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Read Ebook: Die Heiligen by Kellermann Bernhard Zeller Magnus Illustrator
Font size: Background color: Text color: Add to tbrJar First Page Next PageEbook has 290 lines and 14317 words, and 6 pagesIllustrator: Magnus Zeller Die Heiligen von Bernhard Kellermann Schon vor Tagesgrauen erhob sich der Advokat von seinem Lager. Und im gleichen Augenblick begannen all die tausend kleinen V?gel, die in seinem Zimmer mit ihm lebten, zu zwitschern und zu trillern. >>Schon so fr?h wach, ihr Kleinen!<< fl?sterte der Advokat. Er sprach nie laut. >>Nun, guten Morgen! Pst! Pst!<< Und die tausend kleinen V?gel zwitscherten zur Antwort und verstummten gehorsam. Der Advokat legte sich einen dicken wollenen Schal um die Schultern, denn er fror immerfort, er schl?pfte in wattierte Stiefel, zog Handschuhe an, setzte sich eine gef?tterte Kappe auf den kahlen Sch?del und trat ins Freie. Es war noch Nacht, und alle Dinge sahen unwirklich und verzaubert aus. Zuweilen neigten sich die Gr?ser mit einem pl?tzlichen Ruck, ganz wie Schlafende sich neigen, die tr?umen, dass sie fallen, und dann sp?rte der Advokat einen kurzen warmen Hauch, der ebenso unvermittelt verschwand wie er kam. Am Himmel oben trieb eilig ein Gemisch von grauem und schwarzem Gew?lk dahin, und im Zenit waren drei gelbe Sterne sichtbar, die in einer Richtung standen und wie ein fliegender Speer durch das Gew?lk zu schiessen schienen. Der Advokat betrachtete eine Weile aufmerksam den fliegenden Speer, und irgendein Gedanke rang in seinem Kopf. Dann eilte er mit kleinen, schl?rfenden Schritten und so leise wie m?glich ?ber die sandbedeckten Wege des Anstaltsgartens dahin. >>Pst, stille!<< fl?sterte er, wenn er an B?schen vorbeikam, in denen es sich regen wollte. Wo die Gem?seg?rten anfingen, stand ein alter Pumpbrunnen, der nicht mehr benutzt wurde, und hier begann der Advokat seine T?tigkeit. Er stellte die Giesskanne unter das Rohr und zog den Schwengel, immerfort bestrebt, keinen L?rm zu machen. Da der Brunnen wenig Wasser gab und der Advokat langsam und vorsichtig pumpte, war die Kanne erst nach halbst?ndiger Arbeit gef?llt. Darauf schleppte sie der kleine Advokat keuchend und h?stelnd bis zu den Blumenbeeten und fing an, die Blumen unter gl?ckseligem L?cheln und leisen Koseworten zu begiessen. >>Nicht so hastig, ihr Kleinen,<< fl?sterte er, >>meine Kinderchen, wie ihr schluckt! Guten Morgen!<< Da aber wurde es in einem Holunderbusch lebendig. Hunderte von kleinen V?geln streckten auf einmal die K?pfe aus dem Laub und zwitscherten dem Advokaten zu. Er hob erschrocken die Hand. >>Ruhig, still, um Gottes willen!<< sagte er. >>Immer wollt ihr die ersten sein! Jeden Morgen. Pst!<< Und im Busch wurde es augenblicklich still. Der Advokat ging lautlos von Beet zu Beet und begoss seine Blumen. Manchmal hielt er aufatmend inne und blickte zum Himmel empor, wo noch immer der goldene Speer durch das Gew?lk schoss, ohne je von der Stelle zu kommen. Dann dachte er lange nach und sch?ttelte den Kopf. Aus dem Pavillon der Schwerkranken drang ein langgezogenes Heulen, das in regelm?ssigen Intervallen in ein jammerndes Weinen ?berging. Der Advokat aber h?rte es nicht. Er h?rte nur, dass drinnen in den B?schen die V?gel die Fl?gel sch?ttelten und die Schn?bel wetzten. Eine ?bern?chtige W?rterin ging fr?stelnd an ihm vor?ber. >>Schon so fr?h bei der Arbeit?<< sagte sie und wandte ihm das bleiche Gesicht zu. Der Advokat stellte die Giesskanne ab, verbeugte sich und zog die M?tze. >>Man muss sich daranhalten,<< fl?sterte er, >>die Kleinen warten nicht.<< Hierauf begoss er die Beete, die sich am Hauptgeb?ude entlangzogen, and?chtig und hingegeben. An den offenen K?chenfenstern, die sehr niedrig lagen, machte er halt und suchte mit den Augen die Fensterbretter ab. Er sch?ttelte entt?uscht und niedergeschlagen den Kopf. Ja, sie hatten es wiederum vergessen, ihm Brotkrumen f?r seine V?gel herauszustellen! Wer konnte sich auf diese M?gde verlassen? Er suchte ein paar kleine Kieselsteine am Wege und warf sie, einen nach dem andern, mit leisem Kichern in die schwarze K?che hinein: Sollten sie es nur lernen, aufmerksamer zu sein! Oh, er w?rde es ihnen schon beibringen, die Brotkrumen regelm?ssig aufs Fensterbrett zu stellen. Es gab ja genug Kiesel auf den Wegen. Und wenn sie sich noch so oft beschwerten! Die Giesskanne war leer, und der Advokat machte im Morgengrauen den Weg zum Pumpbrunnen zur?ck. Als die Sonne aufging, hatte der Advokat schon ein gutes St?ck seiner Tagesarbeit hinter sich und kehrte in den Pavillon zur?ck, der wie ein Landhaus im gr?nen Garten lag. Unter der T?re, leicht gegen den Pfosten gelehnt, stand l?chelnd Michael Petroff, ehemals Offizier in der russischen Armee, und begr?sste ihn mit einem heiteren, hellen: >>Guten Morgen, mein Freund!<< Der Advokat in seinem wollenen Schal, der Halsbinde, den wattierten Stiefeln, verneigte sich und zog die Kappe. >>Guten Morgen, Herr Kapit?n!<< Sie verbeugten sich einigemal, denn sie hatten die gr?sste Hochachtung voreinander, dann erst reichten sie sich die Hand. >>Haben Sie gut geschlafen, Herr Advokat?<< fragte Michael Petroff und beugte sich etwas herab, wobei er liebensw?rdig l?chelte. >>Geschlafen? Ja, ich danke.<< >>Auch ich verbrachte die Nacht vorz?glich!<< fuhr Michael Petroff fort und liess ein helles, fr?hliches Lachen h?ren. >>Vorz?glich, in der Tat. Ich tr?umte --<<, setzte er hinzu und blickte l?chelnd, das rechte Auge halb zusammengekniffen, in den Garten hinaus. >>Ja! -- Und nun treten Sie ein in mein Bureau, mein Freund. Es gibt Neuigkeiten. Bitte!<< Er legte die Hand auf die Schulter des kleinen Advokaten und liess ihm mit einer kleinen Verbeugung den Vortritt. Kapit?n Michael Petroff war ein schlanker, grosser Mann, mit stahlblauen, heiteren Augen und einem kleinen blonden Schnurrbart, der wie sein blondes, seidenweiches gescheiteltes Haar zu erbleichen begann. Er war peinlich sauber gekleidet und sorgf?ltig rasiert. Sein Kinn war rund und sch?n geformt, etwas zu zart, sein Mund von ausserordentlich sch?ner und weicher Zeichnung, wie der Mund eines Knaben. >>Bitte!<< sagte Michael Petroff und lud den Advokaten mit einer Handbewegung ein, auf dem Sofa Platz zu nehmen. >>Ich st?re. St?re ich nicht?<< fl?sterte der Advokat und blieb stehen. >>Nein! Sie, wie sollten Sie --?<< Und Michael Petroff dr?ngte den Advokaten auf das Sofa. Der kleine Advokat nahm scheu und mit einem dankbaren Blick Platz. >>Sie haben ja so viele Arbeit -- ich weiss --<<, sagte er und deutete mit dem Kopf auf den Schreibtisch, der ?berladen war mit Akten, Zeitungen und Manuskripten. >>Es gibt zu tun, ja!<< versetzte Michael Petroff mit einem merkw?rdigen L?cheln auf den sch?nen knabenhaften Lippen. >>Aber f?r seine Freunde hat man immer Zeit. -- Hier, nun h?ren Sie! Ich habe heute ein Memorandum an die hessische Regierung entworfen --,<< Michael Petroff wippte l?chelnd ein Papier in der Hand -- >>die hessische Regierung wird auf das nachdr?cklichste -- auf -- das -- nachdr?cklichste -- ersucht, den Prozess eines Lehrers zu revidieren!<< Hier blickte Michael Petroff auf seinen Gast, und seine Stirn legte sich urpl?tzlich in vier tiefe Falten. >>Dieser Lehrer,<< fuhr er fort, >>wurde zu vier Jahren, sage vier Jahren, Gef?ngnis verurteilt. Er hatte zehn M?uler zu stopfen und unterschlug Kassengelder. Voil? tout! Was sagen Sie dazu, wie. Hahaha, sehen Sie, so ist die Welt! Ich fordere in meinem Memorandum nicht allein eine Revision des Prozesses, sondern auch dringend die Erh?hung der Beamtengeh?lter. Ich forderte -- ich, Kapit?n Michael Petroff, und ich werde auch Stellung im >Unparteiischen< nehmen. Sie werden sehen, mein Freund!<< Michael Petroff liess einen k?hnen, triumphierenden Blick ?ber den kleinen kahlk?pfigen Advokaten hingehen, der nickend zuh?rte, ohne recht zu verstehen, was der Kapit?n wollte. >>Sie tun viel Gutes!<< fl?sterte er und nickte, und ?ber sein kleines, fahles, verw?stetes Gesicht glitt ein kindliches L?cheln. Und nach einigem Nachdenken setzte er hinzu: >>Sie sind ein guter Mensch, das ist es!<< Michael Petroff sch?ttelte den Kopf. >>Ich tue meine Pflicht!<< versetzte er ernst. Und indem er die Hand auf das Herz legte und seine hellen, stahlblauen Augen aufleuchten liess, f?gte er hinzu: >>Meine heilige Pflicht!<< Kapit?n Michael Petroff, fr?her Offizier in einem Petersburger Regiment, betrachtete es als seine Lebensaufgabe, die Gerechtigkeit auf Erden zu vertreten. >>Tribunal des Rechts und der Gerechtigkeit<< nannte er sich. Er war auf zwei grosse Tageszeitungen abonniert, die er jeden Tag nach F?llen durchsuchte, in denen seiner Ansicht nach jemand ein Unrecht geschehen war. Und jeden Tag fand Michael Petroff F?lle! F?lle, nichts als F?lle! Diese F?lle schnitt er aus, ordnete sie nach dem Datum und begann hierauf sie zu verarbeiten. Er sass oft bis sp?t in der Nacht in seinem Bureau, wie er sein Zimmer nannte, oder in seiner Redaktion, wie er sein Zimmer zuweilen im Fl?sterton seinem Vertrauten gegen?ber bezeichnete. Da sass er und schrieb mit einer sauberen gestochenen Hand seine Eingaben, Proteste, Memoranden und ?bergab sie t?glich um sechs Uhr dem Chefarzt Doktor M?rz, der ihre Bef?rderung ein f?r allemal ?bernommen hatte. Doktor M?rz nahm die Schriftst?cke bereitwillig entgegen und legte sie in ein besonderes Fach, um sie gelegentlich als Material f?r sein Werk ?ber Graphomanie zu ben?tzen. Die wenigen Stunden, die ihm diese T?tigkeit ?brig liess, verwandte Michael Petroff auf die Redaktion seiner Zeitung. Und diese Zeitung war die Ursache, dass er sein Zimmer zuweilen im geheimen Redaktion nannte. Diese Zeitung erschien nicht regelm?ssig, sondern wenn sie gerade fertig wurde. Gew?hnlich erschien sie im Jahre einmal, manchmal aber auch, wenn ihn seine nerv?sen Zust?nde zur Eile antrieben, zweimal. Michael Petroffs Zeitung war das genaue Abbild einer gew?hnlichen Tageszeitung, vom Kopf an, wo die Bezugsbedingungen vermerkt waren, und die Stadt, in der sie erschien -- die Michael Petroff willk?rlich w?hlte -- bis auf die fingierten Namen der Herausgeber und Redakteure. Sie enthielt, wie jede andere Zeitung, Annoncen, die Michael Petroff h?chst einfach aus anderen Zeitungen herausschnitt, einen Leitartikel, ein Feuilleton. Der ganze redaktionelle Teil aber besch?ftigte sich -- mit Ausnahme weniger Artikel, die zur Maskierung eingeschoben waren -- mit der Frage: Ist die Internierung Michael Petroffs, Kapit?n der russischen Armee, berechtigt? Die ?berschriften der einzelnen Artikel lauteten in jedem Jahre anders, wenn sie auch einen ?hnlichen Sinn hatten! Das Ultimatum der russischen Regierung! -- Ein Brief des Zaren an den Chefarzt Doktor M?rz! -- Die Zeitung erschien auch in jedem Jahr unter einem anderen Namen. Michael Petroff nannte sie >>Weltauge<<, >>Europas Gewissen<<, >>Das Bajonett<<. Aus seinen Petitionen machte Michael Petroff kein Geheimnis, ?ber seine Zeitung aber sprach er nur zu seinem Vertrauten, dem Advokaten. Und es ist m?glich, dass er, obschon von Natur aus gesellig und ?usserst gutherzig, nur deshalb den kleinen Advokaten so sehr ans Herz geschlossen hatte, weil er mit ihm ?ber seine Zeitung plaudern konnte. >>Einen Augenblick, mein Freund!<< sagte er. >>Es gibt Neuigkeiten. Ich m?chte Ihnen gerne das Neueste mitteilen, bleiben Sie.<< Er trat zur T?re und r?usperte sich, w?hrend er lauschte. Dann trat er hinaus auf den Korridor, hustete, kam befriedigt zur?ck. Er zog die Redaktionsschublade, deren Schl?ssel er am Halse trug, auf, lachte hell und heiter und begann: >>Das Neueste, h?ren Sie! Es kann seine Wirkung unm?glich verfehlen. H?ren Sie nur die ?berschrift: Doktor M?rz verhaftet!<< >>Doktor M?rz verhaftet?<< fl?sterte der Advokat ?ngstlich, und sah mit schlaffem Mund zu Petroff empor. Michael Petroff lachte. >>Verhaftet? Nein, nat?rlich nicht. Ich f?hre in dem Artikel aus, dass die Verhaftung des Doktor M?rz bevorst?nde und er sich ihr nur entziehen k?nnte, wenn er Michael Petroff augenblicklich freig?be!<< Der Advokat nickte. >>Ich verstehe<<, sagte er und l?chelte, da er Petroffs heitere Miene sah. Und doch dachte er gar nicht an Petroffs Artikel, sondern daran, dass er den V?geln Wasser hinstellen m?sse. Er wurde unruhig und machte Miene aufzustehen. >>Einen Augenblick noch, ich bitte Sie!<< dr?ngte Michael Petroff. >>Ja, die Idee ist pr?chtig, in der Tat<<, fuhr er lebhaft fort, und seine Wangen f?rbten sich vor Freude mit einem fl?chtigen Rot. >>Ich erkl?re in dem Artikel ausdr?cklich, dass Doktor M?rz ein Ehrenmann sei, ein hochgeachteter und allgemein gesch?tzter Arzt, so dass seine Handlungsweise in diesem speziellen Falle allgemeines ?berraschen errege. Ich bitte Sie, mein Freund, was wird er tun, wenn er diesen Artikel liest? Hahaha, Sie werden etwas erleben, lieber Freund. Ich werde ihm ja nicht b?se sein, ganz und gar nicht. Nun -- endlich, endlich! werde ich sagen, lieber Doktor, haha! Aber sehen Sie weiter, was der >Unparteiische< schreibt. Sehen Sie sich einmal diesen Titel an, bitte sehr!<< >>Welchen --?<< >>Nun, diesen hier!<< >>Ein -- Fragezeichen?<< >>Ja! Haha -- nichts als ein Fragezeichen! Und darunter: Wo ist Michael Petroff? Ein ?ffentlicher Aufruf! Aber sehen Sie hier, im kleinen Feuilleton: Michael Petroff, Kapit?n der russischen Armee, hat soeben ein sechsb?ndiges Werk ?ber Sternschnuppen beendet. Die gesamte Fachpresse r?hmt den Scharfsinn und die Klarheit des epochemachenden Werkes. Hahaha, sagte ich Ihnen nicht, dass es Neuigkeiten g?be, mein Freund!<< Add to tbrJar First Page Next Page |
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