Read Ebook: Das Weihnachtslied: Eine Erzählung für junge Mädchen by Walther Lina
Font size: Background color: Text color: Add to tbrJar First Page Next Page Prev PageEbook has 932 lines and 47079 words, and 19 pages,,Gehe du, Martha, ich kann noch nicht unter Menschen!" Martha rief Werners und Suschen ab und ging mit ihnen. Der Kirchgang am heiligen Weihnachtsabend war ihr letzter gewesen. Damals hatte sie vor Gl?ckseligkeit nicht ordentlich geh?rt, was gesungen und gesagt wurde; heute verlangte ihre gebeugte Seele Trost und Kraft von oben und ?ffnete wie eine durstige Bl?te den Kelch, um den Himmelstau aufzunehmen. Die sch?nen, wohlbekannten Fastenlieder bewegten ihr Herz und hoben es empor. Der Prediger war ein Greis mit weissen Haaren, sein Angesicht bestrahlt vom Morgenrot einer besseren Welt. Sein Thema war heute: ,,Wie man dem Herrn sein Kreuz nachtragen soll." ,,Das passt sehr f?r mich", dachte Martha, ,,ich muss ja auch mein Kreuz tragen." Sie erfuhr aber bald, dass noch etwas Besonderes dabei war, woran sie noch nicht gedacht hatte. ,,Denkt nicht", sagte der alte Pfarrer, ,,wenn euch Gott Leiden schickt und ihr m?sst sie ertragen, weil ihr sie nicht los werden k?nnt, dass dies schon heisst: dem Herrn sein Kreuz nachtragen; o nein! das m?ssen auch die Heiden und die Ungl?ubigen thun. Dem Herrn sein Kreuz nachtragen, d. h. die Last, die er uns darreicht, willig auf unsere Schultern nehmen mit dem Gebete: ,Herr, du hast dein Kreuz getragen f?r mich und meine S?nden, und hast die N?gel, die in meinem Kreuze waren, dadurch herausgezogen; nun hilf, dass ich mein Kreuz dir nachtrage ohne Murren, in dankbarer Liebe, in stillem, geduldigem Gehorsam, so wie du es von mir willst und mir es vorgetragen hast, als dein Kind und zu deiner Ehre! Dann glaubt mir, gr?nt das Kreuzholz auf euerer Schulter, bl?ht und tr?gt Fr?chte, davon ihr noch geniessen k?nnt in der seligen Ewigkeit." Martha f?hlte sich tief ins Herz getroffen. Nein, in dieser Weise hatte sie ihr Kreuz noch nicht getragen, davon war sie noch weit entfernt; aber sie folgte mit zagendem Herzen dem Schlussgebet, dass Gott die Seelen bereiten m?ge zu solchem Kreuzestrost und solcher Kraft zum Tragen, und sie konnte nicht anders, als nach der Heimkehr der Mutter von dem Eindruck sprechen. ,,Mutter, ich m?chte dich um etwas bitten. Darf ich nun manchmal wieder ein Lied singen?" Die Mutter erlaubte es; zuerst flossen ihre Thr?nen heftiger dabei, dann verlangte sie danach, sie erinnerte auch Martha am n?chsten Sonntage selbst daran, in die Kirche zu gehen; die ging so gerne, und als wieder die Glocken zur Abendkirche riefen, holte Frau Feldwart selbst ihren Mantel und begleitete ihr Kind. Trude war fast jede Woche gekommen; gegen Ende M?rz brachte sie Gr?sse vom Herrn Amtsrat R?sner, und ob er nicht einmal d?rfe seinen Wagen schicken, Frau Feldwart und das Fr?ulein darin holen zu lassen, damit sie die alte Heimat wieder begr?ssten. Frau Feldwart konnte sich nicht entschliessen: ,,Ja, wenn ich fr?her einmal h?tte dort sein k?nnen! Aber in diesem Zustande? nein!" Am andern Tage fuhren des Amtsrats T?chter, frische, bl?hende M?dchen, vor, und baten kindlich, doch zu erlauben, dass Martha sie f?r die Nachmittags- und Abendstunden mit Suschen nach dem Gute begleite; es w?ren all' die jungen M?dchen dort versammelt, die an den englischen Stunden teilnehmen wollten; sie w?nschten Martha kennen zu lernen. Dagegen liess sich nichts sagen. Martha fuhr hinaus in den freundlichen Fr?hlingstag in Gesellschaft der munteren M?dchen; sie freute sich, all' die St?tten zu sehen, wo Urgrosseltern und Grosseltern gelebt hatten, und ihre Mutter aufgewachsen war. Der joviale Gutsherr und seine freundliche Frau empfingen sie sehr freundlich; der Kreis von jungen M?dchen, die zum Teil noch bedeutend j?nger waren als Martha, versetzte sie in ihr fr?heres, gl?ckliches Leben zur?ck; sie bewegte sich ungezwungen und anmutig zwischen ihnen und gewann schnell das allgemeine Zutrauen. Es ward Zeit und Ort der englischen Stunde verabredet, Direktors wollten ihr grosses Hinterzimmer dazu hergeben, und nur an besonders sch?nen Nachmittagen wollte der Amtsrat die Gesellschaft herausholen lassen. Nach dem Kaffee eilte alles in den grossen Garten, dessen feiner Rasen im ersten Gr?n schimmerte, um am Rain und im Geb?sch nach Veilchen zu suchen. Hier wartete Trude: ,,Nun, Fr?ulein Martha, nun kommen Sie 'mal mit, nun will ich Ihnen zeigen, wo die Mutter gross geworden ist; die Frau Amtsr?tin wollte es selbst thun, aber ich habe so lange gebeten, bis sie es mir erlaubte; ich weiss das ja doch nat?rlich noch viel besser! So? Fr?ulein Werner will auch mit? Na, meinetwegen." Das Haus, wo Amtsrat R?sner wohnte, war ein Anbau, den er sich selbst erst eingerichtet, da ihm das alte Wohnhaus zu k?hl und d?ster erschienen war; in dieses f?hrte jetzt Trude die beiden M?dchen. ,,Sehen Sie, hier, was jetzt die grosse Wirtschaftsstube ist, das war der Saal; da ist die Hochzeitstafel gewesen, als der Herr Vater mit der Frau Mutter getraut worden waren, und hier, wo jetzt die Stube vom Inspektor ist, da war die beste Wohnstube; Sie k?nnen hineinsehen, er ist draussen beim Bestellen. Da ?ber dem Flur dr?ben das war dem Grossvater seine Arbeitsstube, die hat jetzt Mamsell Hannchen. Und nun kommen Sie 'mal mit die Treppe hinauf." Im oberen Stockwerk waren zwei St?bchen, die Marthas Interesse vorzugsweise in Anspruch nahmen: das ehemalige Zimmerchen ihrer Mutter, was jetzt sehr niedlich als Logierstube eingerichtet war, und das Gastzimmer daneben. ,,Sehen Sie, hier hat nun die Frau Urgrossmutter gewohnt. Da hier in der Ecke stand ihre grosse, bunte Kommode und da am Fenster steht noch ihr Lehnstuhl und ihr eiserner, kleiner Tisch. Das war 'mal eine gewaltige Frau! Die Leute im Dorfe wissen noch viel Geschichten von ihr, und ich kann mich noch ganz gut auf sie besinnen. Sie ist die Mutter gewesen von allen Kranken und Armen, und in den Kriegsjahren hat sie immer den Kopf oben gehabt und mehr als einmal durch ihre Ruhe und ihr Auftreten den Hof vor Pl?nderung und Schaden bewahrt. Der Urgrossvater war kr?nklich und litt viel am Magen und an der Leber, da hat sie jung schon die Z?gel mit halten m?ssen. Hier oben aber da hat sie gesessen eine halbe Stunde vor Tag und eine halbe Stunde des Abends, und hat gelesen und so gewaltig gebetet, dass sie es manchmal draussen verstanden haben, und in ihrem Testamente hat sie es bestimmt: der Stuhl, der Tisch und darauf die Bibel und das Starkenbuch das soll hier am Fenster bleiben und nicht verr?ckt werden, zum Zeugnis, dass der Segen von oben kommt." Martha war zumute, als h?rte sie die Stimme, die aus dem feurigen Busche zu Mose sprach: ,,Ziehe deine Schuhe aus; der Ort, da deine F?sse stehen, das ist ein heilig Land." Mit scheuer Ehrfurcht schlug sie die alte Bilderbibel auf, deren vergilbte Bl?tter mit Randbemerkungen bedeckt waren; sie hatte aufgeschlagen und las: ,,Ebr. 12, 1: Darum auch wir, dieweil wir solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasset uns ablegen die S?nde, so uns immer anklebt und tr?ge macht, und lasset uns laufen durch Geduld in dem Kampfe, der uns verordnet ist." Es war, als h?rte sie die Urgrossmutter selbst diese Worte sagen, als empfinge sie von ihr in dieser Minute gewissermassen innerlich den Ritterschlag; jetzt h?tte sie lieber selbst Truden und Suschen nicht neben sich gehabt; sie konnte sich lange, lange nicht trennen. Draussen vor dem Fenster spielte der Wind in den eben erst knospenden Zweigen der alten Linden, die hatten auch schon her?bergerauscht in der Jugend der Urgrossmutter, und dahinter ergl?nzte der kleine, klare Landsee, in dem die Mittagssonne sich spiegelte; das war alles ebenso wie sonst. ,,Jetzt m?chte ich ihr Grab sehen", sagte sie endlich. Sie wanderte mit Suschen Arm in Arm durchs Dorf, Trude voran. Auf einem gr?nen H?gel, von Kastanien umgeben, lag die freundliche, saubere Kirche, rings um sie her unter ihren weissen Steinen und Kreuzen die schlafenden Gemeindeglieder. Ganz nahe dem Eingange ins Gotteshaus schliefen Urgrossvater und Urgrossmutter dicht nebeneinander. Die Leichensteine stellten, wie es damals Sitte war, abgebrochene S?ulen dar; auf der des Urgrossvaters stand: ,,In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen; ich gehe hin, euch die St?tte zu bereiten"; auf dem seiner Gattin: ,,Ich weiss, dass mein Erl?ser lebt!" ,,Das hat sie selbst so bestimmt", sagte Trude, ,,sonst h?tte doch wohl was von allen ihren Gutthaten drauf stehen m?ssen." Die Gr?ber waren sehr gut gehalten, die d?rren Bl?tter sauber abgeharkt; ein Kranz von Schneegl?ckchen fasste die obere Fl?che ein, sie l?uteten mit all ihren feinen Glocken; schon zeigten sich auch die blauen Bl?ten der Amaryllis und die dunklen K?pfchen kleiner Tulpen fingen an, sich zu f?rben. Vom Turme klang jetzt feierlich das Feierabendgel?ute, die Sonne wollte soeben zur Ruhe gehen, ihre roten Strahlen gossen fl?ssiges Gold auf die Grabsteine und das Gras, und eine sanfte Abendluft spielte geheimnisvoll in den welken Bl?ttern, die an der Kirchhofsmauer noch aufgeschichtet lagen. Die beiden jungen M?dchen hatten sich fest an der Hand gefasst, Trude stand mit gefalteten H?nden. Vom Abendl?uten war der letzte Ton verklungen, da h?rte man Schritte im Kieswege; die M?dchen wandten sich und standen einem jungen Manne in geistlicher Kleidung gegen?ber, der offenbar den schmalen Pfad benutzen wollte, um zum nahen Pfarrhause zu gelangen. Martha und Suschen traten einen Schritt zur?ck; er gr?sste Suschen, wie man eine alte Bekannte gr?sst, und wollte dann schnell vor?ber; aber Trude gab sich so noch nicht zufrieden. ,,Herr Pastor! sehen Sie doch nur, das ist ja die Urenkelin hier von der seligen Frau." Der Pastor blieb stehen und Suschen ?bernahm die Vorstellung: ,,Herr Pastor Frank, Fr?ulein Feldwart!" ,,Und Sie waren noch niemals hier?" fragte der Pastor. ,,Niemals!" erwiderte Martha. ,,Dann m?ssen Sie aber auch all' unsere sch?nen Altargedecke und heiligen Ger?te sehen; die r?hren meistens von der Frau Urgrossmutter her." O ja, das wollte Martha gern. Der Pastor sprang nach seinem Hause, um die Schl?ssel zu holen, und nahm dann die Erfreuten mit sich in die Kirche und in die Sakristei. Dort schloss er eine schwere, eichene Truhe auf: ,,Die stammt auch von der Urgrossmutter!" Dann enth?llte er die sch?nen, schweren Altargedecke: ,,Sehen Sie, bei jedem St?cke liegt in dem kleinen K?stchen an der Seite das Dokument der Schenkung." Martha beugte sich ?ber die alten Papiere: sie waren offenbar von derselben Hand geschrieben wie ihr Weihnachtslied. Zuerst kam die Schenkung der Truhe: ,,Anno 1801 bei der Geburt ihres ?ltesten Sohnes schenkte Frau Anna Martha Waldheim aus Dankbarkeit f?r Gottes unverdiente Gnade und zum Ged?chtnis seiner Wunder diese Truhe zur Aufbewahrung der Kanzel- und Altarbekleidungen." Dann kam 1806 bei der Geburt eines zweiten Sohnes das erste Gedeck. ,,Das blaue Laken mit dem Lamme stickte ich mit meiner eigenen Hand." Dieser Hans Waldheim, der hier erw?hnt war, war Marthas Grossvater. ,,1812 bei der Geburt einer Tochter Margarete schenkte ich eine Bekleidung f?r den Taufstein aus schwarzem Sammet und Golde: Verleih uns Frieden gn?diglich, Herr Gott! zu unsern Zeiten!" ,,Nun sollen Sie auch die Ger?te sehen", sagte der Pastor und ?ffnete ein Doppelschloss in der Mauer. 1824 war ein sch?ner, goldener Kelch geschenkt: ,,Zum Angedenken an die sel. Heimfahrt meines ?ltesten Sohnes, der sich im Sterben hat mit dem Sakrament erquicket"; 1828 ,,eine g?ldene Weinkanne, da mir mein Herr den bitteren Trank des Witwenleides hat eingeschenket. Dein teures Blut, dein Lebenssaft giebt mir stets neue Lebenskraft!" ,,Anno 1830 bei der Taufe meiner lieben Enkelin Anna Marie ein neu Taufbecken: Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig!" Anna Marie! das war ja ihre liebe Mutter! Martha war es sonderbar ums Herz; so wohl, als sei sie in dem kleinen Gotteshause zuhause; so weh, dass von der Familie, die hier so feste Wurzeln geschlagen hatte, jetzt hier kein einziges Reislein mehr gr?nte. Im Amtsstuhl war noch der kleine, geschnitzte Gesangbuchsschrank der Urgrosseltern mit ihrem Namen und dem Datum ihres Einzuges. Martha fand es sehr schwer, sich von all diesen Erinnerungen loszureissen, aber die Tageszeit n?tigte dazu. Als sie ins Freie traten, war die Sonne hinunter und ein feiner, weisser Nebel zog durchs Thal. Sie dankten dem Pastor freundlich, er erkundigte sich noch nach Suschens Eltern, und dann stiegen die drei verschiedenen weiblichen Gestalten still den H?gel hinab. Pastor Frank stand an der Kirchhofsmauer und sah ihnen nach, bis das braune Kopftuch, das schwarze und das helle Kleid im Schatten der H?user verschwanden. ,,Kanntest du den Pastor Frank schon l?nger?" fragte Martha. ,,Ja wohl", erwiderte Suschen; ,,er gab als Kandidat den deutschen Unterricht an unserer Schule; wir schw?rmten damals alle f?r ihn." Dass Martha dann bei Tische und auf der R?ckfahrt stiller war, wunderte Suschen eben nicht. Frau Feldwart hatte schon sehr ungeduldig nach ihrem Kinde ausgesehen. ,,Mama", sagte die Tochter, nachdem sie nur eben ihre Sachen abgelegt hatte, ,,kannst du dich noch ganz ordentlich auf die Urgrossmutter besinnen?" ,,Freilich", sagte Frau Feldwart; ,,ich war ja schon ganz erwachsen, als sie starb! An meinem Einsegnungsmorgen da hat sie an ihrem eisernen Tischchen noch mit mir gelesen und gebetet und hat mir die Bilderbibel mit dem silbernen Schloss geschenkt, die ich jetzt noch habe." ,,Mama, das Tischchen steht noch und der Lehnstuhl, und Urgrossmutters Bibel und das Starkenbuch sind auch noch da." ,,Wie mich das freut!" rief Frau Feldwart; ,,sie hatte es ja im Testamente so bestimmt, und so lange meine Eltern dort waren, blieb nat?rlich alles so. Als wir Schwestern dann aber heirateten und die Eltern das Gut verkauften, um uns nachzuziehen nach B., da mussten wir es dem neuen Besitzer ?berlassen, ob er diesen Wunsch noch ferner erf?llen wollte." ,,Mama, all' die Altardecken und heiligen Ger?te sind auch noch da, auch das Taufbecken, woraus du zuerst getauft bist; du musst mir noch viel von der Urgrossmutter erz?hlen." ,,Das thue ich schon gern; du kannst auch vielleicht in ihren alten Papieren manches finden." Der Martha war zumute, als habe sie die Urgrossmutter heute erst geschenkt bekommen; ein Pastellbildchen aus der Jugendzeit derselben hing ?ber dem N?htisch ihrer Mutter; das musste sie immer ansehen; die klaren Augen und festen, bestimmten Z?ge waren ihr nun erst verst?ndlich, und ihr eigener Name: Anna Martha, den sie bis dahin ganz allt?glich gefunden hatte, wurde ihr jetzt lieb als Erbst?ck von der Urgrossmutter. Von Ostern ab begann nun f?r sie eine sehr fleissige Zeit. Unter Suschens Leitung nahm sie mit eigener Hand die ?nderungen an ihrer Garderobe und der ihrer Mutter vor, welche die w?rmere Jahreszeit n?tig machte; die Besorgung der kleinen Wirtschaft fing an ihr Freude zu machen, auch das Einteilen und Sparen, als sie es nach Frau Werners Anleitung mit Erfolg that, gewann seinen Reiz f?r sie. Daneben begannen die englischen ?bungsstunden, auf die sie sich ordentlich vorbereiten musste; die Zeichenstunden mit den j?ngeren M?dchen nahmen ihren Anfang; jede Mussestunde wurde zur Vollendung niedlicher Karten und Lesezeichen verwendet; da hiess es die Minuten benutzen und die Zeit aufs ?usserste auskaufen. Frau Feldwart sah anfangs mit Befriedigung Marthas erh?hte Th?tigkeit und wiederkehrende Energie, aber mit der Zeit ward es ihr l?stig, die Tochter, welche bisher nur f?r sie allein gelebt, so in Anspruch genommen zu sehen. Seitdem sie sich in die ungew?hnlich milde Fr?hlingsluft einmal hinausgewagt hatte, regte sich das Bed?rfnis zum Spazierengehen ?fter bei ihr; wenn dann Martha sagte: ,,Nein, Mama, heute kann ich nicht ausgehen, heute muss das Kleid fertig werden", oder: ,,Ach, ich bin eben mitten im Malen mit meinem Lesezeichen, jetzt kann ich's unm?glich liegen lassen!" da wurde die Mutter verdriesslich und es gab zwischen beiden dar?ber so manchen kleinen Zwist. Es wurden allm?hlich auch die Abendstunden zur Arbeit mit herangezogen, in denen Martha der Mutter fr?her vorgelesen hatte; Frau Feldwart, deren Augen schwach waren, nickte dann ein beim Stricken und machte bittere Bemerkungen. Dann legte Martha wohl B?cher und Zeichenger?te fort und las vor, bis die Mutter zu Bette ging, um dann bis 1 Uhr nachts zu arbeiten und m?de und ?berwacht am anderen Morgen aufzustehen. ,,Ich weiss nicht, Martha", sagte Suschen, ,,Du bist jetzt viel unruhiger wie zu Anfang." ,,Ich finde es selbst", erwiderte diese nachdenklich, ,,ich war noch nie so aufgeregt und zerstreut wie jetzt; ich weiss nicht, woran es eigentlich liegt." Es fiel ihr ein, dass Trude gesagt hatte, die Urgrossmutter h?tte zweimal so viel als andere fertig gebracht. Sie nahm sich vor, am n?chsten Sonntag 'mal in ihren Briefen zu studieren. Sie fand verschiedene Briefe, die von Krankheiten, Arbeiten, Kriegsunruhen handelten; endlich ?ffnete sie einen Brief, den Frau Anna Martha ihrer Schwiegertochter, Marthas Grossmutter, geschrieben: ,,Meine herzliebe Frau Tochter! Dein Brief hat mir recht viel Nachdenken und auch Sorgen gemacht, weil er klingt, als w?sstest Du vor Not und Arbeit von fr?h bis sp?t nicht aus noch ein! Ich kann mir wohl denken, wie die Obst- und Kartoffelernte, die Krankheit der beiden Kinder, das Schlachten und der viele Besuch zu der Hasenjagd alle deine Kr?fte verbraucht haben, und ich will auch, so schnell ich kann, heimkommen, um Dir zu helfen; aber ich habe oft ebenso viel und noch mehr, sogar mit Feinden durchgemacht, und bin doch ruhig verblieben. Vers?umt denn meine liebe Frau Schwiegertochter auch die Hauptsachen nicht? Ich las neulich in einem Buche, dass ein gelehrter Mann, ein Sterngucker, gesagt hat: ,Gebt mir einen Standpunkt ausserhalb der Welt, und ich will sie aus den Angeln heben.' Das hat mir ganz gewaltig gefallen. All' unsere Arbeiten, alle M?hen, Sorgen und Erdenlasten, die unsere Herzen dr?cken, die k?nnen wir nur regieren und bewegen von einem Standpunkt ausserhalb der Welt, und gottlob! geht es darin uns Christenleuten besser als dem armen Kerl in meinem Buche; wir haben den Standpunkt wahrhaftig; wir brauchen nur zu unserem Vater in dem Himmel zu gehen. Er hat's erlaubt; wenn wir es nicht thun, ist es unsere Schuld. Frau Schwiegertochter! Wenn ich in meinem Leben etwas erreicht und fertig gebracht habe, so ist es nur dadurch geschehen, dass ich jeden Tag zweimal eine halbe Stunde vor Gottes Thron gegangen bin. Wenn doch alle Menschen w?ssten, wie viel das M?he, Not und Zeit erspart! Mit schwerem Herzen, matten Gliedern, unruhigem Gem?te geht man hin; mit freier Seele, gest?rkten F?ssen, wackeren H?nden, geordnetem Willen und verst?ndigen Gedanken kommt man wieder. Frau Schwiegertochter! Des Sonntags im Gottesdienst und des Alltags in der Betkammer da kriegt man das meiste fertig, denn da wird man selbst fertig gemacht, dass man nicht umherf?hrt wie eine Brummfliege, sondern fein gerade auf sein Ziel lossteuert wie ein Schiff mit reinen, vollen Segeln, in welche der richtige Wind bl?st. Frau Schwiegertochter! Unter das Rezept kann man gewisslich setzen, was meistens unter denen Kuchen- und Seifen-Rezepten in den Kochb?chern stehet: ~probatum est~! Und damit Gott befohlen!" Martha hielt lange den Brief in der Hand. Das war es! Wenn ein junges, begabtes Wesen zuerst seine Leistungsf?higkeit entdeckt, empfindet es nat?rlich Freude dar?ber und das Verlangen, seine Th?tigkeit fort und fort reicher zu entfalten und zu steigern. Dieser Trieb ist gewiss an und f?r sich nicht zu tadeln, aber es geschieht dann leicht, dass man sich fest auf die eigenen F?sse stellt, der Quelle vergisst, aus der man seine Kraft empfing und erst durch die Lahmheit seiner Fl?gel und die Unruhe des ganzen Getriebes vom lieben Gott die Erinnerung bekommen muss: ,,Ohne mich k?nnet ihr nichts thun!" So war es Martha ergangen. Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page |
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