Use Dark Theme
bell notificationshomepageloginedit profile

Munafa ebook

Munafa ebook

Read Ebook: Wanderschuhe und andere Erzählungen by Schieber Anna

More about this book

Font size:

Background color:

Text color:

Add to tbrJar First Page Next Page

Ebook has 770 lines and 52344 words, and 16 pages

Anmerkungen zur Transkription

Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des Buches.

Wanderschuhe

und andere Erz?hlungen

Von

Anna Schieber

Elftes bis f?nfzehntes Tausend.

Verlegt bei Eugen Salzer in Heilbronn 1914

Druck: Christliches Verlagshaus, Stuttgart

Inhalt

Seite

Wanderschuhe 1

Ein Sommer 59

Aus Kindertagen 109

Ellen 133

Ein Vater 187

Sein Geburtstag 223

Wanderschuhe

Novembernebel lag dicht und schwer auf der Erde; droben auf der rauhen Alb war es. Kaum dass man zwei, drei Schritte vor sich sah. >>'s k?nnt' Schnee kommen, Herr Pfarrer,<< sagte der Ulmer Bote, der neben seinem schwergeladenen Wagen herging und pr?fend in die Luft guckte. >>Aber freilich, nichts Gewisses weiss man nicht.<<

Der Pfarrer hatte einen Gast abgeholt, einen j?ngeren Freund und Bundesbruder. Er selber war alt geworden im Amt, er war schon viele Jahre hier und mochte auch nicht mehr ans Wandern denken; er war verwachsen mit dem rauhen St?ck Erde da oben und mit den Menschen, die auf ihm emporwuchsen.

>>Ich h?tte dir gern die Gegend in sonnigerem Lichte gezeigt,<< sagte er zu dem J?ngeren. >>Gestern noch w?re es sch?n gewesen, da hatten wir blauen Himmel und Sonne, die W?lder sind noch vielfarbig bunt, nun m?ssen wir uns im Hause einspinnen.<< Dann sassen sie einander gegen?ber in der grossen Wohnstube. Ein gutes Feuer brannte in dem m?chtigen eisernen Ofen, der von der K?che aus geheizt wurde. Draussen hantierte die alte Magd, die Pfarrfrau war verreist. >>Grossmutterpflichten,<< sagte der Pfarrer l?chelnd, >>es ist das sechste Enkelkind, drunten im Unterland, wir werden immer reicher.<<

Dr?ben auf dem Turm fing eine Glocke an zu l?uten. Ernst und schwer drangen die T?ne durch den Nebel; oder schien es dem Gast nur so? >>Ich muss dich nachher eine halbe Stunde lang allein lassen, du magst dich so lang an meinen B?cherschr?nken umsehen, die sind dir doch schon l?ngst im Sinne. Es ist eine Beerdigung - und sonderbar genug ist der Fall, ich erz?hle dir nachher davon, da du doch auf Geschichten erpicht bist. Nein, nein, lass nur, das wissen wir noch von fr?her her. Und im Grunde, was ist uns auch n?her, als der andern Menschen Geschichte, Lust und Leid, Arbeit, Liebe und Tod?<<

Der Gast nickte. So war der Pfarrer immer gewesen; unter allen Interessen waren ihm die, die des Menschen Schicksale betrafen, am n?chsten gestanden. So war er warmen Herzens ein Vater seiner Gemeinde geworden, ihn konnte man wohl so nennen, es war keine Phrase.

Nun l?uteten die Glocken zusammen. Draussen der Nebel war dicht und dichter geworden. Der Gast stand am Fenster, das auf den Kirchhof ging und sah, wie sich die Schulkinder mit dem Lehrer um einen aufgeworfenen H?gel versammelten, und wie ein kleiner Leichenzug zu dem unteren Tor herein kam, wie sich der Pfarrer zu ihm gesellte und wie der Sarg, auf dem ein einziger Kranz lag, niedergestellt wurde. Ein Mann mit einem kleinen B?bchen auf dem Arm stand zun?chst des Sarges; das musste der Hauptleidtragende sein. Das alles sah der Gast nur in schattenhaften Umrissen, es war alles dicht eingeh?llt in den Nebel, und aus dem Nebel heraus drangen auch d?nn und wie verschwommen die Stimmen der singenden Kinder, dann die tiefe Stimme des Pfarrers. In der Stube war es heimelich warm und die B?cherschr?nke ?bten ihre Anziehungskraft aus; bald sass der Gast mit einer seltenen Ausgabe der Aeneide im Sofa, aus deren altert?mlichen Kupfern er erst den Blick wieder erhob, als der alte Pfarrer vor ihm stand.

Der kurze Novembertag ging schon stark zur Neige, und, als m?sste es so sein, fielen nun weich und lautlos die Schneeflocken vom Himmel und legten sich auf das neue Grab da draussen, in dem ein unruhiges Menschenherz war zur Ruhe gelegt worden.

>>Nein, kein Licht, Ursel,<< sagte der Pfarrer, als die alte Magd mit der Lampe erschien, >>wir wollen im D?mmer sitzen und uns Geschichten erz?hlen.<< Dann, als die Pfeifen brannten, fing er an: >>Es war so ein Tag wie heut, das ist nun drei Jahre her. Ich weiss es wohl noch. Wir hatten die beiden ?ltesten Enkelkinder da, die spielten um den Tisch herum und jauchzten laut, dass es meiner Frau und mir zumute war, als k?men die alten Zeiten noch einmal herauf, wo unsere Eigenen so herumtollten.

?ber dem ging die T?r auf; wir hatten ein leises Klopfen ?berh?rt, und in dem Rahmen stand ein junges Zigeunerweib. Ursel war an den Brunnen gegangen und hatte die Haust?r solange offen gelassen, so war die Fremde unberufen bis in die Wohnstube gekommen. Die Kinder verstummten in ihrem Jubel und hingen sich meiner Frau an das Kleid. Ich habe schon viele aus diesem fahrenden Volke gesehen, Siegfried, es hat immer mein Herz bewegt, dass sie sind wie die Wanderschwalben, immer mit dem Trieb in die Ferne, und doch mit der Sehnsucht nach einer Heimat. Aber die hier stand und bittend die Hand ausreckte, die war so das Urbild eines M?dchens aus der Fremde, ein bl?tenjunges Weib, dem in dem br?unlichen Gesicht Lippen und Wangen in einem matten Rot leuchteten und dem aus dem bl?ulichen Weiss die Augensterne in einem feuchten, goldenen Braun hervorgl?nzten, die noch schlanke, junge Gestalt in ?rmliche, doch etwas phantastische Gew?nder geh?llt. Ich weiss das noch so genau, denn dieses junge Weib ist hernachmals noch oft in meinen Weg getreten und immer sah ich an ihr das Fremdartige, das sich in die Ferne sehnte und doch aus der Ferne wieder zur?ckstrebte, das R?tsel der Menschenseele, die ein Zuhause sucht durch alle Welt hindurch.

F?r jetzt bat sie nur in fremdartig klingender Sprache um etwas alte Leinwand und Bettzeug, da in dem Wagen draussen vor dem Dorf, da, wo es hart an den Wald anst?sst, ein Kind zur Welt geboren sei, und nichts vorhanden, es einzuwickeln. Meine Frau ging, unter m?tterlichem Schelten ?ber den Leichtsinn, solch ein junges Wesen in die T?r zu dieser Welt treten zu lassen, eh' ihm ein Bett bereitet sei, um einiges, was ihr das Herz eingab, zusammenzusuchen. Da, w?hrend ich diese und jene Frage an die Wandernde stellte, beugte sie sich pl?tzlich, wie von einem unwiderstehlichen Trieb geheissen, zu dem kleinen M?dchen nieder, das sie mit grossen Augen ansah, und strich ihm mit einer sachten, weichen Bewegung ?ber das Blondhaar, irgend etwas Z?rtliches in fremder Sprache murmelnd. Und sonderbar, das Kind, das sonst scheu sich vor Unbekannten zur?ckzieht, fasste von dem Augenblick an eine Zuneigung, eine fast leidenschaftliche Liebe zu der Fremden. Das ist nachher - doch ich greife voraus - noch andern so gegangen. Es war ein paar Tage sp?ter. Da brachte unsere Ursel eine fast unbegreifliche Kunde mit ins Haus, die im Dorf die Zungen und die Gem?ter stark in Bewegung brachte und die auch uns, ich muss es gestehen, nicht ohne einige Aufregung liess.

Draussen, am s?dlichen Ende des Dorfes - du hast vielleicht beim Hereinfahren das stattliche Giebelhaus mit dem gebr?unten Balkenwerk gesehen - wohnte damals ein Junggeselle, von dem man allm?hlich die Meinung gewonnen hatte, dass er es bleiben w?rde, ein beg?terter Bauer, der sich den Vierzigern n?herte, und, seit ihm seine alte Mutter gestorben war, allein mit einer halbtauben Magd in seinem grossen Anwesen hauste. Der sollte, so ging nun die Sage, mit der sch?nen Zigeunerin versprochen sein und sie zur B?urin machen wollen. Ich konnte es nicht glauben, aus allerlei Gr?nden nicht. Aber am selben Abend noch, als ich schon in meiner Studierstube bei der Lampe sass, klopfte es an meiner T?r und der Bauer erschien, den weichen Filz etwas verlegen in den H?nden drehend, und doch die sonst etwas trockenen Z?ge des hartgeschnittenen Gesichts von einem inwendigen Licht ?bergl?nzt. Ich habe dieses Licht schon je zuweilen auf Menschengesichtern leuchten sehen, und wenn ich es sah, ist es mir immer schwer gefallen, etwas dagegen zu sagen und es hat auch nie viel geholfen. Denn was ist die menschliche Vernunft gegen die geheimnisvolle Macht, die ?ber alles hin?ber die Menschen zueinander zieht? Nun, es war richtig so, wie die Ursel es ins Haus getragen hatte. Der Bauer sass mir gegen?ber, und als er dann Worte gefunden hatte, da kam die Geschichte zutage. Du weisst, wir stehen gut miteinander, meine Pfarrkinder und ich, sie sind nicht scheu gegen mich.

Er hat es vielleicht nicht mit den gleichen Worten gesagt, aber so ungef?hr war es doch: als er an jenem d?steren Nebelabend hinausging, die schweren Holzl?den an den Wohnstubenfenstern vorzulegen, da stand, wie aus der Erde gewachsen, die Fremde vor ihm. Sie bat um etwas Milch f?r die W?chnerin; man konnte von dort aus das flackernde Feuer, ?ber dem der Kessel hing, vor dem Wagen der fahrenden Leute, durch den Nebel sehen. Der Bauer, er heisst Markus Lohrmann, hiess sie ins Haus kommen und f?hrte sie unter das Licht der h?ngenden Ampel in der grossen Stube, wo in einer Ecke die alte Burge sass und spann. Er war von jeher so ein wenig anders, als die meisten Leute im Ort, er gab sich auch mit B?cherlesen ab und hat schon manchen Band von mir geliehen, hat auch eine stattliche B?cherreihe auf dem Brett ?ber dem Sofa stehen. Die alte Burge sah wohl etwas unwillig drein: die Zigeunerin h?tt' auch draussen warten k?nnen, was wollte sie hier in der Stube? Aber sie stand doch auf und ging in die Milchkammer, die hinter der K?che lag, um nach einer Weile mit dem gef?llten Gef?ss des M?dchens wiederzukommen. Was derweil drinnen in der Stube geschehen war, wusste wohl keines von allen dreien zu sagen; aber es war doch so, dass aus den jungen, seltsam-sch?nen Augen der Fremden und aus ihrem ganzen Gesicht und Wesen der r?tselhafte, z?ndende Funke auf den Mann ?bergesprungen war, der seither von den M?dchen im Dorf f?r einen hageb?chenen Einsp?nner hatte gehalten werden m?ssen. Burge musste sich fast zu Tode wundern, dass nach dem Abendessen der Bauer, der sonst um diese Zeit sich ?ber eines seiner nachdenklichen B?cher zu beugen pflegte, noch einmal seine Kappe aufsetzte und in den dicken Nebel hinausging. Sie blieb, als sie mit den Abendgesch?ften fertig war, hinter dem Spinnrad sitzen und mag da wohl ?ber dem Warten eingenickt sein, denn sie fuhr erschrocken empor, als ihr mit einemmal der Bauer die Hand auf die Achsel legte: >>Warum gehst du nicht ins Bett, Burge? Es hat elf Uhr geschlagen, du solltest l?ngst drinnen sein.<<

Ihm selber hingen im Haar und in dem dunkelblonden, d?nnen Schnurrbart die feuchten Nebel, die sich zu kleinen Tropfen sammelten. Er war stundenlang umher gelaufen, um eine Unruhe los zu werden, die er selber nicht an sich kannte, aber sie war nur gr?sser geworden. Freilich, er hatte sie auch im Umkreis des flackernden Feuers herumgetragen, anstatt weit hinaus zu laufen ?ber die Felder hin oder ins Dorf hinein. Aus dem Wagen war Zitherklang gekommen und Gesang einer Frauenstimme; eine fremdartig-sehns?chtige Melodie kam zu ihm her?ber, die Worte konnte er nicht verstehen. Dann, als eine Weile alles still war, glaubte er das Weinen eines Kindes, ein d?nnes, hohes Stimmlein zu h?ren. Aber es wurde durch M?nnerstimmen und dann wieder durch ein Hundegekl?ff abgel?st. Am andern Morgen erschien das M?dchen wieder mit dem Milchgef?ss, gerade zu der Zeit, als Burge im Stall auf dem Melkstuhl sass und der Bauer die beiden Tagl?hner, die bei ihm schafften, anwies, ihm nur voraus auf den R?benacker zu gehen.

Und da geschah das Merkw?rdige, dass der grosse schottische Sch?ferhund des Bauern, der in der Stube auf einer alten Strohdecke lag, winselnd zu der Zigeunerin herrutschte und ihr seine eiternde Vorderpfote zeigte, wie ein Kind, das fragt: Kannst du mir nicht helfen? Sie aber beugte sich, wie sie es bei unserem Enkelkind getan hatte, nun zu dem Tier herunter, das sie mit grossen, ausdrucksvollen Augen ansah, strich ihm sachte und lind ?ber das Fell mehrere Male und fing dann an, die kranke Pfote zu bestreichen. Das alles tat sie nur mit einigen leisen, halbsingenden T?nen, - su su - sie schien den Bauer dabei vergessen zu haben. Und, nun magst du dar?ber sagen, was du willst, aber der Hund, der schon seit Wochen auf dem Stroh gelegen, der stand doch, als das M?dchen gegangen war, auf, und kratzte bellend an der T?r; er wollte ihr nach, und seinem Herrn erging es nicht anders. Die Pfote soll auch noch denselbigen Tag geheilt sein. - Der Pfarrer blies nachdenklich einige leichte W?lkchen aus seiner Pfeife, als wollte er in den krausen Gebilden, die sich im D?mmerschein ergaben, eine L?sung suchen f?r das R?tselhafte, das mitunter in unser Leben tritt in allerlei Gestalten. - Dann fuhr er fort: fr?her hat man Hexen verbrannt, heute nennt man es Sympathie. Aber wir wollen nicht zu den Alleswissern geh?ren, Siegfried. Es ist so viel Wunderbares rings um uns herum, was hilft es uns, dass wir ein Wort daf?r suchen? Es liegt doch hinter unserem Horizont, wenigstens jetzt noch. -

Aber ich habe ja nur zu berichten, nicht zu erkl?ren, sagte er l?chelnd. Markus Lohrmann war es, als habe dieselbe leichte Hand, die vor seinen Augen den Hund gestreichelt hatte, auch ihm selber Stirn und Augen ber?hrt und dort allerlei weggetan, was ihm bisher das Leben verh?llt hatte: er sah, dass die alte Burge doch bei all' ihrer gr?mlichen Treue nicht das f?r ihn sei, was er zum Leben brauche; dass seine Stube ?d sei und sein Tagwerken niemand n?tze. Und er fing an, sich zu wundern, dass nie eine von den Dorfm?dchen so in seinen Augenkreis getreten sei, dass er sich, wie bei der Wandernden, immerfort herzklopfend nach ihr hatte hinwenden m?ssen. Wie oft hatte man ihm fr?her das Heiraten vergeblich vorgestellt; aber dies hier war doch ein anderes Ding.

Und dass ich's kurz mache; nachdem er sich den einen und andern Tag umsonst damit herumgequ?lt hatte, die sch?ne Fremde aus seinem Denken und F?hlen auszuschliessen, ging er ihr nach, als sie dort am Waldrand d?rres Holz aufzusammeln besch?ftigt war und fragte in stockenden Worten, ob sie denn nicht bei ihm bleiben k?nne, nun die andern, die im Wagen dort, weiterz?gen. >>Als deine Magd?<< fragte sie und richtete sich auf. Es sei ein seltsames Gl?nzen dabei in ihren Augen gelegen, - doch das lag ja eigentlich allezeit darin - so als wenn die K?nigst?chter in den M?rchen f?r eine Zeitlang in Lumpen gehen m?ssen, weil ihnen ein Zauberer das angetan hat, und nun doch ein Eckchen des goldenen Kleides darunter hervorguckt.

Da fasste sich der Bauer ein Herz; er mag wohl in den wenigen Sekunden, die es dauerte, seine ehrsame Verwandtschaft im Dorf ?berflogen haben und die Gesichter, die sie machen w?rden, wenn er ihnen die Zigeunerin zuf?hrte, und das Gesicht der Burge, wenn sie die neue B?uerin s?he. Aber das konnte alles nichts helfen, denn wenn er dachte, dass Mirza wieder aus seinem Leben entschwinden w?rde und er sie nie mehr s?he, dann tat ihm etwas im Innersten weh, wie noch nichts in seinem Leben.

Also atmete er tief auf und sagte: >>nein, als mein Weib, denn -<< da wusste er nicht mehr weiter und sah sie nur hilflos an; aber als sie wie in ausbrechender Freude das gesammelte Holz aus der Sch?rze fallen liess und die Arme hoch in die Luft hob, da wagte ers und legte zaghaft den einen Arm und dann auch den andern um sie.

Sie hatte sich immer, wenn sie durch die St?dte und D?rfer kamen, nach einer Heimat gesehnt, nach einem Dach, unter dem man wohnen und bleiben konnte; ob auch nach einem Herzen, das ihr allein geh?re, das weiss ich nicht.

>>Der Jarno ist gestorben,<< sagte sie; >>er hat mich gewollt und ich h?tte ihn auch nehmen m?ssen. Aber er war so wild und ich kann das nicht leiden.<< Sie sah ihn aufmerksam an, als m?sse ihr aus dem minutenlangen Sehen ein Wissen um des Freiers ganzes Wesen erwachsen. >>Du bist gut,<< sagte sie dann kopfnickend, >>ich habe es gleich gesehen, dass du gut bist. Nun kommt der Winter und es wird kalt; ja, ich will bei dir bleiben.<< Das alles sagte sie wie aus Tr?umen heraus; sie liess es aber geschehen, dass er sie fester an sich zog. Mehr hat er mir nicht davon erz?hlen wollen; ich musste es aus seinem freudig aufgewachten Wesen lesen, dass f?r ihn mit Mirza, - denn wir nannten sie bald alle so - wirklich die Zeit angebrochen war, da man aus dem Alleinsein f?r sich in das Alleinsein zu Zweien ?bergegangen ist.<<

>>Aber,<< der Gast r?ckte etwas unruhig in seiner Sofaecke hin und her, - >>du als Pfarrer, ich meine, es h?tte da doch<< -

Sein freundlicher Wirt unterbrach ihn. >>Kommt schon, Siegfried, ich weiss, du meinst, ich h?tte da nachsehen m?ssen, wie es mit dem Katechismus und mit der Moral und dem Vorleben bestellt gewesen sei. Das haben andere mich auch gefragt; ich weiss, ich bin dazu bestellt, dass alles ordentlich und recht zugehe in meiner Herde.

Aber siehst du, manche Menschen haben es auf dem Gesicht geschrieben, was sie sind. Da haben Gott oder die Natur oder wie du es nennen willst, etwas gemacht, das f?r sich selber redet. - Wir hatten in meinem v?terlichen Garten ganz hinten in der Ecke einen Schutthaufen, auf den alles Abg?ngige geworfen wurde. Es wuchsen Nesseln darauf, auch manchmal ein Stechapfel oder eine Distel. Aber eines Tages standen weisse Lilien darauf. Weisse Lilien, hoch und schlank und mit den goldenen Staubf?den in dem Grunde der weissen Kelche. Und wir versammelten uns alle darum und staunten, und mein Vetter, der Apotheker, sagte, dass das eigentlich gar keine richtigen Lilien sein k?nnten, denn die w?chsen nur, wenn man sie pflanze und pflege. Aber da lachten Alle, denn es waren unzweifelhaft weisse Lilien und man wusste nur nicht, wie der Samen, oder eine Zwiebel davon unter die Komposterde gekommen sei; sonst war da keine Frage. - Nun,<< er unterbrach sich, >>ich wollte nicht sagen, dass Mirza eine weisse Lilie gewesen sei. Nur, etwas Besonderes unter ihresgleichen, das war sie schon. Und das andere fand sich auch noch. Markus Lohrmann hatte sie zu einer Base gebracht dr?ben im Filialdorf. Das war die einzige aus seiner Verwandtschaft, die er um solche G?te ansprechen konnte, wie es die war, eine Zigeunerin ins Haus zu nehmen. Sie war arm, und es war so mancher Sack mit Kartoffeln und mancher Brotlaib schon in ihr H?uslein gewandert im Lauf der Jahre.

Er hatte ihr Geld gegeben, dass sie die Fremde in landes?bliche Gew?nder kleide und sie hatte das auch getan. >>Aber,<< fl?sterte sie dem Vetter zu, als er darauf kam, die Braut zu besuchen, >>sie sieht trotzdem nicht aus, wie eine B?urin, da magst du machen, was du willst.<<

Nein, so sah sie ja freilich nicht aus. Als er in die niedrige Stube trat, erhob sich von der Bank, wo sie n?hend gesessen hatte, eine Gestalt, die ihm vertraut und doch fremd war, in dem weiten, gef?ltelten Rock, der die F?sse in blauen Str?mpfen und niederen Lederschuhen freiliess, der breiten Bundsch?rze und dem Leibchen aus rot und blau gew?rfeltem Zeug, aus dem die weissen Hemd?rmel hervorkamen. Dr?ben auf dem Bett, dessen Vorh?nge zur?ckgeschoben waren, lagen noch die weiteren St?cke der Ausr?stung, der tuchene Spenser und das breitbeb?nderte Spitzh?ubchen der ?lblerinnen. Also das war seine B?urin, seine. Sie sah nicht aus wie die andern, sie war auch jetzt nur in einer Vermummung, wie sie es zuvor in den zusammengeschenkten Bettlerkleidern gewesen war. Aber sie sah ihn l?chelnd an, mit freudigen Blicken, sie hatte sich das dunkle, weiche Haar gescheitelt und in zwei Z?pfe geflochten. Draussen sauste der Wind vorbei, die Fenster des St?bchens klirrten. Da erschauerte sie leise und barg sich bei ihm. >>Ich habe nun Heimat und Haus und dich,<< sagte sie, >>wo aber m?gen die andern sein?<< Ihm aber war es recht, dass sie nichts von >>den andern<< wusste, er wollte nur sie allein und bei aller Liebe, mit der er sie umfasste, die ?brige Gesellschaft wusste er doch am liebsten in m?glichst weiter Ferne. Sie hatte auch keine nahen Verwandten unter ihnen, ihre eigenen Leute waren gestorben.

Bald darauf kamen sie einmal miteinander zu mir; es war in der Abendd?mmerung. Markus Lohrmann wollte so schnell als m?glich Hochzeit machen und, da es doch einmal sein sollte, war es auch besser so, schon damit das Geschrei und Gezeter im Dorf aufh?re; denn das hatte er nicht mit Unrecht vorausgesehen, es war ihm nichts davon geschenkt worden.

Nun hatte ich mit ihnen zu reden, wie sie es mit dem Hausstand und mit der Trauung halten wollten. Denn er war evangelisch; Mirza aber geh?rte, wenn man davon ?berhaupt reden konnte, der katholischen Kirche an. Freilich, sie wusste nicht viel von deren Lehren, nur einige stark abergl?ubisch vermischte Formeln, wie sie unter den fahrenden Leuten von Mund zu Mund gingen.

Ich hatte einiges gefragt und es war still in der Stube. Da sah sie mit hingebenden Augen ihren Verlobten an: >>Du bist gut und ich will bei dir daheim sein - ja, ich will sein, wie du bist.<<

Das war vielleicht ein mangelhafter Grund, auf dem die neue Gotteserkenntnis aufgebaut werden sollte. Aber ist nicht beim Besten in uns immer wieder das Verlangen nach einer Gemeinschaft, ist nicht die Liebe immer wieder die treibende Kraft gewesen?

Nun kamen manche Tage, da das fremde M?dchen, freilich jetzt in Bauerntracht und mit h?ngenden Z?pfen, mir gegen?ber sass. Es war bald nicht mehr der Wunsch allein, so zu sein wie Markus Lohrmann, es war, als spr?ngen in dieser jungen Seele lauter Quellen auf, die bisher geschlafen hatten. Mitunter ?ffnete sie die Lippen, wie durstig, einen frischen Trunk einzuschl?rfen, wenn ich sie an der Hand nahm, um sie aus dem d?mmernden Halbdunkel, in dem D?monen, Amulette, Alr?unchen und allenfalls die fernen Heiligen regierten, unter den freien Himmelsdom zu f?hren, in dessen tiefem Blau eine Sonne ?ber allen schien, und, wie wir in Ehrfurcht und Herzensm?ssen glauben, ein Herz f?r alle war.

Ich habe nicht von mir zu reden. Sonst, Siegfried, es ist auch nicht nichts f?r unsereinen; wenn man Sonntag f?r Sonntag seine Bauern vor sich sitzen hat - nun, ich habe die meinigen gern - aber man weiss nicht sicher, denken sie nun an Korn und Haber und Viehhandel, oder an ihre Krauth?fen daheim die Weiber, oder h?ren sie, was du sagst.

Es ist auch nicht nichts, wenn so ein paar durstige braune Augen so dringlich fragen: >>Hast du sonst noch etwas? gib mir alles, was du hast.<<

In diesen Stunden stahl sich wohl mein Enkelt?chterchen leise zu uns herein und schl?pfte, die Augen auf mich gerichtet, ob ich es nicht verjagen werde, zur Mirza hin. Die fasste die kleine, warme Kinderhand, ohne sich im ?brigen zu r?hren, und das Kind sass gl?cklich dabei, wie ein V?gelein unter Fl?geln sitzt.

Add to tbrJar First Page Next Page

Back to top Use Dark Theme