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Munafa ebook

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Read Ebook: Der Prozess: Roman by Kafka Franz

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Ebook has 174 lines and 71969 words, and 4 pages

?ssen, von dem Aufseher und den W?chtern, um diese drei nicht zu erkennen. Den steifen, die H?nde schwingenden Rabensteiner, den blonden Kullich mit den tiefliegenden Augen und Kaminer mit dem unausstehlichen, durch eine chronische Muskelzerrung bewirkten L?cheln, ,,Guten Morgen!" sagte K. nach einem Weilchen und reichte den sich korrekt verbeugenden Herren die Hand. ,,Ich habe Sie gar nicht erkannt. Nun werden wir also an die Arbeit gehn, nicht?" Die Herren nickten lachend und eifrig, als h?tten sie die ganze Zeit ?ber darauf gewartet, nur als K. seinen Hut vermisste, der in seinem Zimmer liegen geblieben war, liefen sie s?mtlich hintereinander ihn holen, was immerhin auf eine gewisse Verlegenheit schliessen liess. K. stand still und sah ihnen durch die zwei offenen T?ren nach, der letzte war nat?rlich der gleichg?ltige Rabensteiner, der bloss einen eleganten Trab angeschlagen hatte. Kaminer ?berreichte den Hut und K. musste sich, wie dies ?brigens auch ?fters in der Bank n?tig war, ausdr?cklich sagen, dass Kaminers L?cheln nicht Absicht war, ja dass er ?berhaupt absichtlich nicht l?cheln konnte. Im Vorzimmer ?ffnete dann Frau Grubach, die gar nicht sehr schuldbewusst aussah, der ganzen Gesellschaft die Wohnungst?r und K. sah, wie so oft, auf ihr Sch?rzenband nieder, das so unn?tig tief in ihren m?chtigen Leib einschnitt. Unten entschloss sich K., die Uhr in der Hand, ein Automobil zu nehmen, um die schon halbst?ndige Versp?tung nicht unn?tig zu vergr?ssern. Kaminer lief zur Ecke, um den Wagen zu holen, die zwei andern versuchten offensichtlich K. zu zerstreuen, als pl?tzlich Kullich auf das gegen?berliegende Haustor zeigte, in dem eben der grosse Mann mit dem blonden Spitzbart erschien und im ersten Augenblick, ein wenig verlegen dar?ber, dass er sich jetzt in seiner ganzen Gr?sse zeigte, zur Wand zur?cktrat und sich anlehnte. Die Alten waren wohl noch auf der Treppe. K. ?rgerte sich ?ber Kullich, dass dieser auf den Mann aufmerksam machte, den er selbst schon fr?her gesehen, ja den er sogar erwartet hatte. ,,Schauen Sie nicht hin," stiess er hervor, ohne zu bemerken, wie auffallend eine solche Redeweise gegen?ber selbst?ndigen M?nnern war. Es war aber auch keine Erkl?rung n?tig, denn gerade kam das Automobil, man setzte sich und fuhr los. Da erinnerte sich K., dass er das Weggehn des Aufsehers und der W?chter gar nicht bemerkt hatte, der Aufseher hatte ihm die drei Beamten verdeckt und nun wieder die Beamten den Aufseher. Viel Geistesgegenwart bewies das nicht, und K. nahm sich vor, sich in dieser Hinsicht genauer zu beobachten. Doch drehte er sich noch unwillk?rlich um und beugte sich ?ber das Hinterdeck des Automobils vor, um m?glicherweise den Aufseher und die W?chter noch zu sehn. Aber gleich wendete er sich wieder zur?ck, und lehnte sich bequem in die Wagenecke ohne auch nur den Versuch gemacht zu haben, jemanden zu suchen. Trotzdem es nicht den Anschein hatte, h?tte er gerade jetzt Zuspruch n?tig gehabt, aber nun schienen die Herren erm?det, Rabensteiner sah rechts aus dem Wagen, Kullich links und nur Kaminer stand mit seinem Grinsen zur Verf?gung, ?ber das einen Spass zu machen leider die Menschlichkeit verbot.

In diesem Fr?hjahr pflegte K. die Abende in der Weise zu verbringen, dass er nach der Arbeit, wenn dies noch m?glich war -- er sass meistens bis 9 Uhr im Bureau -- einen kleinen Spaziergang allein oder mit Beamten machte und dann in eine Bierstube ging, wo er an einem Stammtisch mit meist ?ltern Herren gew?hnlich bis 11 Uhr beisammen sass. Es gab aber auch Ausnahmen von dieser Einteilung, wenn K. z. B. vom Bankdirektor, der seine Arbeitskraft und Vertrauensw?rdigkeit sehr sch?tzte, zu einer Autofahrt oder zu einem Abendessen in seiner Villa eingeladen wurde. Ausserdem ging K. einmal in der Woche zu einem M?dchen namens Elsa, die w?hrend der Nacht bis in den sp?ten Morgen als Kellnerin in einer Weinstube bediente und w?hrend des Tages nur vom Bett aus Besuche empfing.

An diesem Abend aber -- der Tag war unter angestrengter Arbeit und vielen ehrenden und freundschaftlichen Geburtstagsw?nschen schnell verlaufen -- wollte K. sofort nach Hause gehn. In allen kleinen Pausen der Tagesarbeit hatte er daran gedacht; ohne genau zu wissen, was er meinte, schien es ihm, als ob durch die Vorf?lle des Morgens eine grosse Unordnung in der ganzen Wohnung der Frau Grubach verursacht worden sei und dass gerade er n?tig sei, um die Ordnung wiederherzustellen. War aber einmal diese Ordnung hergestellt, dann war jede Spur jener Vorf?lle ausgel?scht und alles nahm seinen alten Gang wieder auf. Insbesondere von den drei Beamten war nichts zu bef?rchten, sie waren wieder in die grosse Beamtenschaft der Bank versenkt, es war keine Ver?nderung an ihnen zu bemerken. K. hatte sie ?fters einzeln und gemeinsam in sein Bureau berufen, zu keinem andern Zweck, als um sie zu beobachten; immer hatte er sie befriedigt entlassen k?nnen.

Als er um 1/2 10 Uhr abends vor dem Hause, in dem er wohnte, ankam, traf er im Haustor einen jungen Burschen, der dort breitbeinig stand und eine Pfeife rauchte. ,,Wer sind Sie," fragte K. sofort und brachte sein Gesicht nahe an den Burschen, man sah nicht viel im Halbdunkel des Flurs. ,,Ich bin der Sohn des Hausmeisters, gn?diger Herr," antwortete der Bursche, nahm die Pfeife aus dem Mund und trat zur Seite. ,,Der Sohn des Hausmeisters?" fragte K. und klopfte mit seinem Stock ungeduldig den Boden. ,,W?nscht der gn?dige Herr etwas? Soll ich den Vater holen?" ,,Nein, nein," sagte K., in seiner Stimme lag etwas Verzeihendes, als habe der Bursche etwas B?ses ausgef?hrt, er aber verzeihe ihm. ,,Es ist gut," sagte er dann und ging weiter, aber ehe er die Treppe hinaufstieg, drehte er sich noch einmal um.

Er h?tte geradewegs in sein Zimmer gehen k?nnen, aber da er mit Frau Grubach sprechen wollte, klopfte er gleich an ihre T?re an. Sie sass mit einem Strickstrumpf am Tisch, auf dem noch ein Haufen alter Str?mpfe lag. K. entschuldigte sich zerstreut, dass er so sp?t komme, aber Frau Grubach war sehr freundlich und wollte keine Entschuldigung h?ren, f?r ihn sei sie immer zu sprechen, er wisse sehr gut, dass er ihr bester und liebster Mieter sei. K. sah sich im Zimmer um, es war wieder vollkommen in seinem alten Zustand, das Fr?hst?cksgeschirr, das fr?h auf dem Tischchen beim Fenster gestanden hatte, war auch schon wegger?umt. Frauenh?nde bringen doch im Stillen viel fertig, dachte er, er h?tte das Geschirr vielleicht auf der Stelle zerschlagen, aber gewiss nicht hinaustragen k?nnen. Er sah Frau Grubach mit einer gewissen Dankbarkeit an. ,,Warum arbeiten Sie noch so sp?t," fragte er. Sie sassen nun beide am Tisch und K. vergrub von Zeit zu Zeit seine Hand in die Str?mpfe. ,,Es gibt viel Arbeit," sagte sie, ,,w?hrend des Tages geh?re ich den Mietern; wenn ich meine Sachen in Ordnung bringen will, bleiben mir nur die Abende." ,,Ich habe Ihnen heute wohl noch eine aussergew?hnliche Arbeit gemacht." ,,Wieso denn," fragte sie, etwas eifriger werdend, die Arbeit ruhte in ihrem Schosse. ,,Ich meine die M?nner, die heute fr?h hier waren." ,,Ach so," sagte sie und kehrte wieder in ihre Ruhe zur?ck, ,,das hat mir keine besondere Arbeit gemacht." K. sah schweigend zu, wie sie den Strickstrumpf wieder vornahm. Sie scheint sich zu wundern, dass ich davon spreche, dachte er, sie scheint es nicht f?r richtig zu halten, dass ich davon spreche. Desto wichtiger ist es, dass ich es tue. Nur mit einer alten Frau kann ich davon sprechen. ,,Doch, Arbeit hat es gewiss gemacht," sagte er dann, ,,aber es wird nicht wieder vorkommen." ,,Nein, das kann nicht wieder vorkommen," sagte sie bekr?ftigend und l?chelte K. fast wehm?tig an. ,,Meinen Sie das ernstlich?" fragte K. ,,Ja," sagte sie leiser, ,,aber vor allem d?rfen Sie es nicht zu schwer nehmen. Was geschieht nicht alles in der Welt! Da Sie so vertraulich mit mir reden, Herr K., kann ich Ihnen ja eingestehen, dass ich ein wenig hinter der T?r gehorcht habe und dass mir auch die beiden W?chter einiges erz?hlt haben. Es handelt sich ja um Ihr Gl?ck, und das liegt mir wirklich am Herzen, mehr als mir vielleicht zusteht, denn ich bin ja bloss die Vermieterin. Nun, ich habe also einiges geh?rt, aber ich kann nicht sagen, dass es etwas besonders Schlimmes war. Nein. Sie sind zwar verhaftet, aber nicht so wie ein Dieb verhaftet wird. Wenn man wie ein Dieb verhaftet wird, so ist es schlimm, aber diese Verhaftung--. Es kommt mir wie etwas Gelehrtes vor, entschuldigen Sie, wenn ich etwas Dummes sage, es kommt mir wie etwas Gelehrtes vor, das ich zwar nicht verstehe, das man aber auch nicht verstehen muss."

,,Es ist gar nichts Dummes, was Sie gesagt haben, Frau Grubach, wenigstens bin auch ich zum Teil Ihrer Meinung, nur urteile ich ?ber das Ganze noch sch?rfer als Sie, und halte es einfach nicht einmal f?r etwas Gelehrtes, sondern ?berhaupt f?r nichts. Ich wurde ?berrumpelt, das war es. W?re ich gleich nach dem Erwachen, ohne mich durch das Ausbleiben der Anna beirren zu lassen, aufgestanden und ohne R?cksicht auf irgend jemand, der mir in den Weg getreten w?re, zu Ihnen gegangen, h?tte ich diesmal ausnahmsweise etwa in der K?che gefr?hst?ckt, h?tte mir von Ihnen die Kleidungsst?cke aus meinem Zimmer bringen lassen, kurz, h?tte ich vern?nftig gehandelt, so w?re nichts weiter geschehen, es w?re alles, was werden wollte, erstickt worden. Man ist aber so wenig vorbereitet. In der Bank z. B. bin ich vorbereitet, dort k?nnte mir etwas Derartiges unm?glich geschehn, ich habe dort einen eigenen Diener, das allgemeine Telephon und das Bureautelephon stehn vor mir auf dem Tisch, immerfort kommen Leute, Parteien und Beamte, ausserdem aber und vor allem bin ich dort immerfort im Zusammenhang der Arbeit, daher geistesgegenw?rtig, es w?rde mir geradezu ein Vergn?gen machen, dort einer solchen Sache gegen?bergestellt zu werden. Nun, es ist vor?ber und ich wollte eigentlich auch gar nicht mehr dar?ber sprechen, nur Ihr Urteil, das Urteil einer vern?nftigen Frau wollte ich h?ren und bin sehr froh, dass wir darin ?bereinstimmen. Nun m?ssen Sie mir aber die Hand reichen, eine solche ?bereinstimmung muss durch Handschlag bekr?ftigt werden."

Ob sie mir die Hand reichen wird? Der Aufseher hat mir die Hand nicht gereicht, dachte er und sah die Frau anders als fr?her, pr?fend an. Sie stand auf, weil auch er aufgestanden war, sie war ein wenig befangen, weil ihr nicht alles, was K. gesagt hatte, verst?ndlich gewesen war. Infolge dieser Befangenheit sagte sie aber etwas, was sie gar nicht wollte und was auch gar nicht am Platze war: ,,Nehmen Sie es doch nicht so schwer, Herr K.," sagte sie, hatte Tr?nen in der Stimme und vergass nat?rlich auch den Handschlag. ,,Ich w?sste nicht, dass ich es schwer nehme," sagte K. pl?tzlich erm?det und das Wertlose aller Zustimmungen dieser Frau einsehend.

Bei der T?r fragte er noch: ,,Ist Fr?ulein B?rstner zu Hause?" ,,Nein," sagte Frau Grubach und l?chelte bei dieser trockenen Auskunft mit einer versp?teten vern?nftigen Teilnahme. ,,Sie ist im Theater. Wollten Sie etwas von ihr? Soll ich ihr etwas ausrichten?" ,,Ach, ich wollte nur paar Worte mit ihr reden." ,,Ich weiss leider nicht, wann sie kommt; wenn sie im Theater ist, kommt sie gew?hnlich sp?t." ,,Das ist ja ganz gleichg?ltig," sagte K. und drehte schon den gesenkten Kopf der T?r zu, um wegzugehn, ,,ich wollte mich nur bei ihr entschuldigen, dass ich heute ihr Zimmer in Anspruch genommen habe." ,,Das ist nicht n?tig, Herr K., Sie sind zu r?cksichtsvoll, das Fr?ulein weiss ja von gar nichts, sie war seit dem fr?hen Morgen noch nicht zu Hause, es ist auch schon alles in Ordnung gebracht, sehen Sie selbst." Und sie ?ffnete die T?r zu Fr?ulein B?rstners Zimmer. ,,Danke, ich glaube es," sagte K., ging dann aber doch zu der offenen T?r. Der Mond schien still in das dunkle Zimmer. Soviel man sehen konnte, war wirklich alles an seinem Platz, auch die Bluse hing nicht mehr an der Fensterklinke. Auffallend hoch schienen die Polster im Bett, sie lagen zum Teil im Mondlicht. ,,Das Fr?ulein kommt oft sp?t nach Hause," sagte K. und sah Frau Grubach an, als trage sie die Verantwortung daf?r. ,,Wie eben junge Leute sind!" sagte Frau Grubach entschuldigend. ,,Gewiss, gewiss," sagte K., ,,es kann aber zu weit gehen." ,,Das kann es," sagte Frau Grubach, ,,wie sehr haben Sie recht, Herr K. Vielleicht sogar in diesem Fall. Ich will Fr?ulein B?rstner gewiss nicht verleumden, sie ist ein gutes liebes M?dchen, freundlich, ordentlich, p?nktlich, arbeitsam, ich sch?tze das alles sehr, aber eines ist wahr, sie sollte stolzer, zur?ckhaltender sein. Ich habe sie in diesem Monat schon zweimal in entlegenen Strassen und immer mit einem andern Herrn gesehn. Es ist mir sehr peinlich, ich erz?hle es beim wahrhaftigen Gott nur Ihnen, Herr K., aber es wird sich nicht vermeiden lassen, dass ich auch mit dem Fr?ulein selbst dar?ber spreche. Es ist ?brigens nicht das einzige, das sie mir verd?chtig macht." ,,Sie sind auf ganz falschem Weg," sagte K. w?tend und fast unf?hig es zu verbergen, ,,?brigens haben Sie offenbar auch meine Bemerkung ?ber das Fr?ulein missverstanden, so war es nicht gemeint. Ich warne Sie sogar aufrichtig, dem Fr?ulein irgend etwas zu sagen, Sie sind durchaus im Irrtum, ich kenne das Fr?ulein sehr gut, es ist nichts davon wahr, was Sie sagten. ?brigens vielleicht gehe ich zu weit, ich will Sie nicht hindern, sagen Sie ihr, was Sie wollen. Gute Nacht." ,,Herr K.," sagte Frau Grubach bittend und eilte K. bis zu seiner T?r nach, die er schon ge?ffnet hatte, ,,ich will ja noch gar nicht mit dem Fr?ulein reden, nat?rlich will ich sie vorher noch weiter beobachten, nur Ihnen habe ich anvertraut, was ich wusste. Schliesslich muss es doch im Sinne jedes Mieters sein, wenn man die Pension rein zu erhalten sucht, und nichts anderes ist mein Bestreben dabei." ,,Die Reinheit!" rief K. noch durch die Spalte der T?r, ,,wenn sie die Pension rein erhalten wollen, m?ssen Sie zuerst mir k?ndigen." Dann schlug er die T?r zu, ein leises Klopfen beachtete er nicht mehr.

Dagegen beschloss er, da er gar keine Lust zum Schlafen hatte, noch wachzubleiben und bei dieser Gelegenheit auch festzustellen, wann Fr?ulein B?rstner kommen w?rde. Vielleicht w?re es dann auch m?glich, so unpassend es sein mochte, noch ein paar Worte mit ihr zu reden. Als er im Fenster lag und die m?den Augen dr?ckte, dachte er einen Augenblick sogar daran, Frau Grubach zu bestrafen und Fr?ulein B?rstner zu ?berreden, gemeinsam mit ihm zu k?ndigen. Sofort aber erschien ihm das entsetzlich ?bertrieben und er hatte sogar den Verdacht gegen sich, dass er darauf ausging, die Wohnung wegen der Vorf?lle am Morgen zu wechseln. Nichts w?re unsinniger und vor allem zweckloser und ver?chtlicher gewesen.

Als er des Hinausschauens auf die leere Strasse ?berdr?ssig geworden war, legte er sich auf das Kanapee, nachdem er die T?r zum Vorzimmer ein wenig ge?ffnet hatte, um jeden, der die Wohnung betrat, gleich vom Kanapee aus sehen zu k?nnen. Etwa bis 11 Uhr lag er ruhig, eine Zigarre rauchend, auf dem Kanapee. Von da ab hielt er es aber nicht mehr dort aus, sondern ging ein wenig ins Vorzimmer, als k?nne er dadurch die Ankunft des Fr?ulein B?rstner beschleunigen. Er hatte kein besonderes Verlangen nach ihr, er konnte sich nicht einmal genau erinnern, wie sie aussah, aber nun wollte er mit ihr reden und es reizte ihn, dass sie durch ihr sp?tes Kommen auch noch in den Abschluss dieses Tages Unruhe und Unordnung brachte. Sie war auch schuld daran, dass er heute nicht zu Abend gegessen und dass er den f?r heute beabsichtigten Besuch bei Elsa unterlassen hatte. Beides konnte er allerdings noch dadurch nachholen, dass er jetzt in das Weinlokal ging, in dem Elsa bedienstet war. Er wollte es auch noch sp?ter nach der Unterredung mit Fr?ulein B?rstner tun.

Es war 1/2 12 vor?ber, als jemand im Treppenhaus zu h?ren war. K., der seinen Gedanken hingegeben im Vorzimmer so als w?re es sein eigenes Zimmer laut auf und ab ging, fl?chtete hinter seine T?r. Es war Fr?ulein B?rstner, die gekommen war. Fr?stelnd zog sie, w?hrend sie die T?r versperrte, einen seidenen Schal um ihre schmalen Schultern zusammen. Im n?chsten Augenblick musste sie in ihr Zimmer gehen, in das K. gewiss um Mitternacht nicht eindringen durfte; er musste sie also jetzt ansprechen, hatte aber ungl?cklicherweise vers?umt, das elektrische Licht in seinem Zimmer anzudrehen, so dass sein Vortreten aus dem dunklen Zimmer den Anschein eines ?berfalls hatte und wenigstens sehr erschrecken musste. In seiner Hilflosigkeit und da keine Zeit zu verlieren war, fl?sterte er durch den T?rspalt: ,,Fr?ulein B?rstner." Es klang wie eine Bitte, nicht wie ein Anruf. ,,Ist jemand hier," fragte Fr?ulein B?rstner und sah sich mit grossen Augen um. ,,Ich bin es," sagte K. und trat vor. ,,Ach Herr K.!" sagte Fr?ulein B?rstner l?chelnd. ,,Guten Abend" und sie reichte ihm die Hand. ,,Ich wollte ein paar Worte mit Ihnen sprechen, wollen Sie mir das jetzt erlauben?" ,,Jetzt?" fragte Fr?ulein B?rstner, ,,muss es jetzt sein? es ist ein wenig sonderbar, nicht?" ,,Ich warte seit 9 Uhr auf Sie." ,,Nun ja, ich war im Theater, ich wusste doch nichts von Ihnen." ,,Der Anlass f?r das, was ich Ihnen sagen will, hat sich erst heute ergeben." ,,So, nun ich habe ja nichts Grunds?tzliches dagegen, ausser dass ich zum Hinfallen m?de bin. Also kommen Sie auf ein paar Minuten in mein Zimmer. Hier k?nnen wir uns auf keinen Fall unterhalten, wir wecken ja alle und das w?re mir unseretwegen noch unangenehmer als der Leute wegen. Warten Sie hier, bis ich in meinem Zimmer angez?ndet habe, und drehen Sie dann hier das Licht ab." K. tat so, wartete dann aber noch, bis Fr?ulein B?rstner ihn aus ihrem Zimmer nochmals leise aufforderte zu kommen. ,,Setzen Sie sich," sagte sie und zeigte auf die Ottomane, sie selbst blieb aufrecht am Bettpfosten trotz der M?digkeit, von der sie gesprochen hatte; nicht einmal ihren kleinen, aber mit einer ?berf?lle von Blumen geschm?ckten Hut legte sie ab. ,,Was wollten Sie also? Ich bin wirklich neugierig?" Sie kreuzte leicht die Beine. ,,Sie werden vielleicht sagen," begann K., ,,dass die Sache nicht so dringend war, um jetzt besprochen zu werden, aber --" ,,Einleitungen ?berh?re ich immer," sagte Fr?ulein B?rstner. ,,Das erleichtert meine Aufgabe," sagte K. ,,Ihr Zimmer ist heute fr?h, gewissermassen durch meine Schuld, ein wenig in Unordnung gebracht worden, es geschah durch fremde Leute gegen meinen Willen und doch wie gesagt durch meine Schuld; daf?r wollte ich um Entschuldigung bitten." ,,Mein Zimmer?" fragte Fr?ulein B?rstner, und sah statt des Zimmers K. pr?fend an. ,,Es ist so," sagte K. und nun sahen einander beide zum erstenmal in die Augen, ,,die Art und Weise, in der es geschah, ist an sich keines Wortes wert." ,,Aber doch das eigentlich Interessante," sagte Fr?ulein B?rstner. ,,Nein," sagte K. ,,Nun," sagte Fr?ulein B?rstner, ,,ich will mich nicht in Geheimnisse eindr?ngen, bestehen Sie darauf, dass es uninteressant ist, so will ich auch nichts dagegen einwenden. Die Entschuldigung, um die Sie bitten, gebe ich Ihnen hiermit gern, besonders da ich keine Spur einer Unordnung finden kann." Sie machte, die flachen H?nde tief an die H?ften gelegt, einen Rundgang durch das Zimmer. Bei der Matte mit den Photographien blieb sie stehn. ,,Sehn Sie doch," rief sie, ,,meine Photographien sind wirklich durcheinandergeworfen. Das ist aber h?sslich. Es ist also jemand unberechtigterweise in meinem Zimmer gewesen." K. nickte und verfluchte im stillen den Beamten Kaminer, der seine ?de sinnlose Lebhaftigkeit niemals z?hmen konnte. ,,Es ist sonderbar," sagte Fr?ulein B?rstner, ,,dass ich gezwungen bin, Ihnen etwas zu verbieten, was Sie sich selbst verbieten m?ssten, n?mlich in meiner Abwesenheit mein Zimmer zu betreten." ,,Ich erkl?rte Ihnen doch, Fr?ulein," sagte K. und ging auch zu den Photographien, ,,dass nicht ich es war, der sich an Ihren Photographien vergangen hat; aber da Sie mir nicht glauben, so muss ich also eingestehn, dass die Untersuchungskommission drei Bankbeamte mitgebracht hat, von denen der eine, den ich bei n?chster Gelegenheit aus der Bank hinausbef?rdern werde, die Photographien wahrscheinlich in die Hand genommen hat." ,,Ja es war eine Untersuchungskommission hier," f?gte K. hinzu, da ihn das Fr?ulein mit einem fragenden Blick ansah. ,,Ihretwegen?" fragte das Fr?ulein. ,,Ja," antwortete K. ,,Nein," rief das Fr?ulein und lachte. ,,Doch," sagte K., ,,glauben Sie denn, dass ich schuldlos bin?" ,,Nun, schuldlos," sagte das Fr?ulein, ,,ich will nicht gleich ein vielleicht folgenschweres Urteil aussprechen, auch kenne ich Sie doch nicht, immerhin, es muss doch schon ein schwerer Verbrecher sein, dem man gleich eine Untersuchungskommission auf den Leib schickt. Da Sie aber doch frei sind -- ich schliesse wenigstens aus Ihrer Ruhe, dass Sie nicht aus dem Gef?ngnis entlaufen sind -- so k?nnen Sie doch kein solches Verbrechen begangen haben." ,,Ja," sagte K., ,,aber die Untersuchungskommission kann doch eingesehen haben, dass ich unschuldig bin oder doch nicht so schuldig, wie angenommen wurde." ,,Gewiss, das kann sein," sagte Fr?ulein B?rstner sehr aufmerksam. ,,Sehen Sie," sagte K., ,,Sie haben nicht viel Erfahrung in Gerichtssachen." ,,Nein, das habe ich nicht," sagte Fr?ulein B?rstner ,,und habe es auch schon oft bedauert, denn ich m?chte alles wissen, und gerade Gerichtssachen interessieren mich ungemein. Das Gericht hat eine eigent?mliche Anziehungskraft, nicht? Aber ich werde in dieser Richtung meine Kenntnisse sicher vervollst?ndigen, denn ich trete n?chsten Monat als Kanzleikraft in ein Advokatenbureau ein." ,,Das ist sehr gut," sagte K., ,,Sie werden mir dann in meinem Prozess ein wenig helfen k?nnen." ,,Das k?nnte sein," sagte Fr?ulein B?rstner, ,,warum denn nicht? Ich verwende gern meine Kenntnisse." ,,Ich meine es auch im Ernst," sagte K., ,,oder zumindest indem halben Ernst, in dem Sie es meinen. Um einen Advokaten heranzuziehen, dazu ist die Sache doch zu kleinlich, aber einen Ratgeber k?nnte ich gut brauchen." ,,Ja, aber wenn ich Ratgeber sein soll, m?sste ich wissen, worum es sich handelt," sagte Fr?ulein B?rstner. ,,Das ist eben der Haken," sagte K., ,,das weiss ich selbst nicht." ,,Dann haben Sie sich also einen Spass aus mir gemacht," sagte Fr?ulein B?rstner ?berm?ssig entt?uscht, ,,es war h?chst unn?tig, sich diese sp?te Nachtzeit dazu auszusuchen." Und sie ging von den Photographien weg, wo sie so lange vereinigt gestanden hatten. ,,Aber mein Fr?ulein," sagte K., ,,ich mache keinen Spass. Dass Sie mir nicht glauben wollen! Was ich weiss, habe ich Ihnen schon gesagt. Sogar mehr als ich weiss, denn es war gar keine Untersuchungskommission, ich nenne es so, weil ich keinen andern Namen daf?r weiss. Es wurde gar nichts untersucht, ich wurde nur verhaftet, aber von einer Kommission." Fr?ulein B?rstner sass auf der Ottomane und lachte wieder. ,,Wie war es denn?" fragte sie. ,,Schrecklich" sagte K., aber er dachte jetzt gar nicht daran, sondern war ganz vom Anblick des Fr?ulein B?rstner ergriffen, die das Gesicht auf eine Hand st?tzte -- der Ellbogen ruhte auf dem Kissen der Ottomane -- w?hrend die andere Hand langsam die H?fte strich. ,,Das ist zu allgemein," sagte Fr?ulein B?rstner. ,,Was ist zu allgemein?" fragte K. Dann erinnerte er sich und fragte: ,,Soll ich Ihnen zeigen, wie es gewesen ist?" Er wollte Bewegung machen und doch nicht weggehn. ,,Ich bin schon m?de," sagte Fr?ulein B?rstner. ,,Sie kamen so sp?t," sagte K. ,,Nun endet es damit, dass ich Vorw?rfe bekomme, es ist auch berechtigt, denn ich h?tte Sie nicht mehr hereinlassen sollen. Notwendig war es ja auch nicht, wie sich gezeigt hat." ,,Es war notwendig, dass werden Sie erst jetzt sehn," sagte K. ,,Darf ich das Nachttischchen von ihrem Bett herr?cken?" ,,Was f?llt Ihnen ein?" sagte Fr?ulein B?rstner, ,,das d?rfen Sie nat?rlich nicht!" ,,Dann kann ich es Ihnen nicht zeigen," sagte K. aufgeregt, als f?ge man ihm dadurch einen unermesslichen Schaden zu. ,,Ja, wenn Sie es zur Darstellung brauchen, dann r?cken Sie das Tischchen nur ruhig fort," sagte Fr?ulein B?rstner und f?gte nach einem Weilchen mit schw?cherer Stimme hinzu: ,,Ich bin so m?de, dass ich mehr erlaube, als gut ist." K. stellte das Tischchen in die Mitte des Zimmers und setzte sich dahinter. ,,Sie m?ssen sich die Verteilung der Personen richtig vorstellen, es ist sehr interessant. Ich bin der Aufseher, dort auf dem Koffer sitzen zwei W?chter, bei den Photographien stehen drei junge Leute. An der Fensterklinke h?ngt, was ich nur nebenbei erw?hne, eine weisse Bluse. Und jetzt f?ngt es an. Ja, ich vergesse mich, die wichtigste Person, also ich, stehe hier vor dem Tischchen. Der Aufseher sitzt ?usserst bequem, die Beine ?bereinander gelegt, den Arm hier ?ber die Lehne hinunterh?ngend, ein L?mmel sondergleichen. Und jetzt f?ngt es also wirklich an. Der Aufseher ruft, als ob er mich wecken m?sste, er schreit geradezu, ich muss leider, wenn ich es Ihnen begreiflich machen will, auch schreien, es ist ?brigens nur mein Name, den er so schreit." Fr?ulein B?rstner, die lachend zuh?rte, legte den Zeigefinger an den Mund, um K. am Schreien zu hindern, aber es war zu sp?t, K. war zu sehr in der Rolle, er rief langsam ,,Josef K.," ?brigens nicht so laut wie er gedroht hatte, aber doch so, dass sich der Ruf, nachdem er pl?tzlich ausgestossen war, erst allm?hlich im Zimmer zu verbreiten schien.

Da klopfte es an die T?r des Nebenzimmers einigemal, stark, kurz und regelm?ssig. Fr?ulein B?rstner erbleichte und legte die Hand aufs Herz. K. erschrak deshalb besonders stark, weil er noch ein Weilchen ganz unf?hig war, an etwas anderes zu denken als an die Vorf?lle des Morgens und an das M?dchen, dem er sie vorf?hrte. Kaum hatte er sich gefasst, sprang er zu Fr?ulein B?rstner und nahm ihre Hand. ,,F?rchten Sie nichts," fl?sterte er, ,,ich werde alles in Ordnung bringen. Wer kann es aber sein? Hier nebenan ist doch nur das Wohnzimmer, in dem niemand schl?ft." ,,Doch," fl?sterte Fr?ulein B?rstner an K.s Ohr, ,,seit gestern schl?ft hier ein Neffe von Frau Grubach, ein Hauptmann. Es ist gerade kein anderes Zimmer frei. Auch ich habe daran vergessen. Dass Sie so schreien mussten! Ich bin ungl?cklich dar?ber." ,,Daf?r ist gar kein Grund," sagte K. und k?sste, als sie jetzt auf das Kissen zur?cksank, ihre Stirn. ,,Weg, weg," sagte sie und richtete sich eilig wieder auf, ,,gehn Sie doch, gehn Sie doch, was wollen Sie, er horcht doch an der T?r, er h?rt doch alles. Wie Sie mich qu?len!" ,,Ich gehe nicht fr?her," sagte K., ,,bis Sie ein wenig beruhigt sind. Kommen Sie in die andere Ecke des Zimmers, dort kann er uns nicht h?ren." Sie liess sich dorthin f?hren. ,,Sie ?berlegen nicht," sagte er, ,,dass es sich zwar um eine Unannehmlichkeit f?r Sie handelt, aber durchaus nicht um eine Gefahr. Sie wissen, wie mich Frau Grubach, die in dieser Sache doch entscheidet, besonders da der Hauptmann ihr Neffe ist, geradezu verehrt und alles, was ich sage, unbedingt glaubt. Sie ist auch im ?brigen von mir abh?ngig, denn sie hat eine gr?ssere Summe von mir geliehen. Jeden Ihrer Vorschl?ge ?ber eine Erkl?rung f?r unser Beisammen nehme ich an, wenn er nur ein wenig zweckentsprechend ist, und verb?rge mich, Frau Grubach dazu zu bringen, die Erkl?rung nicht nur vor der ?ffentlichkeit, sondern wirklich und aufrichtig zu glauben. Mich m?ssen Sie dabei in keiner Weise schonen. Wollen Sie verbreitet haben, dass ich Sie ?berfallen habe, so wird Frau Grubach in diesem Sinne unterrichtet werden und wird es glauben, ohne das Vertrauen zu mir zu verlieren, so sehr h?ngt sie an mir." Fr?ulein B?rstner sah, still und ein wenig zusammengesunken, vor sich auf den Boden. ,,Warum sollte Frau Grubach nicht glauben, dass ich Sie ?berfallen habe," f?gte K. hinzu. Vor sich sah er ihr Haar, geteiltes, niedrig gebauschtes, fest zusammengehaltenes, r?tliches Haar. Er glaubte, sie werde ihm den Blick zuwenden, aber sie sagte in unver?nderter Haltung: ,,Verzeihen Sie, ich bin durch das pl?tzliche Klopfen erschreckt worden, nicht so sehr durch die Folgen, die die Anwesenheit des Hauptmanns haben k?nnte. Es war so still nach Ihrem Schrei und da klopfte es, deshalb bin ich so erschrocken, ich sass auch in der N?he der T?r, es klopfte fast neben mir. F?r Ihre Vorschl?ge danke ich, aber ich nehme sie nicht an. Ich kann f?r alles, was in meinem Zimmer geschieht, die Verantwortung tragen, und zwar gegen?ber jedem. Ich wundere mich, dass Sie nicht merken, was f?r eine Beleidigung f?r mich in Ihren Vorschl?gen liegt, neben den guten Absichten nat?rlich, die ich gewiss anerkenne. Aber nun gehen Sie, lassen Sie mich allein, ich habe es jetzt noch n?tiger als fr?her. Aus den paar Minuten, um die Sie gebeten haben, ist nun eine halbe Stunde und mehr geworden." K. fasste sie bei der Hand und dann beim Handgelenk: ,,Sie sind mir aber nicht b?se?" sagte er. Sie streifte seine Hand ab und antwortete: ,,Nein, nein, ich bin niemals und niemandem b?se." Er fasste wieder nach ihrem Handgelenk, sie duldete es jetzt und f?hrte ihn so zur T?r. Er war fest entschlossen, wegzugehen. Aber vor der T?r, als h?tte er nicht erwartet, hier eine T?r zu finden, stockte er, diesen Augenblick benutzte Fr?ulein B?rstner, sich loszumachen, die T?r zu ?ffnen, ins Vorzimmer zu schl?pfen und von dort aus K. leise zu sagen: ,,Nun kommen Sie doch, bitte. Sehen Sie" -- sie zeigte auf die T?r des Hauptmanns, unter der ein Lichtschein hervorkam -- ,,er hat angez?ndet und unterh?lt sich ?ber uns." ,,Ich komme schon," sagte K., lief vor, fasste sie, k?sste sie auf den Mund und dann ?ber das ganze Gesicht, wie ein durstiges Tier mit der Zunge ?ber das endlich gefundene Quellwasser hinjagt. Schliesslich k?sste er sie auf den Hals, wo die Gurgel ist, und dort liess er die Lippen lange liegen. Ein Ger?usch aus dem Zimmer des Hauptmanns liess ihn aufschauen. ,,Jetzt werde ich gehn," sagte er, er wollte Fr?ulein B?rstner beim Taufnamen nennen, wusste ihn aber nicht. Sie nickte m?de, ?berliess ihm schon halb abgewendet die Hand zum K?ssen, als wisse sie nichts davon und ging geb?ckt in ihr Zimmer. Kurz darauf lag K. in seinem Bett. Er schlief sehr bald ein, vor dem Einschlafen dachte er noch ein Weilchen ?ber sein Verhalten nach, er war damit zufrieden, wunderte sich aber, dass er nicht noch zufriedener war; wegen des Hauptmanns machte er sich f?r Fr?ulein B?rstner ernstliche Sorgen.

ZWEITES KAPITEL

ERSTE UNTERSUCHUNG

K. war telephonisch verst?ndigt worden, dass am n?chsten Sonntag eine kleine Untersuchung in seiner Angelegenheit stattfinden w?rde. Man machte ihn darauf aufmerksam, dass diese Untersuchungen nun regelm?ssig, wenn auch vielleicht nicht jede Woche, so doch h?ufiger einander folgen w?rden. Es liege einerseits im allgemeinen Interesse, den Prozess rasch zu Ende zu f?hren, anderseits aber m?ssten die Untersuchungen in jeder Hinsicht gr?ndlich sein und doch wegen der damit verbundenen Anstrengung niemals allzulange dauern. Deshalb habe man den Ausweg dieser rasch aufeinanderfolgenden, aber kurzen Untersuchungen gew?hlt. Die Bestimmung des Sonntags als Untersuchungstag habe man deshalb vorgenommen, um K. in seiner beruflichen Arbeit nicht zu st?ren. Man setze voraus, dass er damit einverstanden sei, wollte er einen andern Termin w?nschen, so w?rde man ihm, so gut es ginge, entgegenkommen. Die Untersuchungen w?ren beispielsweise auch in der Nacht m?glich, aber da sei wohl K. nicht frisch genug. Jedenfalls werde man es, solange K. nichts einwende, beim Sonntag belassen. Es sei selbstverst?ndlich, dass er bestimmt erscheinen m?sse, darauf m?sse man ihn wohl nicht erst aufmerksam machen. Es wurde ihm die Nummer des Hauses genannt, in dem er sich einfinden solle, es war ein Haus in einer entlegenen Vorstadtstrasse, in der K. noch niemals gewesen war.

K. h?ngte, als er diese Meldung erhalten hatte, ohne zu antworten, den H?rer an; er war gleich entschlossen, Sonntag hinzugehn, es war gewiss notwendig, der Prozess kam in Gang und er musste sich dem entgegenstellen, diese erste Untersuchung sollte auch die letzte sein. Er stand noch nachdenklich beim Apparat, da h?rte er hinter sich die Stimme des Direktor-Stellvertreters, der telephonieren wollte, dem aber K. den Weg verstellte. ,,Schlechte Nachrichten?" fragte der Direktor-Stellvertreter leichthin, nicht um etwas zu erfahren, sondern um K. vom Apparat wegzubringen. ,,Nein, nein," sagte K., trat beiseite, ging aber nicht weg. Der Direktor-Stellvertreter nahm den H?rer und sagte, w?hrend er auf die telephonische Verbindung wartete, ?ber das H?rrohr hinweg: ,,Eine Frage, Herr K.? M?chten Sie mir Sonntag fr?h das Vergn?gen machen, eine Partie auf meinem Segelboot mitzumachen. Es wird eine gr?ssere Gesellschaft sein, gewiss auch Ihre Bekannten darunter. Unter anderem Staatsanwalt Hesterer. Wollen Sie kommen? Kommen Sie doch!" K. versuchte, darauf achtzugeben, was der Direktor-Stellvertreter sagte. Es war nicht unwichtig f?r ihn, denn diese Einladung des Direktor-Stellvertreters, mit dem er sich niemals sehr gut vertragen hatte, bedeutete einen Vers?hnungsversuch von dessen Seite und zeigte, wie wichtig K. in der Bank geworden war und wie wertvoll seine Freundschaft oder wenigstens seine Unparteilichkeit dem zweith?chsten Beamten der Bank erschien. Diese Einladung war eine Dem?tigung des Direktor-Stellvertreters, mochte sie auch nur in Erwartung der telephonischen Verbindung ?ber das H?rrohr hinweg gesagt sein. Aber K. musste eine zweite Dem?tigung folgen lassen, er sagte: ,,Vielen Dank! Aber ich habe leider Sonntag keine Zeit, ich habe schon eine Verpflichtung." ,,Schade," sagte der Direktor-Stellvertreter und wandte sich dem telephonischen Gespr?ch zu, das gerade hergestellt worden war. Es war kein kurzes Gespr?ch, aber K. blieb in seiner Zerstreutheit die ganze Zeit ?ber neben dem Apparat stehn. Erst als der Direktor-Stellvertreter abl?utete, erschrak er und sagte, um sein unn?tzes Dastehn nur ein wenig zu entschuldigen: ,,Ich bin jetzt antelephoniert worden, ich m?chte irgendwo hinkommen, aber man hat vergessen, mir zu sagen, zu welcher Stunde." ,,Fragen Sie doch noch einmal nach," sagte der Direktor-Stellvertreter. ,,Es ist nicht so wichtig," sagte K., trotzdem dadurch seine fr?here schon an sich mangelhafte Entschuldigung noch weiter verfiel. Der Direktor-Stellvertreter sprach noch im Weggehn ?ber andere Dinge. K. zwang sich auch zu antworten, dachte aber haupts?chlich daran, dass es am besten sein werde, Sonntag um 9 Uhr vormittag hinzukommen, da zu dieser Stunde an Werktagen alle Gerichte zu arbeiten anfangen.

Sonntag war tr?bes Wetter. K. war sehr erm?det, da er wegen einer Stammtischfeierlichkeit bis sp?t in die Nacht im Gasthaus geblieben war, er h?tte fast verschlafen. Eilig, ohne Zeit zu haben, zu ?berlegen und die verschiedenen Pl?ne, die er w?hrend der Woche ausgedacht hatte, zusammenzustellen, kleidete er sich an und lief, ohne zu fr?hst?cken, in die ihm bezeichnete Vorstadt. Eigent?mlicherweise traf er, trotzdem er wenig Zeit hatte umherzublicken, die drei in seiner Angelegenheit beteiligten Beamten, Rabensteiner, Kullich und Kaminer. Die ersten zwei fuhren in einer Elektrischen quer ?ber K.s Weg, Kaminer aber sass auf der Terrasse eines Kaffeehauses und beugte sich gerade, als K. vor?berkam, neugierig ?ber die Br?stung. Alle sahen ihm wohl nach und wunderten sich, wie ihr Vorgesetzter lief; es war irgendein Trotz, der K. davon abgehalten hatte, zu fahren, er hatte Abscheu vor jeder, selbst der geringsten fremden Hilfe in dieser seiner Sache, auch wollte er niemanden in Anspruch nehmen und dadurch selbst nur im allerentferntesten einweihen, schliesslich hatte er aber auch nicht die geringste Lust, sich durch allzu grosse P?nktlichkeit vor der Untersuchungskommission zu erniedrigen. Allerdings lief er jetzt, um nur m?glichst um 9 Uhr einzutreffen, trotzdem er nicht einmal f?r eine bestimmte Stunde bestellt war.

Er hatte gedacht, das Haus schon von der Ferne an irgendeinem Zeichen, das er sich selbst nicht genau vorgestellt hatte, oder an einer besondern Bewegung vor dem Eingang schon von weitem zu erkennen. Aber die Juliusstrasse, in der es sein sollte und an deren Beginn K. einen Augenblick lang stehen blieb, enthielt auf beiden Seiten fast ganz einf?rmige H?user, hohe graue, von armen Leuten bewohnte Mieth?user. Jetzt am Sonntagmorgen waren die meisten Fenster besetzt, M?nner in Hemd?rmeln lehnten dort und rauchten oder hielten kleine Kinder vorsichtig und z?rtlich an den Fensterrand. Andere Fenster waren hoch mit Bettzeug angef?llt, ?ber dem fl?chtig der zerzauste Kopf einer Frau erschien. Man rief einander ?ber die Gasse zu, ein solcher Zuruf bewirkte gerade ?ber K. ein grosses Gel?chter. Regelm?ssig verteilt befanden sich in der langen Strasse kleine, unter dem Strassenniveau liegende, durch ein paar Treppen erreichbare L?den mit verschiedenen Lebensmitteln. Dort gingen Frauen aus und ein oder standen auf den Stufen und plauderten. Ein Obsth?ndler, der seine Waren zu den Fenstern hinauf empfahl, h?tte, ebenso unaufmerksam wie K., mit seinem Karren diesen fast niedergeworfen. Eben begann ein in bessern Stadtvierteln ausgedientes Grammophon m?rderisch zu spielen.

K. ging tiefer in die Gasse hinein, langsam, als h?tte er nun schon Zeit oder als s?he ihn der Untersuchungsrichter aus irgendeinem Fenster und wisse also, dass sich K. eingefunden habe. Es war kurz nach 9 Uhr. Das Haus lag ziemlich weit, es war fast ungew?hnlich ausgedehnt, besonders die Toreinfahrt war hoch und weit. Sie war offenbar f?r Lastfuhren bestimmt, die zu den verschiedenen Warenmagazinen geh?rten, die jetzt versperrt den grossen Hof umgaben und Aufschriften von Firmen trugen, von denen K. einige aus dem Bankgesch?ft kannte. Gegen seine sonstige Gewohnheit sich mit allen diesen ?usserlichkeiten genauer befassend, blieb er auch ein wenig am Eingang des Hofes stehen. In seiner N?he auf einer Kiste sass ein blossf?ssiger Mann und las eine Zeitung. Auf einem Handkarren schaukelten zwei Jungen. Vor einer Pumpe stand ein schwaches junges M?dchen in einer Nachtjoppe und blickte, w?hrend das Wasser in ihre Kanne str?mte, auf K. hin. In einer Ecke des Hofes wurde zwischen zwei Fenstern ein Strick gespannt, auf dem die zum Trocknen bestimmte W?sche schon hing. Ein Mann stand unten und leitete die Arbeit durch ein paar Zurufe.

K. wandte sich der Treppe zu, um zum Untersuchungszimmer zu kommen, stand dann aber wieder still, denn ausser dieser Treppe sah er im Hof noch drei verschiedene Treppenaufg?nge und ?berdies schien ein kleiner Durchgang am Ende des Hofes noch in einen zweiten Hof zu f?hren. Er ?rgerte sich, dass man ihm die Lage des Zimmers nicht n?her bezeichnet hatte, es war doch eine sonderbare Nachl?ssigkeit oder Gleichg?ltigkeit, mit der man ihn behandelte, er beabsichtigte, das sehr laut und deutlich festzustellen. Schliesslich stieg er doch die erste Treppe hinauf und spielte in Gedanken mit einer Erinnerung an den Ausspruch des W?chters Willem, dass das Gericht von der Schuld angezogen werde, woraus eigentlich folgte, dass das Untersuchungszimmer an der Treppe liegen musste, die K. zuf?llig w?hlte.

Er st?rte im Hinaufgehen viele Kinder, die auf der Treppe spielten und ihn, wenn er durch ihre Reihe schritt, b?se ansahen. ,,Wenn ich n?chstens wieder hergehen sollte," sagte er sich, ,,muss ich entweder Zuckerwerk mitnehmen, um sie zu gewinnen, oder den Stock, um sie zu pr?geln." Knapp vor dem ersten Stockwerk musste er sogar ein Weilchen warten, bis eine Spielkugel ihren Weg vollendet hatte, zwei kleine Jungen mit den verzwickten Gesichtern erwachsener Strolche hielten ihn indessen an den Beinkleidern; h?tte er sie absch?tteln wollen, h?tte er ihnen wehtun m?ssen und er f?rchtete ihr Geschrei.

Im ersten Stockwerk begann die eigentliche Suche. Da er doch nicht nach der Untersuchungskommission fragen konnte, erfand er einen Tischler Lanz -- der Name fiel ihm ein, weil der Hauptmann, der Neffe der Frau Grubach, so hiess -- und wollte nun in allen Wohnungen nachfragen, ob hier ein Tischler Lanz wohne, um so die M?glichkeit zu bekommen, in die Zimmer hineinzusehen. Es zeigte sich aber, dass das meistens ohne weiteres m?glich war, denn fast alle T?ren standen offen und die Kinder liefen ein und aus. Es waren in der Regel kleine einfenstrige Zimmer, in denen auch gekocht wurde. Manche Frauen hielten S?uglinge im Arm und arbeiteten mit der freien Hand auf dem Herd. Halbw?chsige, scheinbar nur mit Sch?rzen bekleidete M?dchen liefen am fleissigsten hin und her. In allen Zimmern standen die Betten noch in Benutzung, es lagen dort Kranke oder noch Schlafende oder Leute, die sich dort in Kleidern streckten. An den Wohnungen, deren T?ren geschlossen waren, klopfte K. an und fragte, ob hier ein Tischler Lanz wohne. Meistens ?ffnete eine Frau, h?rte die Frage an und wandte sich ins Zimmer zu jemandem, der sich aus dem Bett erhob. ,,Der Herr fragt, ob ein Tischler Lanz hier wohnt." ,,Tischler Lanz?" fragte der aus dem Bett. ,,Ja," sagte K., trotzdem sich hier die Untersuchungskommission zweifellos nicht befand und daher seine Aufgabe beendet war. Viele glaubten, es liege K. sehr viel daran, den Tischler Lanz zu finden, dachten lange nach, nannten einen Tischler, der aber nicht Lanz hiess, oder einen Namen, der mit Lanz eine ganz entfernte ?hnlichkeit hatte, oder sie fragten bei Nachbarn oder begleiteten K. zu einer weit entfernten T?r, wo ihrer Meinung nach ein derartiger Mann m?glicherweise in Aftermiete wohne oder wo jemand sei, der bessere Auskunft als sie selbst geben k?nne. Schliesslich musste K. kaum mehr selbst fragen, sondern wurde auf diese Weise durch die Stockwerke gezogen. Er bedauerte seinen Plan, der ihm zuerst so praktisch erschienen war. Vor dem f?nften Stockwerk entschloss er sich die Suche aufzugeben, verabschiedete sich von einem freundlichen jungen Arbeiter, der ihn weiter hinauff?hren wollte, und ging hinunter. Dann aber ?rgerte ihn wieder das Nutzlose dieser ganzen Unternehmung, er ging nochmals zur?ck und klopfte an die erste T?r des f?nften Stockwerkes. Das erste, was er in dem kleinen Zimmer sah, war eine grosse Wanduhr, die schon 10 Uhr zeigte. ,,Wohnt ein Tischler Lanz hier?" fragte er. ,,Bitte," sagte eine junge Frau mit schwarzen leuchtenden Augen, die gerade in einem K?bel Kinderw?sche wusch, und zeigte mit der nassen Hand auf die offene T?r des Nebenzimmers.

K. glaubte in eine Versammlung einzutreten. Ein Gedr?nge der verschiedensten Leute -- niemand k?mmerte sich um den Eintretenden -- f?llte ein mittelgrosses zweifenstriges Zimmer, das knapp an der Decke von einer Galerie umgeben war, die gleichfalls vollst?ndig besetzt war und wo die Leute nur geb?ckt stehen konnten und mit Kopf und R?cken an die Decke stiessen. K., dem die Luft zu dumpf war, trat wieder hinaus und sagte zu der jungen Frau, die ihn wahrscheinlich falsch verstanden hatte: ,,Ich habe nach einem Tischler, einem gewissen Lanz gefragt?" ,,Ja," sagte die Frau, ,,gehen Sie bitte hinein." K. h?tte ihr vielleicht nicht gefolgt, wenn die Frau nicht auf ihn zugegangen w?re, die T?rklinke ergriffen und gesagt h?tte: ,,Nach Ihnen muss ich schliessen, es darf niemand mehr hinein." ,,Sehr vern?nftig," sagte K., ,,es ist aber schon jetzt zu voll." Dann ging er aber doch wieder hinein.

Zwischen zwei M?nnern hindurch, die sich unmittelbar bei der T?r unterhielten -- der eine machte mit beiden weit vorgestreckten H?nden die Bewegung des Geldaufz?hlens, der andere sah ihm scharf in die Augen -- fasste eine Hand nach K. Es war ein kleiner rotb?ckiger Junge. ,,Kommen Sie, kommen Sie," sagte er. K. liess sich von ihm f?hren, es zeigte sich, dass in dem durcheinanderwimmelnden Gedr?nge doch ein schmaler Weg frei war, der m?glicherweise zwei Parteien schied; daf?r sprach auch, dass K. in den ersten Reihen rechts und links kaum ein ihm zugewendetes Gesicht sah, sondern nur die R?cken von Leuten, welche ihre Reden und Bewegungen nur an Leute ihrer Partei richteten. Die meisten waren schwarz angezogenen, in alten lange und lose hinunterh?ngenden Feiertagsr?cken. Nur diese Kleidung beirrte K., sonst h?tte er das ganze f?r eine politische Bezirksversammlung angesehen.

Am andern Ende des Saales, zu dem K. gef?hrt wurde, stand auf einem sehr niedrigen, gleichfalls ?berf?llten Podium ein kleiner Tisch, der Quere nach aufgestellt, und hinter ihm nahe am Rand des Podiums sass ein kleiner dicker schnaufender Mann, der sich gerade mit einem hinter ihm Stehenden -- dieser hatte den Ellbogen auf die Sessellehne gest?tzt und die Beine gekreuzt -- unter grossem Gel?chter unterhielt. Manchmal warf er den Arm in die Luft, als karrikiere er jemanden. Der Junge, der K. f?hrte, hatte M?he seine Meldung vorzubringen. Zweimal hatte er schon auf den Fussspitzen stehend etwas auszurichten versucht, ohne von dem Mann oben beachtet worden zu sein. Erst als einer der Leute oben auf dem Podium auf den Jungen aufmerksam machte, wandte sich der Mann ihm zu und h?rte heruntergebeugt seinen leisen Bericht an. Dann zog er seine Uhr und sah schnell nach K. hin. ,,Sie h?tten vor 1 Stunde und 5 Minuten erscheinen sollen," sagte er. K. wollte etwas antworten, aber er hatte keine Zeit, denn kaum hatte der Mann ausgesprochen, erhob sich in der rechten Saalh?lfte ein allgemeines Murren. ,,Sie h?tten vor 1 Stunde und 5 Minuten erscheinen sollen," wiederholte nun der Mann mit erhobener Stimme und sah nun auch schnell in den Saal hinunter. Sofort wurde auch das Murren st?rker und verlor sich, da der Mann nichts mehr sagte, nur allm?hlich. Es war jetzt im Saal viel stiller als bei K.s Eintritt. Nur die Leute auf der Galerie h?rten nicht auf, ihre Bemerkungen zu machen. Sie schienen, soweit man oben in dem Halbdunkel, Dunst und Staub etwas unterscheiden konnte, schlechter angezogen zu sein als die unten. Manche hatten Polster mitgebracht, die sie zwischen den Kopf und die Zimmerdecke gelegt hatten, um sich nicht wundzudr?cken.

K. hatte sich entschlossen, mehr zu beobachten als zu reden, infolgedessen verzichtete er auf die Verteidigung wegen seines angeblichen Zusp?tkommens und sagte bloss: ,,Mag ich zu sp?t gekommen sein, jetzt bin ich hier." Ein Beifallklatschen, wieder aus der rechten Saalh?lfte, folgte. ,,Leicht zu gewinnende Leute," dachte K. und war nur gest?rt durch die Stille in der linken Saalh?lfte, die gerade hinter ihm lag und aus der sich nur ganz vereinzeltes H?ndeklatschen erhoben hatte. Er dachte nach, was er sagen k?nnte, um alle auf einmal oder, wenn das nicht m?glich sein sollte, wenigstens zeitweilig auch die andern zu gewinnen.

,,Ja," sagte der Mann, ,,aber ich bin nicht mehr verpflichtet, Sie jetzt zu verh?ren" -- wieder das Murren, diesmal aber missverst?ndlich, denn der Mann fuhr, indem er den Leuten mit der Hand abwinkte, fort -- ,,ich will es jedoch ausnahmsweise heute noch tun. Eine solche Versp?tung darf sich aber nicht mehr wiederholen. Und nun treten Sie vor!" Irgend jemand sprang vom Podium herunter, so dass f?r K. ein Platz frei wurde, auf den er hinaufstieg. Er stand eng an den Tisch gedr?ckt, das Gedr?nge hinter ihm war so gross, dass er ihm Widerstand leisten musste, wollte er nicht den Tisch des Untersuchungsrichters und vielleicht auch diesen selbst vom Podium hinunterstossen.

Der Untersuchungsrichter k?mmerte sich aber nicht darum, sondern sass bequem genug auf seinem Sessel und griff, nachdem er dem Mann hinter ihm ein abschliessendes Wort gesagt hatte nach einem kleinen Anmerkungsbuch, dem einzigen Gegenstand auf seinem Tisch. Es war schulheftartig, alt, durch vieles Bl?ttern ganz aus der Form gebracht. ,,Also," sagte der Untersuchungsrichter, bl?tterte in dem Heft und wendete sich im Tone einer Feststellung an K., ,,Sie sind Zimmermaler?" ,,Nein," sagte K. ,,sondern erster Prokurist einer grossen Bank." Dieser Antwort folgte bei der rechten Partei ein Gel?chter, das so herzlich war, dass K. mitlachen musste. Die Leute st?tzten sich mit den H?nden auf ihre Knie und sch?ttelten sich wie unter schweren Hustenanf?llen. Es lachten sogar einzelne auf der Galerie. Der ganz b?se gewordene Untersuchungsrichter, der wahrscheinlich gegen die Leute unten machtlos war, suchte sich an der Galerie zu entsch?digen, sprang auf, drohte der Galerie, und seine sonst wenig auffallenden Augenbrauen dr?ngten sich buschig, schwarz und gross ?ber seinen Augen.

Die linke Saalh?lfte war aber noch immer still, die Leute standen dort in Reihen, hatten ihre Gesichter dem Podium zugewendet und h?rten die Worte, die oben gewechselt wurden, ebenso ruhig an wie den L?rm der andern Partei, sie duldeten sogar, dass einzelne aus ihren Reihen mit der andern Partei hie und da gemeinsam vorgingen. Die Leute der linken Partei, die ?brigens weniger zahlreich war, mochten im Grunde ebenso unbedeutend sein wie die der rechten Partei, aber die Ruhe ihres Verhaltens liess sie bedeutungsvoller erscheinen. Als K. jetzt zu reden begann, war er ?berzeugt, in ihrem Sinne zu sprechen.

,,Ihre Frage, Herr Untersuchungsrichter, ob ich Zimmermaler bin -- vielmehr Sie haben gar nicht gefragt, sondern es mir auf den Kopf zugesagt -- ist bezeichnend f?r die ganze Art des Verfahrens, das gegen mich gef?hrt wird. Sie k?nnen einwenden, dass es ja ?berhaupt kein Verfahren ist, Sie haben sehr Recht, denn es ist ja nur ein Verfahren, wenn ich es als solches anerkenne. Aber ich erkenne es also f?r den Augenblick jetzt an, aus Mitleid gewissermassen. Man kann sich nicht anders als mitleidig dazu stellen, wenn man es ?berhaupt beachten will. Ich sage nicht, dass es ein liederliches Verfahren ist, aber ich m?chte Ihnen diese Bezeichnung zur Selbsterkenntnis angeboten haben."

K. unterbrach sich und sah in den Saal hinunter. Was er gesagt hatte, war scharf, sch?rfer als er es beabsichtigt hatte, aber doch richtig. Es h?tte Beifall hier oder dort verdient, es war jedoch alles still, man wartete offenbar gespannt auf das Folgende, es bereitete sich vielleicht in der Stille ein Ausbruch vor, der allem ein Ende machen w?rde. St?rend war es, dass sich jetzt die T?r am Saalende ?ffnete, die junge W?scherin, die ihre Arbeit wahrscheinlich beendet hatte, eintrat und trotz aller Vorsicht, die sie aufwendete, einige Blicke auf sich zog. Nur der Untersuchungsrichter machte K. unmittelbare Freude, denn er schien von den Worten sofort getroffen zu werden. Er hatte bisher stehend zugeh?rt, denn er war von K.s Ansprache ?berrascht worden, w?hrend er sich f?r die Galerie aufgerichtet hatte. Jetzt in der Pause setzte er sich allm?hlich, als sollte es nicht bemerkt werden. Wahrscheinlich, um seine Miene zu beruhigen, nahm er wieder das Heftchen vor.

,,Es hilft nichts," fuhr K. fort, ,,auch Ihr Heftchen, Herr Untersuchungsrichter, best?tigt, was ich sage." Zufrieden damit, nur seine ruhigen Worte in der fremden Versammlung zu h?ren, wagte es K. sogar, kurzerhand das Heft dem Untersuchungsrichter wegzunehmen und es mit den Fingerspitzen, als scheue er sich davor, an einem mittleren Blatte hochzuheben, so dass beiderseits die engbeschriebenen, fleckigen, gelbrandigen Bl?tter hinunterhingen. ,,Das sind die Akten des Untersuchungsrichters," sagte er und liess das Heft auf den Tisch hinunterfallen. ,,Lesen Sie darin ruhig weiter, Herr Untersuchungsrichter, vor diesem Schuldbuch f?rchte ich mich wahrhaftig nicht, trotzdem es mir unzug?nglich ist, denn ich kann es nur mit zwei Fingerspitzen anfassen und nicht in die Hand nehmen." Es konnte nur ein Zeichen tiefer Dem?tigung sein oder es musste zumindest so aufgefasst werden, dass der Untersuchungsrichter nach dem Heftchen, wie es auf den Tisch gefallen war, griff, es ein wenig in Ordnung zu bringen suchte und es wieder vornahm, um darin zu lesen.

Die Gesichter der Leute in der ersten Reihe waren so gespannt auf K. gerichtet, dass er ein Weilchen lang zu ihnen hinuntersah. Es waren durchwegs ?ltere M?nner, einige waren weissb?rtig. Waren vielleicht sie die Entscheidenden, die die ganze Versammlung beeinflussen konnten, welche auch durch die Dem?tigung des Untersuchungsrichters sich nicht aus der Regungslosigkeit bringen liess, in welche sie seit K.s Rede versunken war.

,,Was mir geschehen ist," fuhr K. fort, etwas leiser als fr?her, und suchte immer wieder die Gesichter der ersten Reihe ab, was seiner Rede einen etwas fahrigen Ausdruck gab, ,,was mir geschehen ist, ist ja nur ein einzelner Fall und als solcher nicht sehr wichtig, da ich es nicht sehr schwer nehme, aber es ist das Zeichen eines Verfahrens, wie es gegen viele ge?bt wird. F?r diese stehe ich hier ein, nicht f?r mich."

Er hatte unwillk?rlich seine Stimme erhoben. Irgendwo klatschte jemand mit erhobenen H?nden und rief: ,,Bravo! Warum denn nicht? Bravo! Und wieder Bravo!" Die in der ersten Reihe griffen hie und da in ihre Barte, keiner kehrte sich wegen des Ausrufs um. Auch K. mass ihm keine Bedeutung bei, war aber doch aufgemuntert; er hielt es jetzt gar nicht mehr f?r n?tig, dass alle Beifall klatschten, es gen?gte, wenn die Allgemeinheit ?ber die Sache nachzudenken begann und nur manchmal einer durch ?berredung gewonnen wurde.

,,Ich will nicht Rednererfolg," sagte K. aus dieser ?berlegung heraus, ,,er d?rfte mir auch nicht erreichbar sein. Der Herr Untersuchungsrichter spricht wahrscheinlich viel besser, es geh?rt ja zu seinem Beruf. Was ich will, ist nur die ?ffentliche Besprechung eines ?ffentlichen Missstandes. H?ren Sie: Ich bin vor etwa 10 Tagen verhaftet worden, ?ber die Tatsache der Verhaftung selbst lache ich, aber das geh?rt jetzt nicht hierher. Ich wurde fr?h im Bett ?berfallen, vielleicht hatte man -- es ist nach dem, was der Untersuchungsrichter sagte, nicht ausgeschlossen -- den Befehl, irgendeinen Zimmermaler, der ebenso unschuldig ist wie ich, zu verhaften, aber man w?hlte mich. Das Nebenzimmer war von zwei groben W?chtern besetzt. Wenn ich ein gef?hrlicher R?uber w?re, h?tte man nicht bessere Vorsorge treffen k?nnen. Diese W?chter waren ?berdies demoralisiertes Gesindel, sie schw?tzten mir die Ohren voll, sie wollten sich bestechen lassen, sie wollten mir unter Vorspiegelungen W?sche und Kleider herauslocken, sie wollten Geld, um mir angeblich ein Fr?hst?ck zu bringen, nachdem sie mein eigenes Fr?hst?ck vor meinen Augen schamlos aufgegessen hatten. Nicht genug daran. Ich wurde in ein drittes Zimmer vor den Aufseher gef?hrt. Es war das Zimmer einer Dame, die ich sehr sch?tze, und ich musste zusehen, wie dieses Zimmer meinetwegen, aber ohne meine Schuld durch die Anwesenheit der W?chter und des Aufsehers gewissermassen verunreinigt wurde. Es war nicht leicht, ruhig zu bleiben. Es gelang mir aber, und ich fragte den Aufseher vollst?ndig ruhig -- wenn er hier w?re, m?sste er es best?tigen -- warum ich verhaftet sei. Was antwortete nun dieser Aufseher, den ich jetzt noch vor mir sehe, wie er auf dem Sessel der erw?hnten Dame als eine Darstellung des stumpfsinnigsten Hochmuts sitzt? Meine Herren, er antwortete im Grunde nichts, vielleicht wusste er wirklich nichts, er hatte mich verhaftet und war damit zufrieden. Er hat sogar noch ein ?briges getan und in das Zimmer jener Dame drei niedrige Angestellte meiner Bank gebracht, die sich damit besch?ftigten, Photographien, Eigentum der Dame, zu betasten und in Unordnung zu bringen. Die Anwesenheit dieser Angestellten hatte nat?rlich noch einen andern Zweck, sie sollten, ebenso wie meine Vermieterin und ihr Dienstm?dchen, die Nachricht von meiner Verhaftung verbreiten, mein ?ffentliches Ansehen sch?digen und insbesondere in der Bank meine Stellung ersch?ttern. Nun ist nichts davon, auch nicht im geringsten, gelungen, selbst meine Vermieterin, eine ganz einfache Person -- ich will ihren Namen hier in ehrendem Sinne nennen, sie heisst Frau Grubach -- selbst Frau Grubach war verst?ndig genug einzusehen, dass eine solche Verhaftung nicht mehr bedeutet als ein Anschlag, den nicht gen?gend beaufsichtigte Jungen auf der Gasse ausf?hren. Ich wiederhole, mir hat das Ganze nur Unannehmlichkeiten und vor?bergehenden ?rger bereitet, h?tte es aber nicht auch schlimmere Folgen haben k?nnen?"

Als K. sich hier unterbrach und nach dem stillen Untersuchungsrichter hinsah, glaubte er zu bemerken, dass dieser gerade mit einem Blick jemandem in der Menge ein Zeichen gab. K. l?chelte und sagte: ,,Eben gibt hier neben mir der Herr Untersuchungsrichter jemandem von Ihnen ein geheimes Zeichen. Es sind also Leute unter Ihnen, die von hier oben dirigiert werden. Ich weiss nicht, ob das Zeichen jetzt Zischen oder Beifall bewirken sollte, und verzichte dadurch, dass ich die Sache vorzeitig verrate, ganz bewusst darauf, die Bedeutung des Zeichens zu erfahren. Es ist mir vollst?ndig gleichg?ltig, und ich erm?chtige den Herrn Untersuchungsrichter ?ffentlich, seine bezahlten Angestellten dort unten statt mit geheimen Zeichen, laut mit Worten zu befehligen, indem er etwa einmal sagt: Jetzt zischt, und das n?chste Mal: Jetzt klatscht."

In Verlegenheit oder Ungeduld r?ckte der Untersuchungsrichter auf seinem Sessel hin und her. Der Mann hinter ihm, mit dem er sich schon fr?her unterhalten hatte, beugte sich wieder zu ihm, sei es, um ihm im allgemeinen Mut zuzusprechen oder um ihm einen besondern Rat zu geben. Unten unterhielten sich die Leute leise, aber lebhaft. Die zwei Parteien, die fr?her so entgegengesetzte Meinungen gehabt zu haben schienen, vermischten sich, einzelne Leute zeigten mit dem Finger auf K., andere auf den Untersuchungsrichter. Der neblige Dunst im Zimmer war ?usserst l?stig, er verhinderte sogar eine genauere Beobachtung der Fernerstehenden. Besonders f?r die Galeriebesucher musste er st?rend sein, sie waren gezwungen, allerdings unter scheuen Seitenblicken nach dem Untersuchungsrichter, leise Fragen an die Versammlungsteilnehmer zu stellen, um sich n?her zu unterrichten. Die Antworten wurden im Schutz der vorgehaltenen H?nde ebenso leise gegeben.

,,Ich bin gleich zu Ende," sagte K. und schlug, da keine Glocke vorhanden war, mit der Faust auf den Tisch. Im Schrecken dar?ber fuhren die K?pfe des Untersuchungsrichters und seines Ratgebers augenblicklich auseinander: ,,Mir steht die ganze Sache fern, ich beurteile sie daher ruhig, und Sie k?nnen, vorausgesetzt, dass Ihnen an diesem angeblichen Gericht etwas gelegen ist, grossen Vorteil davon haben, wenn Sie mir zuh?ren. Ihre gegenseitigen Besprechungen dessen, was ich vorbringe, bitte ich Sie f?r sp?terhin zu verschieben, denn ich habe keine Zeit und werde bald weggehn."

Sofort war es still, so sehr beherrschte schon K. die Versammlung. Man schrie nicht mehr durcheinander wie am Anfang, man klatschte nicht einmal mehr Beifall, aber man schien schon ?berzeugt oder auf dem n?chsten Wege dazu.

,,Es ist kein Zweifel," sagte K. sehr leise, denn ihn freute das angespannte Aufhorchen der ganzen Versammlung, in dieser Stille entstand ein Sausen, das aufreizender war als der verz?ckteste Beifall, ,,es ist kein Zweifel, dass hinter allen ?usserungen dieses Gerichtes, in meinem Fall also hinter der Verhaftung und der heutigen Untersuchung eine grosse Organisation sich befindet. Eine Organisation, die nicht nur bestechliche W?chter, l?ppische Aufseher und Untersuchungsrichter, die g?nstigsten Falles bescheiden sind, besch?ftigt, sondern die weiterhin jedenfalls eine Richterschaft hohen und h?chsten Grades unterh?lt, mit dem zahllosen unumg?nglichen Gefolge von Dienern, Schreibern, Gendarmen und andern Hilfskr?ften, vielleicht sogar Henkern, ich scheue vor dem Wort nicht zur?ck. Und der Sinn dieser grossen Organisation, meine Herren? Er besteht darin, dass unschuldige Personen verhaftet werden und gegen sie ein sinnloses und meistens wie in meinem Fall ergebnisloses Verfahren eingeleitet wird. Wie liesse sich bei dieser Sinnlosigkeit des Ganzen die schlimmste Korruption der Beamtenschaft vertuschen? Das ist unm?glich, das br?chte auch der h?chste Richter nicht einmal f?r sich selbst zustande. Darum suchen die W?chter den Verhafteten die Kleider vom Leib zu stehlen, darum brechen Aufseher in fremde Wohnungen ein, darum sollen Unschuldige statt verh?rt lieber vor ganzen Versammlungen entw?rdigt werden. Die W?chter haben nur von Depots erz?hlt, in die man das Eigentum der Verhafteten bringt, ich wollte einmal diese Depotpl?tze sehen, in denen das m?hsam erarbeitete Verm?gen der Verhafteten fault, soweit es nicht von diebischen Depotbeamten gestohlen ist."

K. wurde durch ein Kreischen vom Saalende unterbrochen, er beschattete die Augen, um hinsehen zu k?nnen, denn das tr?be Tageslicht machte den Dunst weisslich und blendete. Es handelte sich um die Waschfrau, die K. gleich bei ihrem Eintritt als eine wesentliche St?rung erkannt hatte. Ob sie jetzt schuldig war oder nicht, konnte man nicht erkennen. K. sah nur, dass ein Mann sie in einen Winkel bei der T?r gezogen hatte und dort an sich dr?ckte. Aber nicht sie kreischte, sondern der Mann, er hatte den Mund breit gezogen und blickte zur Decke. Ein kleiner Kreis hatte sich um beide gebildet, die Galeriebesucher in der N?he schienen dar?ber begeistert, dass der Ernst, den K. in die Versammlung eingef?hrt hatte, auf diese Weise unterbrochen wurde. K. wollte unter dem ersten Eindruck gleich hinlaufen, auch dachte er, allen w?rde daran gelegen sein, dort Ordnung zu schaffen und zumindest das Paar aus dem Saal zu weisen, aber die ersten Reihen vor ihm blieben ganz fest, keiner r?hrte sich und keiner liess K. durch. Im Gegenteil, man hinderte ihn, und irgendeine Hand -- er hatte nicht Zeit sich umzudrehn -- fasste ihn hinten am Kragen, alte M?nner hielten den Arm vor, K. dachte nicht eigentlich mehr an das Paar, ihm war, als werde seine Freiheit eingeschr?nkt, als mache man mit der Verhaftung ernst und er sprang r?cksichtslos vom Podium hinunter. Nun stand er Aug' an Aug' dem Gedr?nge gegen?ber. Hatte er die Leute nicht richtig beurteilt? Hatte er seiner Rede zuviel Wirkung zugetraut? Hatte man sich verstellt, solange er gesprochen hatte, und hatte man jetzt, da er zu den Schlussfolgerungen kam, die Verstellung satt? Was f?r Gesichter rings um ihn! Kleine schwarze ?uglein huschten hin und her, die Wangen hingen herab wie bei Versoffenen, die langen B?rte waren steif und sch?tter, und griff man in sie, so war es, als bilde man bloss Krallen, nicht als griffe man an B?rte. Unter den B?rten aber -- und das war die eigentliche Entdeckung, die K. machte -- schimmerten am Rockkragen Abzeichen in verschiedener Gr?sse und Farbe. Alle hatten diese Abzeichen, soweit man sehen konnte. Alle geh?rten zueinander, die scheinbaren Parteien rechts und links, und als er sich pl?tzlich umdrehte, sah er die gleichen Abzeichen am Kragen des Untersuchungsrichters, der, die H?nde im Schoss, ruhig hinuntersah. ,,So," rief K. und warf die Arme in die H?he, die pl?tzliche Erkenntnis wollte Raum, ,,ihr seid ja alle Beamte, wie ich sehe, ihr seid ja die korrupte Bande, gegen die ich sprach, ihr habt euch hier gedr?ngt, als Zuh?rer und Schn?ffler, habt scheinbar Parteien gebildet, und eine hat applaudiert, um mich zu pr?fen, ihr wolltet lernen, wie man Unschuldige verf?hren soll. Nun, ihr seid richtig nutzlos hier gewesen, hoffe ich, entweder habt ihr euch dar?ber unterhalten, dass jemand die Verteidigung der Unschuld von euch erwartet hat, oder aber -- lass mich oder ich schlage," rief K. einem zitternden Greis zu, der sich besonders nahe an ihn geschoben hatte -- ,,oder aber ihr habt wirklich etwas gelernt. Und damit w?nsche ich euch Gl?ck zu eurem Gewerbe." Er nahm schnell seinen Hut, der am Rand des Tisches lag, und dr?ngte sich unter allgemeiner Stille, jedenfalls der Stille vollkommenster ?berraschung, zum Ausgang. Der Untersuchungsrichter schien aber noch schneller als K. gewesen zu sein, denn er erwartete ihn bei der T?r. ,,Einen Augenblick," sagte er. K. blieb stehen, sah aber nicht auf den Untersuchungsrichter, sondern auf die T?r, deren Klinke er schon ergriffen hatte. ,,Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen," sagte der Untersuchungsrichter, ,,dass Sie sich heute -- es d?rfte Ihnen noch nicht zu Bewusstsein gekommen sein -- des Vorteils beraubt haben, den ein Verh?r f?r den Verhafteten in jedem Falle bedeutet." K. lachte die T?r an. ,,Ihr Lumpen, ich schenke euch alle Verh?re," rief er, ?ffnete die T?r und eilte die Treppe hinunter. Hinter ihm erhob sich der L?rm der wieder lebendig gewordenen Versammlung, welche die Vorf?lle nach Art von Studierenden zu besprechen begann.

DRITTES KAPITEL

IM LEEREN SITZUNGSSAAL ? DER STUDENT ? DIE KANZLEIEN

K. wartete w?hrend der n?chsten Woche von Tag zu Tag auf eine neuerliche Verst?ndigung, er konnte nicht glauben, dass man seinen Verzicht auf Verh?r w?rtlich genommen hatte, und als die erwartete Verst?ndigung bis Sonntagabend wirklich nicht kam, nahm er an, er sei stillschweigend in das gleiche Haus f?r die gleiche Zeit wieder vorgeladen. Er begab sich daher Sonntags wieder hin, ging diesmal geradewegs ?ber Treppen und G?nge; einige Leute, die sich seiner erinnerten, gr?ssten ihn an ihren T?ren, aber er musste niemanden mehr fragen und kam bald zu der richtigen T?r. Auf sein Klopfen wurde ihm gleich aufgemacht, und ohne sich weiter nach der bekannten Frau umzusehn, die bei der T?r stehen blieb, wollte er gleich ins Nebenzimmer. ,,Heute ist keine Sitzung," sagte die Frau. ,,Warum sollte keine Sitzung sein?" fragte er und wollte es nicht glauben. Aber die Frau ?berzeugte ihn, indem sie die T?r des Nebenzimmers ?ffnete. Es war wirklich leer und sah in seiner Leere noch kl?glicher aus, als am letzten Sonntag. Auf dem Tisch, der unver?ndert auf dem Podium stand, lagen einige B?cher. ,,Kann ich mir die B?cher anschauen," fragte K., nicht aus besonderer Neugierde, sondern nur um nicht vollst?ndig nutzlos hier gewesen zu sein. ,,Nein," sagte die Frau und schloss wieder die T?r, ,,das ist nicht erlaubt. Die B?cher geh?ren dem Untersuchungsrichter." ,,Ach so," sagte K. und nickte, ,,die B?cher sind wohl Gesetzb?cher und es geh?rt zu der Art dieses Gerichtswesens, dass man nicht nur unschuldig, sondern auch unwissend verurteilt wird." ,,Es wird so sein," sagte die Frau, die ihn nicht genau verstanden hatte. ,,Nun, dann gehe ich wieder," sagte K. ,,Soll ich dem Untersuchungsrichter etwas melden?" fragte die Frau. ,,Sie kennen ihn?" fragte K. ,,Nat?rlich," sagte die Frau, ,,mein Mann ist ja Gerichtsdiener." Erst jetzt merkte K., dass das Zimmer, in dem letzthin nur ein Waschbottich gestanden war, jetzt ein v?llig eingerichtetes Wohnzimmer bildete. Die Frau bemerkte sein Staunen und sagte: ,,Ja, wir haben hier freie Wohnung, m?ssen aber an Sitzungstagen das Zimmer ausr?umen. Die Stellung meines Mannes hat manche Nachteile." ,,Ich staune nicht so sehr ?ber das Zimmer," sagte K. und blickte sie b?se an, ,,als vielmehr dar?ber, dass Sie verheiratet sind." ,,Spielen Sie vielleicht auf den Vorfall in der letzten Sitzung an, durch den ich Ihre Rede st?rte," fragte die Frau. ,,Nat?rlich," sagte K., ,,heute ist es ja schon vor?ber und fast vergessen, aber damals hat es mich geradezu w?tend gemacht. Und nun sagen Sie selbst, dass Sie eine verheiratete Frau sind." ,,Es war nicht zu Ihrem Nachteil, dass Ihre Rede abgebrochen wurde. Man hat nachher noch sehr ung?nstig ?ber sie geurteilt." ,,Mag sein," sagte K. ablenkend, ,,aber Sie entschuldigt das nicht." ,,Ich bin vor allen entschuldigt, die mich kennen," sagte die Frau, ,,der, welcher mich damals umarmt hat, verfolgt mich schon seit langem. Ich mag im allgemeinen nicht verlockend sein, f?r ihn bin ich es aber. Es gibt hief?r keinen Schutz, auch mein Mann hat sich schon damit abgefunden; will er seine Stellung behalten, muss er es dulden, denn jener Mann ist Student und wird voraussichtlich zu gr?sserer Macht kommen. Er ist immerfort hinter mir her, gerade ehe Sie kamen, ist er fortgegangen." ,,Es passt zu allem andern," sagte K., ,,es ?berrascht mich nicht." ,,Sie wollen hier wohl einiges verbessern," fragte die Frau langsam und pr?fend, als sage sie etwas, was sowohl f?r sie als f?r K. gef?hrlich war. ,,Ich habe das schon aus Ihrer Rede geschlossen, die mir pers?nlich sehr gut gefallen hat. Ich habe allerdings nur einen Teil geh?rt, den Anfang habe ich vers?umt und w?hrend des Schlusses lag ich mit dem Studenten auf dem Boden. -- Es ist ja so widerlich hier," sagte sie nach einer Pause und fasste K.s Hand. ,,Glauben Sie, dass es Ihnen gelingen wird, eine Besserung zu erreichen?" K. l?chelte und drehte seine Hand ein wenig in ihren weichen H?nden. ,,Eigentlich," sagte er, ,,bin ich nicht dazu angestellt, Besserungen hier zu erreichen, wie Sie sich ausdr?cken, und wenn Sie es z. B. dem Untersuchungsrichter sagen w?rden, w?rden Sie ausgelacht oder bestraft werden. Tats?chlich h?tte ich mich auch aus freiem Willen in diese Dinge gewiss nicht eingemischt und meinen Schlaf h?tte die Verbesserungsbed?rftigkeit dieses Gerichtswesens niemals gest?rt. Aber ich bin dadurch, dass ich angeblich verhaftet wurde -- ich bin n?mlich verhaftet -- gezwungen worden, hier einzugreifen, und zwar um meinetwillen. Wenn ich aber dabei auch Ihnen irgendwie n?tzlich sein kann, werde ich es nat?rlich sehr gerne tun. Nicht etwa nur aus N?chstenliebe, sondern ausserdem deshalb, weil auch Sie mir helfen k?nnen." ,,Wie k?nnte ich denn das," fragte die Frau. ,,Indem Sie mir z. B. jetzt die B?cher dort auf dem Tisch zeigen." ,,Aber gewiss," rief die Frau und zog ihn eiligst hinter sich her. Es waren alte abgegriffene B?cher, ein Einbanddeckel war in der Mitte fast zerbrochen, die St?cke hingen nur durch Fasern zusammen. ,,Wie schmutzig hier alles ist," sagte K. kopfsch?ttelnd und die Frau wischte mit ihrer Sch?rze, ehe K. nach den B?chern greifen konnte, wenigstens oberfl?chlich den Staub weg. K. schlug das erste Buch auf, es erschien ein unanst?ndiges Bild. Ein Mann und eine Frau sassen nackt auf dem Kanapee, die gemeine Absicht des Zeichners war deutlich zu erkennen, aber seine Ungeschicklichkeit war so gross gewesen, dass schliesslich doch nur ein Mann und eine Frau zu sehen waren, die allzu k?rperlich aus dem Bilde hervorragten, ?berm?ssig aufrecht dasassen und sich infolge falscher Perspektive nur m?hsam einander zuwendeten. K. bl?tterte nicht weiter, sondern schlug nur noch das Titelblatt des zweiten Buches auf, es war ein Roman mit dem Titel: ,,Die Plagen, welche Grete von ihrem Manne Hans zu erleiden hatte." ,,Das sind die Gesetzb?cher, die hier studiert werden," sagte K., ,,von solchen Menschen soll ich gerichtet werden." ,,Ich werde Ihnen helfen," sagte die Frau. ,,Wollen Sie?" ,,K?nnten Sie denn das wirklich, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen? Sie sagten doch vorhin, Ihr Mann sei sehr abh?ngig von Vorgesetzten." ,,Trotzdem will ich Ihnen helfen," sagte die Frau, ,,kommen Sie, wir m?ssen es besprechen. ?ber meine Gefahr reden Sie nicht mehr, ich f?rchte die Gefahr nur dort, wo ich sie f?rchten will. Kommen Sie." Sie zeigte auf das Podium und bat ihn, sich mit ihr auf die Stufe zu setzen. ,,Sie haben sch?ne dunkle Augen," sagte sie, nachdem sie sich gesetzt hatten und sah K. von unten ins Gesicht, ,,man sagt mir, ich h?tte auch sch?ne Augen, aber Ihre sind viel sch?ner. Sie fielen mir ?brigens gleich damals auf, als Sie zum erstenmal hier eintraten. Sie waren auch der Grund, warum ich dann sp?ter hierher ins Versammlungszimmer ging, was ich sonst niemals tue und was mir sogar gewissermassen verboten ist." ,Das ist also alles,' dachte K., ,sie bietet sich mir an, sie ist verdorben wie alle hier rings herum, sie hat die Gerichtsbeamten satt, was ja begreiflich ist, und begr?sst deshalb jeden beliebigen Fremden mit einem Kompliment wegen seiner Augen.' Und K. stand stillschweigend auf, als h?tte er seine Gedanken laut ausgesprochen und dadurch der Frau sein Verhalten erkl?rt. ,,Ich glaube nicht, dass Sie mir helfen k?nnten," sagte er, ,,um mir wirklich zu helfen, m?sste man Beziehungen zu hohen Beamten haben. Sie aber kennen gewiss nur die niedrigen Angestellten, die sich hier in Mengen herumtreiben. Diese kennen Sie gewiss sehr gut und k?nnten bei ihnen auch manches durchsetzen, das bezweifle ich nicht, aber das Gr?sste, was man bei ihnen durchsetzen k?nnte, w?re f?r den endg?ltigen Ausgang des Prozesses g?nzlich belanglos. Sie aber h?tten sich dadurch doch einige Freunde verscherzt. Das will ich nicht. F?hren Sie Ihr bisheriges Verh?ltnis zu diesen Leuten weiter, es scheint mir n?mlich, dass es Ihnen unentbehrlich ist. Ich sage das nicht ohne Bedauern, denn, um Ihr Kompliment doch auch irgendwie zu erwidern, auch Sie gefallen mir gut, besonders wenn Sie mich wie jetzt so traurig ansehn, wozu ?brigens f?r Sie gar kein Grund ist. Sie geh?ren zu der Gesellschaft, die ich bek?mpfen muss, befinden sich aber in ihr sehr wohl, Sie lieben sogar den Studenten, und wenn Sie ihn nicht lieben, so ziehen Sie ihn doch wenigstens Ihrem Manne vor. Das konnte man aus Ihren Worten leicht erkennen." ,,Nein," rief sie, blieb sitzen und griff nur nach K.s Hand, die er ihr nicht rasch genug entzog. ,,Sie d?rfen jetzt nicht weggehn, Sie d?rfen nicht mit einem falschen Urteil ?ber mich weggehn. Br?chten Sie es wirklich zustande, jetzt wegzugehn? Bin ich wirklich so wertlos, dass Sie mir nicht einmal den Gefallen tun wollen, noch ein kleines Weilchen hierzubleiben?" ,,Sie missverstehen mich," sagte K. und setzte sich, ,,wenn Ihnen wirklich daran liegt, dass ich hierbleibe, bleibe ich gern, ich habe ja Zeit, ich kam doch in der Erwartung her, dass heute eine Verhandlung sein werde. Mit dem, was ich fr?her sagte, wollte ich Sie nur bitten, in meinem Prozess nichts f?r mich zu unternehmen. Aber auch das muss Sie nicht kr?nken, wenn Sie bedenken, dass mir am Ausgang des Prozesses gar nichts liegt und dass ich ?ber eine Verurteilung nur lachen werde. Vorausgesetzt, dass es ?berhaupt zu einem wirklichen Abschluss des Prozesses kommt, was ich sehr bezweifle. Ich glaube vielmehr, dass das Verfahren infolge Faulheit oder Vergesslichkeit oder vielleicht sogar infolge Angst der Beamtenschaft schon abgebrochen ist oder in der n?chsten Zeit abgebrochen werden wird. M?glich ist allerdings auch, dass man in Hoffnung auf irgendeine gr?ssere Bestechung den Prozess scheinbar weiterf?hren wird, ganz vergeblich, wie ich heute schon sagen kann, denn ich besteche niemanden. Es w?re immerhin eine Gef?lligkeit, die Sie mir leisten k?nnten, wenn Sie dem Untersuchungsrichter oder irgend jemandem sonst, der wichtige Nachrichten gern verbreitet, mitteilen w?rden, dass ich niemals und durch keine Kunstst?cke, an denen die Herren wohl reich sind, zu einer Bestechung zu bewegen sein werde. Es w?re ganz aussichtslos, das k?nnen Sie ihnen offen sagen. ?brigens wird man es vielleicht selbst schon bemerkt haben und selbst wenn dies nicht sein sollte, liegt mir gar nicht soviel daran, dass man es jetzt schon erf?hrt. Es w?rde ja dadurch den Herren nur Arbeit erspart werden, allerdings auch mir einige Unannehmlichkeiten, die ich aber gern auf mich nehme, wenn ich weiss, dass jede gleichzeitig ein Hieb f?r die andern ist. Und dass es so wird, daf?r will ich sorgen. Kennen Sie eigentlich den Untersuchungsrichter?" ,,Nat?rlich," sagte die Frau, ,,an den dachte ich sogar zuerst, als ich Ihnen Hilfe anbot. Ich wusste nicht, dass er nur ein niedriger Beamter ist, aber da Sie es sagen, wird es wahrscheinlich richtig sein. Trotzdem glaube ich, dass der Bericht, den er nach oben liefert, immerhin einigen Einfluss hat. Und er schreibt soviel Berichte. Sie sagen, dass die Beamten faul sind, alle gewiss nicht, besonders dieser Untersuchungsrichter nicht, er schreibt sehr viel. Letzten Sonntag z. B. dauerte die Sitzung bis gegen Abend. Alle Leute gingen weg, der Untersuchungsrichter aber blieb im Saal, ich musste ihm eine Lampe bringen, ich hatte nur eine kleine K?chenlampe, aber er war mit ihr zufrieden und fing gleich zu schreiben an. Inzwischen war auch mein Mann gekommen, der an jenem Sonntag gerade Urlaub hatte, wir holten die M?bel, richteten wieder unser Zimmer ein, es kamen dann noch Nachbarn, wir unterhielten uns noch bei einer Kerze, kurz, wir vergassen den Untersuchungsrichter und gingen schlafen. Pl?tzlich in der Nacht, es muss schon tief in der Nacht gewesen sein, wache ich auf, neben dem Bett steht der Untersuchungsrichter und blendet die Lampe mit der Hand ab, so dass auf meinen Mann kein Licht f?llt, es war unn?tige Vorsicht, mein Mann hat einen solchen Schlaf, dass ihn auch das Licht nicht geweckt h?tte. Ich war so erschrocken, dass ich fast geschrien h?tte, aber der Untersuchungsrichter war sehr freundlich, ermahnte mich zur Vorsicht, fl?sterte mir zu, dass er bis jetzt geschrieben habe, dass er mir jetzt die Lampe zur?ckbringe und dass er niemals den Anblick vergessen werde, wie er mich schlafend gefunden habe. Mit dem allen wollte ich Ihnen nur sagen, dass der Untersuchungsrichter tats?chlich viele Berichte schreibt, insbesondere ?ber Sie, denn Ihre Einvernahme war gewiss einer der Hauptgegenst?nde der zweit?gigen Sitzung. Solche lange Berichte k?nnen aber doch nicht ganz bedeutungslos sein. Ausserdem aber k?nnen Sie doch auch aus dem Vorfall sehn, dass sich der Untersuchungsrichter um mich bewirbt und dass ich gerade jetzt in der ersten Zeit, er muss mich ?berhaupt erst jetzt bemerkt haben, grossen Einfluss auf ihn haben kann. Dass ihm viel an mir liegt, daf?r habe ich jetzt auch noch andere Beweise. Er hat mir gestern durch den Studenten, zu dem er viel Vertrauen hat und der sein Mitarbeiter ist, seidene Str?mpfe zum Geschenk geschickt, angeblich daf?r, dass ich das Sitzungszimmer aufr?ume, aber das ist nur ein Vorwand, denn diese Arbeit ist doch nur meine Pflicht und f?r sie wird mein Mann bezahlt. Es sind sch?ne Str?mpfe, sehen Sie -- sie streckte die Beine, zog die R?cke bis zum Knie hinauf und sah auch selbst die Str?mpfe an -- es sind sch?ne Str?mpfe, aber doch eigentlich zu fein und f?r mich nicht geeignet."

Pl?tzlich unterbrach sie sich, legte ihre Hand auf K.s Hand, als wolle sie ihn beruhigen und fl?sterte: ,,Still, Bertold sieht uns zu." K. hob langsam den Blick. In der T?r des Sitzungszimmers stand ein junger Mann, er war klein, hatte nicht ganz gerade Beine und suchte sich durch einen kurzen sch?ttern r?tlichen Vollbart, in dem er die Finger fortw?hrend herumf?hrte, W?rde zu geben. K. sah ihn neugierig an, es war ja der erste Student der unbekannten Rechtswissenschaft, dem er gewissermassen menschlich begegnete, ein Mann, der wahrscheinlich auch einmal zu h?hern Beamtenstellen gelangen w?rde. Der Student dagegen k?mmerte sich um K. scheinbar gar nicht, er winkte nur mit einem Finger, den er f?r einen Augenblick aus seinem Barte zog, der Frau und ging zum Fenster, die Frau beugte sich zu K. und fl?sterte: ,,Seien Sie mir nicht b?se, ich bitte Sie vielmals, denken Sie auch nicht schlecht von mir, ich muss jetzt zu ihm gehn, zu diesem scheusslichen Menschen, sehn Sie nur seine krummen Beine an. Aber ich komme gleich zur?ck und dann geh ich mit Ihnen, wenn Sie mich mitnehmen, ich gehe, wohin Sie wollen, Sie k?nnen mit mir tun, was Sie wollen, ich werde gl?cklich sein, wenn ich von hier f?r m?glichst lange Zeit fort bin, am liebsten allerdings f?r immer." Sie streichelte noch K.s Hand, sprang auf und lief zum Fenster. Unwillk?rlich haschte noch K. nach ihrer Hand ins Leere. Die Frau verlockte ihn wirklich, er fand trotz allem Nachdenken keinen haltbaren Grund daf?r, warum er der Verlockung nicht nachgeben sollte. Den fl?chtigen Einwand, dass ihn die Frau f?r das Gericht einfange, wehrte er ohne M?he ab. Auf welche Weise konnte sie ihn einfangen? Blieb er nicht immer so frei, dass er das ganze Gericht, wenigstens soweit es ihn betraf, sofort zerschlagen konnte? Konnte er nicht dieses geringe Vertrauen zu sich haben? Und ihr Anerbieten einer Hilfe klang aufrichtig und war vielleicht nicht wertlos. Und es gab vielleicht keine bessere Rache an dem Untersuchungsrichter und seinem Anhang, als dass er ihnen diese Frau entzog und an sich nahm. Es k?nnte sich dann einmal der Fall ereignen, dass der Untersuchungsrichter nach m?hevoller Arbeit an L?genberichten ?ber K. in sp?ter Nacht das Bett der Frau leer fand. Und leer deshalb, weil sie K. geh?rte, weil diese Frau am Fenster, dieser ?ppige gelenkige warme K?rper im dunklen Kleid aus grobem schweren Stoff durchaus nur K. geh?rte.

Nachdem er auf diese Weise die Bedenken gegen die Frau beseitigt hatte, wurde ihm das leise Zwiegespr?ch am Fenster zu lang, er klopfte mit den Kn?cheln auf das Podium und dann auch mit der Faust. Der Student sah kurz ?ber die Schulter der Frau hinweg nach K. hin, liess sich aber nicht st?ren, ja dr?ckte sich sogar enger an die Frau und umfasste sie. Sie senkte tief den Kopf, als h?re sie ihm aufmerksam zu, er k?sste sie, als sie sich b?ckte, laut auf den Hals, ohne sich im Reden wesentlich zu unterbrechen. K. sah darin die Tyrannei best?tigt, die der Student nach den Klagen der Frau ?ber sie aus?bte, stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Er ?berlegte unter Seitenblicken nach dem Studenten, wie er ihn m?glichst schnell wegschaffen k?nnte, und es war ihm daher nicht unwillkommen, als der Student, offenbar gest?rt durch K.s Herumgehn, das schon zeitweilig zu einem Trampeln ausgeartet war, bemerkte: ,,Wenn Sie ungeduldig sind, k?nnen Sie weggehn. Sie h?tten auch schon fr?her weggehn k?nnen, es h?tte Sie niemand vermisst. Ja, Sie h?tten sogar weggehn sollen, und zwar schon bei meinem Eintritt, und zwar schleunigst." Es mochte in dieser Bemerkung alle m?gliche Wut zum Ausbruch kommen, jedenfalls lag darin aber auch der Hochmut des k?nftigen Gerichtsbeamten, der zu einem missliebigen Angeklagten sprach. K. blieb ganz nahe bei ihm stehn und sagte l?chelnd: ,,Ich bin ungeduldig, das ist richtig, aber diese Ungeduld wird am leichtesten dadurch zu beseitigen sein, dass Sie uns verlassen. Wenn Sie aber vielleicht hergekommen sind, um zu studieren -- ich h?rte, dass Sie Student sind -- so will ich Ihnen gerne Platz machen und mit der Frau weggehn. Sie werden ?brigens noch viel studieren m?ssen, ehe Sie Richter werden. Ich kenne zwar Ihr Gerichtswesen noch nicht sehr genau, nehme aber an, dass es mit groben Reden allein, die Sie allerdings schon unversch?mt gut zu f?hren wissen, noch lange nicht getan ist." ,,Man h?tte ihn nicht so frei herumlaufen lassen sollen," sagte der Student, als wolle er der Frau eine Erkl?rung f?r K.s beleidigende Rede geben, ,,es war ein Missgriff. Ich habe es dem Untersuchungsrichter gesagt. Man h?tte ihn zwischen den Verh?ren zumindest in seinem Zimmer halten sollen. Der Untersuchungsrichter ist manchmal unbegreiflich." ,,Unn?tze Reden," sagte K. und streckte die Hand nach der Frau aus, ,,kommen Sie." ,,Ach so," sagte der Student, ,,nein, nein, die bekommen Sie nicht," und mit einer Kraft, die man ihm nicht zugetraut h?tte, hob er sie auf einen Arm, und lief mit gebeugtem R?cken, z?rtlich zu ihr aufsehend, zur T?r. Eine gewisse Angst vor K. war hiebei nicht zu verkennen, trotzdem wagte er es, K. noch zu reizen, indem er mit der freien Hand den Arm der Frau streichelte und dr?ckte. K. lief paar Schritte neben ihm her, bereit, ihn zu fassen und, wenn es sein m?sste, zu w?rgen, da sagte die Frau: ,,Es hilft nichts, der Untersuchungsrichter l?sst mich holen, ich darf nicht mit Ihnen gehn, dieses kleine Scheusal," sie fuhr hiebei dem Studenten mit der Hand ?bers Gesicht, ,,dieses kleine Scheusal l?sst mich nicht." ,,Und Sie wollen nicht befreit werden," schrie K. und legte die Hand auf die Schulter des Studenten, der mit den Z?hnen nach ihr schnappte. ,,Nein," rief die Frau und wehrte K. mit beiden H?nden ab, ,,nein, nein, nur das nicht, woran denken Sie denn! Das w?re mein Verderben. Lassen Sie ihn doch, o bitte, lassen Sie ihn doch. Er f?hrt ja nur den Befehl des Untersuchungsrichters aus und tr?gt mich zu ihm." ,,Dann mag er laufen und Sie will ich nie mehr sehn," sagte K. w?tend vor Entt?uschung und gab dem Studenten einen Stoss in den R?cken, dass er kurz stolperte, um gleich darauf, vor Vergn?gen dar?ber, dass er nicht gefallen war, mit seiner Last desto h?her zu springen. K. ging ihnen langsam nach, er sah ein, dass das die erste zweifellose Niederlage war, die er von diesen Leuten erfahren hatte. Es war nat?rlich gar kein Grund, sich deshalb zu ?ngstigen, er erhielt die Niederlage nur deshalb, weil er den Kampf aufsuchte. Wenn er zu Hause bliebe und sein gewohntes Leben f?hren w?rde, war er jedem dieser Leute tausendfach ?berlegen und konnte jeden mit einem Fusstritt von seinem Wege r?umen. Und er stellte sich die allerl?cherlichste Szene vor, die es z. B. geben w?rde, wenn dieser kl?gliche Student, dieses aufgeblasene Kind, dieser krumme Barttr?ger vor Elsas Bett knien und mit gefalteten H?nden um Gnade bitten w?rde. K. gefiel diese Vorstellung so, dass er beschloss, wenn sich nur irgendeine Gelegenheit daf?r ergeben sollte, den Studenten einmal zu Elsa mitzunehmen.

Aus Neugierde eilte K. noch zur T?r, er wollte sehn, wohin die Frau getragen wurde, der Student w?rde sie doch nicht etwa ?ber die Strassen auf dem Arm tragen. Es zeigte sich, dass der Weg viel k?rzer war. Gleich gegen?ber der Wohnungst?r f?hrte eine schmale h?lzerne Treppe wahrscheinlich zum Dachboden, sie machte eine Wendung, so dass man ihr Ende nicht sah. ?ber diese Treppe trug der Student die Frau hinauf, schon sehr langsam und st?hnend, denn er war durch das bisherige Laufen geschw?cht. Die Frau gr?sste mit der Hand zu K. hinunter, und suchte durch Auf- und Abziehn der Schultern zu zeigen, dass sie an der Entf?hrung unschuldig sei, viel Bedauern lag aber in dieser Bewegung nicht. K. sah sie ausdruckslos, wie eine Fremde an, er wollte weder verraten, dass er entt?uscht war, noch auch, dass er die Entt?uschung leicht ?berwinden k?nne.

Die zwei waren schon verschwunden, K. aber stand noch immer in der T?r. Er musste annehmen, dass ihn die Frau nicht nur betrogen, sondern mit der Angabe, dass sie zum Untersuchungsrichter getragen werde, auch belogen habe. Der Untersuchungsrichter w?rde doch nicht auf dem Dachboden sitzen und warten. Die Holztreppe erkl?rte nichts, so lange man sie auch ansah. Da bemerkte K. einen kleinen Zettel neben dem Aufgang, ging hin?ber und las in einer kindlichen unge?bten Schrift: ,,Aufgang zu den Gerichtskanzleien." Hier auf dem Dachboden dieses Miethauses waren also die Gerichtskanzleien? Das war keine Einrichtung, die viel Achtung einzufl?ssen imstande war und es war f?r einen Angeklagten beruhigend, sich vorzustellen, wie wenig Geldmittel diesem Gericht zur Verf?gung standen, wenn es seine Kanzleien dort unterbrachte, wo die Mietparteien, die schon selbst zu den ?rmsten geh?rten, ihren unn?tzen Kram hinwarfen. Allerdings war es nicht ausgeschlossen, dass man Geld genug hatte, dass aber die Beamtenschaft sich dar?ber warf, ehe es f?r Gerichtszwecke verwendet wurde. Das war nach den bisherigen Erfahrungen K.s sogar sehr wahrscheinlich, nur war dann eine solche Verlotterung des Gerichtes f?r einen Angeklagten zwar entw?rdigend, aber im Grunde noch beruhigender, als es die Armut des Gerichtes gewesen w?re. Nun war es K. auch begreiflich, dass man sich beim ersten Verh?r sch?mte, den Angeklagten auf den Dachboden vorzuladen und es vorzog, ihn in seiner Wohnung zu bel?stigen. In welcher Stellung befand sich doch K. gegen?ber dem Richter, der auf dem Dachboden sass, w?hrend er selbst in der Bank ein grosses Zimmer mit einem Vorzimmer hatte und durch eine riesige Fensterscheibe auf den belebten Stadtplatz hinuntersehen konnte. Allerdings hatte er keine Nebeneink?nfte aus Bestechungen oder Unterschlagungen und konnte sich auch vom Diener keine Frau auf dem Arm ins Bureau tragen lassen. Darauf wollte K. aber, wenigstens in diesem Leben, gerne verzichten.

K. stand noch vor dem Anschlagzettel, als ein Mann die Treppe heraufkam, durch die offene T?r ins Wohnzimmer sah, aus dem man auch in das Sitzungszimmer sehen konnte, und schliesslich K. fragte, ob er hier nicht vor kurzem eine Frau gesehen habe. ,,Sie sind der Gerichtsdiener, nicht?" fragte K. ,,Ja," sagte der Mann, ,,ach so, Sie sind der Angeklagte K., jetzt erkenne ich Sie auch, seien Sie willkommen." Und er reichte K., der es gar nicht erwartet hatte, die Hand. ,,Heute ist aber keine Sitzung angezeigt," sagte dann der Gerichtsdiener, als K. schwieg. ,,Ich weiss," sagte K. und betrachtete den Zivilrock des Gerichtsdieners, der als einziges amtliches Abzeichen neben einigen gew?hnlichen Kn?pfen auch zwei vergoldete Kn?pfe aufwies, die von einem alten Offiziersmantel abgetrennt zu sein schienen. ,,Ich habe vor einem Weilchen mit Ihrer Frau gesprochen. Sie ist nicht mehr hier. Der Student hat sie zum Untersuchungsrichter getragen." ,,Sehen Sie," sagte der Gerichtsdiener, ,,immer tr?gt man sie mir weg. Heute ist doch Sonntag und ich bin zu keiner Arbeit verpflichtet, aber nur, um mich von hier zu entfernen, schickt man mich mit einer unn?tzen Meldung weg. Und zwar schickt man mich nicht weit weg, so dass ich die Hoffnung habe, wenn ich mich sehr beeile, vielleicht noch rechtzeitig zur?ckzukommen. Ich laufe also, so sehr ich kann, schreie dem Amt, zu dem ich geschickt wurde, meine Meldung durch den T?rspalt so atemlos zu, dass man sie kaum verstanden haben wird, laufe wieder zur?ck, aber der Student hat sich noch mehr beeilt als ich, er hatte allerdings auch einen k?rzeren Weg, er musste nur die Bodentreppe hinunterlaufen. W?re ich nicht so abh?ngig, ich h?tte den Studenten schon l?ngst hier an der Wand zerdr?ckt. Hier neben dem Anschlagzettel. Davon tr?ume ich immer. Hier ein wenig ?ber dem Fussboden ist er festgedr?ckt, die Arme gestreckt, die Finger gespreizt, die krummen Beine zum Kreis gedreht und ringsherum Blutspritzer. Bisher war es aber nur Traum." ,,Eine andere Hilfe gibt es nicht?" fragte K. l?chelnd. ,,Ich w?sste keine," sagte der Gerichtsdiener. ,,Und jetzt wird es ja noch ?rger, bisher hat er sie nur zu sich getragen, jetzt tr?gt er sie, was ich allerdings l?ngst erwartet habe, auch zum Untersuchungsrichter." ,,Hat denn Ihre Frau gar keine Schuld dabei," fragte K., er musste sich bei dieser Frage bezwingen, so sehr f?hlte auch er jetzt die Eifersucht. ,,Aber gewiss," sagte der Gerichtsdiener, ,,sie hat sogar die gr?sste Schuld. Sie hat sich ja an ihn geh?ngt. Was ihn betrifft, er l?uft allen Weibern nach. In diesem Hause allein ist er schon aus f?nf Wohnungen, in die er sich eingeschlichen hat, hinausgeworfen worden. Meine Frau ist allerdings die sch?nste im ganzen Haus, und gerade ich darf mich nicht wehren." ,,Wenn es sich so verh?lt, dann gibt es allerdings keine Hilfe," sagte K. ,,Warum denn nicht," fragte der Gerichtsdiener. ,,Man m?sste den Studenten, der ein Feigling ist, einmal, wenn er meine Frau anr?hren will, so durchpr?geln, dass er es niemals mehr wagt. Aber ich darf es nicht und andere machen mir den Gefallen nicht, denn alle f?rchten seine Macht. Nur ein Mann wie Sie k?nnte es tun." ,,Wieso denn ich?" fragte K. erstaunt. ,,Sie sind doch angeklagt," sagte der Gerichtsdiener. ,,Ja," sagte K., ,,aber desto mehr m?sste ich doch f?rchten, dass er, wenn auch vielleicht nicht Einfluss auf den Ausgang des Prozesses, so doch wahrscheinlich auf die Voruntersuchung hat." ,,Ja, gewiss," sagte der Gerichtsdiener, als sei die Ansicht K.s genau so richtig wie seine eigene. ,,Es werden aber bei uns in der Regel keine aussichtslosen Prozesse gef?hrt." ,,Ich bin nicht Ihrer Meinung," sagte K., ,,das soll mich aber nicht hindern, gelegentlich den Studenten in Behandlung zu nehmen." ,,Ich w?re Ihnen sehr dankbar," sagte der Gerichtsdiener etwas f?rmlich, er schien eigentlich doch nicht an die Erf?llbarkeit seines h?chsten Wunsches zu glauben. ,,Es w?rden vielleicht," fuhr K. fort, ,,auch noch andere Ihrer Beamten und vielleicht sogar alle das gleiche verdienen." ,,Ja, ja," sagte der Gerichtsdiener, als handle es sich um etwas Selbstverst?ndliches. Dann sah er K. mit einem zutraulichen Blick an, wie er es bisher trotz aller Freundlichkeit nicht getan hatte, und f?gte hinzu: ,,Man rebelliert eben immer." Aber das Gespr?ch schien ihm doch ein wenig unbehaglich geworden zu sein, denn er brach es ab, indem er sagte: ,,Jetzt muss ich mich in der Kanzlei melden. Wollen Sie mitkommen?" ,,Ich habe dort nichts zu tun," sagte K. ,,Sie k?nnten die Kanzleien ansehn. Es wird sich niemand um Sie k?mmern." ,,Sind sie denn sehenswert?" fragte K. z?gernd, hatte aber grosse Lust mitzugehn. ,,Nun," sagte der Gerichtsdiener, ,,ich dachte, es w?rde Sie interessieren." ,,Gut," sagte K. schliesslich, ,,ich gehe mit". Und er lief schneller als der Gerichtsdiener die Treppe hinauf.

Beim Eintritt w?re er fast hingefallen, denn hinter der T?r war noch eine Stufe. ,,Auf das Publikum nimmt man nicht viel R?cksicht," sagte er. ,,Man nimmt ?berhaupt keine R?cksicht," sagte der Gerichtsdiener, ,,sehn Sie nur hier das Wartezimmer." Es war ein langer Gang, von dem aus rohe gezimmerte T?ren zu den einzelnen Abteilungen des Dachbodens f?hrten. Trotzdem kein unmittelbarer Lichtzutritt bestand, war es doch nicht vollst?ndig dunkel, denn manche Abteilungen hatten gegen den Gang zu statt einheitlicher Bretterw?nde, blosse, allerdings bis zur Decke reichende Holzgitter, durch die einiges Licht drang und durch die man auch einzelne Beamte sehen konnte, wie sie an Tischen schrieben oder geradezu am Gitter standen und durch die L?cken die Leute auf dem Gang beobachteten. Es waren, wahrscheinlich weil Sonntag war, nur wenig Leute auf dem Gang. Sie machten einen sehr bescheidenen Eindruck. In fast regelm?ssigen Entfernungen voneinander sassen sie auf den zwei Reihen langer Holzb?nke, die zu beiden Seiten des Ganges angebracht waren. Alle waren vernachl?ssigt angezogen, trotzdem die meisten nach dem Gesichtsausdruck, der Haltung, der Barttracht und vielen kaum sicherzustellenden kleinen Einzelheiten den h?heren Klassen angeh?rten. Da keine Kleiderhaken vorhanden waren, hatten sie die H?te, wahrscheinlich einer dem Beispiel des andern folgend, unter die Bank gestellt. Als die, welche zun?chst der T?r sassen, K. und den Gerichtsdiener erblickten, erhoben sie sich zum Gruss, da das die Folgenden sahen, glaubten sie auch gr?ssen zu m?ssen, so dass alle beim Vorbeigehn der zwei sich erhoben. Sie standen niemals vollst?ndig aufrecht, der R?cken war geneigt, die Knie geknickt, sie standen wie Strassenbettler. K. wartete auf den ein wenig hinter ihm gehenden Gerichtsdiener und sagte: ,,Wie gedem?tigt die sein m?ssen." ,,Ja," sagte der Gerichtsdiener, ,,es sind Angeklagte, alle die Sie hier sehn, sind Angeklagte." ,,Wirklich!" sagte K. ,,Dann sind es ja meine Kollegen." Und er wandte sich an den n?chsten, einen grossen schlanken, schon fast grauhaarigen Mann. ,,Worauf warten Sie hier?" fragte K. h?flich. Die unerwartete Ansprache aber machte den Mann verwirrt, was um so peinlicher aussah, da es sich offenbar um einen welterfahrenen Menschen handelte, der anderswo gewiss sich zu beherrschen verstand und die ?berlegenheit, die er sich ?ber viele erworben hatte, nicht leicht aufgab. Hier aber wusste er auf eine so einfache Frage nicht zu antworten und sah auf die andern hin, als seien sie verpflichtet, ihm zu helfen, und als k?nne niemand von ihm eine Antwort verlangen, wenn diese Hilfe ausbliebe. Da trat der Gerichtsdiener hinzu und sagte, um den Mann zu beruhigen und aufzumuntern: ,,Der Herr hier fragt ja nur, auf was Sie warten. Antworten Sie doch." Die ihm wahrscheinlich bekannte Stimme des Gerichtsdieners wirkte besser: ,,Ich warte --" begann er und stockte. Offenbar hatte er diesen Anfang gew?hlt, um ganz genau auf die Fragestellung zu antworten, fand aber jetzt die Fortsetzung nicht. Einige der Wartenden hatten sich gen?hert und umstanden die Gruppe, der Gerichtsdiener sagte zu ihnen: ,,Weg, weg, macht den Gang frei." Sie wichen ein wenig zur?ck, aber nicht bis zu ihren fr?heren Sitzen. Inzwischen hatte sich der Gefragte gesammelt und antwortete sogar mit einem kleinen L?cheln: ,,Ich habe vor einem Monat einige Beweisantr?ge in meiner Sache gemacht und warte auf die Erledigung." ,,Sie scheinen sich ja viele M?he zu geben," sagte K. ,,Ja," sagte der Mann, ,,es ist ja meine Sache." ,,Jeder denkt nicht so wie Sie," sagte K., ,,ich z. B. bin auch angeklagt, habe aber, so wahr ich selig werden will, weder einen Beweisantrag gestellt, noch auch sonst irgend etwas derartiges unternommen. Halten Sie denn das f?r n?tig?" ,,Ich weiss nicht genau," sagte der Mann wieder in vollst?ndiger Unsicherheit; er glaubte offenbar, K. mache mit ihm einen Scherz, deshalb h?tte er wahrscheinlich am liebsten, aus Furcht, irgendeinen neuen Fehler zu machen, seine fr?here Antwort ganz wiederholt, vor K.s ungeduldigem Blick aber sagte er nur, ,,was mich betrifft, ich habe Beweisantr?ge gestellt." ,,Sie glauben wohl nicht, dass ich angeklagt bin," fragte K. ,,O bitte gewiss," sagte der Mann, und trat ein wenig zur Seite, aber in der Antwort war nicht Glaube, sondern nur Angst. ,,Sie glauben mir also nicht?" fragte K. und fasste ihn, unbewusst durch das dem?tige Wesen des Mannes dazu aufgefordert, beim Arm, als wolle er ihn zum Glauben zwingen. Er wollte ihm nicht Schmerz bereiten, hatte ihn auch nur ganz leicht angegriffen, trotzdem aber schrie der Mann auf, als habe K. ihn nicht mit zwei Fingern, sondern mit einer gl?henden Zange erfasst. Dieses l?cherliche Schreien machte K. endg?ltig ?berdr?ssig; glaubte man ihm nicht, dass er angeklagt war, so war es desto besser; vielleicht hielt er ihn sogar f?r einen Richter. Und er fasste ihn nun zum Abschied wirklich fester, stiess ihn auf die Bank zur?ck und ging weiter. ,,Die meisten Angeklagten sind so empfindlich," sagte der Gerichtsdiener. Hinter ihnen sammelten sich jetzt fast alle Wartenden um den Mann, der schon zu schreien aufgeh?rt hatte, und schienen ihn ?ber den Zwischenfall genau auszufragen. K. entgegen kam jetzt ein W?chter, der haupts?chlich an einem S?bel kenntlich war, dessen Scheide, wenigstens der Farbe nach, aus Aluminium bestand. K. staunte dar?ber und griff sogar mit der Hand hin. Der W?chter, der wegen des Schreins gekommen war, fragte nach dem Vorgefallenen. Der Gerichtsdiener suchte ihn mit einigen Worten zu beruhigen, aber der W?chter erkl?rte, doch noch selbst nachsehn zu m?ssen, salutierte und ging weiter mit sehr eiligen, aber sehr kurzen, wahrscheinlich durch Gicht abgemessenen Schritten.

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