Use Dark Theme
bell notificationshomepageloginedit profile

Munafa ebook

Munafa ebook

Read Ebook: Yussuf Khans Heirat by Heller Frank Franzos Marie Translator

More about this book

Font size:

Background color:

Text color:

Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page

Ebook has 1579 lines and 66231 words, and 32 pages

Schon in seinen ersten Studienjahren lernte er Hermann Bergius kennen, der der Feldmarschall bei den Feldz?gen von Allans sechsj?hriger Glanzzeit wurde. Hermann Bergius war ein sp?tgeborener Spr?ssling der grossen Freibeuterf?hrer; die verweichlichten Zeiten hinderten ihn, gleich diesen mit dem Schwert zu k?mpfen und sich zu bereichern; er stritt deshalb mit der Zunge. Jahr um Jahr war vergangen, eine Generation war der anderen an der Universit?t gefolgt, der ungest?me Strom der Zeit war vorbeigebraust, und jede neue Generation fand Hermann Bergius da, wo er, wenn nicht tausend, so doch f?nfzehn runde Jahre gestanden hatte, den Blick, zwar nicht in den tr?ben Strom der Zeit, so doch in den des Punsches versenkt. Wie gewisse griechische Philosophen vor Sokrates teilte er den Weg in eine unendliche Anzahl kleiner Teilchen; und so wie jene auf diese Art nachwiesen, dass Achilles die Schildkr?te nicht einholen konnte, bewies Hermann Bergius auf seine Weise, dass die Zeit ihn nie zu erreichen vermochte. Seine Bildung war umfassend, sein Humor ungew?hnlich, sein Appetit unermesslich, sein Durst noch gr?sser; seine F?higkeit, Strapazen und Ausschweifungen gleich gut zu ertragen, des Gr?ssten aller R?mer w?rdig.

In seiner Armee spielte Allan Kragh haupts?chlich die Rolle des Quartiermeisters; er bezahlte die Tagesrationen aus, sorgte f?r die Verpflegung und das Nachtlager der Truppen und hatte nach der Regel des siebzehnten Jahrhunderts vor allem daf?r einzustehen, dass sie, wenn schon nichts anderes, so doch jeden Tag einen t?chtigen Trunk erhielten. Dank dem freundschaftlichen Fusse, auf dem er mit den Banken stand, war dies ein zwar schwieriger, aber doch zu bew?ltigender Posten. Seine Belohnung war die Freundschaft des grossen Feldmarschalls und verschiedentliche Erw?hnungen in den Tagesrapporten.

Es w?rde zu weit f?hren, alle Helden der Armee der grossen Zeit aufzuz?hlen. Da war John Peter S., Hermann Bergius' n?chster Mann und Adjutant. Da war eine unz?hlige Schar Kombattanten und Nichtkombattanten, Freibeuter aus allen Teilen des Reiches, S?ldner f?r l?ngere oder k?rzere Zeit. Da war O. B., ein alter Spartaner, wie Bergius sagte, der sich auch in gebettete Betten nur mit den Kleidern legte. Da war der Amanuensis, unabsetzbarer Amanuensis in den Kaffeeh?usern, aber von der Institution in dieser Eigenschaft l?ngst verabschiedet. Sein Wahlspruch war: ,,Kreuzdonnerwetter, was ein alter Feldwebel ist, der kann immer noch eins vertragen." Abgesehen vom Amanuensis war er n?mlich auch Feldwebel, und zwar mit ebenso grossem Recht, ganz wie der K?nig von D?nemark in seinen Kundgebungen noch immer ?ber Dithmarschen, Lauenburg, Venden und weiss Gott was regiert. Da war Aistjerna, der eine kurze Gastrolle gab, bevor ihn seine hochadelige Familie noch rasch rettete, und dessen ber?hmtester Ausspruch fiel, als er Hermann Bergius ?ber seine schon l?ngere Zeit andauernde Obdachlosigkeit tr?sten wollte: ,,Ja, lieber Hermann, auch ich -- ?h -- habe die Schrecken des Bohemelebens kennen gelernt -- es hat N?chte gegeben, -- ?h -- wo ich mich nicht nach Hause traute, sondern -- ?h -- tats?chlich im Bristol ?bernachten musste." Ber?hmt waren auch seine Reflexionen ?ber die Spatzen: ,,So ein Spatz -- ?h -- das ist wohl so 'ne Art M?ller oder Schulze in der Vogelwelt." -- Eine kurze, vielversprechende Laufbahn, so lautete Hermann Bergius' Grabschrift f?r ihn, als die hochadeligen Verwandten ihr Rettungswerk vollendet hatten. -- Da war noch der ber?hmte Baron vom Altmarkt, der Schrecken err?tender Jungfrauen und die Sorge weinender M?tter, ein Casanova, fehl an Zeit und Ort -- ja es war ein buntes Gefolge, und es waren bunte Erlebnisse, die Allan in ihrer Gesellschaft hatte. Nat?rlich immer in einem engen geographischen Kreis: Von Langfahrten war eigentlich nur die grosse Expedition nach Berlin zu verzeichnen, haupts?chlich denkw?rdig durch den von Allan meisterlich geleiteten R?ckzug: Fast ohne Geld, bedroht von der Meuterei der erregten Truppen und zu best?ndigen Hinterhutgefechten mit der rachedurstigen Bev?lkerung gen?tigt, hatte er eine nichts weniger als leichte Aufgabe. Endlich stand man tiefbewegt wieder auf schwedischem Grund und Boden, wo Allan bei der grossen Festmahlzeit vom Feldmarschall mit einer Umarmung vor den Truppen ausgezeichnet wurde, worauf man telegraphischen Rapport ?ber den R?ckzug an Seine Majest?t den K?nig absandte, an das deutsche Departement des Aeussern und den Sultan von Marokko, dem es augenblicklich auch dreckig ging.

Sechs Jahre von goldenen Sekunden waren auf diese Weise verronnen, da kam ein sch?ner Tag, der Allans grosser Zeit ein katastrophales Ende bereitete. Und die direkte Ursache war so unbedeutend, dass sie auf den ersten Blick l?cherlich erscheinen kann. Es begab sich, dass Allan am ersten Tage des Wintersemesters des siebenten Jahres an einen Ort kam, den er schon sehr lange nicht gesehen hatte -- die Universit?t. Die Vorlesungen in den S?len sollten eben beginnen. Der Gedanke, eine davon zu besuchen, ber?hrte Allan h?chst humoristisch und barock -- eine gute Geschichte f?r den Freundeskreis. Es waren gut drei Jahre her, seit er zuletzt da oben gewesen war. Er ging in den ersten besten H?rsaal, ohne auch nur nachzusehen, was in seinen Mauern verk?ndet wurde. Er nahm Platz; der Vortragende kam und begann. Es erwies sich, dass Allan zu dem englischen Lektor der Universit?t geraten war.

Als Allan das merkte, gab es ihm einen Ruck. Gerade die Vorlesungen der fremden Lektoren hatte er w?hrend seiner ersten Jahre an der Universit?t tats?chlich besucht ... Er besass Sprachentalent und hatte sich in den ersten Jahren das Deutsche und Englische in anerkennenswerter Weise angeeignet. Erinnerungen erwachten in ihm. Der jetzige Lektor war ein athletisch gebauter junger Mann mit klaren, k?hnen Augen. Er hielt einen einleitenden Vortrag ?ber die englische Kolonialliteratur; er war selbst rings um die halbe Erde gewesen und verflocht in seinen Vortrag pers?nliche Erinnerungen und Beobachtungen. Allan merkte, dass er noch gen?gend Englisch konnte, um ihn vollst?ndig zu verstehen; er war, wie gesagt, nicht auf den Kopf gefallen. Er h?rte zu, er f?hlte sich interessiert, ja mehr als das, gefesselt von den Schilderungen der L?nder dort draussen, und pl?tzlich sp?rte er, wie ihm eine heisse R?te ins Gesicht stieg. Was war das eigentlich f?r ein Leben, das er und die anderen hier f?hrten! Was war das doch f?r ein Provinz-Sybaris! Wie konnte man nur Jahr f?r Jahr in diesem engen Kreis totschlagen? Wie konnte man! ... Jahr f?r Jahr ... Jahr f?r Jahr ... Was dachte er sich eigentlich, was wollte er? War es denn ?berhaupt am?sant? ... Was er und die anderen da trieben, waren ja doch Kindereien, ohne Spannung, ohne Interesse.

Schliesslich war die Vorlesung zu Ende, und das Publikum str?mte heraus. Allan blieb als letzter zur?ck und ging, von Gedanken erf?llt, die wie Blasen in ihm aufstiegen, aber zerstoben, bevor sie sich noch ganz gekl?rt hatten. Gleich vor der Universit?t stiess er mit der ganzen Armee zusammen und wurde mit Jubelrufen begr?sst. Es gab ein Mittagessen im Park; es gab Kaffee und Punsch. Der Abend verging, und das grosse Hauptquartier der grossen Armee begann die Pl?ne f?r den Feldzug des kommenden Jahres zu entwerfen. Es war das erstemal, dass man sich nach den Sommerferien traf. Die kommende Jahreskampagne sollte alle vorhergegangenen der Kriegsgeschichte schlagen; man er?rterte ihre Einzelheiten unter mehr oder weniger formeller Befragung des Quartiermeisters, der stumm und gr?belnd vor seinem Whiskyglas sass, die Ohren erf?llt von dem Geplauder der Kampfgenossen, den Kopf voll von einem Gef?hl, das neu schien, alt war und sehr rasch allm?chtig wurde: Jetzt ist Schluss! Schluss f?r immer. Das war die letzte Revue der Truppen; Fontainebleau; Abschied ohne Tr?nen, Umarmungen oder Ueberreichung des Degens; und dann fort, sei es auch nach Elba oder Sankt Helena!

Mit anderen Worten: Eine Pflanze, deren Keim schon lange in Allans Herz gelegen war, hatte an diesem Tage endlich die H?lse gesprengt, die Wurzeln ausgebreitet und war zum vollen Tageslicht hinaufgedrungen. Das einzige Verwundernswerte war, dass dies nicht schon l?ngst geschehen war.

Sein ganzes Leben lang hatte Allan eigentlich den Zug hinaus gehabt, den Zug zum Fernen, Neuen, Unbekannten. Vielleicht war es Hermann Bergius gerade dadurch, dass er diese Saite ber?hrte, gelungen, ihn zum Quartiermeister des sechsj?hrigen Krieges zu machen. An diesem Abend merkte er, wie es ihm vorkam, pl?tzlich, mit einem Male, wie unbefriedigt ihn alle Eskapaden dieser sechs Jahre eigentlich gelassen hatten. Kinderstreiche ... ohne Bedeutung ... ohne Spannung ... Er dachte all der Morgen, an denen er durch irgendeine d?mmergraue Strasse einer fremden Stadt, in die der Zufall und Bergius ihn verschlagen hatten, heimw?rts gewandert war, und der Lust, die er auf diesen einsamen Morgenwanderungen versp?rt, von den anderen zu desertieren und von dem ganzen grossen Fr?hschoppen am n?chsten Tage, der der Clou dieser Eskapaden war. Jedesmal war dieser Impuls von irgendeinem anderen verdr?ngt worden. Jetzt begriff er, was dies eigentlich bedeutet hatte. Er durchforschte sein Ged?chtnis und verstand auch andere kleine, fast kindische Z?ge an sich selbst, seine Lust , mit exotischen Gestalten anzub?ndeln, die man zuf?llig in Schenken und auf Dampfern traf; sein Versinken in trockene, dicke, ausl?ndische Fahrpl?ne, Henschel und Bradshaw, die er in den Vestib?ls der Hotels fand; seine Manie f?r die grossen ausl?ndischen Zeitungsdrachen ...

Und w?hrend man die Becher leerte, die die Ouvert?re zu einem weiteren Jahr kriegerischer Heldentaten und Idyllen bilden sollten, sass Allan da, ohne sein Glas zu ber?hren. Die verheissenen Idyllen erschienen ihm mit einem Male ?beraus banal und der Wein der Freudenbecher schal geworden ... Fort, auf neuen Strassen, fort, um die Sonne ?ber St?dten zu sehen, wo noch etwas Neues geschah und wo man dem Abenteuer begegnen konnte! Denn was war er eigentlich alle diese sechs Jahre nachgejagt, wenn nicht den Abenteuern, dem Neuen? Morgen! ...

So dachte Allan Kragh, weil er eine jener Naturen war, die dazu bestimmt sind, Abenteuer zu suchen; w?hrend er, wenn er das nicht gewesen w?re, daran gedacht h?tte, ein neues Leben zu beginnen und die weiteren Vorlesungen des englischen Lektors zu besuchen.

Die Uhr zeigte am n?chsten Morgen halbzehn, als Allan auf dem Trottoir vor dem grossen Hotel der Universit?tsstadt seine Pl?ne in dem Septembersonnenlicht einer Musterung unterzog. Und w?hrend er dasass und ?berlegte, ob ein gesunder und normaler Mensch den Schritt, den er machte, machen konnte, ohne verfolgt zu werden, entdeckte er so allm?hlich noch einen Grund, seinen unklaren Plan ins Werk zu setzen, einen Grund, der m?glicherweise etwas unkameradschaftlich war, aber daf?r in gewissem Masse das sonst recht Phantastische seines Vorhabens aufwog.

Allan Kragh und seine Freunde waren schwedische akademische B?rger; damit ist gesagt, in welcher Weise Allan seine Quartiermeisterschaft in den ber?hmten Heerz?gen der sechs Jahre ausge?bt hatte.

Selbst war er ja durch vorsorgliche Eltern von der Notwendigkeit befreit, aus eigener Vernunft oder Kraft Geld aufzubringen; aber die Eltern seiner Freunde waren nicht ebenso vorsichtig gewesen, und darum war es auf Allans Los gefallen, ihnen in der erw?hnten Hinsicht durch verschiedentliche Autogramme zu Hilfe zu kommen. ,,Nicht der Endossent allein gewinnt die Schlachten, die namenlosen Reihen gewinnen sie ihm," pflegte Hermann Bergius jedesmal zu versichern, wenn er, wie er sich ausdr?ckte, Allan wieder einmal einen Ehrenposten zugedacht hatte; aber in der Regel hatte Allan gefunden, dass der Endossent sich wie die Feldherren fr?herer Zeiten selbst ins Kampfgew?hl st?rzen musste, um die Feinde nicht triumphieren zu lassen -- in diesem Falle die Banken. Mit einem Wort: er hatte sich auf Dokumenten von einer Anzahl, die er selbst nicht n?her kannte, verewigt; und obgleich er zu dem Zeitpunkt, zu dem der Feldzug des siebenten Jahres beginnen sollte, noch nicht v?llig ersch?pft war, war er doch nicht allzu weit davon entfernt. Wenn er nun, dachte er mit einem stillen L?cheln, seinen rasch entstandenen Plan verwirklichte, und er schon zu gar nichts anderem f?hrte, konnte er doch wenigstens zur Folge haben, dass die namenlosen Reihen sich gezwungen sahen, sich auf eigene Hand ohne den Feldherrn durchzuschlagen -- bekanntlich der erstrebenswerteste H?hepunkt, den die milit?rische Erziehung erreichen kann ... und das w?re ja immerhin ein gewisser Vorteil f?r den in sechs Kriegsjahren gepr?ften Feldherrn, f?r den Fall, dass sein eigener Kriegszug in unbekannte L?nder mit Niederlage und R?ckzug enden sollte ...

Allan war boshaft genug, sich bei dem Gedanken an die nicht sehr platonischen Dialoge, denen die namenlosen Reihen sich hingeben w?rden, wenn sie die Niedertracht ihres F?hrers erkannten, ein L?cheln zu g?nnen. Dann klopfte er dem bejahrten, rotnasigen Kellner, der seine einst?ndige Morgengr?belei an dem Trottoirtisch ehrfurchtsvoll beobachtet hatte. Als dieser Allans Klopfen vernahm, st?rzte er, wie aus der Kanone geschossen, herbei.

,,Wieviel?"

,,Zwei Pilsner, sechzig Oere."

Allan legte das Geld auf den Tisch und stand auf.

,,Soll ich drinnen ein Fr?hst?ck f?r den Herrn Doktor bestellen?"

Allans Doktorpromotion hatte in den Hotels, nicht in der Universit?t, stattgefunden. Allan sch?ttelte den Kopf.

,,Herr Doktor warten vielleicht auf die anderen Herren Doktoren?"

,,Das glaube ich nicht," sagte Allan, ,,sagen Sie ihnen, sie k?nnen auf mich warten!"

Er warf einen Blick auf die Uhr. Halb elf; das Schiff ging um ein Uhr; die Bank, das Packen, ein Pass -- er hatte gerade noch Zeit!

Zweiundeinehalbe Stunde sp?ter sah das Vaterland Herrn Allan Kragh an Bord eines kleinen weissen Raddampfers steigen, einer von jenen, die w?hrend der sechsj?hrigen Kriegsfahrten in das n?her gelegene Ausland oft als Wikingerschiffe gedient hatten. Die Taue wurden gel?st; die Dampfpfeife tutete mit einem heiseren, versoffenen Basston; die R?der schaufelten das Wasser auf, und Herr Allan Kragh hatte mit zw?lftausend Kronen Bargeld sowie zwei wohlgef?llten Reisekoffern und einem Spazierstock seine grosse Reise in die Welt angetreten.

Vorsicht bei Eisenbahnfahrten!

,,Diner, meine Herrschaften! W?nschen die Herrschaften zu dinieren? Diner, meine Herrschaften, zweites Service jetzt fertig."

Der Zug flog ?ber die blinkenden Stahlschienen, K?ln zu. Die Wagen schlingerten in den Kurven und neigten sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite. Die Landschaft flog vorbei, flach und nichtssagend; vor ein paar Stunden hatte man Osnabr?ck passiert. Der Septemberhimmel war klar, blau, unendlich hoch, mit leuchtenden, weissen Wolkenmassen, die einander jagten; der Wind war frisch, k?hl mit einem feinen, schon vernehmlichen Herbstduft. Ab und zu, wenn man an irgendeinem Fluss oder Kanal vorbeiflog, war sein Wasser durchsichtig gr?n, und hier und dort segelten fr?h abgefallene Bl?tter auf seinem Spiegel. Der Zug hastete weiter und weiter; und Allan Kragh stand in private Meditationen versunken, den Kopf halb zu einem Korridorfenster hinausgestreckt, ohne sich daran zu kehren, dass der Wind ihm ins Gesicht peitschte und hie und da Russflocken von der Lokomotive mitbrachte. Die Stimme des Speisewagenkellners weckte ihn aus seinen Gr?beleien; er sah auf seine Uhr, die etwas ?ber eins zeigte und erinnerte sich pl?tzlich, dass er seit den zwei Eiern und dem Kaffee im Hauptbahnhof in Hamburg nichts gegessen hatte. Zugleich mit diesem Gedanken versp?rte er mit einem Male einen vortrefflichen Appetit. Er nickte dem Mann in der weissen Jacke zu und bekam von ihm eine Platzkarte.

,,Ganz besetzt heute, f?r alle Diners," vertraute er Allan an, wie um diskret anzudeuten, dass das Trinkgeld danach sein sollte.

,,Hat das Service schon begonnen?" fragte Allan.

,,In zwei Minuten, mein Herr."

Der Abgesandte des Speisewagens eilte weiter, und Allan ging durch den schwankenden Korridor in die Toilette am anderen Ende des Wagens.

Aus welchen Anl?ssen Allan Kragh sich in diesem Zug befand, ist eigentlich nicht leicht zu erkl?ren -- richtiger gesagt, der einzige Anlass, der vorlag, war so bizarr, dass er l?cherlich wirkt, wenn man ihn erz?hlt. Am fr?hen Morgen dieses Septembertages war er nach Hamburg gekommen, ohne die leiseste Ahnung, wohin er seine Schritte lenken oder was er zun?chst unternehmen sollte. Er machte aufs Geratewohl einen Spaziergang um das Viertel gegen?ber der Ankunftseite des Hauptbahnhofes, befand sich nach einigem Herumirren unten an der Alster, und dachte schon daran, bis auf weiteres in Hamburg zu bleiben, das eine sch?ne und anziehende Stadt zu sein schien. Dann verabschiedete er diesen Gedanken wieder und kehrte durch die noch morgenleeren Strassen zum Hauptbahnhof zur?ck. Er fand ihn mit allen modernen Bequemlichkeiten versehen, liess sich rasieren, wechselte etwas Geld und nahm ein hastiges Fr?hst?ck in dem grossen Restaurant ein. F?nf Minuten vor halb acht Uhr wurde von einem galonierten Bediensteten ein Zug nach Paris ausgerufen; Allan verliess das Restaurant, noch immer im Unklaren, was er tun sollte, und ging zu den Billettschaltern. Fahrpl?ne bedeckten die W?nde in milit?rischen Kolonnen; keine verlockenden Affichen mit Bildern des blauen Meeres und der gr?nen W?lder, nur Betriebsverordnungen und Ziffern. Vor einem der Billettschalter f?r den Fernverkehr standen drei Personen, die pl?tzlich Allans Aufmerksamkeit erregten: Ein junger Mann von vielleicht dreissig, etwa von seiner eigenen Statur, mit einem glattrasierten dunklen Schauspielergesicht, kurzen Koteletten und goldgefasstem Zwicker; ein alter Herr mit roter Raubvogelnase, gelben, stechenden Trinkeraugen und einem gelbgrauen Schnurrbart; ferner eine junge Dame in gr?nem Reisekost?m, um den Hals ausgeschnitten, ?ber die H?ften knapp anschliessend und so fussfrei, dass zwei Kn?pfelschuhe mit grauen Gamaschen zu sehen waren. Ihr Gesicht hatte einen etwas hochm?tigen Ausdruck, mit zwei grossen grauen Augen und einer etwas gesch?rzten Oberlippe. Es war ?usserst frappierend unter dem Reisehut in schwarz und gr?n, der wie ein Musketierhut auf ihrem rotblonden Haar sass. Sie hatte drei oder vier amerikanische Zeitschriften in der Hand. Allan verschlang sie mit den Augen: Sie h?tte d'Artagnans Geliebte sein k?nnen oder eine der sch?nen blonden Agentinnen des Kardinals. Jetzt eilte der j?ngere Herr vom Billettschalter fort; der ?ltere nahm seinen Platz ein, auf dem Fuss gefolgt von der auffallenden jungen Dame, die einige Goldm?nzen zwischen ihren behandschuhten Fingern hielt. Nun ging der ?ltere Herr, und sie nahm seinen Platz ein. Allan kam ein Einfall, und er folgte nach. Er h?rte sie in vollkommen korrektem Deutsch sagen: ,,Erste einfach, Paris." Sie stellte noch ein paar Fragen, die der Mann am Schalter beantwortete. Sie war also eine Deutsche, obwohl sie so amerikanisch aussah. Nun hatte sie ihre Fahrkarte. Allan verliess den Billettschalter und folgte ihr in einiger Entfernung. Er sah sie etwas Reisegep?ck aufgeben und die Treppe zum Perron hinuntergehen. Sie war in ihrem raschen, elastischen Gang noch sch?ner, als wenn sie stille stand. Er sah sie noch dort unten den Zug entlang gehen, dann war sie ausser Sehweite. Der galonierte Mann kam durch die Bahnhofshalle gewandert und schrie mit Stentorstimme:

,,Schnellzug nach Paris und Holland! Eine Minute!"

Da kam Allan eine barocke Idee. Ohne zu ?berlegen, was er tat, oder weshalb er es tat, st?rzte er zum Billettschalter zur?ck, an dem er die drei gesehen, riss eine Banknote heraus und rief dem Mann dahinter, der ihn vorhin, als er gegangen war, ohne eine Karte zu l?sen, erstaunt angestarrt hatte, zu:

,,Paris, einfach, erste!"

,,Sie m?ssen sich aber eilen!" schrie der Mann zur?ck. ,,Der Zug geht um sieben Uhr neununddreissig. -- Sie haben gerade noch vierzig Sekunden."

Allan st?rzte zur?ck, das Billett in der Hand, w?hrend in seinem Kopf sich die Gedanken kreuzten. Das war der helle Wahnwitz ... Sein Gep?ck stand in der Garderobe deponiert; er hatte unm?glich Zeit, es herauszubekommen; er musste nat?rlich diesen geistesgest?rten Einfall aufgeben. -- Oder sollte er das Gep?ck hier lassen und sp?ter telegraphieren? Das war offenkundig vollkommen irrsinnig ... Es gingen ja noch Z?ge, aber ... aber sie fuhr mit diesem! Wenn es ihm gelang, ihr von dem Opfer zu erz?hlen, das er um ihretwillen gebracht, w?rde sie das vielleicht r?hren ... Ohne dass er wusste wie, hatte er die Kontrolle passiert, st?rzte Hals ?ber Kopf eine Treppe hinunter, zu einem Zug, der sich eben in Bewegung setzte, w?hrend die Schaffner die letzten T?ren zuschmetterten. -- Da, gerade noch in der letzten Sekunde war er mit einem Sprung in einem der r?ckw?rtigsten Waggons. Gl?cklich hinaufgekommen, zauderte er wieder. Das war ja der reine Wahnsinn! Sollte er wieder abspringen? Dann zuckte er die Achseln mit einem L?cheln ?ber sich selbst.

,,Fahre ich mit," murmelte er vertraulich dem Korridorfenster zu, ,,dann brauche ich wenigstens keine Polizeistrafe wegen unerlaubten Abspringens zu bezahlen."

Nachdem er sich ?berzeugt hatte, dass er sich im letzten Personenwagen befand, machte er sich auf die Wanderung durch die Korridore, um nach der Unbekannten auszuschauen.

Der Wagen, in dem er gelandet war, war ein Waggon dritter Klasse; er ging durch, ohne sich die Passagiere n?her anzusehen. Darauf folgte ein durchgehender Waggon zweiter Klasse nach Amsterdam, er dr?ngte sich mit einer gewissen Schwierigkeit hindurch, so voll war er von Passagieren. Darauf kam ein direkter Wagen nach S?ddeutschland, beinahe ganz besetzt. Daran schloss sich der Speisewagen. Hier war es verboten, zu passieren, da man sich durch die K?che h?tte dr?ngen m?ssen. Allan versuchte es mit Bestechungen, deren Annahme verweigert wurde, und erhielt den Bescheid, dass er bis Bremen warten m?sse, wo man eine Minute Aufenthalt hatte. Er setzte sich an einem Fenster im Korridor des s?ddeutschen Wagens zur Ruhe, wo er sich von dem Morgensonnenschein durchrieseln liess und nach Herzenslust die k?hle Septemberluft einatmete. Er dehnte die Brust und lachte in sich hinein; das war doch etwas anderes, als auf den ausgetretenen Strassen dieses Provinz-Sybaris herumzustampfen! Pl?tzlich begannen die Wagen gegeneinanderzurasseln, der Zug wurde langsamer und rollte durch eine Vorstadt von roten Ziegelvillen in Bremen ein. Im Handumdrehen war Allan draussen in der Bahnhofshalle, kaufte sich ein P?ckchen Zigaretten, etwas Obst und einige Zeitungen und sprang in das n?chste Coup? nach dem hinderlichen Speisewagen.

Er wartete, bis der Zug sich in Bewegung setzte, bevor er seine Forschungen wieder aufnahm. Dieses Mal waren sie von besserem Erfolg gekr?nt. Der Wagen hinter dem, in den er aufgesprungen war, war ein Wagen erster und zweiter Klasse nach Paris, und in der dritten Coup?abteilung der ersten Klasse sass die Unbekannte.

Dieser begr?sste sein Erscheinen mit einem Blick des herzlichsten Widerwillens. Er schlug sein Auge zum Netz auf, wie um anzudeuten, dass, wenn Allan sein ganz unerw?nschtes Reisegep?ck dort placieren wollte , er gen?tigt w?re, seine eigenen, dort befindlichen Habseligkeiten fortzuschieben. Allan zuckte die Achseln mit einer Miene, die der der Rotweinnase an Mitreisendenverachtung nur wenig nachgab, und kundgeben sollte, dass er es aus einer Laune vorzog, w?hrend er in diesem preussisch-hessischen Wagen fuhr, sein Reisegep?ck, das den Vergleich mit dem des bordeauxnasigen alten Herrn in diesem Zug keineswegs zu scheuen brauchte, von der Garderobe des Hamburger Hauptbahnhofs verwahren zu lassen. Nach diesem Austausch von Florettblicken liessen sich die beiden Herren in Ruhe auf ihren Pl?tzen nieder; die Raubvogelnase im Schutze des Hamburger Fremdenblattes, Allan ohne Bedeckung. Die Augenwimpern der jungen Dame, die sich ein paar Sekunden eine Ahnung gehoben hatten, ohne dass jemand es gesehen, nahmen ihre fr?here entz?ckende Lage auf den Wangen wieder ein.

Der Zug sauste weiter, und die Wolken leuchteten im Septembersonnenschein. Allan versank in vage Tr?umereien, w?hrend seine Augen ?ber sein Visavis hin und her wanderten.

Man war nun etwa auf halbem Wege von Bremen nach Osnabr?ck , als pl?tzlich ein Kondukteur erschien, um die Billette zu markieren und Platzkarten auszufertigen. Allan reichte sein Billett hin, das besichtigt wurde; der alte Herr mit der Raubvogelnase desgleichen. Die Unbekannte in der Fensterecke schlief noch immer. Der Kondukteur r?usperte sich und liess ein paar vergebliche ,,Gn?dige!" h?ren. Sie r?hrte sich nicht. Allan glaubte eine Chance zu sehen. Er beugte sich vor und legte seine Hand vorsichtig auf jene Stelle ihres gr?nen Reisekost?ms, wo man die Rundung des Knies ahnte. Sie schlug die Augen auf, starrte einen Augenblick Allans Hand an, die dieser noch nicht zur?ckgezogen hatte und fuhr mit einer Miene so unverkennbaren Widerwillens auf, dass Allan zur?ckprallte, w?hrend eine lebhafte R?te sich ?ber sein Gesicht verbreitete. Der Kondukteur l?chelte diskret und wiederholte sein: ,,Gn?dige!" Die Unbekannte reichte ihm ihre Fahrkarte, w?hrend ihre Augen damit besch?ftigt waren, Allan zu morden; worauf sie pl?tzlich vom stummen Spiel zur Sprechszene ?berging. Und zwar auf englisch. -- Allan war ein wenig erstaunt, da sie auf dem Bahnhof in Hamburg perfekt deutsch gesprochen hatte. Sie musste doch voraussetzen, dass er ein Deutscher war. Sie wandte sich an den alten Herrn mit der Raubvogelnase.

,,Sir, ich vermute, Sie verstehen meine Sprache? Ich spreche die Ihre nicht."

L?ge, dachte Allan, aber warum?

,,Ich spreche Ihre Sprache," sagte der alte Herr.

,,Danke. Wissen Sie, ob dieser junge Mensch dort sich noch andere Freiheiten gegen mich herausgenommen hat, w?hrend ich geschlafen habe?"

Der alte Herr warf Allan einen Dolchblick zu und sagte:

,,Das weiss ich nicht, ich habe Zeitung gelesen."

,,Es ist gut. Ich danke Ihnen."

Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page

Back to top Use Dark Theme