Read Ebook: Jud Süß by Feuchtwanger Lion
Font size: Background color: Text color: Add to tbrJar First Page Next Page Prev PageEbook has 1443 lines and 167198 words, and 29 pagesDie Gr?fin hatte den Herzog an den Wagen geleitet; w?hrend der schwere Mann umst?ndlich in die Kutsche stieg, stand sie in der liebensw?rdigen Sicherheit der an Bewunderung gew?hnten Frau, schwatzte gleitend, freundlich, l?chelte, winkte. Noch als sie sich wandte, die Stufen zu dem blauen Kabinett hinaufstieg, war Schritt und Haltung leicht, elastisch. Dort erst entspannte sie sich, die Schultern fielen, Arme, H?nde hingen kraftlos, der Mund stand halbauf, das Gesicht erschlaffte j?h und erschreckend. Aus, es war also aus. Sie hatte geschickt laviert, er hatte nicht zu sprechen gewagt, aber es war ja klar, es lag zutage, mit der Absicht, ihr aufzusagen, war er gekommen, und wenn ihm auch das entscheidende Wort steckengeblieben war, seine verlegene H?flichkeit sprach deutlich, war hundertmal schlimmer als gelegentlich fr?her Geraunz oder Zornausbruch oder beleidigtes Schweigen. Sie sass schlaff, sie war so m?de und ausgeh?hlt; die gefasst liebensw?rdige Haltung, der elegische Hauch dar?ber, w?hrend ihr Herz tobte, fluchte, geiferte, diese Gefasstheit war so aufreibend gewesen. Jetzt sass sie bet?ubt, in einer entsetzlichen Art bis zur L?hmung ausgesch?pft, auf dem niedern, breiten Lager. Puder und Schminke auf ihrem Antlitz klaffte, das heitere Feuer, das sie in ihren grossen Augen angez?ndet, losch hin, der m?chtige gestickte Atlasrock hing in toten Falten, und unter der kunstvollen, mit kleinen Rubinen besetzten Sbernia - sie hatte die Mode aufgebracht, und sogar in Versailles ahmte man sie nach - unter der kunstvollen Sbernia verlor selbst das fr?hliche, nussbraune Haar seine sorglose Frische. Aus also. Und warum? Der Preussenk?nig hatte gebohrt, der Hund, der sch?bige, mit seinem schalen Geschw?tz von Pflicht und Bl?dsinn. Ihr Bruder hatte gehetzt, der Intrigant, der verfluchte, t?ckische, eiskalte. Er brauchte sie nicht mehr, seine Stellung beim Herzog war fest genug; es war kl?ger, sie abzusch?tteln, ehe er in ihren Sturz hineinverwickelt w?rde. Sie war ein Hindernis, kostete R?cksichten in der Politik gegen den Kaiserhof, kostete Geld, viel Geld, das man ohne den Umweg ?ber sie bequemer und reichlicher in die eigenen Kassen lenken konnte. Oh, wie sie ihn durchschaute, den Rechner, den hundsf?ttischen. Pfui, pfui, pfui! Aber sie wollte es ihm heimzahlen. Noch stand sie, lebte sie, der Herzog hatte noch nicht gesprochen, noch regierte sie, sie, sie im Land. Aber das alles konnten f?r den Herzog keine Gr?nde gewesen sein. Sie hatte ganz andere St?rme bestanden. Sie hatte den Kaiser, das ganze Reich, Volk und Landschaft und Konsistorium zu Gegnern gehabt und hatte geatmet und war gestanden. Ihr Bruder! Der Preussenk?nig! Bah, das waren keine Gr?nde. Und sie sah den wahren Grund auf sich zukriechen, sah ihn schleimig ihre Gedanken umklammern, wusste ihn und wusste ihn nicht, schlug wie die Raupe an der Nadel dagegen, dass er aus dunklem Gef?hl Bewusstsein werde. Ihr Blick suchte den Spiegel, mied ihn. Sie sank, die schwere Frau, noch hilflos tiefer in sich zusammen, ein Haufe schlaffen Fleisches in den prunkenden Stoffen. Auf deiner Stirne wohnt / Minerva hoch in Ehre / In deinem Auge Zeus / In deinem Haar Cythere / so hatte der Hofpoet gesungen, vor dreissig Jahren. Sie brauchte keinen Spiegel, sie wusste den Grund. Sie st?hnte, lehnte vorn?ber, die Augen geschlossen, die Hand nach dem Herzen. Luft! Luft! Ihr Asthma presste sie. Erholt, raffte sie sich auf, raste durchs Haus, befahl, widerrief, ohrfeigte die Zofe, schrie, sandte Kuriere nach allen Richtungen. Noch war sie da. Man sollte sehen, dass sie noch da war. Er hatte nicht gesprochen. Das hatte sie verhindert, gl?cklicherweise. Sie hatte sich gez?hmt. Uebermenschlich war es gewesen, so an sich halten, aber sie hatte es gekonnt. Und jetzt hatte er nicht gesprochen, ah! und jetzt mussten sie ihren schmutzigen Jubel noch zur?ckhalten in ihren D?rmen, und jetzt war sie noch da und wird es zeigen, wie sie da war. Sie g?nnt sich nicht Ruhe mittlerweile. An ihre Verwalter und Intendanten gehen versch?rfte Ordres, aus ihren G?tern und Herrschaften den letzten Groschen herauszupressen. Sie schafft zwanzig neue Beamtenstellen, h?chst ?berfl?ssige, und ihre Zutreiber m?ssen diese Aemter von heute auf morgen verkaufen, die Kaufgelder und Kautionen in die gr?fliche Schatulle einliefern. Das herzogliche Kammergut, trotzdem ihr Holz, Wein, Fr?chte geliefert waren, erh?lt eine ungeheure Rechnung ?ber Spesen, die ihr die letzten Besuche Eberhard Ludwigs verursacht h?tten. Wie ein ausgehungerter Hund am Knochen nagt sie an allen Eink?nften des Herzogtums, gierig und verbissen, und t?glich geht Geld ausser Landes, grosse Summen, an ihre Bankiers in Genf, Hamburg, Venedig. Und der Herzog ist noch immer in Nesslach. Er hat sich aus dem Marstall die drei grossen Gespanne kommen lassen, jedes von acht Pferden, mit denen kutschiert er jetzt alle K?nste der Reitschule. Die Ungarin kreischt, die Herren vom Hubertus-Orden applaudieren in ehrlicher Bewunderung. Endlich, hergew?nscht, hergeflucht, heiss erwartet, kommt Isaak Landauer nach Wildbad. In seinem schmierigen Kaftan sass er im Arbeitskabinett der Gr?fin inmitten von Lapislazuli und Zierat, Spiegeln und goldenen Putten. Die Gr?fin ihm gegen?ber, pr?chtig, am Sekret?r, zwischen ihnen in hohen St?ssen Akten, Tabellen, Rechnungen. Er schaute durch, pr?fte, die Gr?fin gab ihm hemmungslos Auskunft, er entdeckte hier und dort noch L?cken, wies sch?rfere Schrauben, Pressungen. Die Gr?fin, den zu fetten Nacken wie die makellosen Arme nackt, h?rte aufmerksam zu, machte Einwendungen, notierte. Schliesslich verlangte sie auf drei ihrer D?rfer ein ungeheures Darlehen. Isaak Landauer schaute sie an, wiegte den Kopf, sagte vorwurfsvoll: ,,Habe ich das verdient, Exzellenz?" ,,Was verdient?" ,,Dass Sie mich f?r einen ausgemachten Narren halten." Sie, auffahrend: ,,Was will Er, Jud? Wohin zielt Er? H?tt Er mir vor zwei Jahren das Geld nicht geliehen? Bin ich, jetzt weniger gut?" Der Jude, behutsam: ,,Wozu braucht Euer Exzellenz das Geld? Es aus dem Land zu schaffen. Weshalb es aus dem Land schaffen? Doch nur, weil Sie Eventualit?ten f?rchten. Wenn aber Eventualit?ten zu f?rchten sind, dann sind die G?ter keine Garantie. Wollen Sie, dass ich soll an Ihnen Geld verlieren?" Die Gr?fin schaute vor sich hin, hilflos; dann zu ihm, und ihre Augen sagten ihm, dass es um viel mehr ging als das Geld, ihre Augen bekannten ihm all ihre Aengste, Hoffnungen, Zweifel. ,,Er ist klug, Jud," sagte sie nach einer Weile. ,,Glaubt Er, dass ich es wagen darf, die G?ter" - sie stockte - ,,nicht zu beleihen?" Er h?tte ihr gern etwas Freundliches gesagt. Aber sie war eine gescheite, feste Frau, sie brauchte, sie wollte keine Vertr?stung und Verschleierung, es war geradezu unanst?ndig, ihr mit so was zu kommen. Er schaute sie auf und ab, und sie war bedenkenlos offen zu ihm, er sah ihr entspanntes Gesicht, den gel?sten, feisten Leib, und er wusste auf ihren dringlich fragenden Blick keine andere Antwort als ein Schweigen und ein Achselzucken. Da liess sie sich vollends fallen. Sie brach in ein lautes, haltloses Weinen aus wie ein kleines Kind. Dann begann sie unfl?tig zu schimpfen auf die Minister, ihren Bruder, ihren Neffen und die andern alle, ihre Kreaturen, die sie fallen liessen und keine Hand r?hrten, die sie noch stiessen. Die Kanaillen, die schmutzigen! Sie hatte sie in ihre Stellungen gebracht, an ihr waren sie heraufgeklettert. Jeden Groschen, jeden Knopf an ihren Uniformen dankten sie ihr. Zudem hatten sie einen f?rmlichen Vertrag mit ihr, hier in der Schublade hatte sie das Papier, einander in g?nstigen und in widrigen Umst?nden nach Kr?ften beizustehen. Die Hundsf?tter, zu schlecht f?r die H?lle und den Schinder! Denn selbst jeder Pracher, Teufel und Spitzbub h?lt solche Vertr?ge und Kumpanei. Der Jude sah still zu, wie sie w?tete, liess sie sich aussch?umen. Schliesslich hustete sie, ihr Gesicht lief rot an, sie schnaufte, r?chelte, weinte zuletzt haltlos, still vor sich hin. ,,Ach Jud," jammerte sie, ,,ach Jud," zerbrochen, gesch?ttelt, hemmungslos, die schwere, sch?ne Frau, Schminke und Puder zerflossen, die stolzen Stoffe hingen tot an ihr herunter. Isaak Landauer k?mmte sich mit den Fingern den str?hnigen Bart, wiegte den Kopf. Dann ergriff er, behutsam, ihre grosse, warme Hand, murmelte vor sich hin, streichelte sie. Ger?chte, niemand wusste woher, stoben im Lande auf von dem nahen Fall der Gr?fin, hier, dort, an allen Ecken. Niemand wagte ein lautes Wort, aber fl?sternd ging es durch alle. Es war ein grosses, heimliches Aufatmen. In einzelnen D?rfern wurden schon Glocken gel?utet, Dankgebete gesprochen, man verk?ndete nicht wof?r, beliess es bei dem allgemeinen: f?r eine gn?dige F?gung. Aber es wurde nichts anders vorl?ufig, im Gegenteil, der Druck wurde h?rter, erbitterter. Alte Beamte wurden ihrer Stellen entsetzt, weil ein neuer Bewerber ihr Amt h?her bezahlte. Die Generalvisitation w?tete gegen Gemeinden und Privatleute mit Anklagen und Inquisitionen, von denen man sich nur durch hohe Zahlungen l?sen konnte; alle Staatsstellen, selbst das Kirchengut und die Witwen- und Waisenkassen wurden zu hohen und sehr unsichern unverzinslichen Darlehen an die Schatulle der Gr?fin gezwungen; die Agenten der Gr?fin schalteten herrischer und massloser als je zuvor. Und als gar ein scharfes herzogliches Reskript erschien, das von neuem und nachdr?cklich alle ?beln Reden gegen die Gr?fin mit schweren Strafen bedrohte, sanken auch die leichtestfl?geligen Hoffnungen lahm zur Erde. Der engere Ausschuss des Parlaments, der Landschaft, hielt alle drei Tage Sitzung. Die Herren waren vom K?nig von Preussen empfangen worden, sie wussten um das Zerw?rfnis der Gr?fin mit ihrem Bruder, sie sp?rten den nahen Fall der Gr?fin, wollten ihn beschleunigen. Man beriet ?ber die M?glichkeit einer neuerlichen Anklage bei Kaiser und Reich, ?ber neue Beschwerden beim Herzog gegen gewisse Masslosigkeiten der Gr?venizschen aus der letzten Zeit. Die elf Herren sassen beisammen, acht Mitglieder des engeren Ausschusses, die beiden Konsulenten, der Vorsitzende und Erste Sekret?r. Sehr verschieden die einzelnen, von dem plumpen, massigen Johann Friedrich J?ger, B?rgermeister zu Brackenheim, bis zu dem feinen, eleganten, weltl?ufigen Konsistorialrat und Pr?laten von Hirsau, Philipp Heinrich Weissensee; aber alle einig pochend auf die Rechte und Privilegien der Landschaft. Es polterte von w?sten Verw?nschungen der Gr?fin, mit Ruten m?sse das Saumensch aus dem Land gepeitscht werden, und Johann Friedrich Bellon, B?rgermeister zu Weinsberg, haute auf den Tisch, wenn es so weit sei, werde er seine kleinen Kinder mit auf die Gassen nehmen und sie heissen, das Luder, das pockennarbige, von der Lustseuche zerfressene, ins Antlitz speien. Es dr?hnten stolze Reden, wo in Europa gebe es noch ein Land mit soviel Freiheiten, nur W?rttemberg und England habe sich soviel parlamentarische Sicherungen erk?mpft, und die Luft im Hause des Landtags war voll von B?rgerstolz, Schweiss und Demokratie. Aber es kam nur zu schw?chlichen Beschl?ssen, und da Eberhard Ludwig nicht zu erreichen war und die Geheimr?te nur h?flich verz?gernde Antworten hatten, kamen auch diese Resolutionen ins Hinken und blieben nach drei Wochen vergilbende Akten. Auch die Herzogin Johanna Elisabetha, die in dem ver?deten Stuttgarter Schloss sass und wartete, hatte von der nahen Ungnade der Gr?fin geh?rt. Die Herren von der Landschaft gingen bei ihr ein und aus, der Kaiser sandte ihr Spezialbotschaft, der K?nig von Preussen hatte ihr in besonders feierlicher Form aufgewartet. Wie spottete man in den Kreisen der Gr?fin ?ber diese zeremoni?se Visite des sch?bigen K?nigs bei der verschlissenen Herzogin. Die Herzogin h?rte aufmerksam auf alle Stimmen, verzeichnete sorglich jede Schwankung Eberhard Ludwigs, aber ihre Hoffnung stieg nicht hoch, und ihre Entt?uschung fiel nicht tief, als sich der ersehnte Umschwung verz?gerte. Sie hatte so lange gewartet. Dreissig Jahre sass sie jetzt in dem kahlen Schlosse, in dem der Herzog ihr nur den n?tigsten Hausrat belassen hatte, sass tr?bselig, verstaubt, eigensinnig, sauer, wartete. Wohl machten auch ihr die fremden Gesandten untert?nige Besuche, aber sie wusste, es war langweilige Pflicht, und man zeichnete sie nur aus, wenn man mit dem Herzog brouilliert war, ihn ?rgern wollte. Das Leben war dr?ben in Ludwigsburg, in der Stadt, die Eberhard Ludwig der Rivalin gebaut hatte, als sie, die Herzogin, verbissen in Stuttgart aushielt, Dem?tigungen, Drohungen nicht achtend. Das Leben war dr?ben in Ludwigsburg, wohin der F?rst seine Residenz verlegt hatte, wohin er die widerstrebenden Aemter, Kollegien, Konsistorium, Kirchenrat zwang. Dort hatte er f?r jene, f?r die Mecklenburgerin, die M?tresse, die Person, das prunkende Schloss gebaut, dorthin aus dem Stuttgarter Palais alle Kleinodien, Prunkm?bel schaffen lassen. Johanna Elisabetha erinnerte sich der Mecklenburgerin - auch in Gedanken nicht nannte sie den Namen der Verfluchten - vom ersten Tag an. Sie hatte ihren Gatten in Liebe und Ehren gehalten, sie war stolz auf den Kriegshelden und Kavalier, sie wusste auch, dass sie nicht sch?n genug war f?r ihn, und verdachte es ihm nicht, wenn er mit ihren Hoffr?ulein herumscharmuzierte. Auch als sie ihm einen Sohn und eine Tochter gebar und man ihr andeutete, die Schw?chlichkeit der Kinder r?hre von dem wilden Leben des Herzogs her, trug sie es ihm nicht nach. Wie die Mecklenburgerin an den Hof kam, - ihr Bruder hatte sie hergebracht, der intrigante Kuppler, um durch sie seinen Weg zu machen - begriff sie zwar nicht, was viel an der Person sei, aber wenn Eberhard Ludwig sie wollte: sie hatte zu so vielem die Augen zugedr?ckt, sie g?nnte sie ihm. Ueberdies hatte sich der Herzog zuerst gar nichts aus ihr gemacht, erst sp?ter bei einer Liebhaberauff?hrung, in der er mit ihr spielte, entz?ndete er sich. Sie sah noch die frechen, nackten Br?ste, mit denen die Person in dem koketten Phyllis-Kost?m sich an ihn dr?ngte. Und seither war kein Tag vergangen, dass die Person sie nicht angehasst h?tte. Sie hatte den Herzog mit Hexerei an sich gelockt, das war ja klar; sie hatte auch versucht, sie, die Herzogin, zu vergiften; dass ihr damals auf die Schokolade so schlecht geworden war, da war das Gift der Mecklenburgerin schuld, und nur eine gn?dige F?gung hatte sie vor Schlimmerem bewahrt und sie von dem Kuchen nichts geniessen lassen. F?r jeden, der Augen hatte, lag es am Tag, dass sie eine verfluchte Hexe, Giftmischerin und Teufelsbuhle war. War sie nicht auch vor der Zeit eines blauschwarzen, behaarten, verschrumpften Wechselbalgs genesen? Aber sie, die Herzogin, hatte sich durch keine Untat, Kr?nkung und Hexerei aus ihrem Rechte treiben lassen. Es war l?ngst kein saftiger Hass mehr in ihr, es war ein trockenes, d?rres, scheles, pedantisches, verstaubtes Warten auf den Zusammenbruch der Person. So sass sie in dem weiten, ausgeleerten Schloss, tr?bselig, kahl, sauer, und die Nachrichten, die zu ihr kamen, verloren ihre Farbe und wurden breiig, z?h, spinnwebfarben wie sie selber. Um jene Wochen ward im schw?bischen Kreis bald hier, bald dort der Ewige Jude gesehen. In T?bingen sagte man, er sei in einem Privatwagen durch die Stadt gefahren, andere wollten ihn auf der Landstrasse gesehen haben, zu Fuss, in der Post, der Torschreiber von Weinsberg erz?hlte von einem seltsamen Fremden, der einen sonderbaren Namen angegeben und ein merkw?rdiges Gewese gehabt habe; wie er aber weiter in ihn gedrungen sei um geh?rige Legitimation, habe ihn der Unheimliche mit einem so h?llischen Blick durch und durch geschaut, dass er in seiner Verwirrung von ihm abgelassen habe, und jetzt noch sp?re er den Teufelsblick wie Reissen durch alle Glieder. Ueberall ging das Geraune, die Kinder wurden gewarnt vor dem Aug des Fremden, und Weil, die Stadt, wo er in der Umgebung zuletzt gesehen worden, gab ihrer Torwache versch?rfte Instruktionen. Kurze Zeit sp?ter erschien er in Hall. Am Tor erkl?rte er kecklich, er sei Ahasverus, der ewige Jude. Der Magistrat, sogleich beschickt, verordnete, man solle ihn vorderhand in der Vorstadt belassen. Aengstlich neugieriges Volk sammelte sich. Er sah aus wie h?ufig Hausierjuden, mit Kaftan und Schl?fenlocken. Er erz?hlte bereitwillig, gurgelnd, oft unverst?ndlich. Vor dem Kreuz warf er sich nieder, heulte, schlug sich die Brust. Im ?brigen handelte er mit Kleinkram, und man kaufte ihm viel ab, Amulette, Andenken. Schliesslich vor den Magistrat gestellt, erwies er sich als Schwindler, wurde gest?upt. Aber diejenigen, die ihn gesehen hatten, erkl?rten, das sei freilich nicht der Rechte. Der habe nichts Besonderes an seiner Tracht gehabt, einen soliden holl?ndischen Rock wie andere auch, leicht altmodisch, er habe ausgesehen wie ein hoher Beamter oder ein gutgestellter B?rger. Nur sein Gesicht und die Luft um ihn herum, sein Auge vor allem: kurz, man habe eben sogleich gesp?rt, das ist der Ewige Jude. So erz?hlten, an allen Ecken des Landes, ?bereinstimmend die Verschiedensten. Die Gr?fin fragte Isaak Landauer, was er von den Ger?chten halte. Er dr?ckte herum, er sei kein Leibniz. Er sprach nicht gern von diesen Dingen, hier sah man nicht klar, er war geneigt, nichts zu glauben, aber seine Skepsis war ohne Sicherheit. Auch bekam, wer sich mit solchen Dingen befasste, leicht mit der Polizei und den Kirchenbeh?rden zu tun. Sie, die Gr?fin, glaubte fest an Magie und geheime Kunst. In G?strow, als Kind, war sie viel mit der alten Johanne zusammengewesen, der Sch?ferin, die die Leute dann erschlagen hatten, weil sie das b?se Wetter hergew?nscht. Sie hatte manchmal offen, h?ufiger, wenn die Alte sie hinausjagte, heimlich zugeschaut, wie sie Salben und Tr?nke mischte, und ganz im Innern war sie ?berzeugt, ihr Aufstieg und ihre Macht r?hre bloss davon her, dass sie sich nach dem Tod der Alten mit dem Bocksblut, das die zuletzt ger?hrt, heimlich Nabel, Scham und Schenkel bestrichen hatte. Sie unterhielt sich gern und voll prickelnd scheuer Gier mit den Alchimisten und Astrologen, die an den Ludwigsburger Hof kamen, und wenn sie auch in Gesellschaft die Philosophin spielte und den Freigeist, so mischte sie doch in der Stille gespannt und schwer atmend manches Rezept zur Erhaltung der Jugend, zur Gewinnung der Macht ?ber den Mann. Dass die Juden ihre unerh?rten Erfolge, ihre genialen Einf?lle in allem Finanziellen magischen Mitteln verdanken, so dumm war sie nicht, das nicht zu durchschauen. Sie hatten solche Mittel ?bererbt bekommen von Moses und den Propheten her; weil Jesus diese Mittel allen V?lkern verraten und sie dadurch wertlos machen wollte, darum hatten sie ihn gekreuzigt. Und wenn jetzt Isaak Landauer sich vor ihr wand und drehte, und sie, die ihm soviel Vertrauen gezeigt, in ihrer Not verliess, so war das sch?bige Konkurrenzangst und schweres Unrecht von ihm. Die Ger?chte von dem Ewigen Juden hatten ihr von neuem den Vorsatz gefestigt, wenn alles andere versagte, den Herzog mit magischen Mitteln zur?ckzugewinnen. Sie drang mit Ungest?m in Isaak Landauer, sie zu dem Ewigen Juden zu bringen. Und wenn er daf?r nicht zu haben sei - er solle keine Ausfl?chte machen, nat?rlich k?nne er es bei einigem guten Willen - dann solle er ihr doch wenigstens einen andern Kabbalisten beschaffen, der sich bew?hrt habe, und an den sie glauben k?nne. Isaak Landauer rieb sich leicht fr?stelnd die blassen H?nde. Ihr Ansinnen und ihre Heftigkeit war ihm sehr unbequem. Gott, er war ein zuverl?ssiger Kaufmann, er beschaffte alles, was man wollte, Geld, L?ndereien, einen Adelstitel, eine kleine reichsunmittelbare Grafschaft, wenn es sein musste, ?berseeisches Gew?rz, Neger, braune Sklavinnen, sprechende Papageien: aber wo in aller Welt sollte er den Ewigen Juden hernehmen oder einen soliden Kabbalisten, mit dem man Staat und Effekt machen konnte? Nat?rlich dachte er einen Augenblick daran, einen geschickten Schwindler vor die Gr?fin hinzustellen; aber er wollte schliesslich diese gute Kundin, die sich so ganz auf ihn verliess, nicht ?bers Ohr hauen. Er war immer solid gewesen. Und dann war es auch zu riskant. Die Landst?nde hassten ihn sowieso, sie h?tten ihn mit gr?sster Freude vors Gericht und, Gott beh?te, auf den Scheiterhaufen gebracht. Er beurlaubte sich von der Gr?fin gegen seine Gewohnheit verstimmt und mit einem widerwilligen halben Versprechen. Er ging zu Josef S?ss Oppenheimer. Der hatte sich mittlerweile redlich bem?ht, m?ssig zu sein; aber er hatte nicht die Gabe, sich auf solche Art zu erholen. Er litt unter dem Nichtstun; er f?hlte sich, der rastlose Mann, unbehaglich, krank, wenn er nicht Projekte anzetteln, mit grossen Herren verhandeln, Bewegung ausl?sen, in Bewegtem wirbeln konnte. Von klein auf hatte es ihn umgetrieben, ihm keine Rast geg?nnt. Schon als Kind hatte er es durchgedr?ckt, dass er nicht bei seinem Grossvater in Frankfurt bleiben musste, dem frommen und stillen Reb Salomon, dem Vorbeter in der Synagoge. Seine Eltern, der Vater war Direktor einer j?dischen Kom?diantengesellschaft, mussten ihn auf ihre Tourneen mitnehmen. So war er schon als Sechsj?hriger an den Herzogshof von Wolfenb?ttel gekommen und hatte grosse Herren kennengelernt. Der Herzog mochte den Vater und mehr noch die Mutter, die wundersch?ne Michaele S?ss, gern leiden, und die Herzogin frass ihren Narren an dem h?bschen, leidenschaftlichen, altklugen, koketten Knaben. Ah, wie war er anders als das flachsblonde Phlegma der Kinder am Wolfenb?ttler Hof. Von daher schon r?hrte seine sehns?chtige Neigung, mit grossen Herren zu verkehren. Er brauchte Abwechslung, es mussten viele, viele Gesichter an seinem Wege stehen, er hatte Durst auf Menschen, eine w?tende Lust, immer mehr Gesichter in sein Leben zu stopfen, er vergass ihrer keines. Der Tag war verloren, an dem er nicht mindestens vier neue Menschen sah, er war stolz darauf, ein Dritteil aller deutschen F?rsten, die H?lfte aller grossen Damen von Angesicht zu Angesicht zu kennen. Er war kaum mehr in der Heidelberger Schule zu halten. Dreimal in vier Jahren brannte er durch, lief den Schauspielern nach. Und als gar der Vater starb, konnten alle Bitten, Tr?nen, Drohungen, Verw?nschungen der Mutter ihn nicht z?hmen. Der h?bsche Junge, von der ganzen Stadt verh?tschelt, fr?hreif, als Wunderkind im Rechnen angestaunt, stolz auf sein prinzliches Aussehen, machte die tollsten Streiche. Die j?dischen Nachbarn schlugen die H?nde zusammen, die christlichen lachten am?siert und wohlgef?llig, die Mutter, unter Flehen, Flennen, Schimpfen, ward zwischen Stolz und Emp?rung hin- und hergeworfen. Auch in T?bingen, wo er die Rechte studieren sollte, hielt es ihn nicht in den H?rs?len. Mathematik und Sprachen bew?ltigte er im Spiel, die Rabulisterei der Jurisprudenz, die die Professoren sich in m?hsamer Theorie zusammenklaubten, stak ihm in den Fingern. Viel wichtiger war es ihm, mit den adeligen Studenten zusammenzusein, und liessen sie ihn nur eine Stunde als Kavalier und Kameraden gelten, so machte er ihnen gern daf?r die ganze ?brige Woche den Diener und Bajazzo. Er erkannte mehr und mehr: dies war seine Profession, grosse Herren zu traktieren und mit ihnen umzugehen, ihr Efeu zu sein. Wer verstand es wie er, in die Launen und L?ste der F?rsten hineinzukriechen, still zu sein zur rechten Zeit, zur rechten Zeit den Samen seines Willens in sie zu senken wie der Obstspinner seine Saat in die reifende Frucht. Und wer gar konnte sich dem Frauenzimmer anschmiegen wie er und mit weicher und sicherer Hand auch die Spr?deste herumbiegen. Es brannte in ihm: mehr L?nder, mehr Menschen, mehr Frauen, mehr Pracht, mehr Geld, mehr Gesichter. Bewegung, Geschehen, Wirbel. Nicht in Wien litt es ihn, wo seine Schwester in stolzer Ehe lebte, gl?nzte, verschwendete, nicht in den Kontoren seiner Vettern Oppenheimer, der kaiserlichen Bankiers und Armeelieferanten, nicht in der Kanzlei des Mannheimer Advokaten Lanz, nicht in den Bureaus seines Bruders, des Darmst?dter Kabinettsfaktors, der jetzt, Christ geworden, Baron Tauffenberger hiess. Es trieb ihn, es jagte ihn. Neue Frauen, neue H?ndel, neue Pracht, neue Sitten. Amsterdam, Paris, Venedig, Prag. Wirbel, Leben. Bei alledem schwamm er in seichtem, abgespaltenem Wasser und konnte nicht recht auf den vollen Fluss hinauskommen. Erst die Hilfe Isaak Landauers hatte ihm ernsthafte Gesch?fte verschafft, die kurpf?lzische Stempelsache und den Darmst?dter M?nzakkord, und erst der flinke Mut, mit dem er diese riskanten Aff?ren gepackt und im rechten Moment aus der Hand gelassen, hatte seinen Namen vollwichtig gemacht. Er h?tte g?ltige Ursache gehabt, jetzt in Wildbad die Arme zu breiten, auszuatmen. Aber dies war ihm nicht gegeben, M?ssiggang juckte ihm die Haut, und er zettelte, nur um seine Kraft spielen zu sehen, hundert kleine Amouren, Projekte, Gesch?fte an. Sein Leibdiener und Sekret?r, Nicklas Pf?ffle, den er dem Mannheimer Advokaten Lanz abgespannt hatte, ein dicker, gelassener, undurchdringlicher, unerm?dlicher, blasser Mensch, musste den ganzen Tag auf dem Weg sein, ihm Neuigkeiten zu schaffen, Adressen, Hantierung, Lebensl?ufe der Badeg?ste zu erkunden. S?ss sah sehr jung aus, und er war stolz darauf, dass man ihn gemeinhin auf rund dreissig sch?tzte, zehn Jahre j?nger fast, als er wirklich war. Er musste Frauenblicke in seinem R?cken sp?ren, umgewandte K?pfe, wenn er auf der Promenade ritt. Die mattweisse Haut, die er von der Mutter geerbt, pflegte er mit hundert Essenzen, er liess sich gerne best?tigen, dass seine Nase griechisch war, t?glich musste der Coiffeur ihm das reiche dunkelbraune Haar wellen, dass es ja nicht unter der Per?cke leide; h?ufig auch trug er es ohne Per?cke, trotzdem sich das eigentlich f?r einen Herrn seines Standes nicht schickte. Er achtete darauf, dass der kleine Mund mit den ?bervollen, sehr roten Lippen sich nicht durch viel Lachen verzerre, und ?ngstlich suchte er im Spiegel die freie Heiterkeit der glatten Stirn, die ihm das Zeichen des Kavaliers war. Er wusste, dass er auffiel, er brauchte Best?tigungen, immer neue, seiner Wirkung, und eine Frau, die er nach einer Nacht verabschiedet hatte, blieb ihm f?rs Leben lieb, weil sie seine dunkelbraunen, blitzenden, raschen Augen unter den gew?lbten Brauen fliegende Augen genannt hatte. Wie die Mode und sein Behagen immer neue Speisen, Weine, immer anderes Kristall und Porzellan f?r seine Tafel forderte, so f?r sein Bett immer neue Frauen. Er brauchte sie und verbrauchte sie. Sein Ged?chtnis, ein ungeheures Museum, das alles in zuverl?ssiger Konservierung hegte, hielt Gesichter, Leiber, Duft, Stellung in sicherer Treue fest; weiter r?hrte keine. Eine einzige hatte sich tiefer als nur in die Sinne in ihn hineingesenkt, das Jahr, das sie mit ihm zusammen war, das Jahr in Holland, stand fremdartig und sehr allein in seinem Leben, aber er hatte das Erinnern daran verkapselt, er sprach nicht davon, seine Gedanken gingen scheu an diesem Jahr und dieser Verklungenen vorbei, nur sehr selten schlug es grosse Augen auf und sah ihn best?rzend und verwirrend an. Da S?ss in keiner gr?sseren Aktion stand, ging er ganz in diesem Gewese auf, trieb sich mit flinken St?ssen in den galanten Nichtigkeiten herum. Nicht ausgef?llt und hungrig nach Geschehnissen, sog er aus dem Leben der andern. Er konversierte mit dem Wirt und machte Projekte, wie der Gasthof, in dem er wohnte, rentabler werden k?nnte, er schlief mit der jungen Aufw?rterin, er bestellte f?r den Besitzer des Spielhauses neue, elegantere Pharao-Tische, wobei er vierhundert Gulden verdiente, er war der am liebsten gesehene Gast beim Lever der Prinzessin von Kurland, er renkte die Liebesh?ndel des Badedieners ein, er beschaffte durch die Gewandtheit seines Nicklas Pf?ffle aus den Ludwigsburger Treibh?usern Orangebl?ten f?r die Tochter des Gesandten der Generalstaaten, er durfte, wenn sie im Bad sass und mit den Kavalieren konversierte, auf der Holzdecke, die, nur ihren Kopf freilassend, auf der Wanne lag, ihr zun?chst sitzen, und viele sagten, er d?rfe sich noch ganz andere Freiheiten nehmen. Er machte einen vorteilhaften Kontrakt mit einem Amsterdamer Juwelenh?ndler ?ber die Schleifung gewisser Steine, bei einem Streithandel mit einem Grafen Tratzberg, einem plump frechen bayrischen Herrn, schnitt er so gut ab, dass der Bayer andern Tags sich aus Wildbad trollen musste, er erwirkte dem G?rtner Kredit f?r neue Parkanlagen beim Badehaus und gewann dabei hundertundzehn Taler. Er hielt am Spieltisch, als alle deutschen Herren sich ?ngstlich zur?ckzogen, dem jungen Lord Suffolk als einziger Widerpart und verlor l?chelnd und h?flich viertausend Gulden. Er ohrfeigte einen Modeh?ndler, der ihn beim Kauf eines Strumpfg?rtels um vier Groschen betr?gen wollte. Er antichambrierte t?glich beim s?chsischen Minister - der s?chsische Hof suchte eine Anleihe - und stand barhaupt und tief geb?ckt, w?hrend der Minister, den Blick steif und hochm?tig gradaus, grusslos vor?berging. Er beneidete brennend Isaak Landauer, der unter dem Spott der Gassenbuben, den Verw?nschungen des Volkes, der Verachtung der grossen Welt ins Haus der Gr?fin ging, rechnete, Geld bewegte, Land bewegte, Menschen ledig machte, unter Ketten begrub. In solcher Laune fand ihn Isaak Landauer. Er begann behutsam von den seltsamen Kaprizen, mit denen Gott, gelobt sein Name, die Christen bedacht und bestraft habe. Der alte Ratsherr aus Heilbronn musste immer seine sieben H?ndchen um sich haben, und von genau gleicher Gr?sse, das Fr?ulein von Zwanziger hatte das Gel?bde getan, am Freitag kein Wort zu sprechen, und der Herr von Hohenegg hatte den Ehrgeiz, bei allen adeligen Begr?bnissen in der Umgegend zugegen zu sein, und scheute zu solchem Zweck keine Strapaze. Dann kam er vorsichtig auf das Gerede vom Ewigen Juden zu sprechen und endete mit der beil?ufigen Mitteilung, dass die Gr?fin die seltsame Laune habe, den Ewigen Juden oder sonst einen Magus oder Astrologus, am liebsten einen zuverl?ssigen Kabbalisten bei sich zu sehen. Dann schwieg er, wartete. S?ss hatte sogleich gemerkt, der andere wolle etwas. Er zog sich zusammen, lauerte. Dass Isaak Landauer von dem Ewigen Juden anhub, warf ihn aus seiner Rechnung. Dies r?hrte einen Punkt, der nicht ins Gesch?ft zu ziehen war, sich nicht in Ziffern umsetzen liess. R?hrte an das Verkapselte. Auch er hatte nat?rlich von den Ger?chten geh?rt; aber sein eingeborenes Talent, sich abzuschliessen gegen alles, was ihm die Sicherheit verwirren konnte, hatte ihn leicht und rasch ?ber Ahnungen, Tr?bungen weggleiten lassen. Nicht stossen an das Verkapselte. Jetzt aber, wie Landauer damit begann, kroch das unbehagliche Gef?hl unweigerlich ihn an. Er sah den Vorschlag Isaak Landauers an sich herankommen wie eine ferne Welle, er f?rchtete ihn und w?nschte ihn herbei, und wie jetzt Isaak Landauer einhielt, sass er in qu?lend prickelnder Spannung. Und da fuhr der andere auch schon fort. Z?gernd, die tastende Erwartung unter der Beil?ufigkeit des Tones versteckt, fragte er: ,,Ich hab gemeint, Reb S?ss, vielleicht Rabbi Gabriel." Da war es. Er zielte also, dieser Mensch, der da vor ihm sass und schlau und behaglich mit dem Kopf wackelte, mit sicherem Kalk?l auf das, was er zu ahnen widerwillig abgelehnt, von sich abgesch?ttelt hatte. Er zwang ihn, sich damit auseinanderzusetzen. ,,Ich meine," tastete er wieder, der andere, der Lockende, Beneidete, ,,ich meine, der Ewige Jude, von dem sie schwatzen, das kann doch nur er sein." Ja, ja, das hatte nat?rlich S?ss auch gesp?rt, als er von jenen Ger?chten geh?rt hatte. Aber gerade davor hatte er sich abschliessen wollen, dass solche Ahnung nicht Wissen werde. Rabbi Gabriel, sein Oheim, der Kabbalist, der Unheimliche, f?r jeden in seltsamem und be?ngstigendem Nebel, der einzige Mensch, ?ber den er nicht ins Klare kommen konnte, der einfach durch seine Gegenwart sein farbiges Weltbild entf?rbte, seine Wirklichkeit entweste, seine klaren, runden Zahlen zweideutig machte, auswischte, der sollte f?r sich bleiben, weit weg. Es war nicht gut, nein, nein, es war bestimmt nicht gut, den ins Gesch?ft zu mengen. Er wird an das Verkapselte r?hren. Wirrung wird herausspringen, Druck, Zwiespalt, Dinge, die sich jeder Rechnung und jedem Kalk?l entzogen. Nein, nein, die Gesch?fte waren hier, und jenes andere lag dort, beh?tet, fern ab, und es war gut so, und es sollte so bleiben. ,,Ich verlang es nat?rlich nicht umsonst, Reb Josef S?ss," tastete der andre sich weiter. ,,Ich w?rde Euch mit hineinlassen in das Gesch?ft mit der Gr?fin." Josef S?ss hatte alle R?der seines Kalk?ls angedreht. Er sass in grosser Versuchung. In ihm arbeitete es, scharf, rasch, mit ungeheurer Energie und Pr?zision. Er wog sachlich und schnell alle Vorteile solchen Angebots, rieb sie blitzblank, z?hlte, rechnete. Verbindung mit der Gr?fin, das war viel, das war mehr als ein grosses Geldangebot. Beteiligt an diesem Gesch?ft, konnte er an den Herzog heran, von da zum Prinzen Eugen war ein Schritt. Er sah hundert M?glichkeiten, schwindelnd Weites r?ckte ganz nah. Aber es ging nicht, es ging nicht. Alles auf der Welt konnte man preisgeben f?r ein Gesch?ft. Frauen, Freuden, Leben. Aber das nicht. Den Rabbi Gabriel in ein Gesch?ft ziehen, ihn verschachern, das nicht. Er glaubte an nichts, an B?ses nicht und an Gutes nicht. Aber das hiess sich in Dinge st?rzen, wo alles Rechnen und W?gen zu Ende war, das hiess sich in einen Wirbel st?rzen, wo aller Mut so unsinnig war wie alle Schwimmkunst vergebens. Er atmete heftig, gedr?ngt. Hob, mit einer Bewegung der Abwehr, j?h ?berfrostet, den R?cken. Es war ihm pl?tzlich, als schaute ihm ein Mensch ?ber die Schulter, ein Mensch mit seinem eigenen Gesicht, aber ganz im D?mmer, nebelhaft. ,,Ihr sollt nichts von ihm verlangen," lockte Isaak Landauer vorsichtig weiter. ,,Ihr braucht ihm keinen Vorschlag tun. Alles, was ich will, Reb Josef S?ss, ist, dass Ihr ihn herschafft nach Wildbad. Ihr brauchtet ja nur Euern jungen Menschen zu schicken, den Pf?ffle, der w?rde ihn gewiss auftreiben. Ich w?rde Euch gut assoziieren an dem Gesch?ft mit der Gr?fin." S?ss sch?ttelte die Benommenheit von sich ab, raffte sich zusammen. Die Dinge traten wieder ein in ihre Farbe, Umriss, Klarheit, Greifbarkeit. Das Nebelgesicht hinter seiner Schulter verschwand. Unsinn seine Bedenklichkeit. Er war doch kein verschw?rmter, dummer Junge. Ja, damals, als man ihm den Vorschlag gemacht hatte, sich taufen zu lassen, am kurpf?lzischen Hof, dass er da nicht zugriff, das waren verst?ndliche Hemmungen gewesen. Er wusste zwar jetzt noch nicht recht, warum er es nicht gemacht hatte wie sein Bruder und sich auf so einfache Weise Glanz, Position und Baronie verschafft. Aber er tat es eben nicht damals und h?tte es auch heute nicht getan und nie und f?r kein Gesch?ft der Welt. Doch jetzt, was dieser da von ihm verlangte, der Listige, Kluge, Gewiegte, was war da denn viel dabei? Kein Mensch doch verlangte von ihm, dass er den Rabbi, den Unheimlichen, den drohend Unbehaglichen, verschachere. Wie hatte ihm da wieder seine Phantasie, die galoppierende, viel zu rasche, die Begriffe gewirrt. Herrufen sollte er den Alten, nichts weiter. Und daf?r die Verbindung mit der Gr?fin, dem Herzog, dem Prinzen Eugen. Ein Narr w?re er, wenn er nicht zugriffe, weil es ein wenig, er suchte das Wort, ein wenig unbehaglich war. Z?gernd, in einem halben Satze, sagte er, nach dem Rabbi zu schicken, an sich ginge das ja allenfalls. Sofort hackte Isaak Landauer zu. Aber nun forderte S?ss an dem Gesch?ft mit der Gr?fin einen Anteil, den der andere unm?glich bewilligen konnte. Eingehend, scharf schachernd, besprachen sie die Einzelheiten. Nur Schritt um Schritt, heftig k?mpfend, wich S?ss zur?ck. Als sie schliesslich ?bereingekommen waren, dachte S?ss, lebte, atmete er nur noch in diesem Gesch?ft. Rabbi Gabriel sank ihm in das Verkapselte, sowie er den Diener weggeschickt hatte. Nicklas Pf?ffle fuhr mit der Post. Der blasse, fette, schweigsame Mensch fiel nirgends auf. Gelassen, gelangweilt, leicht m?de von Aussehen, versteckte er seine Betriebsamkeit hinter dem melancholischen Phlegma seines gedunsenen, blutleeren Gesichts. Die Aufgabe einmal ?bernommen, klebte er daran, harzz?h und gleichm?tig. Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page |
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