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Munafa ebook

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Read Ebook: Aus dem Leben der Antike by Birt Theodor

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Ebook has 1217 lines and 61595 words, and 25 pages

In der antiken Portr?tkunst war das anders, und zwar schon in der ?gyptischen. Da ist alles sinngem?ss und zweckm?ssig. Im alten ?gypten unterschieden sich die St?nde darnach, wer schreiben und wer nicht schreiben kann. Das Buch adelt. Wer nicht lesen kann, ist der Esel, wer lesen kann, der Eseltreiber: so dachte man. Man gestatte, dass ich hier von ,,Buchhaltern" rede, ich meine die Personen, die sich mit dem Buch zeigen. Die ,,Buchhalter" auf den ?gyptischen Bildwerken sind da die h?heren Beamten. Mit eigensinniger Konsequenz und massenhaft sieht man daher die Buchrolle oder das Schreibger?t in der festgeballten Hand gerade nur der Vornehmen auf den Reliefs der grossen Tempelw?nde, der Gr?ber und Pylonen des Pharaonenlandes. Ber?hmt und wundervoll realistisch auch so manche Schreiberstatue, wie die im Louvre: wohl nie ist ein hoher Bureaubeamter und vortragender Rat so verherrlicht worden wie da; sie zeigt ihn angespannt in seiner T?tigkeit. Freilich ist er sehr d?rftig bekleidet. Ein Schurz gen?gt.

Der freie Grieche dachte anders. Er hatte kein K?nigtum, ebensowenig eine Bureaukratie, die in Staffeln bis zum Monarchen hinaufging und sich auf das Buch gr?ndete. Bei den Griechen wurden Buchabschriften zumeist nur von der unfreien Dienerschaft angefertigt. Sah sich der Freie gezwungen, selbst einen Text zu kopieren, so sch?mte er sich dessen und hat sich nicht schreibend abbilden lassen. Die ganze ?berreiche griechisch-r?mische Kunst vermeidet es, einen Menschen darzustellen, der ein Buch schreibt. Denn das Schreiben in Rollen war m?hsam und erzeugte eine unedle Haltung. Die Hilfe des Tisches wurde beim Lesen und Schreiben stets vermieden. Man schrieb auf der Hand. Dazu kam, dass man mit dem fl?ssigen Farbstoff die Finger sich beschmutzt h?tte. Der Vornehmere schrieb daher auf Wachstafeln , in deren eingerahmte Wachsfl?che er mit dem dolchartig spitzen Metallstift die Buchstaben nur zu ritzen brauchte. Das war saubere Arbeit; sie ,,fleckte", aber sie befleckte nicht. Auf Wachstafeln schrieb der Bankier seine Kontos und Quittungen, schrieb der Liebhaber sein Billett an die Dame, die gleich in dieselbe Tafel auch die Antwort ritzte, schrieb endlich der Dichter seine Entw?rfe, die dann sein Amanuensis kopieren durfte.

Also keine Schreiber, wohl aber Leser zeigt uns die alte klassische bildende Kunst. Man las aber allemal nur in Rollen; denn nicht nur in ?gypten beherrschte die Rolle das B?cherwesen durch Jahrtausende; auch bei den Griechen und R?mern ist sie von etwa 600 v. Chr. bis 400 n. Chr. so gut wie der alleinige Tr?ger aller Leseb?cher und wohl auch Bilderb?cher gewesen. Das ergibt wiederum ein Jahrtausend. Das Prinzip des Heftens der B?cher ist zwar schon im Altertum, aber doch erst merkw?rdig sp?t aufgetaucht, und es fand alsdann im wesentlichen nur f?r Pergamenthandschriften Anwendung, die den ?rmeren Volksschichten dienten. In gehefteten Handschriften liest kein einziger Mensch auf den unz?hligen Bildwerken der Alten, die hierf?r in Betracht kommen. Die j?dische Synagoge hat die Rolle bekanntlich bis auf den heutigen Tag beibehalten. Dabei dienen St?be dazu, die Rolle anzufassen; denn die heiligen Schriften d?rfen nicht mit der Hand ber?hrt werden. Die Griechen im Profanleben wussten von solcher Scheu nat?rlich nichts; die H?nde sind es, die mit dem Buch umgehen.

Man muss den Akt des Lesens selber kennen, um die Motive zu verstehen, die die antike Kunst hierf?r verwendet. Wer zu lesen beginnen will, h?lt die geschlossene Rolle zun?chst in der rechten Hand. Die Linke ?ffnet dann das Konvolut, l?st das Band und Siegel, falls ein solches vorhanden und zieht die erste offene Seite zu sich nach links. Eine Textspalte nach der anderen zieht also die linke Hand zu sich her?ber, indem sie das Gelesene zugleich wieder zusammenrollt. Am Schluss der Lekt?re ruht die Rolle somit allemal, aufs neue geschlossen, in der linken Hand. Daraus ergibt sich die Auffassung, die wir an alle Bildwerke herantragen: die Gestalt, die das Buch in der Rechten h?lt, will erst lesen, abgesehen von den F?llen, wo sie es einem anderen Menschen ?berreichen will ; die Gestalt, die es in der Linken h?lt, ist mit dem Lesen jedenfalls fertig; sie hat nicht die Absicht zu lesen. Und das letztere finden wir nun ganz ?berwiegend dargestellt. Es handelt sich eben fast immer um Repr?sentationsfiguren. Das Buch soll da nur andeuten; es ist f?r den Moment gleichg?ltig; nur die W?rde der Person dr?ckt sich in dem Schriftst?ck aus. Nicht sinnend oder in sich gekehrt steht solch ein r?mischer Konsular mit dem Buch vor uns; er wendet sich mit offener Seele an das Publikum, das ihn betrachtet.

Und das Lesen selber? Es sah grazi?s genug aus, und es schm?ckte gleichsam den Menschen. Nichts ist reizender als solch eine lesende griechische Frau, die mit dem weit offen h?ngenden Rollenband zwischen den H?nden einherwandelt , oder als die Muse, die als Konzerts?ngerin auf das Zeichen zum Einsetzen wartet, das der Saitenspieler, der die Begleitung spielt, ihr geben soll, und die dabei das Blatt tief gesenkt zwischen den H?nden h?lt wie unsere S?ngerinnen, wenn sie warten, dass das unleidlich lange Vorspiel zu Ende gehe . Nichts ist sch?ner als der vorlesende Homer der Bilderchronik , nichts lebendiger als der die Lekt?re unterbrechende, in Nachrechnen versunkene Mathematiker des ~Codex Arcerianus~ in Wolfenb?ttel; nichts ergreifender als der Christus mit der gleichsam himmelweit aufgerissenen Rolle zwischen den H?nden, von J?ngern umgeben, wie ihn die Lipsanothek von Brescia zeigt.

Aber dies Lesen war zugleich unbequem und anstrengend; es war eine Fesselung des Lesers im eigentlichsten Sinne, und ein Bedauern erf?llt uns, wenn wir uns klar machen, dass man das durch Jahrtausende hat ertragen m?ssen. Man denke, dass jede Nebenhandlung unm?glich war. Denn nicht nur die rechte Hand war besch?ftigt; die linke durfte zudem die abgerollte Papiermasse nie fahren lassen, und es wurde auf das strengste vermieden, dass die Charta sich aufl?ste und zum Boden niederfloss; denn ihre Fasern waren zart und splitterten leicht, und die Gefahr, dass ein Blatt und damit das ganze Buch zerriss, war st?ndig. Wir trinken beim Zeitungslesen oder schl?rfen Eis im Caf?, wenn wir durstig sind. Der Grieche hatte keine Hand frei. Er konnte das nicht. Ein Gl?ck, dass man damals noch nicht rauchte! Cicero h?tte w?hrend des Lesens auf die Zigarre verzichten m?ssen; denn er h?tte sie nicht halten k?nnen. Wer einen Hautreiz empfindet, der kratzt sich, das ist sein Recht; und wem eine Fliege sich auf den Kahlkopf setzt, der will sie verjagen. Las der antike Mensch, so waren beide H?nde gleich gefesselt, und alles das war f?r ihn eine Unm?glichkeit.

Und nun der Inhalt des Buches! Das Aufwickeln muss f?r den Leser, der vor Neugier brannte, eine wahre Folter gewesen sein. Kein moderner Mensch w?rde das ertragen. Wir naschen heut im Buch, wir bl?ttern hin und her, durchfliegen die Kapitel?berschriften, lesen am liebsten den Schluss zuerst. Brechen wir ab, so legen wir ein Lesezeichen hinein oder machen gar ein Eselsohr. Alles das war damals g?nzlich ausgeschlossen. Vor allem der Schluss des Buches blieb immer ein tiefes Geheimnis; er war durch die Rollung selbst fest zugedeckt. Der Inhalt ,,entwickelte sich" eben beim Lesen mit den Seiten in unerbittlicher Allm?hlichkeit. Das Fr?here deckte das Sp?tere undurchdringlich zu. Das Buch glich dem Leben. Dieser Satz gilt schon hier. Wer kann wissen, was folgt? Wer kann wissen, was das Ende ist?

So gelangen wir dazu, den antiken Leser zu bemitleiden oder, was noch besser, zu bewundern. Er schlang nicht, er naschte nicht. Sein Geist nahm die Speise ruhevoll und ergeben in der Folge, die der Dichter wollte, der die Speise bereitet hatte. Um so tiefer liess er den Inhalt auf sich wirken. Er erlebte ihn. Dazu kam, dass man von einem Werk am Tag kaum mehr als 1000 Zeilen oder 30 Seiten las. Das dankte man den scheinbar so zwecklosen Buchteilungen der antiken Werke. Zum wenigsten von den gr?sseren Unterhaltungsschriften, den Epen und Romanen, waren die Einzelrollen nie umfangreicher. Die zw?lf B?cher der ?neis Vergils wollten an zw?lf Tagen gelesen sein : der Grieche und R?mer stand seiner Literatur anders, er stand ihr hingebender und gebundener gegen?ber als wir der unseren.

Dabei gilt es nun aber die Zeiten zu unterscheiden. Wer die F?lle der griechisch-r?mischen Schildereien auf Vasen, Grabsteinen, M?nzbildern oder Gem?lden durchgeht, bemerkt, dass auf den ?lteren von ihnen der Mensch mit dem Buch noch recht sp?rlich anzutreffen ist; in den sp?teren Jahrhunderten sind die Beispiele dagegen massenhaft. Das ist symptomatisch. In der Zeit des Sophokles und der grossen Trag?die diente das Buch vornehmlich zum Fixieren und Aufbewahren des Textes und noch verh?ltnism?ssig wenig zum Lesen. Die grosse Masse las damals noch nicht allzu viel in B?chern. Ihr gen?gten vor allem die ?ffentlichen Volksvorlesungen der Rhapsoden und das Theater, das heisst das H?ren, und nur wenige Bevorzugte hielten sich Bibliotheken, so wie man seine Stuben auch noch nicht mit Wandmalereien schm?ckte. Dass sich das Laienpublikum mit bildender Kunst und mit Literatur wirklich eingehend besch?ftigte, ein Studium daraus machte, seine Erzeugnisse sich k?uflich erwarb und gar eigene Kunsturteile entwickelte, geschah erst, als die grosse Kunst selbst dahin war, seit der Alexandrinerzeit, besonders zur Zeit der Herrschaft Roms. Das kluge Urteil ist das Merkmal des Epigonen, und Giganten in der Literatur sind unm?glich, wo die Bildung der Laien und der Volksmassen, die mit Hilfe des Buches erworben ist, den Geschmack beherrscht.

Damit hing die Ausbreitung des Schulunterrichts zusammen, eine Verbreitung der Bildung, die keineswegs zugleich eine Vertiefung zu sein pflegt, auch heute nicht. Vor allem seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. haben die r?mischen Kaiser das Volksschulwesen der damaligen Welt organisiert und ausgedehnt, verstaatlicht, seine Wirksamkeit gesteigert. Seitdem las und schriftstellerte, was da Odem hatte, nicht nur in den Hauptst?dten, nein, auch in allen Provinzen des R?merreichs, und zwischen Fachmann und Laie verwischte sich die Grenze mehr und mehr. Das war es aber zugleich, was der christlichen Religion zum Sieg verhalf; denn das Christentum war die Religion des Buches. Der Zeusdienst oder Apollodienst wirkte nur durch den Kultus und nicht durch Schriften. Anders der Christusdienst. Durch planvollen Vertrieb der heiligen Texte und Massenschriftstellerei hat sich dieser im zweiten bis f?nften Jahrhundert das lesende Publikum, das heisst die Welt, erobert.

So ist es nun gekommen, dass auch die Bildwerke des zweiten bis f?nften Jahrhunderts n. Chr., die unsere Altertumsmuseen anf?llen, pl?tzlich ?bers?t sind mit Darstellungen der Buchrolle; vor allem die Sarkophage und unter diesen vor allem die christlichen. Es ist erstaunlich, das zu sehen.

Der Kaiser selbst wandelt jetzt wie pflichtgem?ss mit solchem Buch einher ; das Buch ist in diesem Falle Symbol, ein Attribut, das die rechtsprechende, gesetzgebende Macht des Herrschers andeutet. Danach erh?lt auch Christus st?ndig das Buch; denn auch er ist K?nig; nicht aber Maria; das heisst Maria war damals noch nicht Himmelsk?nigin, worauf der Dogmatiker achten m?ge. Aber auch der Beamte, der Advokat, auch der Schiffsbauer und der Handelsmann werden jetzt oft und gern mit dem gleichen Attribut versehen. Alles das erkl?rt sich aus der Berufseigenschaft der Personen zumeist mit Leichtigkeit; denn der Schiffbauer tr?gt seine Bauzeichnungen in der Hand, der Kaufmann sein Gesch?ftsbuch. Wenn aber auf den Marmorsarkophagen dieser Sp?tzeit der +Verstorbene+ die Rolle tr?gt, was bedeutet sie da? Wie oft sieht man da den Verstorbenen so, im Muschelmedaillon, als Schmuck seiner eigenen Totenlade! Unz?hlig sind die Beispiele. Sind das lauter Beamte, Advokaten oder gar lauter Literaten oder G?nner der Literatur, die uns da erscheinen? Das w?re ungeheuerlich oder doch schwer zu glauben. Die gestellte Frage ist gewiss nur teilweise zu bejahen. Denn das Buch hatte noch eine +tiefere Bedeutung+.

Auch das +Schicksal schreibt+. Auch G?tter haben ihre Bibliotheken. So wie wir in der Johannes-Apokalypse sehen, dass im Himmel die guten und schlechten Handlungen aller Lebenden und Toten, die da auferstehen, in B?chern verzeichnet sind, die von Dienern des Allm?chtigen vor seinem Thron aufgerollt und verlesen werden -- ein unendliches biographisches Archiv im Himmel --, ganz ebenso besitzen auch die r?mischen Parzen oder Schicksalsfrauen im unterweltlichen Raum ein grosses Archiv: darin sind von ihnen die Lebensl?ufe aller derer, die geboren werden sollen, im voraus in B?chern aufgeschrieben und festgelegt. Dies schildert uns Ovid. Ein Buch ist da also ein Mensch: ein Buchinhalt ist ein Menschenleben! Daher nun also auch jene Verstorbenen auf ihren Marmors?rgen im Lateran und ?berall: das Buch, das sie halten, ist vielfach nichts anderes als Symbol ihres eigenen Lebens. Das Buch ist zu Ende abgerollt, d. h. das Leben ist zu Ende gelebt, das die Parze schrieb und das vom Schicksal im voraus gebucht ist. In der Tat halten jene Figuren die wieder zusammengefaltete Rolle regelm?ssig in der Linken, wobei sie obendrein die Finger der rechten Hand oftmals noch still auf den Kopf der Rolle legen, als spr?chen sie: ,,Nun bin ich fertig; mit meinem Lebensbuch bin ich nun am Schluss, und ich kann ruhen." Diese stille Grabessymbolik wirkt ergreifend, und sie scheint spezifisch r?misch, nicht griechisch zu sein, so wie auch die schreibende Parze nicht griechisch, sondern r?misch-etruskisch war.

Im f?nften Jahrhundert hatte das Christentum endg?ltig gesiegt. Zugleich aber war die kostbare Buchrolle aus Charta durch den gehefteten Pergament-Kodex, der billiger, unendlich viel haltbarer und daher in jeder Beziehung praktischer war, allm?hlich verdr?ngt worden. Seitdem haftete an der Buchrolle, die man in Bildwerken doch oft noch beibehielt, ein Schimmer des Heiligen und Sakrosankten. Denn die kirchliche Kunst liebt das Archaisieren. Evangelisten, Propheten und Heilige halten sie jetzt gern. So erklettern diese gestreckten biblischen Figuren die hohen Kirchenw?nde und f?llen in Reihen, auf Goldgrund strahlend, die Apsiden und Triumphb?gen der Basiliken; jeder, der in Italien gereist ist, hat ganze V?lker von ihnen gesehen; ich erinnere nur an S. Paolo in Rom und an Ravenna. Buchhalter! jawohl, dies sind jetzt wahre ,,Buchhalter" des Himmels; das heisst, sie halten das Buch, das auf das Heil Bezug hat, wie ein Heiligtum ostentativ vorzeigend, im Dienst der Christenheit, damit die Gemeinde es gewahr werde, und nicht mehr sie selbst sind Benutzer des Buches, sie lesen nicht und wollen nicht lesen, sondern sie tragen es wie ein Plakat, damit die schauende Menge den frommen Spruch im Auge habe, der weithin sichtbar auf den offen h?ngenden Blattfahnen steht. Das war phantastisch, unwirklich und unantik, und der Gebrauch ver?usserlichte sich im Mittelalter dann immer mehr. Aus der offen h?ngenden Rolle entsteht endlich das in eckigen Falten flatternde +Spruchband+, das die Engel in Glorien durch die L?fte tragen.

Woher stammt unser Wort ,,Rolle"? Es ist gar kein Deutsch; von ~rotulus~ kommt es und stammt aus dem mittelalterlichen Latein her.

Im Mittelalter, wo es keinen Papyrus mehr gab, sind gleichwohl, nach dem Vorbild der Thorarollen der Juden, noch h?ufig Rollen aus Pergament hergestellt worden, und diese erreichen aufgerollt bisweilen die ungeheuerliche L?nge von 100 bis 200 Fuss: Exultetrollen, Wappenrollen, Nekrologien, die noch vielfach erhalten sind. Sie zu benutzen, ist freilich f?r den heutigen Historiker eine P?nitenz. Aber auch im wirklichen Leben, im geistlichen Theaterspiel, fanden die ~rotuli~ damals noch Anwendung; ich meine das ,,Prophetenspiel", in welchem die Propheten und Sibyllen selbst auftraten und ihren frommen Spruch vor der Gemeinde aufsagten, indem sie dabei ein offenes Spruchband in der Hand hielten, auf dem f?r das Publikum zu lesen stand, was sie, die Personen, bedeuteten oder welche ,,Rolle" sie spielten. Daher stammt es, wenn wir auch noch heute sagen, dass der Schauspieler eine ,,Rolle" spielt. Die wenigsten unserer heutigen B?hnengr?ssen wissen wohl, was diese Redensart bedeutet. Aber auch in dieser Anwendung war die Rolle, wie man sieht, zu einem blossen Merkzeichen und toten Emblem herabgesunken, ganz so wie auf den Wandschildereien, von denen vorhin die Rede war.

Der nat?rliche Verkehr des Buchtr?gers mit dem Buch war in der kirchlichen Kunst des Mittelalters aufgehoben. Aber +Michelangelo+ hat ihn, als sie zu Ende ging, wiederhergestellt, und hier d?rfen wir also einen der gr?ssten Namen nennen. Es war eine der Grosstaten Michelangelos, dass er in der Sistina seine Sibyllen und Propheten endlich wieder in eine nat?rliche Beziehung zum Buch brachte. Diese M?nner und Frauen der Weissagung, sie lesen, sie studieren wirklich -- wie ausdrucksvoll ist das gegeben! -- sie suchen, um zu weissagen, im geschriebenen Wort forschend das Zuk?nftige, oder sie schauen auch ?ber das Buch weg.

Aber das Buch beh?lt dabei seinen praktischen Wert. Das gilt zumal von der Delphischen Sibylle. Diese ergreifendste und ergriffenste Figur des Meisters, die ~Delphica~, ist, wie ich ?berzeugt bin, bisher nicht richtig verstanden worden. Das sage ich nicht nur im Hinblick auf Justis ,,Michelangelo", sondern auch auf Steinmanns Werk ,,Die Sixtinische Kapelle". Nicht ,,der Mensch mit dem Buch", der ?bermensch mit dem Buch erscheint in der Delphischen Sibylle, und zwar in ganz neuer Konzeption. Die Seherin sp?ht mit den Augen in die Zukunft wie in die Ferne, die Lippen leise ge?ffnet. Ihr Mantel bl?ht sich im Winde, und auch ihr Haar ist vom Wind bewegt. Mit der linken Hand aber h?lt sie eine unbeschriebene offenh?ngende Rolle gewaltsam weit nach rechts hin?ber, so dass der Windhauch, der sichtlich durch das Bild f?hrt, auch diese Rolle selbst ergreift und aufbl?ht. Danach ist der Sinn klar und nicht zu verkennen: der Geist Gottes ist hier der Handelnde; denn der Geist Gottes ist Hauch, ist Wind! Er schwellt Mantel und Buch zugleich. So wird die bisher leere und unbeschriebene Rolle voll des heiligen Geistes, und der Geist tut das Mirakel, das ihm zukommt, und f?llt sie mystisch unsichtbar mit Worten der Verk?ndigung des Heils. Es ist derselbe Geist, der auch die Evangelien geschrieben.

Das ist die h?chste Vergeistigung des Buches in der Kunst. Eines blieb freilich noch ?brig. In Heinrich Heines Nordseebildern lesen wir: ,,Und mit starker Hand aus Norwegs W?ldern reiss' ich die h?chste Tanne und tauche sie ein in des ?tna gl?henden Schlund, und mit solcher feuergetr?nkten Riesenfeder schreib' ich an die dunkle Himmelsdecke: Agnes, ich liebe dich!" Hier wird das Buch in anderer Weise sublimiert; hier beginnt es die Welt zu umfassen. Der Himmel selbst ist Buch; der Dichter schreibt darauf wie auf einem Bogen.

Heine ist ein superlativischer Dichter. Aber er hat seine hochgegriffene Erfindung in diesem Falle der Antike entlehnt und hat sich selbst dabei beil?ufig mit den G?ttern des Altertums verwechselt. Die G?ttin Ceres ist es, die bei dem r?mischen Dichter Claudian im ,,Raub der Proserpina" die h?chste, W?lder ?berragende Zypresse aus dem Boden reisst und in den Schlund des ?tna taucht, um sie als flammende Fackel zu brauchen; denn sie sucht nach ihrer verlorenen Tochter. Dass der Himmel aber ein entrolltes Buch ist, das steht schon im Jesaias und in der Johannes-Offenbarung zu lesen, und Euripides setzt den Fall, dass gar Gott Zeus selbst weithin in die Fl?che des Himmels die S?nden der Sterblichen schriebe. Gott Zeus, der sich reckt und in das Gew?lbe der unendlichen Sph?ren wie in eine aufgerollte Rolle die S?nden schreibt! Erhaben ist der Gedanke, und er ist alt. Welcher K?nstler aber verm?chte das darzustellen? Michelangelo hat es vers?umt. Kein Apelles und kein Genie des Altertums, ein Michelangelo w?re dazu imstande gewesen.

Verlagswesen im Altertum.

Schriftsetzer und Druckmaschine waren allerdings den Alten unbekannt. Es wurde alles mit der Hand geschrieben. Aber wenn Caesar sein ~Bellum Gallicum~, Horaz seine Satiren oder Ovid seine ,,Kunst zu lieben" herausgab, so wurden doch gleich 500 Exemplare, ja vielleicht das Doppelte, das Dreifache in den Handel gegeben. Das pikante Ovidgedicht wurde von der flotten Damenwelt, das Caesarwerk von den Politikern, die Horazsachen von den ?stheten und Witzbolden verschlungen. Wie aber stellte man so viele Exemplare her? Durch Diktat. Ein ,,Diktator" mag sonst etwas ?bles sein; in der Literatur war er unentbehrlich. Der Diktierende sprach lautstimmig den Text; etwa hundert Schreiber -- r?hriges, kluges Arbeiterpersonal -- hockten in Reihen an der Erde und schrieben nach. Die H?nde flogen; die Feder kratzte nie; denn das Schreiben war ein Malen. H?bsch ausgestattet kamen die Buchrollen dann in den Verkaufsladen. Der Buchh?ndler hatte alle Borte und Kisten voll davon. An die Aussenpfosten seiner Budike nagelte er das Neueste, um die Strassenbummler anzulocken, und er nahm gewaltig hohe Preise. Die Literatur war damals ein gewaltiger Luxus. Eine Rolle von 40 Seiten stellte sich nach modernem Geldwert auf etwa 16 Mark. Wer also den ganzen Livius kaufen wollte, hatte ?ber 1500 Mark zu zahlen. Das Geld kassierte der Verleger oder zun?chst der Sortimenter ein; denn die Verlagsartikel wurden aus Rom oder Alexandria in alle anderen St?dte verschickt und dort von Sortimentern vertrieben.

Und was bekam der Autor selbst? Wurde etwa wirklich, wie man geglaubt hat, kein Honorar gezahlt? Lebten die Schriftsteller von der Luft? Begn?gte sich der Poet im Geist mit den Musen auf dem Helikon zu schw?rmen, indes der Buchh?ndler mit seinen oft epochemachenden Versen einen gedeihlichen Handel trieb? Und vor allem die anderen Literaten -- soll Sallust, der doch sonst auf seinen Vorteil bedacht war, seinen herrlichen ,,Jugurthinischen Krieg" ruhig und selbstlos den H?ndlern in die Hand gedr?ckt haben, dass sie damit ihr Gesch?ft machten? Die Sache w?re zu t?richt; im M?rchen w?re so etwas m?glich, nicht unter ausgewachsenen Menschen der Wirklichkeit. Der R?mer bestand doch sonst auf Recht und Eigentum, und der Grieche auch.

In der Tat: so sp?rlich auch unsere Nachrichten ?ber diese Dinge sind und sein m?ssen, so l?sst sich doch das Gegenteil leicht erweisen. Die Sache wird schon deutlich, wenn uns Seneca sagt: ,,Wir sprechen von B?chern Ciceros; der Buchh?ndler Dorus aber nennt sie trotzdem sein Eigentum, und beides ist richtig; dem einen geh?ren sie, sofern er sie schrieb, dem anderen, sofern er sie sich k?uflich erwarb." Der Buchh?ndler zahlte also auf alle F?lle, in diesem Fall mutmasslich an Ciceros Erben; er kaufte; ohne das verf?gte er ?ber die Werke nicht, konnte sie also auch nicht verkaufen.

Und der Autor oder seine Erben hatten demnach wirklich Vorteil und Gewinn. Achten wir zuerst auf die Theaterst?cke. In Rom tanzt der allbeliebte Solot?nzer Paris; er stellt im Tanz mythologische Szenen dar, wie den K?nig Pentheus, der von seiner Mutter Agaue in der Raserei umgebracht wird. Der T?nzer braucht dazu Musik, auch einen begleitenden Chorgesang, und dazu ist wieder ein Textbuch n?tig; dies Textbuch lieferte ihm Statius, und Paris bezahlte dem Statius seine Textb?cher so gl?nzend, dass Statius damit gross dastand und nebenher auch noch Epen schreiben konnte, die ihm nichts einbrachten. Vom alten Dichter Plautus gingen an die hundert Lustspiele um; manche davon r?hrten gar nicht einmal von ihm selbst her. Man sagte aber, Plautus habe so viel geschrieben, um reich zu werden; denn er verkaufte seine St?cke und war auf die Einnahme versessen; ob die St?cke nachher auch gefielen oder nicht, war ihm ziemlich gleichg?ltig. An den G?tterfesten wurde Theater gespielt; der Staatsbeamte, der Aedil, der das Fest ausstattete, brauchte dazu jedesmal ein neugeschriebenes St?ck, und er kaufte es vom Dichter. In anderen F?llen war auch der Chef der Schauspieltruppe der K?ufer. Gewaltig hohe Summen, die die Dichter Terenz und Varius f?r ihre Dramen einkassierten, werden uns wirklich genannt. Tantiemen bei Wiederauff?hrungen gab es nicht; das erkl?rt sich aus dem Gesagten. Um so berechtigter war die H?he der Summen.

Denn das so verkaufte Lustspiel geh?rte alsdann eben dem Dichter nicht mehr. Sollte ein St?ck wie der ~Miles gloriosus~ oder die Adelphen nach seinen B?hnenerfolgen nun aber auch als Lesedrama und in Buchausgabe in den Handel kommen, so musste der Buchh?ndler -- sagen wir sachgem?ss der Verleger -- das Manuskript vom Aedilen oder vom Schauspieldirektor, der es jetzt rechtlich besass, nicht aber vom Dichter kaufen, der sein Eigentumsrecht abgegeben hatte.

Es ist auch heute so: Theatersachen bringen am meisten ein. Man denke an ,,Alt-Heidelberg" und ?hnliches. War auch nur +eine+ Operette ein Schlager, so k?nnen Komponist und Dichter gleich ihre Dachstube verlassen und sich in bester Gegend eine Villa bauen. Wer dagegen etwa Moltkes oder M?rikes Briefe herausgibt, wer ein Buch ?ber das antike Buchwesen schreibt oder gar mit seinen ersten lyrischen Versuchen hervorkommt, ist bei uns in seinen Erwartungen und Anspr?chen sehr bescheiden. Und so war es auch im Altertum. Trotzdem hat ein Mann wie Cicero ganz gute Schriftstellereinnahmen gehabt, zwar nicht mit seinen philosophischen Versuchen, den Tusculanen u. a., wohl aber mit seinen ber?hmten Reden, die tats?chlich jedesmal ein Ereignis f?r Rom waren und wie Pamphlete wirkten. Man bedenke, dass es damals noch keine Zeitungen gab, die heutzutage die Parlamentsreden in jedes Haus tragen.

Um sich die Sache klar zu machen, sei Apollinaris Sidonius benutzt. Dies war einer der reichsten, vornehmsten Herren in der R?merwelt des 5. Jahrhunderts n. Chr., der zeitweilig sogar mit dem Kaiserhof in n?chster Verbindung stand. In seiner vielk?pfigen Dienerschaft oder Klientel hat der Mann auch einen eigenen Buchh?ndler, und dieser Buchh?ndler muss nun helfen, als Sidonius seine eleganten Schriften herausgeben will; aber er ?berl?sst diesem nun nicht etwa das Gesch?ft selbst mit den anf?nglichen Gesch?ftsunkosten und dem hernach erzielten Gewinn, sondern er zahlt ihm nur j?hrlich ein Fixum, und daf?r muss der Angestellte den Vertrieb besorgen, was eben voraussetzt, dass er den Gewinn an den Herrn selbst abzuliefern hat; denn anderenfalls h?tte das Fixum keinen Sinn. Dieser Angestellte heisst deshalb ,,besoldeter Buchverk?ufer" . Vielleicht hatte dieser Mann in verschiedenen St?dten eigene Verkaufsbuden, wo er die Sachen vertrieb; er konnte sie auch gegen Zahlung an verschiedene andere seinesgleichen, d. i. also an Sortimenter, verschicken und weitergeben.

Dies Verfahren ist Selbstverlag, und es ist das Verfahren, das alle grossen und wohlm?genden Herren, die sich mit Schriftstellerei abgaben, eingehalten haben m?ssen, z. B. der grosse Rechtsgelehrte Ulpian, der in Rom Gardepr?fekt und der m?chtigste Mann neben dem Kaiser war. Die F?lle seiner juristischen Schriften, die nur in Fachkreisen Verst?ndnis fanden, kann Ulpian nur in dieser Weise selbst vertrieben haben; nicht anders aber auch Cicero. Jedoch wurde die Sache dem Cicero, der f?r einen viel gr?sseren Leserkreis arbeitete, bald unbequem, und sein ausgezeichnet gesch?ftskundiger Freund Atticus kam ihm zum Gl?ck zur Hilfe. Der vornehme Geldmann Atticus ist der grossartigste Verleger des Altertums, den wir kennen. Er hielt sich ein besonders zahlreiches Abschreiberpersonal und gab mit dessen Hilfe in trefflicher Ausstattung berufsm?ssig griechische und r?mische Autoren in F?lle heraus. Da sehen wir nun, wie Cicero ihm seine neuen Arbeiten, die gleichsam noch warm und kaum gar vom Ofen kommen, zuschickt, und wie dann in den Abschriften, die Atticus herstellt, doch gelegentlich ein Fehler sich einstellt und rasch etliche Schreiber heran m?ssen, um, ehe es zu sp?t ist, den Schaden aus allen Exemplaren zu beseitigen; denn in dem Werk, wenn es einmal heraus ist, l?sst sich nichts mehr korrigieren: ~nescit vox missa reverti~. Als Atticus im Jahre 46 v. Chr. auch Ciceros Rede pro Ligario vertrieben hat -- offenbar riss sich sogleich alles darum --, da ruft der Verfasser voll Entz?cken: ,,Du hast meine Rede mit so grossartigem Erfolge verkauft: hinfort sollst du von allem, was ich schreibe, den Vertrieb haben," woraus folgt, dass Atticus vor dem genannten Jahre keineswegs alle Sachen Ciceros verlegte. Vor allem aber sehen wir, dass Cicero sich an dem Verkauf freut; er hatte pers?nlich Gewinn davon.

Aber wir h?ren mehr. Nichts wird so gern gekauft wie die Witzliteratur, die sich bei den Alten vor allem in der ,,Satire" auslebte. Die Satire war das humoristische Feuilleton der Alten. Vom Satiriker Menipp h?ren wir nun zuf?llig einmal ausdr?cklich, dass er seine prickelnden Schriften mit grossem Geldgewinn abgesetzt hat. Wie? wird nicht gesagt. Uns gen?gt zu wissen, dass auch er als Verfasser eine Einnahme, und dazu eine gute, erzielt hat.

Aber auch von den Spottdichtern, die nur kurze Gedichte und Epigramme zum besten gaben und dabei wie die ,,Wespen" stachen, erfahren wir dasselbe. ?ber einen solchen wird einmal, weil er zu viel Geld verdient, mit Entr?stung hergefallen, und da heisst es von ihm: ,,Du verkaufst deine Witzverse wie der Kaufmann sein ?l; was hast du f?r Verdienste um unser Gemeinwohl, dass du mit deinem Schimpfen so viel Geld machst?" Es ist also auch hier so: der Schriftsteller hat seinen guten Vorteil.

Eine angesehene Verlagsanstalt in der Zeit des Kaisers Augustus waren die ,,Gebr?der Sosii"; sie waren die Verleger der Oden des Horaz, und damit erhebt sich die wichtige Frage, die noch ?brig bleibt: konnten auch solche Dichter, die nicht f?r die B?hne, sondern nur f?r das lesende Publikum schrieben, und die dabei sich auf den erhabenen Stil beschr?nkten, auf das gleiche rechnen? konnten sie von ihrer Kunst leben? Hier liegt die Sache in der Tat anders, und wer dem sorglich nachgeht, erh?lt einen interessanten Einblick in die eigenartigen gesellschaftlichen Verh?ltnisse der Antike; es w?re verfehlt, diese Verh?ltnisse nach den unsrigen zu beurteilen.

Der Betrieb der Gebr?der Sosii war genau so, wie wir es nach allem, was ich vorausschickte, erwarten m?ssen; denn ?ber sie wird uns w?rtlich mitgeteilt: ,,Sie erwarben sich gute Werke durch Kauf und hatten dann beim Verkauf grossen Gewinn, indem sie Vorr?te von ihnen herstellten."

Also auch sie ,,kauften" die Manuskripte, ehe sie verkauften. Das versteht sich von selbst. Gleichwohl war die Sachlage f?r die Dichter doch h?chst ung?nstig, und insofern k?nnen wir unsere Gegenwart zun?chst noch ganz wohl zum Vergleich heranziehen. Denn auch heute kann, wer ein Epos oder gar lyrische Gedichte macht, froh sein, wenn er sein Werk ?berhaupt gedruckt sieht; er zahlt wom?glich noch etwas zu und jauchzt auch dann noch, wenn er das erste fertige Exemplar in die Hand bekommt. So sagt denn auch Seneca von den Dichtern erhabenen Stils: ,,Sie dichten nicht um Gewinn, sondern sind zufrieden, wenn sie nur Dank ernten." Sie sind also von vornherein bescheiden; es fragt sich aber immerhin, worin der ,,Dank" bestand, auf den sie rechnen.

Horaz hat in seinem ganzen Leben nicht mehr als zehn kleine B?cher fertig gebracht, die heute zusammen nur ein einziges schm?chtiges B?ndchen von etwa 250 Druckseiten ergeben. Wie h?tte er davon dreissig Jahre lang leben k?nnen, wenn die Gebr?der Sosii ihm auch wirklich f?r jedes der zehn B?chlein ein gewisses S?mmchen ausgezahlt h?tten? An den ersten f?nf seiner B?cher schrieb der Dichter zehn volle Jahre lang, von 41-31 v. Chr.; f?r jedes derselben h?tte er vom Verleger also eine Einnahme, die f?r volle zwei Jahre reichte, ausgezahlt erhalten m?ssen: was undenkbar ist.

So steht es denn auch sonst. Die Dichter sind die Sorgenkinder der Muse; denn das Talent pflegt arm zu sein. ,,Ihr lest meine h?bschen Produkte," scherzt der arme Martial, ,,aber mein Geldsack weiss nichts davon" . Ein reicher Nabob und Konsular wie Silius Italicus, der mochte immerhin sein langweiliges Epos ?ber Scipio aus eigenem Verm?gen mit Hilfe des Selbstverlags ins Publikum bringen; der arme Dichter dagegen geht so vor, dass er sein Werk einem vornehmen Manne +widmet+. Der Vornehme legte auf solche Widmung den h?chsten Wert; denn von Dichtern r?hmend genannt zu werden, galt f?r mehr als alle Verewigung durch Inschriften; und er setzt also, um sich erkenntlich zu zeigen, seinen Ehrgeiz darein, den Dichter, an dessen Talent er glaubt, nun auch materiell sicher zu stellen; er schafft ihm sorgenfreie Musse; denn nur in solcher freien Musse l?sst sich Bedeutendes schaffen. Er geht dann gelegentlich auch weiter und stellt dem Dichter selbst seine grossen Aufgaben, wie sie dem Zeitbed?rfnis entsprechen. So hat sich M?cenas durch seinen Klienten Horaz, wie jeder weiss, seinen unverg?nglichen Namen erworben.

Wie aber war alsdann das Verfahren der Herausgabe der Gedichte? wie stand Horaz gesch?ftlich zu seinem Verleger? Die Antwort lautet: er hatte gar keine Beziehung zu ihm; sein reicher G?nner trat ganz f?r ihn ein.

Hier gilt es vom Wesen der ,,Widmung" zu handeln. Heutzutage ist das Widmen nichts als ein Ausdruck ,,hochachtungsvollster Verehrung"; der J?ngling schreibt vor seine Liebesverse ,,meiner angebeteten Klotilde", der Doktorand bringt seine lateinisch geschriebene Doktorschrift seinen Eltern dar, die gar kein Latein verstehen. Was hatte Anton Springer davon, wenn er sein Buch ?ber mittelalterliche Baukunst dem Herrn Boisser?e, was Mommsen, wenn er seine R?mische Geschichte seinem Kollegen Moritz Haupt widmete? Er erntete daf?r ganz gewiss nichts weiter als ein Wort w?rmsten Dankes, der J?ngling von seiner Geliebten vielleicht ?berdies einige Z?rtlichkeiten. Das ist alles.

Dies Dedizieren haben wir zwar von den Alten gelernt; im Altertum hatte es aber einen ganz anderen Zweck, eine andere und h?chst praktische Bedeutung. Es gab zwei Arten von Widmungen. Der alte Cato richtete seine Lehrschriften an seinen Sohn; derartiges geschah oft, und da liegt der blosse Lehrzweck zutage. Cato war Senator, Konsul, war Zensor in Rom und brauchte sich durch seine Schriften keine G?nner zu erwerben. Wer aber zu den wirtschaftlich Schwachen z?hlt, wendet sich mit seiner Gabe an die Gr?ssen der B?rse, an f?rstliche Personen, an die K?nige und Kaiser selbst, und das ,,Dedizieren" ist alsdann ein Schenken in eigentlichstem Wortsinn gewesen; als Schenkung wird es uns ausdr?cklich bezeichnet; d. h. es war v?llige Eigentums?bertragung, ganz ebenso wie das Verkaufen, und der Empf?nger der Widmung ist fortan Eigent?mer des Originalmanuskriptes mit allen Folgen, die das in sich schliesst, ganz so, wie wenn heute ein Student dem anderen einen Spazierstock oder ein sch?nes Bierglas ,,dediziert"; er hat alsdann an der Sache gar kein Recht mehr, und der Empf?nger kann hinfort damit machen, was er will.

Der Dichter hat also an seiner Dichtung alle Rechte preisgegeben, und wollte nun ein Buchh?ndler das Werk vertreiben und in Verlag nehmen, so musste er es zwar selbstverst?ndlicherweise k?uflich erwerben, aber nicht vom Dichter, sondern von dem vornehmen Manne, dem es jetzt geh?rte. Die Sache liegt just so wie bei den Lustspielen des Plautus. Damit war der Poet allen Verlagssorgen enthoben; sein Werk war ihm entzogen; aber er rechnete auf den ,,Dank" seines G?nners, der ihn fortan wirtschaftlich sicherstellte und f?r ihn sorgte durch j?hrliche Unterst?tzung. Das nannte man ~salarium~. Er wurde gef?ttert wie eine gez?hmte und eingefangene Nachtigall. So erkl?rt sich die eigent?mliche Erscheinung, dass es der Empf?nger der Widmung ist, der entscheidet, ob das Werk ?berhaupt in den Handel kommen soll oder im Kasten bleibt ; ja, er ist es, der Verbesserungen im Text anordnet und endlich auch f?r eine anst?ndige oder pomphafte Ausstattung sorgt. Der Dichter aber hat sich damit eine Sinekure verschafft. So sitzt Horaz bei Tivoli auf dem Land, verpachtet den gr?sseren Teil seines G?tchens, speist als echt frugaler Epikureer seine ,,Oliven, Cichorien und Malven" und meisselt dabei aus dem spr?den, dunklen Marmor der lateinischen Sprache seine Oden, nur etwa jeden Monat eine.

In dieser Weise hat die Poesie fast hundert Jahre lang in Rom gebl?ht. Daher sagt Martial: So lange es M?cene gibt, gibt es auch Vergile! Dann aber gingen die Protektoren ein. Das Angebot an Versen wurde zu gross, und man hatte allm?hlich von Orest und Thyest genug geh?rt. Seitdem die hohen Herren den Hunger nach Dichtkunst verloren, verhungerte schliesslich die Dichtkunst selbst. Juvenal singt in seiner siebenten Satire ihr kr?chzendes Grablied. Die Poeten darbten jetzt bei ihrer ?llampe unterm Dach im f?nften Stock, und erst etwa zwei Jahrhunderte sp?ter ist die Poesie in der lieben ,,Mosella" des Ausonius an unserer Mosel zu einer bescheidenen Nachbl?te neu entstanden.

Die Verdienste der r?mischen Kaiser um die Wissenschaft sind noch gar nicht genug gew?rdigt worden. Ich rede hier nicht von den vielen Schulb?chern, die h?bsch gemeinverst?ndlich abgefasst wurden; die brauchten zu ihrer Verbreitung keiner h?heren F?rsorge; denn sie konnten von vornherein auf reichen Absatz rechnen. Die Lehrer trieben mit ihren Lehrschriften regelm?ssigen Handel; die Sch?ler mussten sie kaufen, und so sieht sich denn auch gelegentlich der Verfasser eines solchen Buches gedr?ngt zu versichern, dass er es ,,nicht um des Gewinnes willen" schreibe. Solche B?cher waren also ,,lukrativ". Dagegen hatten es die Gelehrten mit ihren streng wissenschaftlichen Arbeiten, die dazu meistens noch sehr umfangreich waren, oft schwer, ans Tageslicht zu treten. Heute ehrt es unsere Verleger, wenn sie Werke so schweren Kalibers wirklich drucken und auflegen; sie bringen damit oft ein r?hmliches Opfer. In jenen Zeiten aber haben nicht selten die Kaiser selbst geholfen; daf?r war das Hofamt ,,f?r gelehrte Dinge" da. Ich erinnere nur an Kaiser Mark Aurel, dessen Zeitgenosse, der Philologe Herodian, ein epochemachendes Werk ?ber die Betonung der Silben im Griechischen und ?ber die Akzentschreibung schrieb, das ganze 21 Buchrollen f?llte. Dem Mark Aurel widmete er die Rollen, und wir wissen jetzt, was das bedeutete; der Kaiser, der die Widmung annahm, veranlasste ihre ,,Edition", ihre Vervielf?ltigung und Verbreitung, so wie bald danach auch der Sohn Mark Aurels, der Kaiser Commodus, f?r das gelehrte Lexikon des Pollux die F?rsorge ?bernahm. Es n?tzte freilich in beiden F?llen wenig; die Werke waren mit Stoff allzu ?berladen; das gelehrte Dickicht schien zu undurchdringlich; man machte Ausz?ge daraus, und nur diese Ausz?ge liegen uns heute noch vor, aber sie sind uns immer noch eine reichliche Quelle der Belehrung.

Die Kaiser waren die eigentlichen Besitzer der ?ffentlichen Bibliotheken Roms, die Bibliothekare waren ihre Angestellten, und man konnte sicher sein, dass sie in den Schr?nken dieser grossen kaiserlichen B?chereien selbst, die jedem zur Benutzung offen standen, gute Abschriften niederlegen liessen, und das war das wichtigste. Vespasian und Titus eroberten Jerusalem; der Jude Josephus erlebte als Freiheitsk?mpfer die Katastrophe mit; er wurde aber von den R?mern gefangen und huldigte jetzt den Kaisern, die ihn f?r seine Gesinnungslosigkeit ehrten, ihm die Freiheit schenkten, Gehalt zahlten, ja, in Rom im kaiserlichen Palast wohnen liessen. Es ist begreiflich, dass Josephus, als er nun seine j?dische Geschichte schrieb, damit das Interesse dieser beiden Kaiser gewann, das sich auch auf das beste bew?hrt hat. Wir sind gl?cklich, die B?cher des Josephus noch heute zu lesen.

Auf die sozialen Verh?ltnisse aber f?llt aus dem, was ich hier besprochen habe, ein grelles Schlaglicht. Es handelt sich um das Genie ohne Geld. Der unbemittelte Schriftsteller, wie anders als heute stand er damals in der Gesellschaft! Es war die Zeit der M?cene. Der Dichter lebte allerdings im Grunde ein h?chst bequemes Leben; er brauchte durchaus nicht sehr produktiv zu sein; niemand zwang, niemand hetzte ihn. Aber er war zeitlebens abh?ngig von der Gunst und Laune der Grossen. Heute wissen wir zum Gl?ck von Patronen und Klienten nichts mehr; unsere Schriftstellerei ist frei, und jeder Autor w?hlt sich selbst seinen Verlag. Gewiss. Aber man wird vielleicht bemerken, dass sich unsere buchh?ndlerischen Verh?ltnisse doch neuerdings den antiken mehr und mehr analog entwickeln. Unsere grossen modernen Verlagsanstalten wachsen an Macht und stehen im Literaturleben der Gegenwart vielfach schon wie die Patrone da; sie kreieren Autoren, beg?nstigen sie und stellen ihnen ihre Aufgaben und haben vor allem auch wie die Patrone des Altertums die Entscheidung in der Hand, die gegebenenfalls die Ver?ffentlichung eines Werkes f?r lange Zeit oder f?r immer verhindert. Dazu kommt der Geldpunkt. Gemurrt wird wohl heute genug; es w?re nicht erw?nscht, wenn es dazu k?me, dass wir uns nach den Verh?ltnissen der Zeiten des Augustus und Nero zur?cksehnen m?ssten.

Im Altertum sind die Verleger indes schwerlich zu grossen Reicht?mern gelangt. Jener Atticus mit seinem Riesenverlag, von dem ich berichtete, war augenscheinlich ein Idealist, aber er war zugleich Grosskapitalist und konnte das Risiko tragen. Warum war der Beruf der Verleger wenig ergiebig? Kaum hatten sie ein Werk herausgebracht, so fiel das Publikum r?cksichtslos dar?ber her. Rechtsschutz gab es nicht; wer nicht kaufen wollte, machte sich eigenh?ndig eine Abschrift, und dem B?cherverkauf wurde dadurch die empfindlichste, ja eine ganz unerh?rte Konkurrenz gemacht. Es war eine Auspl?nderung, viel ?rger als der Nachdruck, der noch in unserem 18. Jahrhundert die Verleger so gr?blich sch?digte. Von dem ersten besten guten Bekannten borgte man sich ein Buchh?ndlerexemplar und kopierte es nach Belieben. Das war billig; es kostete nur etwas Zeit und Papier; aber man nahm meistens schlechtes Papier dazu, die R?ckseite von alten Aktenbogen und ?hnlichen; wir haben davon noch viele Proben erhalten. Tausendfach und st?ndig ist das geschehen, und diese ,,Privatabschrift" hat -- besonders in der christlich gewordenen Welt -- den Verlag und Buchhandel des Altertums schliesslich geradezu ert?tet. Vollends kam sie in den Schreibstuben der Kl?ster zum Sieg. Die M?nche kauften grunds?tzlich nicht vom Buchh?ndler. Dass im Altertum ein Buch, es mochte noch so vortrefflich sein, viele ,,Auflagen" erlebte, war daher ausgeschlossen.

Woher stammen die Amoretten?

Von Amoretten soll im Nachstehenden die Rede sein, von jenen gefl?gelten Putten, die, dem modernen Auge so gel?ufig, auf Gem?lden und Standbildersockeln wie an H?userfassaden, auf Gesch?ftsreklamen und Waschtisch-Stickereien von unseren K?nstlern, Kunsthandwerkern und Damen oft auf das gedankenloseste wiederholt werden, als ein bequemer Hausrat f?r die erfindungsm?de Phantasie der Gegenwart, ein immer erw?nschtes F?llsel f?r alle leeren Ecken und Winkel; und, wo immer wir sie sehen, erscheinen sie allezeit gef?llig oder doch niemals st?rend; denn es l?sst sich leicht ?ber sie hinwegsehen. Von gewisser Originalit?t waren jene Greenaway-Bilderchen, mit denen uns vor l?ngerer Zeit die Erfindungsgabe englischer Frauenseelen begl?ckt hat; sie waren gleichsam auf dem Boden und Plan des englischen ,,Kindergartens" erwachsen. Sie sind nat?rlich stets h?bsch bekleidet. Anders die Putten, und schon ihre Nacktheit kann dem Nichtwissenden verraten, dass sie ein Anlehen aus freieren Zeiten sind. Wir verdanken sie der lebensfrohen italienischen Renaissance, und schon zu den F?ssen der Sixtinischen Madonna, in den Glanzhimmeln des Correggio f?hren sie ja ihr g?ttlich sch?nstes Kinderleben. Die kleine Fl?gelrasse war seitdem nicht zu verderben; selbst das Klima des Rokoko bekam ihnen leidlich; sie wurden sichtlich fetter, trugen jeden Thronhimmel, den sie sollten, und ?berstanden jede Verrenkung. Ihre Ahnen indes, jene Fl?gelknaben der grossen italienischen Kunst, hatten gleichsam reineres Venusblut, sie hatten voraus den Adel der Wahrheit und Sch?nheit, in S?ssigkeit und Zauber des Leibes und der Geb?rde. Sie dienten jenen K?nstlern bald als +Engel+, bald als +Amorinen+, bald als +Genien+ zu durchsichtiger Symbolik. Es ist jene Zeit, wo man auch den Sohn Gottes im Schosse Marias f?r immer der stumpfen Bekleidung entledigte, die ihn in der Kirchenbilderei des gotischen Mittelalters wie die Wolke die Morgensonne zudeckte, um alle Virtuosit?t Raphaelischen K?nnens an diesem heiligsten Kinderleibe zu ?ben.

Also die Renaissance. Aber sie war nur Renaissance, sie war nur wiedererstandenes Altertum. Jene k?stlichen Putten haben als Ahnen noch echtere griechische Venuskinder; die Renaissance liess sie auferstehen aus den Gr?bern des Altertums, aus jenen antiken Marmors?rgen, die so massenhaft mit dem Volk der Amoren geschm?ckt sind.

Wollen wir die Frage stellen nach der ersten Entstehung der Amoretten, so gilt es bis in das griechische Altertum selbst zur?ckzugehen. Wie konnten diesen Kindern die Fl?gel wachsen? und was bedeuteten sie dem antiken Publikum? Hat, was man heute ziemlich gedankenlos als Gemeingut hinnimmt, dereinst einen eigent?mlichen Sinn gehabt? und wie weit hatte das Cinquecento Recht, die griechischen Putten in dreifacher Verwendung als +Amoren+, als +Engel+, als +Genien+ nachzubilden?

Was ich im Vorliegenden darbiete, ist von mir mit umst?ndlicheren Belegen und in leider der Ungnade verfallener Sprache anderen Orts ausgef?hrt; f?r den, der nachpr?fen will, sei im Anhang mit Seitennennung auf jene Ausf?hrungen kurz verwiesen. Da auch in den neuesten Arbeiten ?ber diesen Gegenstand die richtige Auffassung noch fehlt, lohnt es sich, sie noch einmal vorzutragen.

Der Leib des Menschen sehnt sich wohl nach dem Fliegenk?nnen so, wie die Seele des Menschen sich sehnt nach der Unsterblichkeit. Es ist beides der Trieb nach Unendlichkeit, dort in das R?umliche hinaus, hier hinaus in die L?nge der Zeiten. Wie sch?n, das Ersehnte leibhaft vorzustellen! Der Kinderk?rper ist der leichteste; sein Bau kommt dem des beneideten Vogels noch am n?chsten, wenn wir achtgeben auf das Verh?ltnis der H?he zur Breite; ein Kind l?sst sich schon am ehesten harmlos schwebend denken. So erregt es ein seliges Gef?hl wie erf?llte Sehnsucht, der Anblick der schwebenden Eroten.

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