Read Ebook: Kapellendorf by Hoechstetter Sophie
Font size: Background color: Text color: Add to tbrJar First Page Next Page Prev PageEbook has 1407 lines and 69924 words, and 29 pagesDankmar Kurtzen setzte sich auf einen Mauerstein. ,,Euer Vetter hat mich gefragt, ob ich ein wirklicher Graf sei. Ob ich im ~Almanach de Gotha~ st?nde. Sonst haben wir nichts geredet. Meint ihr vielleicht, ich gebe mein sch?chternes Verh?ltnis zur englischen Sprache preis? Und noch eine Neuigkeit, Kinder -- n?chstens kommt eure Cousine Clemence. F?r mehrere Monate. Nun m?ssen wir alle repr?sentieren lernen." Sie wurden eifrig. O, die englische Cousine kam -- und alle sollten wohl nun tun, als seien sie erwachsen! Was sollte man da machen, wie? Doch Leonore wurde abgerufen. Die Tr?gerinnen der beliebtesten Th?ringer Namen: Linda und Lydia Wolgezogen, die T?chter des Kohlenh?ndlers Wolgezogen, Hildegard Fernk?se, die Tochter des Kaufmanns Fernk?se, und Alieze Schulze, die Tochter des Herrn Lehrers, waren zwecks Erledigung einiger ?usserlichkeiten um eine abendliche Unterredung eingekommen. Diese Freundinnen ihrer Jugend hatten sich unter den Linden im Schlosshof eingefunden; um diesen Beratungsplatz baten sie ausdr?cklich, da es ihnen unter den Augen der Frau Oberf?rster und Grossmutter nicht wohl war. Sie f?hlten sich Leonore etwas entfremdet; seit diese nicht mehr in die Schule ging, sondern beim Pfarrer und bei ihrer Tante Unterricht hatte, war das Band innigen Verstehens zwar nicht gerissen, aber doch gelockert. Linda, Lydia, Hildegard und Alieze unterbreiteten das Anliegen: ob man k?nstliche oder nat?rliche Kr?nze zur Konfirmation tragen sollte, ob die Zopfschleifen schwarz oder weiss zu sein h?tten, und ob Leonore etwa einen Umhang anziehen w?rde, weil der Palmsonntag doch so fr?h fiele. Leonore g?hnte. Sie sagte, ihre Tante mache ihr das alles, sie n?he ihr auch das Kleid -- nein, es sei noch nicht fertig, sie h?tten ja diese Woche Besuch gehabt, ach, aber das w?re doch so einerlei mit den Zopfschleifen und so, sie n?hme eine rote. Linda, Lydia, Hildegard und Alieze l?chelten ungl?ubig. ,,Im Ernst" m?chte Leonore sprechen. ,,Nun ja, im Ernst, es ist doch keine Trauerfeier, wenn wir konfirmiert werden, ich nehme eine rote Schleife." Hildegard, Lydia, Linda und Alieze l?chelten wieder. Aber diesmal glitzerte das L?cheln nur in ihren Augen, geheimnisvoll wie ein Freimaurerzeichen. Und wie es mit den Kr?nzen sei. ,,Ich setze keinen Kranz auf." ,,Was?" rief Lydia. ,,Keinen Kranz? Du willst keinen Kranz aufsetzen? Nee, so grad wie e Hund willst du gehn?" Die Genossinnen erschraken. Drei Augensignale lichterten ?ber Lydia hin. ,,Ein Hund ist ein sch?nes Tier," sprach Leonore, ,,aber ich setze keinen Kranz auf, weil der Pfarrer schon sowieso immer von Brautkr?nzen redet. Eigentlich k?nnte mir eine von euch einen Gefallen tun." ,,Gern sind wir dazu bereit." ,,Nun also: Ihr wisst doch, wenn ein Waisenkind dabei ist, so sagt der Pfarrer jedesmal, dass es zu beklagen sei und denen, die sich seiner erbarmt, zu Dank verpflichtet. Ich mag das nicht h?ren -- und selbst darum bitten mag ich auch nicht. Wer tut's?" Die Freundinnen blickten einander fassungslos an. Dann erhielt Linda, welche die Kl?gste war, einen Puff von ihrer Nachbarin. Linda fasste sich: ,,Die Pfarrer m?ss' spreche was in ihren B?chern steht. Da kann ma nichts ?ndern. Das sind so Br?uche --" ,,Gott, doch nicht jedes Wort ist ein Brauch. Das an das Waisenkind soll doch eine Freundlichkeit sein. Ich mag sie aber nicht, denn dann heulen alle, als ob ich ein Verdammtes w?re. Seht ihr denn nicht ein, dass ich das nicht mag?" Nein, weder Linda noch Lydia noch Alieze, von Hildegard g?nzlich zu schweigen, sahen es ein. ,,Da kann ma sich nicht einmischen." ,,Na, dann tut es mein Vetter." Die Freundinnen gaben sich das Freimaurerzeichen. ,,Ooch -- dein Vetter? Der ist wohl dei Br?utgam?" sagte Alieze, ,,steckst ja immer mit ihm zusammen." ,,Mein Vetter ist er," sagte Leonore hochm?tig und kalt. Dieser Ton ver?nderte den Ton der Freundinnen. Lydia sagte: ,,Dein Onkel aus England das ist ein feiner Herr, sprech'ch. Und so freindlich." ,,Woher kennst du denn meinen Onkel?" ,,Gelle Linda, er hat unserer Milda eine Brosche geschenkt. Fein, sprech'ch." ,,Der Milda? Mein Onkel?" ,,Ich h?re schon, du hast's nich neet'g so zu schreien; zu meiner Milda hat dein Onkel gesprochen, sie d?rf nach England kumme, wenn sie will. Das Reisegeld, das schickt er ihr. Weil die Milda so anstell'g is, so ein feines M?dchen. Joe, in seinem Hause, da g?be es wohl eine Stelle fir meine Milda." Linda unterbrach die Schwester. ,,Dein Onkel hat gesprochen, was die deitschen M?dchen sin, das sin die besten." Leonore wurde das Lob des Onkels langweilig. ,,Na, wisst ihr sonst nichts?" ,,Ob du weisse oder schwarze Handschuhe anziehst, m?chten wir wissen." ,,Nun ja, an die Rechte einen schwarzen und an die Linke einen weissen, denn sie weiss nicht, was die Rechte tut." Hatte die rote Zopfmasche Lydia und Hildegard abgestossen, der mangelnde Kranz Linda entfremdet, so raubte diese Blasphemie von dem schwarzen und weissen Handschuh Aliezens letztes sympathisches Verstehen. Vier Augenpaare gaben sich das Freimaurerzeichen. -- -- Gott sei Dank, sie sollte in kein Pensionat kommen. Der Grossvater wollte es nicht. Sie k?nne ja beim Pastor Stunden nehmen und bei der erwarteten Cousine besser Englisch lernen. Und auch, nun m?sse sie sich nicht gleich mit Wirtschaften abgeben. Das h?tte noch Zeit. O, was war der Grossvater f?r ein Mann. Drei Tage voll Entsetzen lagen hinter Leonore. Charlottchen hatte sie wieder Tante genannt, die Grossmutter alles weniger als verehrt. Denn diesen beiden war es eingefallen, sie in eine Pension tun zu wollen. O was war der Grossvater f?r ein Mann. Und was war Dankmar Kurtzen f?r ein Freund. Er hatte der Tante und der Grossmutter gesagt: Meine Damen, ich k?nnte Ihnen nie wieder die Hand k?ssen, wenn Sie Leonore fortschickten. Da musste die Grossmama sehr lachen. Leonore ging mit gehobenen Empfindungen. Wie erb?rmlich fielen doch die Aliezen, Lindas und Hildegards aus dem Dorf ab neben Dankmar. Auch neben Klemens. Der hatte erkl?rt, er w?rde in jedes Pensionat einen Warnbrief vor Leonore schreiben, so dass man sie einfach nicht nehme. Ja, Leonore hatte Ursache, mit gehobenen Gef?hlen zu gehen, und sie wanderte hinaus vors Dorf, zu einem kleinen Hause, das ein gebrochenes Dach hatte und das noch einen Freund umschloss: den alten Einwaldt. Er war fr?her Lehrer gewesen, und Leonore sch?tzte seine Bildung sehr hoch. Jetzt besch?ftigte er sich mit der Bienenzucht und las freigesinnte Zeitschriften, woran er Leonore teilnehmen liess. Er hatte einen Sohn, doch der war zu Leonores Freude nicht da, sondern geh?rte in Berlin einer Gemeinschaft an, die neue Moralen erfand und verfasste, wie der Lehrer sagte. Diesem alten Einwaldt musste die Gefahr, der Leonore entronnen war, mitgeteilt werden. Er war in seinem Garten und trippelte um das Bienenhaus. ,,Ach Sie sind's, Lenorchen, ma hat Sie ja garnich mehr gesehen." Leonore erz?hlte die Gr?nde. Eifrig, ja geradezu dramatisch trug sie die Gefahr vor, der sie entronnen war. Der Alte nahm teil. ,,Was h?tte mich das geschmerzt, wenn Sie fortgemacht w?ren, Lenorchen." ,,In so dummen M?dchenschulen, was lernt man denn da? Ein Aff' wird man. Erz?hlen Sie mir doch weiter, Herr Einwaldt, von neulich, wissen Sie. Wir sind gerade bei dem Arch?opteryx stehen geblieben. Ich weiss noch alles. Kommen wir jetzt nicht bald zu den Menschenaffen?" ,,Ach du liebe Zeit, Sie haben zu grosse Eile. Mit den V?geln h?rt doch eine Entwicklung auf. Itze m?ssen wir schon langsam wieder zur?ckgehn und mit einer andern Familiche anfangen." ,,Sie haben gut reden von Eile. Sie wissen alles, und ich weiss so wenig. Wie heisst das ?fflein, das Tonleitern singen kann und auf zwei Beinen laufen und das aussieht wie ein mageres Seilt?nzerkind?" ,,Das ist der Gibbon." ,,Nun ja, also, von dem will ich h?ren, und von den Schimpansen. Die sind fein, die haben so treuherzige Gesichter. Mancher Mensch k?nnte froh sein, wenn er so auss?he." Indessen, der alte Einwaldt war heute nicht auf Schimpansen gestimmt. Die Tageszeitung, die er hielt, hatte ihm einen grossen ?rger durch eine okkulte Geschichte gemacht, die in gl?ubigem Ton erz?hlt war. Er schob sein K?ppchen hin und her, spuckte ver?chtlich aus und sagte: ,,Die Menschen wollen oder sollen mit Gewalt wieder dumm werden. Nun f?ngt man gar von neuem an, an Gespenster und Halluzinationen zu glauben. Ich bin froh, dass ich nicht mehr lang mittun muss." ,,Aber, Herr Einwaldt, es ist doch etwas sehr Interessantes, dass ein Mensch solche Erscheinungen haben kann." ,,Noch keiner hat aber damit etwas anderes gesehen, als was sowieso zu sehen m?glich ist. Du liebe Zeit, Goethe hat ja einmal ein hibsches Frauenzimmerchen vor seinem Gartenhause den Weg kehren sehen. Ja, mein liebes Lenorchen, das wird wohl ?fter passiert sein, dass ein hibsches Frauenzimmerchen sein Wesen da draussen trieb und seine Bossen mit ihm hatte." Das Gespr?ch ging noch eine Weile. Dann sagte Leonore: ,,Wissen Sie, Herr Einwaldt, wir machen uns jetzt eine Sternwarte. Graf Kurtzen hat es uns gesagt, wir k?nnen im Normannenturm so etwas einrichten, wie der alte Weigel einmal in Jena, so dass man am Tage die Sterne sieht. Das wird fein." ,,Zerbrecht Euch nur nicht Arm und Bein dabei." ,,Wir k?nnen alle klettern. Aber nun muss ich heim. Ja. Guten Abend --" Nach Tisch traf Leonore die Freunde auf dem Mauerg?rtlein. Klemens war sehr aufgeregt -- er hatte das Buch des Studenten gefunden. In der Bibliothek war es in einem Schrank gewesen. Klemens brannte darauf, die Sachen den Freunden mitzuteilen. Add to tbrJar First Page Next Page Prev Page |
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