nicht mehr zum Vorschein. F?rchterlich zu denken, dass sie die unreife Frucht gepfl?ckt haben sollte und dass S?sses pl?tzlich bitter geworden war. >>?ffne deine H?nde!<< gebot sie Philipp nach einer Gewitternacht, die sie zusammen auf der Burg bei Illescas verbracht hatten. Er ?ffnete seine H?nde und sie gewahrte, dass es die kleinen H?nde eines Pagen waren. Der eine Daumenballen war von einer Falkenkralle zerrissen. >>Warum l?chelst du?<< fragte sie verwundert; sie erkannte, dass dies L?cheln sein Schild war, hinter dem sich niedrige Geheimnisse versteckten. Auf die Wand der Kapelle, in der sie zu beten pflegte, war eine Szene gemalt: ein sch?ner J?ngling, der vor der geisterhaften Erscheinung des heiligen Jago die Flucht ergreift. Wenn sie in Philipps dunkelgr?ne Augen blickte, sah sie in unendlicher Verkleinerung das Bild des fliehenden J?nglings darin. Stets ergriff er die Flucht vor ihr. Sein geringstes Wort, seine zuf?lligste Bewegung ergriff die Flucht vor ihr. Wenn sie sprach, senkte er den Kopf und alles an ihm verstummte. Ging sie mit den Frauen ?ber die Galerien und er stand mit seinen Freunden im Hofe, so h?rte er auf zu scherzen und legte mit bek?mmerter Miene den Arm ?ber den Hals des Pferdes. F?nfundzwanzig Tage des Monats war er fort vom Schlosse. Die Bringer von wichtigen Nachrichten mussten warten. Wo ist Don Philipp? fragten die R?te. Geantwortet wurde: er jagt mit dem Grafen Balduin; oder er zecht mit dem Ritter Kastilalt; oder er ist zum Winzerfest nach Saragossa geritten. Es gab auch Ausk?nfte, die man nur heimlich zu raunen wagte; denn nicht selten spielten die sch?nen Maurinnen eine Rolle bei den Zerstreuungen der Herren. Wenn Philipp, wie es selten geschah, zur Nachtzeit das Gemach Johannas betrat, war er fast jedesmal trunken. Seine Liebkosungen rochen nach Wein, seine Leidenschaft war ger?uschvoll und prahlerisch. Sein Gem?t war im Rausch der L?ge wie sein Blut im Rausch des Weines. Er merkte nicht, wie dann alles an Johanna lautlos schluchzte und ihr Kuss ein Krampf der Reue wurde. Er hatte noch immer nicht gelernt, in Menschengesichtern zu lesen; er hatte den Geist eines Pagen. Wenn er auf dem Pferde sass und den Kopf stolz zur Seite drehte, dann mochte er als ein Wesen f?r sich erscheinen. Aber seine Zunge war von Gott versiegelt, und er wusste nichts von dem Schmerz um sich selbst. Wie die Tage sich ausspannen zu Wochen und die Monate sich zu Jahren dehnten, empfand Johanna kaum. Sie brachte ein drittes Kind zur Welt, ein viertes, ein f?nftes. Sie trug sie unter einem ver?deten Herzen und gebar sie - hoffnungslos. Alle wurden ihr genommen wie jenes Kind der Liebe; ihr war, als setze sie Gespenster ins Leben, Dinge, die zu Luft verrannen, wenn ihr sehns?chtiger Arm nach ihnen griff. In ihre tiefe Verlassenheit blickten aus weiter Ferne, von hyperboreischer Meeresk?ste her die lebendigen Augen ihres Sohnes Karl. Sie wusste nicht mehr von ihm, als man von den Sagenfiguren aus der Vorzeit erf?hrt. Ihr vernichtetes und gescheuchtes Herz grub sich weiter in die Nacht. In fremdartiger Hitze rollte ihr Blut. Beim Anblick der Sterne konnte sie vor Ungeduld zittern und die Hand auf die zum Aufschrei ge?ffneten Lippen pressen. Des Schlafes bedurfte sie kaum. Was sie sprach, klang feindselig und verworren. Einmal nahm sie Petrarcas Sonette zur Hand und las; pl?tzlich schleuderte sie das Buch, von Wut, Gram und Hass ?berw?ltigt, weit weg, hob es wieder auf, riss es in Fetzen und zerstampfte, was davon ?brig war, mit den F?ssen. Ihre Ruhelosigkeit erregte den Schrecken aller Bewohner des Palastes; selbst ihr Beichtvater hatte Angst vor den lodernden Augen. Wenn alles schlief, ging sie mit der Kerze langsam durch ihr Zimmer, doch schritt sie nie durch die Mitte des Raumes, sondern an den W?nden entlang. Und ihr blosser Hals leuchtete ?ber dem dunklen Kleid wie der Stengel einer Blume, die sich vor dem Sturme senkt. Es ereignete sich nun, dass eine sch?ne Portugiesin an den Hof zu Burgos kam, deren Name Benigna von Latiloe war. Sie wohnte im Hause Don Inigos de Stuniga, dort sah sie auch den Herzog zum ersten Mal und sie geriet in solche Liebe zu ihm, dass alle, die zugegen waren, es sogleich merkten. Philipp jedoch verhielt sich k?hl, trotzdem die Dame von bezaubernder Anmut war und auch einigen Geist besass. Bei sp?teren Begegnungen wich er um so weniger von seinem h?flichen, aber gemessenen Betragen ab, als ihm der Eifer Donna Benignas l?stig zu werden begann und ihre Nachstellung den Stoff des ?ffentlichen Geredes bildete. W?re sie geschickt und kokett genug gewesen, seine Eroberungslust zu reizen, so w?re sie vielleicht Gunstfr?ulein geworden, denn andere, die sich nicht solcher Gaben r?hmen konnten wie sie, wurden dieses Vorzugs leicht zuteil; ihr schlug es fehl. Die Aufrichtigkeit ihrer Leidenschaft war zu gross. Das Unheil wollte es, dass der Ritter Franz von Kastilalt, der noch immer der unzertrennliche Begleiter Don Philipps war, sich mit ebensolcher Heftigkeit in die sch?ne Portugiesin verliebte, wie diese in den Herzog. Er fand aber kein Geh?r, und seine ungest?men Bem?hungen machten ihn bloss zum Gegenstand des Abscheus f?r das Fr?ulein. Als er sah, dass ein Gl?ck, welches Philipp gleichg?ltig verschm?hte, ihm verwehrt sein sollte, wurde er von t?dlichem Hass erf?llt, nicht nur gegen Donna Benigna, sondern auch gegen seinen Herrn, und seiner t?ckischen Gem?tsart entsprechend, sann er darauf, an beiden sich zu r?chen. H?ufig war er Helfer und Anstifter bei den Liebesabenteuern Philipps gewesen. Er wusste, dass dieser mit ?ngstlicher Sorgsamkeit dar?ber wachte, sein Treiben vor Donna Johanna geheim zu halten und nur auf Schleichwegen den leichtsinnigen Neigungen fr?hnte. Wie alle war auch Ritter Kastilalt davon ?berzeugt, dass die Infantin mit unsichtbaren M?chten im B?ndnis sei, und er beschloss, den Herzog und Donna Benigna bei Johanna zu verraten, als ob sie in verbotener Beziehung st?nden. Zu diesem Zweck wusste er sich die Briefe anzueignen, welche die Portugiesin fast t?glich an Philipp sandte, und w?hlte diejenigen aus, deren hingebender und z?rtlicher Ton wohl darauf schliessen lassen konnte, dass die Anklage des Ritters auf Wahrheit beruhe. Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page |
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