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Read Ebook: Klingsors letzter Sommer by Hesse Hermann
Font size: Background color: Text color: Add to tbrJar First Page Next PageEbook has 754 lines and 57405 words, and 16 pagesKlingsors letzter Sommer Erz?hlungen von Hermann Hesse Von diesem Werk wurden f?r Hermann Hesse 100 numerierte Exemplare auf holzfreiem Papier abgezogen, die mit seiner Unterschrift nur vom Dichter selbst zu beziehen sind Erste bis zehnte Auflage Alle Rechte, besonders das der ?bersetzung, vorbehalten Copyright S. Fischer, Verlag, Berlin Kinderseele Manchmal handeln wir, gehen aus und ein, tun dies und das, und es ist alles leicht, unbeschwert und gleichsam unverbindlich, es k?nnte scheinbar alles auch anders sein. Und manchmal, zu anderen Stunden, k?nnte nichts anders sein, ist nichts unverbindlich und leicht, und jeder Atemzug, den wir tun, ist von Gewalten bestimmt und schwer von Schicksal. Die Taten unseres Lebens, die wir die guten nennen und von denen zu erz?hlen uns leicht f?llt, sind fast alle von jener ersten, >>leichten<< Art, und wir vergessen sie leicht. Andere Taten, von denen zu sprechen uns M?he macht, vergessen wir nie mehr, sie sind gewissermassen mehr unser als andere, und ihre Schatten fallen lang ?ber alle Tage unseres Lebens. Unser Vaterhaus, das gross und hell an einer hellen Strasse lag, betrat man durch ein hohes Tor, und sogleich war man von K?hle, D?mmerung und steinern feuchter Luft umfangen. Eine hohe, d?stere Halle nahm einen schweigsam auf, der Boden von roten Sandsteinfliesen f?hrte leicht ansteigend gegen die Treppe, deren Beginn zuhinterst tief im Halbdunkel lag. Viele tausend Male bin ich durch dies hohe Tor eingegangen, und niemals hatte ich acht auf Tor und Flur, Fliesen und Treppe; dennoch war es immer ein ?bergang in eine andere Welt, in >>unsere<< Welt. Die Halle roch nach Stein, sie war finster und hoch, hinten f?hrte die Treppe aus der dunklen K?hle empor und zu Licht und hellem Behagen. Immer aber war erst die Halle und die ernste D?mmerung da: etwas von Vater, etwas von W?rde und Macht, etwas von Strafe und schlechtem Gewissen. Tausendmal ging man lachend hindurch. Manchmal aber trat man herein und war sogleich erdr?ckt und zerkleinert, hatte Angst, suchte rasch die befreiende Treppe. Als ich elf Jahre alt war, kam ich eines Tages von der Schule her nach Hause, an einem von den Tagen, wo Schicksal in den Ecken lauert, wo leicht etwas passiert. An diesen Tagen scheint jede Unordnung und St?rung der eigenen Seele sich in unserer Umwelt zu spiegeln und sie zu entstellen. Unbehagen und Angst beklemmen unser Herz, und wir suchen und finden ihre vermeintlichen Ursachen ausser uns, sehen die Welt schlecht eingerichtet und stossen ?berall auf Widerst?nde. ?hnlich war es an jenem Tage. Von fr?h an bedr?ckte mich -- wer weiss woher? vielleicht aus Tr?umen der Nacht -- ein Gef?hl wie schlechtes Gewissen, obwohl ich nichts Besonderes begangen hatte. Meines Vaters Gesicht hatte am Morgen einen leidenden und vorwurfsvollen Ausdruck gehabt, die Fr?hst?cksmilch war lau und fad gewesen. In der Schule war ich zwar nicht in N?te geraten, aber es hatte alles wieder einmal trostlos, tot und entmutigend geschmeckt und hatte sich vereinigt zu jenem mir schon bekannten Gef?hl der Ohnmacht und Verzweiflung, das uns sagt, dass die Zeit endlos sei, dass wir ewig und ewig klein und machtlos und im Zwang dieser bl?den, stinkenden Schule bleiben werden, Jahre und Jahre, und dass dies ganze Leben sinnlos und widerw?rtig sei. Auch ?ber meinen derzeitigen Freund hatte ich mich heute ge?rgert. Ich hatte seit kurzem eine Freundschaft mit Oskar Weber, dem Sohn eines Lokomotivf?hrers, ohne recht zu wissen, was mich zu ihm zog. Er hatte neulich damit geprahlt, dass sein Vater sieben Mark im Tag verdiene, und ich hatte aufs Geratewohl erwidert, der meine verdiene vierzehn. Dass er sich dadurch hatte imponieren lassen, ohne Einw?nde zu machen, war der Anfang der Sache gewesen. Einige Tage sp?ter hatte ich mit Weber einen Bund gegr?ndet, indem wir eine gemeinsame Sparkasse anlegten, aus welcher sp?ter eine Pistole gekauft werden sollte. Die Pistole lag im Schaufenster eines Eisenh?ndlers, eine massive Waffe mit zwei bl?ulichen Stahlrohren. Und Weber hatte mir vorgerechnet, dass man nur eine Weile richtig zu sparen brauche, dann k?nne man sie kaufen. Geld gebe es ja immer, er bekomme sehr oft einen Zehner f?r Ausg?nge, oder sonst ein Trinkgeld, und manchmal finde man Geld auf der Gasse, oder Sachen mit Geldeswert, wie Hufeisen, Bleist?cke und anderes, was man gut verkaufen k?nne. Einen Zehner hatte er auch sofort f?r unsere Kasse hergegeben, und der hatte mich ?berzeugt und mir unseren ganzen Plan als m?glich und hoffnungsvoll erscheinen lassen. Ich f?hlte dunkel, dass meine Freundschaft zu Weber und seiner Sparkasse nichts war als wilde Sehnsucht nach jener >>Welt<<. An Weber war nichts f?r mich liebenswert, als sein grosses Geheimnis, kraft dessen er den Erwachsenen n?her stand als ich, in einer schleierlosen, nackteren, robusteren Welt lebte, als ich mit meinen Tr?umen und W?nschen. Und ich f?hlte voraus, dass er mich entt?uschen w?rde, dass es mir nicht gelingen werde, ihm sein Geheimnis und den magischen Schl?ssel zum Leben zu entreissen. Eben hatte er mich verlassen, und ich wusste, er ging nun nach Hause, breit und beh?big, pfeifend und vergn?gt, von keiner Sehnsucht, von keinen Ahnungen verd?stert. Wenn er die Dienstm?gde und Fabrikler antraf und ihr r?tselhaftes, vielleicht wunderbares, vielleicht verbrecherisches Leben f?hren sah, so war es ihm kein R?tsel und ungeheures Geheimnis, keine Gefahr, nichts Wildes und Spannendes, sondern selbstverst?ndlich, bekannt und heimatlich wie der Ente das Wasser. So war es. Und ich hingegen, ich w?rde immer nebendraussen stehen, allein und unsicher, voll von Ahnungen, aber ohne Gewissheit. ?berhaupt, das Leben schmeckte an jenem Tage wieder einmal hoffnungslos fade, der Tag hatte etwas von einem Montag an sich, obwohl er ein Samstag war, er roch nach Montag, dreimal so lang und dreimal so ?de als die anderen Tage. Verdammt und widerw?rtig war dies Leben, verlogen und ekelhaft war es. Die Erwachsenen taten, als sei die Welt vollkommen und als seien sie selber Halbg?tter, wir Knaben aber nichts als Auswurf und Abschaum. Diese Lehrer --! Man f?hlte Streben und Ehrgeiz in sich, man nahm redliche und leidenschaftliche Anl?ufe zum Guten, sei es nun zum Lernen der griechischen Unregelm?ssigen oder zum Reinhalten seiner Kleider, zum Gehorsam gegen die Eltern oder zum schweigenden, heldenhaften Ertragen aller Schmerzen und Dem?tigungen -- ja, immer und immer wieder erhob man sich, gl?hend und fromm, um sich Gott zu widmen und den idealen, reinen, edlen Pfad zur H?he zu gehen, Tugend zu ?ben, B?ses stillschweigend zu dulden, anderen zu helfen -- ach, und immer und immer wieder blieb es ein Anlauf, ein Versuch und kurzer Flatterflug! Immer wieder passierte schon nach Tagen, o schon nach Stunden etwas, was nicht h?tte sein d?rfen, etwas Elendes, Betr?bendes und Besch?mendes. Immer wieder fiel man mitten aus den trotzigsten und adligsten Entschl?ssen und Gel?bnissen pl?tzlich unentrinnbar in S?nde und Lumperei, in Alltag und Gew?hnlichkeiten zur?ck! Warum war es so, dass man die Sch?nheit und Richtigkeit guter Vors?tze so wohl und tief erkannte und im Herzen f?hlte, wenn doch best?ndig und immerzu das ganze Leben nach Gew?hnlichkeit stank und ?berall darauf eingerichtet war, das Sch?bige und Gemeine triumphieren zu lassen? Wie konnte es sein, dass man morgens im Bett auf den Knien oder nachts vor angez?ndeten Kerzen sich mit heiligem Schwur dem Guten und Lichten verb?ndete, Gott anrief und jedem Laster f?r immer Fehde ansagte -- und dass man dann, vielleicht bloss ein paar Stunden sp?ter, an diesem selben heiligen Schwur und Vorsatz den elendesten Verrat ?ben konnte, sei es auch nur durch das Einstimmen in ein verf?hrerisches Gel?chter, durch das Geh?r, das man einem dummen Schulbubenwitze lieh? Warum war das so? Ging es andern anders? Waren die Helden, die R?mer und Griechen, die Ritter, die ersten Christen -- waren diese alle andere Menschen gewesen als ich, besser, vollkommener, ohne schlechte Triebe, ausgestattet mit irgendeinem Organ, das mir fehlte, das sie hinderte, immer wieder aus dem Himmel in den Alltag, aus dem Erhabenen ins Unzul?ngliche und Elende zur?ckzufallen? War die Erbs?nde jenen Helden und Heiligen unbekannt? War das Heilige und Edle nur Wenigen, Seltenen, Auserw?hlten m?glich? Aber warum war mir, wenn ich nun also kein Auserw?hlter war, dennoch dieser Trieb nach dem Sch?nen und Adligen eingeboren, diese wilde, schluchzende Sehnsucht nach Reinheit, G?te, Tugend? War das nicht zum Hohn? Gab es das in Gottes Welt, dass ein Mensch, ein Knabe, gleichzeitig alle hohen und alle b?sen Triebe in sich hatte und leiden und verzweifeln musste, nur so als eine ungl?ckliche und komische Figur, zum Vergn?gen des zuschauenden Gottes? Gab es das? Und war dann nicht -- ja war dann nicht die ganze Welt ein Teufelsspott, gerade wert, sie anzuspucken?! War dann nicht Gott ein Scheusal, ein Wahnsinniger, ein dummer, widerlicher Hanswurst? -- Ach, und w?hrend ich mit einem Beigeschmack von Emp?rerwollust diese Gedanken dachte, strafte mich schon mein banges Herz durch Zittern f?r die Blasphemie! Wie deutlich sehe ich, nach dreissig Jahren, jenes Treppenhaus wieder vor mir, mit den hohen, blinden Fenstern, die gegen die nahe Nachbarmauer gingen und so wenig Licht gaben, mit den weissgescheuerten, tannenen Treppen und Zwischenb?den und dem glatten, harth?lzernen Gel?nder, das durch meine tausend sausenden Abfahrten poliert war! So fern mir die Kindheit steht, und so unbegreiflich und m?rchenhaft sie mir im ganzen erscheint, so ist mir doch alles genau erinnerlich, was schon damals, mitten im Gl?ck, in mir an Leid und Zwiespalt vorhanden war. Alle diese Gef?hle waren damals im Herzen des Kindes schon dieselben, wie sie es immer blieben: Zweifel am eigenen Wert, Schwanken zwischen Selbst?bersch?tzung und Mutlosigkeit, zwischen weltverachtender Idealit?t und gew?hnlicher Sinneslust -- und wie damals, so sah ich auch hundertmal sp?ter noch in diesen Z?gen meines Wesens bald ver?chtliche Krankheit, bald Auszeichnung, habe zu Zeiten den Glauben, dass mich Gott auf diesem qualvollen Wege zu besonderer Vereinsamung und Vertiefung f?hren wolle, und finde zu andern Zeiten wieder in alledem nichts als die Zeichen einer sch?bigen Charakterschw?che, einer Neurose, wie Tausende sie m?hsam durchs Leben schleppen. Wenn ich alle die Gef?hle und ihren qualvollen Widerstreit auf ein Grundgef?hl zur?ckf?hren und mit einem einzigen Namen bezeichnen sollte, so w?sste ich kein anderes Wort als: Angst. Angst war es, Angst und Unsicherheit, was ich in allen jenen Stunden des gest?rten Kindergl?cks empfand: Angst vor Strafe, Angst vor dem eigenen Gewissen, Angst vor Regungen meiner Seele, die ich als verboten und verbrecherisch empfand. Auch in jener Stunde, von der ich erz?hle, kam dies Angstgef?hl wieder ?ber mich, als ich in dem heller und heller werdenden Treppenhause mich der Glast?r n?herte. Es begann mit einer Beklemmung im Unterleib, die bis zum Halse emporstieg und dort zum W?rgen oder zu ?belkeit wurde. Zugleich damit empfand ich in diesen Momenten stets, und so auch jetzt, eine peinliche Geniertheit, ein Misstrauen gegen jeden Beobachter, einen Drang zu Alleinsein und Sichverstecken. Mit diesem ?blen und verfluchten Gef?hl, einem wahren Verbrechergef?hl, kam ich in den Korridor und in das Wohnzimmer. Ich sp?rte: es ist heut der Teufel los, es wird etwas passieren. Ich sp?rte es, wie der Barometer einen ver?nderten Luftdruck sp?rt, mit rettungsloser Passivit?t. Ach, nun war es wieder da, dies Uns?gliche! Der D?mon schlich durchs Haus, Erbs?nde nagte am Herzen, riesig und unsichtbar stand hinter jeder Wand ein Geist, ein Vater und Richter. Noch wusste ich nichts, noch war alles bloss Ahnung, Vorgef?hl, nagendes Unbehagen. In solchen Lagen war es oft das beste, wenn man krank wurde, sich erbrach und ins Bett legte. Dann ging es manchmal ohne Schaden vor?ber, die Mutter oder Schwester kam, man bekam Tee und sp?rte sich von liebender Sorge umgeben, und man konnte weinen oder schlafen, um nachher gesund und froh in einer v?llig verwandelten, erl?sten und hellen Welt zu erwachen. Meine Mutter war nicht im Wohnzimmer, und in der K?che war nur die Magd. Ich beschloss, zum Vater hinauf zu gehen, zu dessen Studierzimmer eine schmale Treppe hinauff?hrte. Wenn ich auch Furcht vor ihm hatte, zuweilen war es doch gut, sich an ihn zu wenden, dem man so viel abzubitten hatte. Bei der Mutter war es einfacher und leichter, Trost zu finden; beim Vater aber war der Trost wertvoller, er bedeutete einen Frieden mit dem richtenden Gewissen, eine Vers?hnung und ein neues B?ndnis mit den guten M?chten. Nach schlimmen Auftritten, Untersuchungen, Gest?ndnissen und Strafen war ich oft aus des Vaters Zimmer gut und rein hervorgegangen, bestraft und ermahnt zwar, aber voll neuer Vors?tze, durch die Bundesgenossenschaft des M?chtigen gest?rkt gegen das feindliche B?se. Ich beschloss, den Vater aufzusuchen und ihm zu sagen, dass mir ?bel sei. Und so stieg ich die kleine Treppe hinauf, die zum Studierzimmer f?hrte. Diese kleine Treppe mit ihrem eigenen Tapetengeruch und dem trockenen Klang der hohlen, leichten Holzstufen war noch unendlich viel mehr als die Hausflur ein bedeutsamer Weg und ein Schicksalstor; ?ber diese Stufen hatten viele wichtige G?nge mich gef?hrt, Angst und Gewissensqual hatte ich hundertmal dort hinaufgeschleppt, Trotz und wilden Zorn, und nicht selten hatte ich Erl?sung und neue Sicherheit zur?ckgebracht. Unten in unsrer Wohnung waren Mutter und Kind zu Hause, dort wehte harmlose Luft; hier oben wohnten Macht und Geist, hier waren Gericht und Tempel und das >>Reich des Vaters<<. Etwas beklommen wie immer dr?ckte ich die altmodische Klinke nieder und ?ffnete die T?r halb. Der v?terliche Studierzimmergeruch floss mir wohlbekannt entgegen: B?cher- und Tintenduft verd?nnt durch blaue Luft aus halboffnen Fenstern, weisse, reine Vorh?nge, ein verlorner Faden von K?lnisch-Wasser-Duft, und auf dem Schreibtisch ein Apfel. -- Aber die Stube war leer. Mit einer Empfindung halb von Entt?uschung und halb von Aufatmen trat ich ein. Ich d?mpfte meinen Schritt und trat nur mit den Zehen auf, so wie wir hier oben manchmal gehen mussten, wenn der Vater schlief oder Kopfweh hatte. Und kaum war dies leise Gehen mir bewusst geworden, so bekam ich Herzklopfen und sp?rte verst?rkt den angstvollen Druck im Unterleib und in der Kehle wieder. Ich ging schleichend und angstvoll weiter, einen Schritt und wieder einen Schritt, und schon war ich nicht mehr ein harmloser Besucher und Bittsteller, sondern ein Eindringling. Mehrmals schon hatte ich heimlich in des Vaters Abwesenheit mich in seine beiden Zimmer geschlichen, hatte sein geheimes Reich belauscht und erforscht und hatte zweimal auch etwas daraus entwendet. Die Erinnerung daran war alsbald da und erf?llte mich, und ich wusste sofort: jetzt war das Ungl?ck da, jetzt passierte etwas, jetzt tat ich Verbotenes und B?ses. Kein Gedanke an Flucht! Vielmehr, ich dachte wohl daran, dachte sehnlich und inbr?nstig daran, davonzulaufen, die Treppe hinab und in mein St?bchen oder in den Garten -- aber ich wusste, ich werde das doch nicht tun, nicht tun k?nnen. Innig w?nschte ich, mein Vater m?chte sich im Nebenzimmer r?hren und hereintreten und den ganzen grauenvollen Bann durchbrechen, der mich d?monisch zog und fesselte. O k?me er doch! K?me er doch, scheltend meinetwegen, aber k?me er nur, eh es zu sp?t ist! Ich hustete, um meine Anwesenheit zu melden, und als keine Antwort kam, rief ich leise: >>Papa!<< Es blieb alles still, an den W?nden schwiegen die vielen B?cher, ein Fensterfl?gel bewegte sich im Winde und warf einen hastigen Sonnenspiegel ?ber den Boden. Niemand erl?ste mich, und in mir selber war keine Freiheit, anders zu tun, als der D?mon wollte. Verbrechergef?hl zog mir den Magen zusammen und machte mir die Fingerspitzen kalt, mein Herz flatterte angstvoll. Noch wusste ich keineswegs, was ich tun w?rde. Ich wusste nur, es w?rde etwas Schlechtes sein. Nun war ich beim Schreibtisch, nahm ein Buch in die Hand und las einen englischen Titel, den ich nicht verstand. Englisch hasste ich -- das sprach der Vater stets mit der Mutter, wenn wir es nicht verstehen sollten und auch wenn sie Streit hatten. In einer Schale lagen allerlei kleine Sachen, Zahnstocher, Stahlfedern, Stecknadeln. Ich nahm zwei von den Stahlfedern und steckte sie in die Tasche, Gott weiss wozu, ich brauchte sie nicht und hatte keinen Mangel an Federn. Ich tat es nur, um dem Zwang zu folgen, der mich fast erstickt h?tte, dem Zwang, B?ses zu tun, mir selbst zu schaden, mich mit Schuld zu beladen. Ich bl?tterte in meines Vaters Papieren, sah einen angefangenen Brief liegen, ich las die Worte: >>es geht uns und den Kindern, Gott sei Dank, recht gut,<< und die lateinischen Buchstaben seiner Handschrift sahen mich an wie Augen. Dann ging ich leise und schleichend in das Schlafzimmer hin?ber. Da stand Vaters eisernes Feldbett, seine braunen Hausschuhe darunter, ein Taschentuch lag auf dem Nachttisch. Ich atmete die v?terliche Luft in dem k?hlen, hellen Zimmer ein, und das Bild des Vaters stieg deutlich vor mir auf, Ehrfurcht und Auflehnung stritten in meinem beladenen Herzen. F?r Augenblicke hasste ich ihn und erinnerte mich seiner mit Bosheit und Schadenfreude, wie er zuweilen an Kopfwehtagen still und flach in seinem niederen Feldbett lag, sehr lang und gestreckt, ein nasses Tuch ?ber der Stirn, manchmal seufzend. Ich ahnte wohl, dass auch er, der Gewaltige, kein leichtes Leben habe, dass auch ihm, dem Ehrw?rdigen, Zweifel an sich selbst und Bangigkeit nicht unbekannt waren. Schon war mein seltsamer Hass verflogen, Mitleid und R?hrung folgten ihm. Aber inzwischen hatte ich eine Schieblade der Kommode herausgezogen. Da lag W?sche geschichtet und eine Flasche K?lnisches Wasser, das er liebte; ich wollte daran riechen, aber die Flasche war noch unge?ffnet und fest verst?pselt, ich legte sie wieder zur?ck. Daneben fand ich eine kleine runde Dose mit Mundpastillen, die nach Lakrizen schmeckten, von denen steckte ich einige in den Mund. Eine gewisse Entt?uschung und Ern?chterung kam ?ber mich, und zugleich war ich doch froh, nicht mehr gefunden und genommen zu haben. Schon im Ablassen und Verzichten zog ich noch spielend an einer andern Lade, mit etwas erleichtertem Gef?hl und mit dem Vorsatz, nachher die zwei gestohlenen Stahlfedern dr?ben wieder an ihren Ort zu legen. Vielleicht waren R?ckkehr und Reue m?glich, Wiedergutmachung und Erl?sung. Vielleicht war Gottes Hand ?ber mir st?rker als alle Versuchung . . . Da sah ich mit schnellem Blick noch eilig in den Spalt der kaum aufgezogenen Lade. Ach, w?ren Str?mpfe oder Hemden oder alte Zeitungen darin gewesen! Aber da war nun die Versuchung, und sekundenschnell kehrte der kaum gelockerte Krampf und Angstbann wieder, meine H?nde zitterten, und mein Herz schlug rasend. Ich sah in einer aus Bast geflochtenen, indischen oder sonst exotischen Schale etwas liegen, etwas ?berraschendes, Verlockendes, einen ganzen Kranz von weiss bezuckerten, getrockneten Feigen! Ich nahm ihn in die Hand, er war wundervoll schwer. Dann zog ich zwei, drei Feigen heraus, steckte eine in den Mund, einige in die Tasche. Nun waren alle Angst und alles Abenteuer doch nicht umsonst gewesen. Keine Erl?sung, keinen Trost konnte ich mehr von hier fortnehmen, so wollte ich wenigstens nicht leer ausgehen. Ich zog noch drei, vier Feigen von dem Ring, der davon kaum leichter wurde, und noch einige, und als meine Taschen gef?llt und von dem Kranz wohl mehr als die H?lfte verschwunden war, ordnete ich die ?briggebliebenen Feigen auf dem etwas klebrigen Ring lockerer an, so dass weniger zu fehlen schienen. Dann stiess ich, in pl?tzlichem hellem Schrecken, die Lade heftig zu und rannte davon, durch beide Zimmer, die kleine Stiege hinab und in mein St?bchen, wo ich stehen blieb und mich auf meinen kleinen Stehpult st?tzte, in den Knien wankend und nach Atem ringend. Bald darauf t?nte unsre Tischglocke. Mit leerem Kopf und ganz von Ern?chterung und Ekel erf?llt, stopfte ich die Feigen in mein B?cherbrett, verbarg sie hinter B?chern und ging zu Tische. Vor der Esszimmert?r merkte ich, dass meine H?nde klebten. Ich wusch sie in der K?che. Im Esszimmer fand ich alle schon am Tische warten. Ich sagte schnell Gutentag, der Vater sprach das Tischgebet, und ich beugte mich ?ber meine Suppe. Ich hatte keinen Hunger, jeder Schluck machte mir M?he. Und neben mir sassen meine Schwestern, die Eltern gegen?ber, alle hell und munter und in Ehren, nur ich Verbrecher elend dazwischen, allein und unw?rdig, mich f?rchtend vor jedem freundlichen Blick, den Geschmack der Feigen noch im Munde. Hatte ich oben die Schlafzimmert?r auch zugemacht? Und die Schublade? Nun war das Elend da. Ich h?tte mir die Hand abhauen lassen, wenn daf?r meine Feigen wieder oben in der Kommode gelegen h?tten. Ich beschloss, sie fortzuwerfen, sie mit in die Schule zu nehmen und zu verschenken. Nur dass sie wegk?men, dass ich sie nie wieder sehen m?sste! >>Du siehst heut' schlecht aus,<< sagte mein Vater ?ber den Tisch weg. Ich sah auf meinen Teller und f?hlte seine Blicke auf meinem Gesicht. Nun w?rde er es merken. Er merkte ja alles, immer. Warum qu?lte er mich vorher noch? Mochte er mich lieber gleich abf?hren und meinetwegen totschlagen. >>Fehlt dir etwas?<< h?rte ich seine Stimme wieder. Ich log, ich sagte, ich habe Kopfweh. >>Du musst dich nach Tisch ein wenig hinlegen,<< sagte er. >>Wieviel Stunden habt ihr heut nachmittag?<< >>Bloss Turnen.<< >>Nun, turnen wird dir nicht schaden. Aber iss auch, zwinge dich ein bisschen! Es wird schon vergehen.<< Ich schielte hin?ber. Die Mutter sagte nichts, aber ich wusste, dass sie mich anschaue. Ich ass meine Suppe hinunter, k?mpfte mit Fleisch und Gem?se, schenkte mir zweimal Wasser ein. Es geschah nichts weiter. Man liess mich in Ruhe. Als zum Schluss mein Vater das Dankgebet sprach: >>Herr, wir danken dir, denn du bist freundlich, und deine G?te w?hret ewiglich,<< da trennte wieder ein ?tzender Schnitt mich von den hellen, heiligen, vertrauensvollen Worten und von allen, die am Tische sassen; mein H?ndefalten war L?ge, und meine and?chtige Haltung war L?sterung. Als ich aufstand, strich mir die Mutter ?bers Haar und liess ihre Hand einen Augenblick auf meiner Stirn liegen, ob sie heiss sei. Wie bitter war das alles! In meinem St?bchen stand ich dann vor dem B?cherbrett. Der Morgen hatte nicht gelogen, alle Anzeichen hatten recht gehabt. Es war ein Ungl?ckstag geworden, der schlimmste, den ich je erlebt hatte. Schlimmeres konnte kein Mensch ertragen. Wenn noch Schlimmeres ?ber einen kam, dann musste man sich das Leben nehmen. Man m?sste Gift haben, das war das beste, oder sich h?ngen. Es war ?berhaupt besser, tot zu sein, als zu leben. Es war ja alles so falsch und h?sslich. Ich stand und sann und griff zerstreut nach den verborgenen Feigen und ass davon, eine und mehrere, ohne es recht zu wissen. In der Zigarrenkiste klapperte ein einziges Geldst?ck, der Zehner von Oskar Weber. Seither war nichts dazu gekommen. Auch diese Sparkassengeschichte war so eine meiner Unternehmungen! Alles taugte nichts, alles missriet und blieb im Anfang stecken, was ich begann! Mochte der Teufel diese unsinnige Sparkasse holen! Ich mochte nichts mehr von ihr wissen. Diese Zeit zwischen Mittagessen und Schulbeginn war an solchen Tagen wie heute immer misslich und schwer herumzubringen. An guten Tagen, an friedlichen, vern?nftigen, liebenswerten Tagen war es eine sch?ne und erw?nschte Stunde; ich las dann entweder in meinem Zimmer an einem Indianerbuche oder lief sofort nach Tische wieder auf den Schulplatz, wo ich immer einige unternehmungslustige Kameraden traf, und dann spielten wir, schrien und rannten und erhitzten uns, bis der Glockenschlag uns in die v?llig vergessene >>Wirklichkeit<< zur?ckrief. Aber an Tagen wie heute -- mit wem wollte man da spielen und wie die Teufel in der Brust bet?uben? Ich sah es kommen -- noch nicht heute, aber ein n?chstes Mal, vielleicht bald. Da w?rde mein Schicksal vollends zum Ausbruch kommen. Es fehlte ja nur noch eine Kleinigkeit, eine winzige Kleinigkeit mehr an Angst und Leid und Ratlosigkeit, dann lief es ?ber, dann musste es ein Ende mit Schrecken nehmen. Eines Tages, an gerade so einem Tag wie heute, w?rde ich vollends im B?sen untersinken, ich w?rde in Trotz und Wut und wegen der sinnlosen Unertr?glichkeit dieses Lebens etwas Gr?ssliches und Entscheidendes tun, etwas Gr?ssliches, aber Befreiendes, das der Angst und Qu?lerei ein Ende machte, f?r immer. Ungewiss war, was es sein w?rde; aber Phantasien und vorl?ufige Zwangsvorstellungen davon waren mir schon mehrmals verwirrend durch den Kopf gegangen, Vorstellungen von Verbrechen, mit denen ich an der Welt Rache nehmen und zugleich mich selbst preisgeben und vernichten w?rde. Manchmal war es mir so, als w?rde ich unser Haus anz?nden: ungeheure Flammen schlugen mit Fl?geln durch die Nacht, H?user und Gassen wurden vom Brand ergriffen, die ganze Stadt loderte riesig gegen den schwarzen Himmel. Oder zu andern Zeiten war das Verbrechen meiner Tr?ume eine Rache an meinem Vater, ein Mord und grausiger Totschlag. Ich aber w?rde mich dann benehmen wie jener Verbrecher, jener einzige, richtige Verbrecher, den ich einmal hatte durch die Gassen unsrer Stadt f?hren sehen. Es war ein Einbrecher, den man gefangen hatte und in das Amtsgericht f?hrte, mit Handschellen gefesselt, einen steifen Melonenhut schief auf dem Kopf, vor ihm und hinter ihm ein Landj?ger. Dieser Mann, der durch die Strassen und durch einen riesigen Volksauflauf von Neugierigen getrieben wurde, an tausend Fl?chen, boshaften Witzen und herausgeschrienen b?sen W?nschen vorbei, dieser Mann hatte in nichts jenen armen, scheuen Teufeln geglichen, die man zuweilen vom Polizeidiener ?ber die Strasse begleitet sah und welche meistens bloss arme Handwerksburschen waren, die gebettelt hatten. Nein, dieser war kein Handwerksbursche und sah nicht windig, scheu und weinerlich aus, oder fl?chtete in ein verlegen-dummes Grinsen, wie ich es auch schon gesehen hatte -- dieser war ein echter Verbrecher und trug den etwas zerbeulten Hut k?hn auf einem trotzigen und ungebeugten Sch?del, er war bleich und l?chelte still verachtungsvoll, und das Volk, das ihn beschimpfte und anspie, wurde neben ihm zu Pack und P?bel. Ich hatte damals selbst mitgeschrien: >>Man hat ihn, der geh?rt geh?ngt!<<; aber dann sah ich seinen aufrechten, stolzen Gang, wie er die gefesselten H?nde vor sich her trug, und wie er auf dem z?hen, b?sen Kopf den Melonenhut k?hn wie eine phantastische Krone trug -- und wie er l?chelte! und da schwieg ich. So wie dieser Verbrecher aber w?rde auch ich l?cheln und den Kopf steif halten, wenn man mich ins Gericht und auf das Schafott f?hrte, und wenn die vielen Leute um mich her dr?ngten und hohnvoll aufschrien -- ich w?rde nicht ja und nicht nein sagen, einfach schweigen und verachten. Und wenn ich hingerichtet und tot war und im Himmel vor den ewigen Richter kam, dann wollte ich mich keineswegs beugen und unterwerfen. O nein, und wenn alle Engelscharen ihn umstanden und alle Heiligkeit und W?rde aus ihm strahlte! Mochte er mich verdammen, mochte er mich in Pech sieden lassen! Ich wollte mich nicht entschuldigen, mich nicht dem?tigen, ihn nicht um Verzeihung bitten, nichts bereuen! Wenn er mich fragte: >>Hast du das und das getan?<< so w?rde ich rufen: >>Jawohl habe ich's getan, und noch mehr, und es war recht, dass ich's getan habe, und wenn ich kann, werde ich es wieder und wieder tun. Ich habe totgeschlagen, ich habe H?user angez?ndet, weil es mir Spass machte, und weil ich dich verh?hnen und ?rgern wollte. Ja, denn ich hasse dich, ich spucke dir vor die F?sse, Gott. Du hast mich gequ?lt und geschunden, du hast Gesetze gegeben, die niemand halten kann, du hast die Erwachsenen angestiftet, uns Jungen das Leben zu versauen.<< Wenn es mir gl?ckte, mir dies vollkommen deutlich vorzustellen und fest daran zu glauben, dass es mir gelingen w?rde, genau so zu tun und zu reden, dann war mir f?r Augenblicke finster wohl. Sofort aber kehrten die Zweifel wieder. W?rde ich nicht schwach werden, w?rde mich einsch?chtern lassen, w?rde doch nachgeben? Oder, wenn ich auch alles tat, wie es mein trotziger Wille war -- w?rde nicht Gott einen Ausweg finden, eine ?berlegenheit, einen Schwindel, so wie es den Erwachsenen und M?chtigen ja immer gelang, am Ende noch mit einem Trumpf zu kommen, einen schliesslich doch noch zu besch?men, einen nicht f?r voll zu nehmen, einen unter der verfluchten Maske des Wohlwollens zu dem?tigen? Ach, nat?rlich w?rde es so enden. Hin und her gingen meine Phantasien, liessen bald mich, bald Gott gewinnen, hoben mich zum unbeugsamen Verbrecher und zogen mich wieder zum Kind und Schw?chling herab. Ich stand am Fenster und schaute auf den kleinen Hinterhof des Nachbarhauses hinunter, wo Ger?ststangen an der Mauer lehnten und in einem kleinen winzigen Garten ein paar Gem?sebeete gr?nten. Pl?tzlich h?rte ich durch die Nachmittagsstille Glockenschl?ge hallen, fest und n?chtern in meine Visionen hinein, einen klaren, strengen Stundenschlag, und noch einen. Es war zwei Uhr, und ich schreckte aus den Traum?ngsten in die der Wirklichkeit zur?ck. Nun begann unsre Turnstunde, und wenn ich auch auf Zauberfl?geln fort und in die Turnhalle gest?rzt w?re, ich w?re doch schon zu sp?t gekommen. Wieder Pech! Das gab ?bermorgen Aufruf, Schimpfworte und Strafe. Lieber ging ich gar nicht mehr hin, es war doch nichts mehr gutzumachen. Vielleicht mit einer sehr guten, sehr feinen und glaubhaften Entschuldigung -- aber es w?re mir in diesem Augenblick keine eingefallen, so gl?nzend mich auch unsre Lehrer zum L?gen erzogen hatten; ich war jetzt nicht imstande, zu l?gen, zu erfinden, zu konstruieren. Besser war es, vollends ganz aus der Stunde wegzubleiben. Was lag daran, ob jetzt zum grossen Ungl?ck noch ein kleines kam! Aber der Stundenschlag hatte mich geweckt und meine Phantasiespiele gel?hmt. Ich war pl?tzlich sehr schwach, ?berwirklich sah mein Zimmer mich an, Pult, Bilder, Bett, B?cherschaft, alles geladen mit strenger Wirklichkeit, alles Zurufe aus der Welt, in der man leben musste, und die mir heut wieder einmal so feindlich und gef?hrlich geworden war. Wie denn? Hatte ich nicht die Turnstunde vers?umt? Und hatte ich nicht gestohlen, j?mmerlich gestohlen, und hatte die verdammten Feigen im B?cherbrett liegen, soweit sie nicht schon aufgegessen waren? Was ging mich jetzt der Verbrecher, der liebe Gott und das J?ngste Gericht an! Das w?rde alles dann schon kommen, zu seiner Zeit -- aber jetzt, jetzt im Augenblick war es weit weg und war dummes Zeug, nichts weiter. Ich hatte gestohlen, und jeden Augenblick konnte das Verbrechen entdeckt werden. Vielleicht war es schon so weit, vielleicht hatte mein Vater droben schon jene Schieblade gezogen und stand vor meiner Schandtat, beleidigt und erz?rnt, und ?berlegte sich, auf welche Art mir der Prozess zu machen sei. Ach, er war m?glicherweise schon unterwegs zu mir, und wenn ich nicht sofort entfloh, hatte ich in der n?chsten Minute schon sein ernstes Gesicht mit der Brille vor mir. Denn er wusste nat?rlich sofort, dass ich der Dieb war. Es gab keine Verbrecher in unserm Hause ausser mir, meine Schwestern taten nie so etwas, Gott weiss warum. Aber wozu brauchte mein Vater da in seiner Kommode solche Feigenkr?nze verborgen zu haben? Ich hatte mein St?bchen schon verlassen und mich durch die hintere Haust?r und den Garten davongemacht. Die G?rten und Wiesen lagen in heller Sonne, Zitronenfalter flogen ?ber den Weg. Alles sah jetzt schlimm und drohend aus, viel schlimmer als heut morgen. O, ich kannte das schon, und doch meinte ich es nie so qualvoll gesp?rt zu haben: wie da alles in seiner Selbstverst?ndlichkeit und mit seiner guten Gewissensruhe mich ansah, Stadt und Kirchturm, Wiesen und Weg, Grasbl?ten und Schmetterlinge, und wie alles H?bsche und Fr?hliche, was man sonst mit Freuden sah, nun fremd und verzaubert war! Ich kannte das, ich wusste, wie es schmeckt, wenn man in Gewissensangst durch die gewohnte Gegend l?uft! Jetzt konnte der seltenste Schmetterling ?ber die Wiese fliegen und sich vor meinen F?ssen hinsetzen -- es war nichts, es freute nicht, reizte nicht, tr?stete nicht. Jetzt konnte der herrlichste Kirschbaum mir seinen vollsten Ast herbieten -- es hatte keinen Wert, es war kein Gl?ck dabei. Jetzt gab es nichts als fliehen, vor dem Vater, vor der Strafe, vor mir selber, vor meinem Gewissen, fliehen und rastlos sein, bis dennoch unerbittlich und unentrinnbar alles kam, was kommen musste. Ich lief und war rastlos, ich lief bergan und hoch bis zum Walde, und vom Eichenberg nach der Hofm?hle hinab, ?ber den Steg und jenseits wieder bergauf und durch W?lder hinan. Hier hatten wir unser letztes Indianerlager gehabt. Hier hatte letztes Jahr, als der Vater auf Reisen war, unsre Mutter mit uns Kindern Ostern gefeiert und im Wald und Moos die Eier f?r uns versteckt. Hier hatte ich einst mit meinen Vettern in den Ferien eine Burg gebaut, sie stand noch halb. ?berall Reste von einstmals, ?berall Spiegel, aus denen mir ein andrer entgegensah, als der ich heute war! War ich das alles gewesen? So lustig, so zufrieden, so dankbar, so kameradschaftlich, so z?rtlich mit der Mutter, so ohne Angst, so unbegreiflich gl?cklich? War das ich gewesen? Und wie hatte ich so werden k?nnen, wie ich jetzt war, so anders, so ganz anders, so b?se, so voll Angst, so zerst?rt? Alles war noch wie immer, Wald und Fluss, Farnkr?uter und Blumen, Burg und Ameisenhaufen, und doch alles wie vergiftet und verw?stet. Gab es denn gar keinen Weg zur?ck, dorthin, wo das Gl?ck und die Unschuld war? Konnte es nie mehr werden, wie es gewesen war? W?rde ich jemals wieder so lachen, so mit den Schwestern spielen, so nach Ostereiern suchen? Ich lief und lief, den Schweiss auf der Stirn, und hinter mir lief meine Schuld und lief gross und ungeheuer der Schatten meines Vaters als Verfolger mit. An mir vorbei liefen Alleen, sanken Waldr?nder hinab. Auf einer H?he machte ich halt, abseits vom Weg, ins Gras geworfen, mit Herzklopfen, das vom Bergaufw?rtsrennen kommen konnte, das vielleicht bald besser wurde. Unten sah ich Stadt und Fluss, sah die Turnhalle, wo jetzt die Stunde zu Ende war und die Buben auseinanderliefen, sah das lange Dach meines Vaterhauses. Dort war meines Vaters Schlafzimmer und die Schublade, in der die Feigen fehlten. Dort war mein kleines Zimmer. Dort w?rde, wenn ich zur?ckkam, das Gericht mich treffen. -- Aber wenn ich nicht zur?ckkam? Add to tbrJar First Page Next Page |
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