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Read Ebook: Die Heiligen by Kellermann Bernhard Zeller Magnus Illustrator
Font size: Background color: Text color: Add to tbrJar First Page Next Page Prev PageEbook has 290 lines and 14317 words, and 6 pages>>Ja! Haha -- nichts als ein Fragezeichen! Und darunter: Wo ist Michael Petroff? Ein ?ffentlicher Aufruf! Aber sehen Sie hier, im kleinen Feuilleton: Michael Petroff, Kapit?n der russischen Armee, hat soeben ein sechsb?ndiges Werk ?ber Sternschnuppen beendet. Die gesamte Fachpresse r?hmt den Scharfsinn und die Klarheit des epochemachenden Werkes. Hahaha, sagte ich Ihnen nicht, dass es Neuigkeiten g?be, mein Freund!<< Der Advokat sass zusammengekauert auf dem Sofa und dachte angestrengt nach, wobei er den Atem anhielt. >>Ich begreife nicht --?<< fl?sterte er und sch?ttelte langsam den Kopf. >>Was begreifen Sie nicht?<< >>Dass er Sie festh?lt.<< Michael Petroff sah den Advokaten erstaunt an. Dann beugte er den Kopf herab und fl?sterte: >>Ich sagte es Ihnen doch schon, dass meine Verwandten ihn bezahlen!<< >>Sie bezahlen?<< >>Ja, nat?rlich!<< antwortete Michael Petroff heiter. >>Unsummen. Millionen!<< >>Oh!<< Nun verstand der Advokat. >>Ja, sehen Sie, so ist es auf der Welt!<< sagte Michael Petroff und schnippte mit den Fingern. Aber der Advokat konnte doch nicht recht begreifen. >>Ich verstehe nicht,<< begann er von neuem, >>Doktor M?rz ist ja so g?tig. Ich wohne hier, lebe hier, habe mein Essen und bezahle nichts. Er hat noch nie Geld von mir verlangt. -- Ich habe ja kein Geld, Sie wissen<<, schloss er noch leiser und ?ngstlich. Michael Petroff legte ihm wohlwollend und wichtigtuend die Hand auf die Schulter. >>Sie arbeiten ja im Garten,<< sagte er, >>begiessen die Blumen. Wie sollte er es also wagen, Geld von Ihnen zu fordern? So einfach ist das. Vielleicht haben Sie aber auch Verwandte da draussen, die f?r Sie bezahlen?<< >>Verwandte?<< >>Ja. Da -- draussen!<< Auf den sch?nen knabenhaften Lippen Petroffs erschien ein grausames L?cheln. Sollte er diesem kleinen alten Mann in dem wollenen Schal erkl?ren, wo er sich befand? Sollte er diesem kleinen alten Mann mit dem grauen faltigen Gesicht vielleicht erkl?ren, dass es ein >>Da draussen<< gab -- wo sie zum Beispiel eben in einen Schnellzug einsteigen oder sich die H?nde waschen, um sich an den Tisch zu setzen? Er wippte sich auf den Zehen, und pl?tzlich verlor er die Vorstellung seiner K?rperlichkeit: er kam sich vor wie ein riesiger in die Wolken ragender Turm, der auf den kleinen, kahlk?pfigen Mann, der nur ein paar d?nne Haarb?schel ?ber den Ohren hatte, herabblickte. Eine Lust erfasste ihn, den Advokaten zum Weinen zu bringen. Da aber verbeugte er sich pl?tzlich leicht vor dem Advokaten und sagte: >>Vergeben Sie Michael Petroff!<< Er machte ein paar Schritte durchs Zimmer, dann wandte er sich in ganz dem gleichen Ton wie vorhin an seinen Gast: >>Wird es sch?nes Wetter bleiben, heute?<< >>Ich glaube -- ich weiss es nicht<<, erwiderte der Advokat unsicher. >>Nun, wir wollen Kricket spielen, heute nachmittag. Sie frieren?<< >>Ja<<, fl?sterte der Advokat und zog die Halsbinde enger. Michael Petroff sah ihn mit schr?g geneigtem Kopf an. >>Ich kann nicht begreifen, dass Sie heute frieren k?nnen.<< Und er lachte fr?hlich. >>Kommen Sie,<< sagte er dann, >>wir wollen --<< er hielt inne, denn er wusste nicht, was er wollte -- >>wir wollen -- ja, wir wollen Freund Engelhardt besuchen. Kommen Sie! -- Der Arzt war heute nacht bei ihm<<, schloss er geheimnisvoll. >>Der Arzt?<< >>Ja. Er ist krank, unser Freund. Hm, hm.<< Michael Petroff schloss sorgf?ltig das Manuskript der Zeitung ein, setzte eine grosse graue englische Reisem?tze auf, warf einen Blick in den Spiegel, und sie verliessen zusammen das Zimmer. Michael Petroff lachte leise, tief innen in der Kehle. An der T?re Engelhardts angelangt, blieben sie stehen und klopften lauschend. -- F?r Michael Petroff gab es im Jahr zwei grosse Tage. Der eine war sein Geburtstag, am 16. Mai. Michael Petroff vergass ihn nie. Am 16. Mai ging er mit wichtiger Miene und Blicke werfend umher und sagte zu jedem, den er traf: >>Heute ist mein Geburtstag. Danke f?r die Gl?ckw?nsche!<< Vor Tisch kam dann stets der Pfleger und bat ihn, zu Doktor M?rz zu kommen, der ihm zu gratulieren w?nsche. Dann begab sich Michael Petroff mit leichten Schritten ins Sprechzimmer des Doktor M?rz, sch?ttelte ihm die Hand und dankte f?r den wunderbaren Strauss weisser Rosen, den Doktor M?rz ihm ?berreichte. Michael Petroff ahnte nicht, woher der Strauss weisser Rosen kam. Er wusste nicht, dass an jedem Geburtstag hinter der Portiere des Sprechzimmers seine Gemahlin und seine Tochter standen, die allj?hrlich die weite Reise machten, um ihn zu sehen. In den ersten Jahren war die Gattin des Kapit?ns blond gewesen, dann war sie allm?hlich grau geworden und jetzt war sie weiss, obgleich sie noch verh?ltnism?ssig jung war. Fr?her war sie allein gekommen, seit drei Jahren war aber stets eine junge Dame in ihrer Begleitung, die immer schrecklich weinte, wenn sie kam und ging. Die junge Dame hatte nur ein Ohr und verbarg diese Verunstaltung durch die Frisur. Das andere Ohr hatte ihr Michael Petroff abgeschnitten, als sie noch ein Kind war, damals, als sein Leiden ausbrach. Michael Petroff plauderte und lachte fr?hlich mit dem Chefarzt und brachte die Rosen seinem Freunde, dem Advokaten. >>Hier sind Blumen! Ich tue nichts damit!<< Der Advokat nahm mit vor Freude geweiteten Augen die Rosen entgegen, vorsichtig wie etwas Zerbrechliches. Der zweite grosse Tag Michael Petroffs war der Tag, an dem die Zeitung erschien. Die Zeitung wurde in der Stadt gedruckt. Michael Petroff hatte den Portier des Sanatoriums f?r diese Kommission gewonnen. Der Portier lieferte das Manuskript an den Drucker ab und ?berbrachte Michael Petroff die gedruckten f?nfundzwanzig Exemplare. In diesen Tagen befand sich Michael Petroff in der ungeheuersten Spannung. Er liess die Zeitung den ?rzten und in erster Linie Doktor M?rz zustellen und wartete aufgeregt die Wirkung ab. Er arbeitete in dieser Zeit nicht, sondern ging den ganzen Tag ?ber im Garten und im Haus umher. Wenn er einem Arzte begegnete, so blieb er stehen und sandte ihm einen triumphierenden Blick zu, w?hrend seine Lippen ein siegessicheres L?cheln umspielte. Nach einigen Tagen aber fragte er die ?rzte: >>H?ren Sie, haben Sie da nicht eine Zeitung erhalten?<< >>Eine Zeitung?<< >>Ja! Ich erhielt sie ja auch. >Das Bajonett<< >>O ja, ich erinnere mich. Ich werde nachsehen.<< >>Tun Sie das, ja. Es k?nnten Dinge darin stehen, die Sie interessieren. Hahaha!<< Und er klopfte dem Arzt auf die Schulter und sah ihn vielsagend an. Schliesslich aber fragte er den Chefarzt selbst. >>Jaja,<< entgegnete dieser, >>diese Zeitung habe ich allerdings gelesen, mein lieber Kapit?n. Eine merkw?rdige Sache. Ich habe mich auch sofort erkundigt. Die Redakteure waren aber nicht aufzufinden, trotz aller Bem?hungen. Sie existieren gar nicht. Oder nicht mehr. Ich weiss nicht recht, was ich von dieser Zeitung halten soll, mein lieber Kapit?n.<< Dann ging Michael Petroff einige Tage niedergeschlagen umher, und seine Depression konnte sich bis zur Melancholie und zur Tobsucht steigern. Aber nach einigen Tagen hellte sich sein Gem?t stets wieder auf. Er begr?sste seine Freunde, bat sie wegen seines verdriesslichen Benehmens um Entschuldigung und machte sich augenblicklich daran, eine neue Zeitung zu entwerfen. Diesmal musste es ihm gelingen! Aufgepasst, Doktor M?rz! Dies war Michael Petroff, Kapit?n der russischen Armee. Freund Engelhardt, dem Michael Petroff und der Advokat einen Besuch abstatten wollten, war ein etwa f?nfzigj?hriger, ergrauter Mann, der sich erst seit einem Jahr in der Anstalt des Doktor M?rz befand. Er war Schuhmacher von Beruf und sass sein ganzes Leben lang, jahraus, jahrein unter seiner Glaskugel und klopfte Leder. Er war nicht verheiratet, lebte sehr zur?ckgezogen, und da er fleissig und sparsam war, hatte er sich sogar ein h?bsches kleines Verm?gen erworben. Da sass er unter seiner Glaskugel und h?mmerte und n?hte, und nichts ereignete sich. Aber allm?hlich war ihm diese Glaskugel merkw?rdiger und merkw?rdiger erschienen. Sie funkelte ihn an, blendete ihn, so dass er zuweilen vor?bergehend eine gewisse uneingestandene Angst vor ihr empfand. Sie schien zu wachsen, immer gr?sser und gr?sser zu werden, und ein Tag kam, da str?ubten sich die Haare Engelhardts vor Entsetzen. -- Nun litt er an dem wunderlichen und entsetzlichen Wahn, dass er der Mittelpunkt des Universums sei, dessen Aufgabe darin bestand, das Weltall im Gleichgewicht zu halten. In ihm liefen die tausendf?ltigen Kr?fte des Alls zusammen, und er f?hlte mit einer marternden Kontinuit?t, wie die Planeten und Sonnen um ihn ihre Bahnen schwangen, wie es sauste und wetterte da draussen. Wenn eine Kette von Schlittschuhl?ufern sich um einen in der Mitte dreht, so empfindet der in der Mitte, mit welch ungeheurer Energie die beiden wirbelnden Fl?gel um ihn kreisen, und er muss all seine Kr?fte auf das Festhalten seines Standortes konzentrieren. ?hnlich war das Empfinden Engelhardts, und da die Anstrengung ohne jede Unterbrechung w?hrte, so ersch?pfte ihn seine Wahnidee dergestalt, dass er in einem Jahr um Jahrzehnte gealtert war. Wenn auch -- wie er sagte -- das Weltengeb?ude vom allm?chtigen Sch?pfer so wunderbar gef?gt war, dass es in alle Ewigkeit in den vorgezeichneten Kreisen und Spiralen lief, so litt er doch ?ber seine Kr?fte unter den geringsten St?rungen da draussen. Im Winter hatte er vierzehn Tage schlaflos verbracht, da ein heranschwirrendes Gestirn an ihm zerrte; merkw?rdigerweise war in dieser Zeit ein Komet aufgetaucht, dessen Erscheinen die ganze astronomische Welt ?berraschte. Damals war unter merkw?rdigen Erscheinungen der Pfleger Schwindt gestorben, und Engelhardt hatte -- nach seiner eigenen Aussage -- dessen Seele in sich gesaugt, so dass er zu neuen Kr?ften kam, die den ganzen Fr?hling und Sommer anhielten. Jetzt aber ermattete er wiederum von Tag zu Tag mehr unter seiner Aufgabe, und die Kr?fte verfielen rapid. Die Sternschnuppen und Meteorschw?rme rissen an ihm, so dass ihn Schwindel erfasste, und besonders der Mond hatte in dieser Zeit eine schreckliche Macht ?ber ihn. Er saugte an seinen Kr?ften, und Engelhardt hatte das Empfinden, als ob jeden Augenblick der Boden unter ihm einsinken k?nne und er in die Tiefe sause, und das Weltall ?ber ihm zusammenst?rze. -- Als Michael Petroff und der kleine Advokat bei Engelhardt eintraten, nachdem sie eine lange Weile vergebens an die T?re gepocht hatten, fanden sie ihn im Bette liegen, die behaarten abgemagerten H?nde schlaff auf dem Kissen. Er hatte die Augen senkrecht in die H?he gerichtet, und zwar so stark nach oben gedreht, dass man das Weisse sah, und schien irgendeinen Punkt an der Decke zu fixieren. Sein Gesicht war von gleichm?ssig gelblicher T?nung und erweckte den Eindruck, als sei es von Porzellan. So glatt war die Haut und so scharf traten die Kanten der Knochen hervor. Die Stirn war ungew?hnlich gross im Verh?ltnis zu dem kleinen Gesicht und dem kleinen Mund, der wie zum Pfeifen gespitzt schien und eine Menge feiner, der Mund?ffnung zustr?mender Linien zeigte. So sehr war der Schuhmacher in einem Jahre abgemagert, dass der Kragen seines bunten Hemdes fingerbreit von seinem d?nnen Hals abstand. >>Guten Morgen!<< sagte Michael Petroff leise und heiter. >>Freunde kommen!<< Der Advokat blieb scheu an der T?re stehen. Engelhardt erwiderte nichts. Ein Zittern durchlief seinen K?rper, und seine d?nnen behaarten H?nde zuckten zuweilen, ganz als ob er einem elektrischen Strom von wechselnder St?rke ausgesetzt w?re. Michael Petroff l?chelte und ging n?her. >>Wie befinden Sie sich, lieber Freund?<< sagte er leise und voller Anteilnahme, indem er sich ?ber Engelhardt beugte. >>Der Arzt war heute nacht bei Ihnen?<< Engelhardt rollte den Kopf auf dem Kissen hin und her. Er war ersch?pft nach einer schlaflosen Nacht und den Beruhigungsmitteln, die ihm der Arzt verabreicht hatte. >>Schlecht!<< antwortete er tonlos. >>Schlecht?<< Michael Petroff zog besorgt die Brauen in die H?he. >>Es geht ihm nicht gut, unserm Freunde!<< wandte er sich an den kleinen Advokaten, der immer noch an der T?re stand. >>Haben Sie Schmerzen?<< Michael Petroff beugte sich wieder ?ber den Kranken und n?herte das Ohr seinem Munde. >>Ja<<, erwiderte Engelhardt tonlos und matt und murmelte in Petroffs Ohr. Es h?rte sich an, als bete er. Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page |
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